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30.03.2024

Auch wenn du denkst, es geht nichts mehr.......Frühling 2024

Von November bis März.....eine Zeit, in der ich mir, seit ich nicht mehr nach Spanien fahren kann, wünsche, ich wäre ein Bär. Im Herbst ordentlich Speck anfuttern und dann Winterschlaf bis zum Frühlingsanfang. So mutterseelenalleine den Winter auf einem Campingplatz zu verbringen, dass ist nur etwas für die ganz Harten. Aber heute, nachdem ich in den letzten fünf Monaten mehr als fünfundzwanzig Flaschen Gas verbraucht habe, um bei kuscheligen sechzehn Grad in meiner Kemenate zu überleben, habe ich das erste Mal die Heizung ausgelassen......es wird Frühling. Heute sensationelle 18° und auch wenn ich eigentlich über die globale Erderwärmung besorgt sein sollte und mich den Klebern, die nicht mehr kleben, anschließen müsste.....ich bin froh, dass ich meinen alten Knochen mal wieder etwas Vitamin D antun kann. Und nach einer Zeit mit Depressionen und den Gedanken, mich hinter einen Zug zu werfen......wenn er dann käme, lebe ich jetzt, dank Weselsky, wieder auf. Ich fange an, mir, als Selbstversorger, Gedanken über die Bepflanzung meiner Kübel und dem Hochbeet zu machen......es geht mit mir wieder bergauf.




Ein herzliches "Moin" von der Nordseeküste. Ich wünsche allen Besuchern meiner Seite ein frohes Osterfest.


21.12.2023

"Oh du Fröhliche" "Stille Nacht" Weihnachten und Winter 2023 / 2024

Nun ist es also mal wieder soweit. Die für mich mieseste Zeit des Jahres steht mir unmittelbar bevor. Sie begann eigentlich schon Ende November / Anfang Dezember mit Schnee satt. Nur dieses Mal habe ich mich entschlossen nicht zu frieren.....ich heize durch. Damit will ich nicht sagen, dass bei mir plötzlich der Wohlstand ausgebrochen ist, nein, ich habe ja in diesem Jahr 27 € Rentenerhöhung bekommen. Dafür kann ich mir eine Flasche Gas mehr kaufen und die reicht für fünf zusätzliche Tage. Das reicht noch nicht zum Durchheizen, aber auch ich habe es Lindner nachgetan und meinen Haushalt noch mal durchforstet und siehe da, auch ich habe noch eine Möglichkeit zum Einsparen gefunden......ich verzichte auf das Abendessen. Das reicht für weitere zwei Flaschen Gas. Damit kann ich jetzt die Heizung auch Nachts durchlaufen lassen. Jetzt brauche ich mir auch keine Gedanken über eine Übergewichtigkeit machen. Bei nun für mich hüggelige 16° Innentemperatur, rund um die Uhr, verbrennt der Körper eh´ ein paar Kalorien mehr und so bin ich, abends vor der Glotze in eine Decke gehüllt, mit mir ganz zufrieden. Ich für mein Teil rette das Klima, hoffe ich jedenfalls......



Heute ist der 21. Dezember. Irgendwie stelle ich fest, dass Klima und Wetter offensichtlich nichts miteinander zu tun haben. Denn während ich das Klima rette, ist das Wetter mal wieder besch.....eiden. Der Orkan "Zolta" tobt sich mit über 100 kmh über meinem Refugium aus. Der Regen peitscht gegen meinen Anbau und überall knistert es im Gebälk. Nichts ist mit heimeliger Weihnachtzeit. Für die Nacht ist auch eine schwere Sturmflut vorhergesagt.....ich werde also mit einem Bein aus dem Bett schlafen, damit ich rechtzeitig merke, wenn das Wasser kommt. Mit Sturmfluten habe ich ja so meine Erfahrung gemacht. Nur im Februar 1962 (siehe meine Biografie) war ich auf einem Schiff und die schwimmen in der Regel meistens oben. 

Aber so ist um mich herum wenigstens noch ein bisschen was los. Die "Stille Nacht" ist mir ja seit ich alleine bin sowieso ein Greuel. Es gibt für mich nichts schlimmeres im Jahr, als diese Zeit, in der man von den Medien mit Besinnlichem totgeschlagen wird, und ich bin froh, wenn sie mit dem 01.01. vorbei ist. 

 

09.10.2023

Oooooh Gott, auch der Sommer 2023 ist schon wieder Geschichte

Wir haben Mitte Oktober. Bei meinem Lieblingsdiscounter findet man bereits wieder Christstollen und Lebkuchen jeglicher Art. Allerdings zu Preisen, jenseits von Gut und Böse, dass ich den Liebling doch besser streiche.  Das heißt aber auch, in gut acht Wochen ist Weihnachten......mein Gott schon mein 78 zigstes. Wer hätte gedacht, dass ich das schaffen würde......ich jedenfalls nicht. Wie dem auch sei, und wem ich auch dafür dankbar sein muss.....irgendwie ist es mir gelungen, "und das ist auch gut so" (frei nach Wowereit)

Allerdings, so ein bisschen plagt mich mein schlechten Gewissen, denn ich habe ja fleißig mitgeholfen, das mein Heimatland für zwei, oder waren es drei Prozent des weltweiten CO² Ausstoßes und damit für ca. 0.045 Grad der Klimaerwärmung verantwortlich ist. Das habe ich nun davon, ich finde aktuell in meinem Refugium noch keine Anzeichen des nahenden Winters. Ich weiß aber nicht, ob ich deshalb in Panik ausbrechen soll. Meine Pflanzen freuen sich jedenfalls ihres Daseins, und.....egal, ich freue mich mit ihnen und den Insekten, die noch nicht hungern müssen....Alle Fotos von heute.










Kann man bei diesen Bildern wirklich ein schlechtes Gewissen haben??? Ich schwanke. Hätten wir, nachdem uns dieser österreichische Gebirgsgnom in die 1000 jährige Steinzeit zurückgebombt hatte, es dabei belassen, wäre das Weltklima heute um zwei / drei Prozent besser, aber wir hätten nicht alle die, die heute drohend den Zeigefinger heben, weil wir den Meisten mit unseren Umweltsünden erst ein Studium finanziert haben, bei dem sie sogar noch soviel Zeit finden sich irgendwo festzukleben. Heute nennt man das "work life balance" Bei uns war das der Wiederaufbau, der uns Tag und Nacht an unserem Arbeitsplatz kleben ließ, damit wir mit dem A......an die Wand kamen. 


So, Freunde, Schluss mit dem Gemeckere.....gestern habe ich schon mal ein Erntedankfest gefeiert.  Bis auf die Jalapenos (kleine, auch grüne, mexikanische sehr scharfe Chill) habe ich alles aus meinem Hochbeet abgeerntet, siehe Foto und mir dann zur Feier des Tages ein (ich gebe zu, zwei   ) Gläschen Rotwein gegönnt. Die Tomaten habe ich dunkel gestellt, damit sie nachreifen und die Paprika schmecken auch grün. Für meine Jalapenos, die ruhig noch ein paar Tage stehen bleiben können, plane ich dann ein extra Erntedankfest, man muss die Feste eben feiern, wie sie fallen   

01.08.2023

Ein offener Brief an den Sozialstaat Deutschland

 

Hallo Freunde......diesen Brief habe ich an diverse Politiker und Medien verschickt, um auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, die sich unser Sozialstaat mittlerweile leistet. Eigentlich hatte ich überlegt, der "Last Generation" nachzueifern um auf die "Lost Generation" aufmerksam zu machen. Meine Leidensgenossen haben mir aber davon abgeraten, weil viele von ihnen gar nicht mehr so weit runter kommen, dass sie sich, wo auch immer, festkleben könnten.


Ein herzliches "Moin" lieber Sozialstaat Deutschland,


meine Sparkasse rief mich heute an, mein Konto drohe überzulaufen. Die Rentenversicherung hat mir 27,32 Euro mehr überwiesen als im Vormonat. Da war doch was......Ach ja, lieber Sozialstaat, hatten nicht Dein, von mir sehr geschätzter, aber kaum in Erscheinung tretender Bundeskanzler Olaf Scholz, sowie sein umtriebiger, mit Steuergeldern um sich werfender Minister für Arbeit – und Soziales, Hubertus Heil, vor ein paar Monaten großspurig angekündigt, auch die Rentner würden in diesem Jahr einen „kräftigen Schluck aus der Pulle“ bekommen? Jetzt weiß ich es, das war er also, mein kräftiger Schluck, der aber nicht mein Konto, sondern endgültig das Fass meiner Gutmütigkeit zum Überlaufen gebracht hat. Jetzt muss ich mit Dir einfach mal Tacheles reden.....

Gibt es da nicht irgendwo in Deinem, nein eigentlich unserem Grundgesetz, ich glaube sogar ganz am Anfang, den Paragraphen 1 “Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ? Hältst Du diesen Schluck wirklich für „kräftig“ und gerecht ? Und auch noch für menschenwürdig?? Wo doch alleine in dem letzten Schlichtungsergebnis bei den Tarifverhandlungen der DB neben einer Erhöhung der Bezüge von 450 € monatlich, wegen der rasant gestiegenen Energie und Lebenshaltungskosten eine Einmalzahlung von abgabenfrei 2.750 Euro vorgeschlagen wurde. Ok......ich verstehe, ich bekomme diese Einmalzahlung in einhundert Monatsraten......mehr kannst Du für mich leider nicht tun. Ich weiß, die „Elphi“, Stuttgart 21, die Kosten für die „Gorch Fock“ und der PKW – Maut, der Flughafen Berlin und nicht zuletzt das Sondervermögen für die warmen Unterhosen für die Bundeswehr und die Millionen von Flüchtlingen haben Dein Budget völlig erschöpft und.....Menschenwürde hin und her.....irgendwer muss es ja bezahlen. Das sind offensichtlich wir “the lost generation“ Wir Rentner nehmen ja, an der Inflation sowieso nicht teil. Das ist den Politikern, Arbeitnehmern, Pensionären und Soldaten vorbehalten, die deshalb ja auch eine Inflationsprämie bekommen. Unser noch abgabenfreies  Zusatzeinkommen dürfen wir uns durch Flaschensammeln verdienen.

Nun zu mir. Ich, Jahrgang 1945, habe in meinem Leben schon viele Zuwendungen von Dir nicht bekommen. Einen Kita – Platz und, um nicht in den Trümmern des dritten Reiches spielen zu müssen, Elterngeld, damit sich unsere Eltern um uns kümmern konnten. Und, was damals besonders wichtig war......eine Kindergrundsicherung, damit wir, die ihr Zuhause verloren hatten, endlich aus den Behelfsunterkünften in bezahlbaren Wohnungen, mit fließendem Wasser und Zentralheizungen, menschenwürdig leben könnten, haben wir auch nicht bekommen. Das waren damals in den Nachkriegsjahren alles völlig utopische Wunschträume. Dafür habe wir uns krummgelegt, um unsere Würde, die uns ein „Führer“, wie er auch heute wieder Fuß zu fassen versucht, genommen hatte, wieder zurückzugewinnen. Mein Berufsleben hat in einem Alter von nicht einmal vierzehn Jahren in die Hochseefischerei begonnen.....es gab an der Küste nicht sehr viele andere Möglichkeiten. Ein 20 Stunden Arbeitstag für Vierzehnjährige an Bord war damals keine Kinderarbeit, Jugendarbeitsschutz sowie „burnout“ waren noch völlig unbekannte Ausdrücke. Krank war nur der, der seinen Kopf unterm Arm trug. Und wir haben, ohne auch nur im Traum an eine "Work-Life-Ballance" zu denken, rangeklotzt und nicht gekleckert.

Und wie hast Du uns das gedankt???? Laut Norbert Blüm war uns aber die Rente sicher, so dass wir wenigstens im Alter menschengerecht leben können sollten. Nur der Versorgungsausgleich, der bei Scheidungen für Gerechtigkeit sorgen sollte, nahm uns die Sicherheit. Denn weil, wie bis weit in den 70zigern bei uns üblich, und anders als in der DDR, die Frauen kaum versicherungspflichtig beschäftigt waren, erfolgte der Ausgleich überwiegend zu Lasten der Männer und dadurch wurden eigentlich beide Ehepartner zu Sozialfällen. Wie war das noch, mit der Würde des Menschen? Das führte dazu, das es nicht nur unterversorgte alleinerziehende Mütter gibt, sondern auch alleinstehende in Armut lebende alte Männer, die aber für die Medien nicht interessant sind und hunderttausende Lebensleistungen deshalb auch nicht gewürdigt werden. Dafür hast Du aber einen riesigen und teuren Sozialapparat aufgebaut, der, was ich bezweifele, prädestiniert sein soll, den Hilfesuchenden die Würde zurückzugeben.

Und, last but not least, um den Unterversorgten auch noch das letzte Kotelett zu nehmen, predigt Dein Ernährungsminister, Cem Özdemir jetzt auch noch die Verteuerung diverser Lebensmittel wie Fleisch und Wurst, damit, wenn schon nicht die Rentner, wenigstens die Tiere, vor ihrem Ableben ein menschenwürdiges Leben leben können. Ganz ehrlich, lieber Sozialstaat, glaubst Du wirklich, dass die, auf den letzten Tarifabschlüssen mit Sicherheit folgenden, weiteren Preissteigerungen, mit Deinem kräftigen Schluck aus der Pulle ausgeglichen werden und wunderst Du Dich da noch über politische Abweichler??

Lieber Sozialstaat, zum Schluss meiner Zeilen an Dich noch ein Verbesserungsvorschlag. Erinnerst Du Dich noch an die sogenannten „Onkelehen“ nach dem Krieg, wo sich Menschen aus lauter Not trotzt des Kuppeleiparagraphen, zusammengetan haben, um zu überleben. Ich meine, das wäre doch auch heute wieder, jetzt ohne den Kuppeleiparagraphen, eine Möglichkeit in unserem, doch so reichen armen Land, als Rentner zu überleben? Vielleicht könnte die Verbotspartei, sich ja einmal Gedanken über einen entsprechenden Gesetzesentwurf machen......das Alleineleben unter Strafe zu stellen. Du könntest ein neues Ministerium erschaffen und unserem Bürokratiemonster eine neue Behörde hinzufügen, die die Befolgung dieses neuen Gesetzes überwacht. Wie finanziert sich das? Du könntest den sozialen Wohnungsbau, der sowieso nicht funktioniert, abschaffen denn es bräuchte weniger Wohnungen und würde im Nebeneffekt wegen der CO² Einsparung auch das Klima retten.

Liebe Grüße von deinem treuer Bürger und leidensfähigen Noch-Demokraten, Rudolf Mach der, trotzt Erhalt deines "kräftigen Schluckes" keine bezahlbare Wohnung findet, sich eine Mahlzeit am Tag gönnt, und wie am Anfang seines Lebens, nach dem Motto (back to the roots) wieder in einem Behelfsheim im Winter ohne Heizung und fließendem Wasser lebt.


23.07.2023

Ein Dankeschön für 25.000 Zugriffe, und an alle, die bis heute interessiert an meinem Leben teilgenommen haben

Heute Morgen hatte ich den 25.000sten Zugriff zu verzeichnen. Ok......es sind keine 25 Mio. wie bei einem richtigen Blogger aber wenn ich mir 25.000 Menschen vorstelle, sind das schon Bewohner einer Kleinstadt......toll und danke für euer Interesse.

Nachdem ich mich Monate dem, ich gebe zu, depressiven Nichtstun hingegeben habe und auch nichts mehr habe von mir hören lassen, habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen bekommen und will alle die, die an meinem Leben interessiert sind, auf den neuesten Stand der Dinge bringen......

Nachdem ich in meiner Eremitage aus der Winterstarre erwacht war, jedem Hasen um mich herum einen Namen gegeben hatte, musst ich mir so langsam Gedanken machen, wie es weitergehen sollte. Ich war fest davon überzeugt, das der letzte Winter auch der letzte sein sollte, den ich hier auf dem Campingplatz verbringen wollte. Also......doch in die soziale Hängematte??? Zunächst einmal machte ich einen Termin bei meinem Hausarzt um zu sehen, ob es sich A) noch lohnen würde, meinen Kühlschrank noch einmal aufzufüllen und B) wenn nicht, mich in die Hände unseres Sozialstaates mit all der Bürokratie zu begeben. Ich habe nahezu mein ganzes Leben selbstbestimmt und unabhängig gelebt nur.....ich werde ja nicht jünger und merke das auch.

Ok.....der Gesundheitsscheck mit allen Schikanen (Hafenrundfahrt etc.) brachte nichts auffälliges zu Tage. Selbst der Lebertest, vor dem ich ein wenig Angst hatte, da ich ja in Fan des roten Rebensaftes bin, ergab nichts, was Anlass zur Sorge machen sollte. Vielleicht habe ich doch die Gene von Opas Bruder dem alten Kaphoornier Karl (Charly) Mach in mir, denn dann hätte ich noch mindestens fünfzehn Jahre vor mir.....

Also.....es gibt viel zu tun, warten wir es ab. Erst einmal mache ich meinen Kühlschrank wieder voll. Voll??......nein randvoll. Dann steht der Frühling vor der Tür. Das bedeutet, ich muss mein Refugium wieder mit Planten und Blomen versehen und.....als Selbstversorger gehören natürlich auch Tomaten, Paprika, Zucchini, Auberginen und jede Menge Kräuter dazu. Wie bringe ich das nur alles unter??? Ein Geistesblitz......ein Hochbeet muss her



Aus Fertigteilen, die mir mein Nachbar (es gibt endlich auch mal wieder Nachbarn) günstig besorgt hat, baue ich mir ein ca. 2,5 m² großes Hochbeet zusammen und fülle es mit Recyclingerde auf. Jetzt habe ich Platz genug für das was ich gerne unterbringen will, ok.....für Kartoffeln reicht es nicht, aber durch 80 cm Arbeitshöhe schone ich meinen Rücken.


Die armen Karnickel wissen gar nicht, wie gerne ich Hasenbraten esse. Aber obwohl sie es vielleicht ahnen, sie glauben es mir einfach nicht. Im Gegenteil......ich glaube sie mögen mich, sonst würden sie mir nicht so auf die Pelle rücken. Bei der Menge an Keinohrhasen (in der Spitze waren es einmal zwanzig) würde selbst der schlechteste Schütze mit einer Schrotflinte einen Treffer landen.

Dann, und das macht mir sehr große Sorgen, muss mein alter Benz zum TÜV. Meinen letzten hat der TÜV mir ja so mir nichts, dir nichts, stillgelegt. Diese Probleme hatte ich in meinem alten Leben nicht......ich habe fast immer neue Autos gefahren.....mein jetziges ist aber 15 Jahre alt. Ich hoffe, dass es mir erhalten bleibt. Ein neues (altes) kann ich mir kaum leisten, kann aber hier (am A....der Welt) ohne nicht leben. Früher war ich Kunde bei Mercedes. Die habe aber mittlerweile Stundenlöhne jenseits von gut und böse. Also hilft wieder mein Nachbar. Er hat eine Werkstatt auf dem Lande an der Hand, die noch zu zivilen Preisen arbeitet. Ich weiß, die Bremsen und Reifen müssen neu, und neben ein paar Kleinigkeiten, muss nach jetzt 180tausend Kilometern das Getriebe gespült werden. Mein Limit......3.000 €. Es hat zwar mit fast zwei Wochen recht lange gedauert, bis ich meinen rollenden Untersatz zurückbekam, dann aber war meine Freude groß. Alles in allem und incl. TÜV - Gebühren knappe 1.500 €. 


Prost.....willkommen zurück und auf die nächsten zwei Jahre guter Zusammenarbeit



Vom Ersparten schaffe ich mir einen neuen Grill an und um den einzuweihen, Tomahawk Steaks das Stück 600 Gramm 😂😂😂......man (n) gönnt sich ja sonst nichts.....

Kinder, wie die Zeit vergeht.....schon wieder Ende Mai und ich ein Jahr älter. Es ist hier wieder Leben eingezogen. Es gibt nette und weniger nette, auch kuriose Nachbarn mit außergewöhnlichen Wohnwagen. Und es haben mich mittlerweile hier ein paar Freunde aus meinem aktiven Camperleben, und auch ein paar ganz alte Freunde, aus meiner Zeit, als ich noch mit meinem Schiff unterwegs war, besucht. Es ist auch sonnig und warm geworden und eigentlich ist das Leben auf meiner Parzelle doch ganz schön......will ich hier wirklich weg?? 

















20.01.2023

Von Einem, der auszog, das Leben zu lernen........

 


Wasser war mein Leben......

Vorwort 
Es ist der 31.05.2015, mein siebzigster Geburtstag. Ich sitze unweit des dänischen Städtchens Skagen, dem nördlichsten Punkt Dänemarks alleine vor meinem „Rolling Home“. Ein Wohnmobil, Baujahr 2000, das ich mir erst vor zwei Jahren zugelegt habe und in dem ich jetzt lebe. Es ist das Einzige, was mir noch geblieben ist.  Eine Wohnung habe ich nicht, aber da würde mir auch die Decke auf den Kopf fallen. Es ist in der letzten Zeit zu viel über mich hereingebrochen.  Ich könnte jetzt unmöglich in vier Wänden sitzen und auf das Ende warten.  
Der Himmel strahlend blau und ich würde diesen herrlichen Blick auf die Ostsee, die mit kleinen, sich weiß brechenden Wellen, vor mir an den Strand plätschert, gerne mit jemandem teilen. Es ist der erste Geburtstag in meinem Leben, den ich ganz alleine verbringe...... Meinen sechzigsten habe ich noch in einem großen Freundes – und Bekanntenkreis gefeiert. Jetzt aber habe ich niemanden mehr, dem ich meine Ängste vor einer ungewissen Zukunft anvertrauen kann..... Ich bin traurig. 
Ich stehe am Ende meiner vierten Ehe. Meine Frau ist Ukrainerin und gut dreißig Jahre jünger wie ich. Klein, zierlich und blond mit blauen Augen.. Ich liebe sie auch ohne braune Augen, die es mir eigentlich besonders angetan haben. Sie hat mich mit ihrer Jugend, ihrer Schönheit und ihrer sanften Art, in den letzten vierzehn Jahren inspiriert und mich vergessen lassen, dass ich mich im Herbst meines Lebens befinde. Ich habe tief in meinem Innersten damit gerechnet, dass unsere Beziehung nicht unendlich sein könnte, aber immer gehofft, dass der Kelch einer Trennung an mir vorüber gehen würde.  
Jetzt ist es doch geschehen……...sie hat sich neu verliebt. Ich kann sie nicht verurteilen. Ich muss akzeptieren, dass sie das Recht hat, das einzige Leben, das ihr zur Verfügung steht, nach Ihren Wünschen zu gestalten.  Ich habe mir dieses Recht ja auch genommen………

Nun sitze ich hier und versuche mein Leben, das mich über viele Höhen und Tiefen bis hier her geführt hat, neu zu justieren. Dabei kommen mir die Erinnerungen an  Ereignisse wieder, die in der Hektik des Alltags  untergegangen, oder in einem stillen Kämmerlein des Gehirns einfach vergessen waren. Vielleicht muss ich mich einmal intensiv mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen, um einen neuen Weg in meinen letzten Lebensabschnitt finden zu können, vielleicht geht da noch was, man lernt ja bekanntlich nie aus……. 
Ich war schon einmal hier, vor 55 Jahren als junger Seemann auf einem Küstenmotorschiff.  Wir haben damals Skagen als Nothafen angelaufen.  Auf einer Reise mit einer hohen Deckslast Schnittholz von Pitea in Nordschweden nach Hull in Großbritannien sind wir im Skagerrak zwischen Dänemark und Norwegen in einen schweren Sturm geraten. Es war Winter und 15 Grad kalt. Die über das Schiff hereinbrechenden Wellen, gefroren sofort.  Die Deckslast, die Masten, Ladebäume und Wanten waren bald mit einer dicken Eisschicht überzogen  Das Schiff drohte unter der Eislast zu kentern. Das Schicksal hat es aber damals gut mit uns gemeint, wir konnten den rettenden Hafen erreichen und waren noch einmal davongekommen. Offensichtlich hatte mein Schicksal für mich noch einiges parat, denn mein Leben hatte ja gerade erst angefangen, es sollte noch einiges hineinpassen. Und was habe ich dann auch alles erlebt, bis es mich wieder an diese einsame Küste verschlagen hat………… 

Kapitel 1     
Hallo Leben, hier bin ich 

1945 
Der Krieg ist zu Ende. Mein Vater ist auf Amrum, einer der nordfriesischen Inseln in englischer Kriegsgefangenschaft. Meine Mutter ist ihm, hochschwanger, hinterhergefahren. Beide stammen aus Pommern und hoffen sich bald im Westen ein neues Leben aufbauen zu können. Die Engländer behandeln Ihre Kriegsgefangenen gut und so können sie sich manchmal sehen. Er kann ihr sogar ab und zu etwas Schokolade oder ein paar Konserven zustecken, nachdem seine Bewacher mitbekommen haben dass seine schwangere Frau, die kurz vor der Niederkunft steht, in der Nähe wohnt.  
Nachdem, Ende Mai, seit drei Wochen, endlich der Kanonendonner des 2. Weltkrieges verhallt war, entschloss ich mich den schützenden Leib meiner Mutter zu verlassen. Aber...... kurz vor meiner Geburt, stellt der Arzt bei meiner Mutter Komplikationen fest. Ich  habe mich offensichtlich, schon das erste Mal in meinem Leben quer gelegt, daher überweist er sie in die Klinik nach Wyk auf Föhr. Am 31. Mai erblicke ich dann, unterstützt durch einen Kaiserschnitt, das Licht dieser Welt. Mutter erzählt, voller Stolz, dass ich ein besonders hübscher und aufgeweckter Junge war und alle Krankenschwestern in mich verliebt waren. Ich glaube, alle Mütter sind so.  Aber das hat mich vermutlich schon früh geprägt, denn auch ich liebe die Frauen sehr………immer noch!! 
Ich bin also ein gebürtiger Nordfriese. Nicht blond und blauäugig, wie mein Vater und auch nicht wortkarg und verschlossen, wie es verlangt ist, sondern eher das Gegenteil. Später wird man sagen: „wenn der einmal stirbt, muss man sein Maul extra totschlagen“ Zunächst aber war ich, wenn ich meiner Mutter Glauben schenken konnte, ein ganz lieber Junge. 
Sie beschließt mit mir nach Cuxhaven zu gehen. Dort leben Onkel Karl genannt Charly und Tante Mieze. Onkel Charly ist der Bruder von Friedrich, meinem Opa und Tante Mieze heißt natürlich nicht so, sondern Maria…….aber alle nennen sie so. 
Onkel Charly ist Kapitän. Er ist  noch mit Segelschiffen um das Kap Horn gesegelt. Er hat Salpeter aus Valparaiso in Chile nach Hamburg und Kaffee von Guatemala nach Bremen gebracht und wartet nun auf eine Gelegenheit wieder ein Kommando über ein Schiff zu bekommen. Die deutsche Handelsschifffahrt liegt aber so kurz nach Kriegsende noch auf dem Boden und die Zeiten sind auch für Kapitäne nicht gut. Sie haben aber ein paar Ersparnisse und so kommen sie über die Runden. 
Sie haben sich schon vor dem Krieg ein kleines Häuschen hinter dem Deich gekauft und sind kinderlos. Die Männer aus unserer Familie waren seit jeher Landwirte und Seeleute. Wie früher üblich, übernahm der Älteste, in diesem Fall mein Opa den Hof und die Jüngeren in diesem Fall, Onkel Charly,  gingen zur See. 
Mutter fährt mit mir mit der Fähre aufs Festland. Sie hat erzählt dass sie mit meinem Kinderwagen nur einen Platz an Deck gefunden hatte. Ein starker Wind trieb Spritzwasser über das Deck und ich wurde schon mal mit Seewasser getauft. War dieses Ereignis prägend für mein späteres Leben? Oder war es das unstete Leben von Anfang an? Das Wasser hat mich jedenfalls nie wieder losgelassen und wenn ich so richtig darüber nachdenke, dass unstete Leben auch nicht. 

1946 
Mein Vater wird aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und Opa Friedrich  und Oma Selma die aus Pommern ausgewiesen wurden und nur mit dem, was sie tragen konnten ihre Heimat verlassen mussten, haben es auf Umwegen geschafft uns in Cuxhaven zu finden. Das Häuschen von Onkel Charly platzte aus allen Nähten, deshalb lässt mein Vater sich von der Stadt ein cirka zweitausendfünfhundert Quadratmeter großes Stück Brachland zuweisen und kauft sich eine hölzerne Baubaracke mit etwa fünfundzwanzig Quadratmeter Wohnfläche. Er stellt sie auf dem Grundstück auf, baut sie um, renoviert und unterteilt sie in ein Schlafzimmer, in dem wir drei gerade hineinpassten und eine Wohnküche. Die sparsame Möblierung war zum  Teil geschenkt oder selbst gebaut.  
Vater und Opa versuchten mit Gelegenheitsarbeiten etwas Geld zu verdienen. Manchmal organisierten sie aus dem Hafen Bunkerkohlen oder gingen ans Wasser zum Strandholz sammeln, damit wir mit dem Küchenherd, der einzigen Wärmequelle in der Baracke, kochen und auch heizen konnten. Das Grundstück, mittlerweile urbar gemacht, trägt zum größten Teil die Ernährung der Familie. Sie haben ein Plumpsklo und einen Schuppen angebaut in dem Hühner und ein Ferkel gehalten werden. Hinter dem Haus befindet sich ein alter Sommerdeich. In den haben sie einen Stollen gegraben und ihn zum Vorratsraum ausgebaut. An den Deich haben sie Terrassen angelegt und auf die Johannisbeeren gepflanzt. Sie haben wannenweise Johannisbeeren geerntet und damit Wein angesetzt. Sie waren jung und feierten gerne. Sie hatten ja allen Grund………sie hatten den Krieg überlebt.  
Alle nennen mich Peter, Oma nennt mich Petruschka…..Petersilie, obwohl ich mit keinem meiner drei Vornamen: Rudolf - nach meinem Vater, Ernst - nach dem im Krieg gefallenen Bruder meiner Mutter und Dieter -  nach einem noch lebenden Bruder meiner Mutter, so getauft war. Warum ich Peter genannt wurde konnte mir keiner erklären. Das war später, in der Schule, zunächst ein Problem. Ich konnte mich nur schwer an Rudolf gewöhnen und fand den Namen auch noch blöd und unmodern. 

1948 
Ich habe meine erste Erinnerung. Mutter und Vater kommen nach Hause und Vater hat ein Bündel auf dem Arm. Ich habe einen Bruder bekommen. Er heißt Ernst. Mit ihm habe ich nach der ersten Begeisterung offensichtlich ein Problem, denn ich hatte mir eigentlich eine Schwester, eine „Hosemarie“,  gewünscht. Ich habe Mutter gebeten ihn umzutauschen. Ich war jetzt nicht mehr der Mittelpunkt der Familie und in unserem Schlafzimmer wurde es noch enger. 

Onkel Charly bekommt jetzt, da sich Deutschland wieder anfängt vom Krieg zu erholen, ein Kommando über einen Fischdampfer und nimmt Vater mit an Bord in die Hochseefischerei. Das ist jetzt, direkt nach der Währungsreform ein riesiger Schritt nach vorne. Oma und Opa haben zwischenzeitlich eine kleine Wohnung in der Nähe gefunden. Opa arbeitet bei einem Kohlenhändler und besorgt nebenbei, mit Mutter und Oma das Grundstück.  
Vater kommt etwa alle drei Wochen nach Hause. Sie fischen unter Island oder Grönland. Er bekommt einen Teil seines Lohnes in Naturalien das heißt, in Form von Fischen oder Tran, der damals zum Braten verwendet wurde, ausgezahlt. So gibt es immer ein großes Fest wenn er kommt. Die Nachbarn, auch alles Flüchtlinge, kommen zum Feiern, denn er bringt auch immer zollfreien Schnaps und Zigaretten mit. Außerdem können sie bei uns, natürlich günstig, Fisch kaufen oder gegen andere Naturalien eintauschen. Über die zollfreie Schokolade, die er mitbringt, freue ich mich besonders, mein Bruder kann ja noch keine essen. Ich brauche also noch nicht teilen.  
Von dem Schnaps machen sie Likör und ich erinnere mich, dass es Mutter nach so einer Willkommensfeier meistens schlecht war. In unserem kleinen Haus konnte man ja  nichts verbergen, überhaupt nichts! Wenn beide in unserem Minischlafzimmer, manchmal Laute von sich gegeben haben, die ich nicht einordnen konnte, erzählte Mutter mir, dass Vater sie gekitzelt hat…….das stimmte dann wohl auch. 

1951 
Endlich bin ich wieder uneingeschränkt der Mittelpunkt der Familie. Ich bin zwar Ostern  1951 noch fünf aber ich darf schon in die Schule. Oma hat mir extra für diesen wichtigen Anlass einen Anzug gestrickt. Mit einer kurzen Hose, langen Strickstrümpfen und einer passenden Pudelmütze alles in braun – beige. Dazu trug ich ein Leibchen, ein Strampelanzug hinten offen mit Strumpfhaltern, die beim Spielen immer unter der kurzen Hose hervorlugten. Gott sei Dank wurde es bald warm und ich konnte auf die Strümpfe verzichten. Ich habe mich danach auch strikt geweigert diese Kombination noch einmal anzuziehen.  
Den nächsten Winter bekam ich meine erste lange Hose und Oma hat die langen Strümpfe wieder aufgeräufelt und mir Kniestrümpfe gestrickt.  
Meine Schultüte war so groß, dass ich sie kaum halten konnte. Sie war mit Papier ausgestopft und da oben drauf lagen einigen wenige Süßigkeiten. Das war aber nicht so wichtig, denn auf diese große, bunte Tüte war ich besonders stolz. 
Ich hatte einen Schulweg von ca. vier Kilometer und nach einer kurzen Eingewöhnungszeit in der Mutter mich begleitete, bin ich alleine mit Kindern aus der Nachbarschaft zur Schule gegangen. Im Winter mussten wir manchmal über Schneewehen klettern weil unsere  weit abgelegene Straße morgens natürlich noch nicht geräumt war.  
Zu Weihnachten kam zu uns immer der Weihnachtsmann, vor dem ich großen Respekt hatte, weil in dem dicken Buch, dass er bei sich hatte, immer viele meiner Unartigkeiten standen und ich mich fragte, woher er das wohl alles wusste. Aber mit dem Glauben an den Weihnachtsmann war es ab 1952 vorbei. Ich hatte im Frühling mit selbstgebauten Schiffen (ich spielte meistens mit Schiffen) in einer Pfütze gespielt und mich dabei wohl schon ziemlich dreckig gemacht. Ein Nachbar fuhr auf seinem Fahrrad vorbei und schimpfte dass er das dem Weihnachtsmann erzählen würde. Da kam mir die Stimme irgendwie bekannt vor und ich zu der Erkenntnis, dass er wohl selbst der Weihnachtsmann war. Fortan fanden wir unsere Geschenke nur noch unter dem Weihnachtsbaum. 

Irgendwie hatte ich mich aber nicht so gut entwickelt. Ich hatte eine seltene Drüsenkrankheit und war sehr schmächtig. Da ich an Appetitlosigkeit litt und auch unter Strafandrohung nicht essen wollte, waren alle sehr besorgt um mich. Auf Anraten des Arztes schickten mich meine Eltern mit der Kinderlandverschickung für drei Monate in die Schweiz. Auf dem Weg nach Basel, meiner ersten Bahnfahrt überhaupt und dann noch ohne Mutter, stellte ich die Begleiterinnen vor ein großes Problem. Ich hatte ein Schild um den Hals, auf dem der Name eines Kinderheimes stand, in dem ich in der Schweiz untergebracht werden sollte.  
Ein Kinderheim war nach meinem Kenntnisstand ein Heim, in dem unartige Kinder untergebracht werden, so nach dem Motto: „Wenn du nicht artig bist, kommst du ins Heim“ So ein Heim musste ein ganz schrecklicher Ort sein. Ich hatte also panische Angst vor diesem Heim und die Begleiterinnen konnten mich nicht mehr beruhigen. In  Basel angekommen wurde ich dann nach Zug am Zuger See umgeleitet und dort von einer netten Arztfamilie, die zwei Kinder hatte, aufgenommen. Diese Familie lebte in einem großen Haus und in einem Wohlstand mit Auto und einer Haushälterin, der mir bis dahin völlig unbekannt war. 
Kinder lernen schnell und innerhalb kurzer Zeit lernte ich schwitzerdütsch. Ich erholte  mich prächtig und Fränzi, die Tochter des Hauses, die ein Jahr älter war als ich, wurde meine erste große Liebe. Sie hatte gute Beziehungen zur gegenüberliegenden Bäckerei und die nette Bäckersfrau versorgte uns mit Kuchen, wann immer und soviel wir  essen konnten. Zuhause  in Cuxhaven gab es, wenn überhaupt, Kuchen nur sonntags.  Das gab schließlich den Ausschlag, ich wollte Fränzi unbedingt heiraten. Ich weiß nicht mehr genau ob sie es auch wollte, aber leider hat man auf meine Wünsche sowieso keine Rücksicht genommen und mich, ohne mich zu fragen, wieder nach Hause geschickt.  
Meine Eltern hatten nach meiner Rückkehr zunächst große Mühe mich zu verstehen. Schwitzerdütsch unterscheidet sich doch erheblich von Plattdütsch. 
Aber eigentlich sollte ich jetzt eine ganz neue Sprache lernen.  Denn kaum war ich wieder zu Hause, wurden die Koffer gepackt. Meine Eltern hatten zwischenzeitlich entschieden, dass sie ihr Glück in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten finden wollten. Ich sollte also Amerikaner werden. Ein Amerikaner war für mich bis dato eigentlich etwas zum Essen …….so ein runder Kuchen mit viel Zuckerglasur, den ich ja aus der Schweiz kannte.  

Es war schon alles geplant. Vater hatte bereits einen Job in Detroit in der Autoindustrie zugesagt bekommen und eine Wohnung stand uns wohl auch schon zur Verfügung. Vorab mussten wir aber für drei Monate nach Hamburg in ein Auswandererlager um die Sprache zu lernen und um schon im Vorwege etwas über unsere neue Heimat zu erfahren. Dazu mussten wir etliche ärztliche Untersuchungen über uns ergehen lassen. Wir wohnten zusammen mit einer weiteren Familie in einem Raum in einer ehemaligen Kaserne. Das war für uns Kinder ganz lustig…… für unsere Eltern aber nicht. Es gab eine Gemeinschaftsküche und auch die Sanitäreinrichtungen mussten wir uns mit vielen Anderen teilen. Aber vor dem Erfolg hat ja der Herrgott bekanntlich den Schweiß gesetzt und danach sollte ja alles besser werden.  
Die  Vereinigten Staaten  nahmen  in den Nachkriegsjahren viele Einwanderer aus dem zerstörten Europa auf und so verkehrten Auswandererschiffe regelmäßig ab Cuxhaven und Bremerhaven in Richtung New York.  Alle unsere Mitbewohner aus dem Lager waren für einen Transport im November 1952 vorgesehen. Bei meiner Mutter hatten die Ärzte irgendeine Unregelmäßigkeit an der Lunge festgestellt. Sie meinte später, das das wohl Teer vom Rauchen war………egal, wie auch immer, wir kamen mit dem vorgesehenen Transport nicht mit und da der Nächste erst in einem halben Jahr abgehen sollte, mussten wir wieder nach Cuxhaven zurückkehren. 
Das war es dann mit Amerika……. Wenn ich heute darüber nachdenke  ist mir deshalb wohl höchstwahrscheinlich einiges erspart geblieben. Ich denke da in erster Linie an die vielen militärischen Auseinandersetzungen an denen die Amerikaner beteiligt waren……..Glück muss der Mensch haben. 

1953 
Vater, der im Krieg Kampfschwimmer und Minen – und Torpedospezialist war, bekommt eine gute Stellung beim Kampfmittelräumdienst als Taucher. Das war natürlich ein gefährlicher Job. Nachdem Mutter sich, wegen Ihrer immerwährenden Angst um sein Leben, durchgesetzt hatte, wechselte er auf das Schiff des vom Bund neu geschaffenen Fischereischutzes, das die jetzt wieder aktive deutsche Fischereiflotte in ihren Fanggebieten rund um Island und Grönland begleitete. Dieses Schiff war mit allem ausgerüstet, das benötigt wurde, um den Fischern in Notfällen auf See Hilfe zu leisten. Es gab an Bord eine Krankenstation mit einem Arzt und mein Vater, als Taucher, befreite auf hoher See Schiffsschrauben oder Ruderanlagen von Fangleinen oder Netzen, die die Schiffe manövrierunfähig gemacht hatten. Er kam etwa alle drei Wochen nach Cuxhaven und wir Jungens waren ständig und solange es möglich war, auf seinem Schiff. Dabei entstand der Wunsch bei uns beiden nach der Schule zur See zu fahren. Ich träumte schon jetzt davon einmal als Kapitän die Welt zu bereisen.  

In Onkel Charly, der mittlerweile pensioniert war, hatte ich einen großen Unterstützer. Er konnte uns Jungens stundenlang von seinen Abenteuern erzählen und wir lauschten ihm dabei andächtig. Es war sicher auch einiges an Seemannsgarn dabei, aber was macht das schon. Wenn er sein altes nautisches Besteck aus seiner Seekiste holte und mir den Gebrauch seines Sextanten erklärte, sah ich mich schon dicht vor meinem Ziel. Ich glaube dass ich eine Menge von Charlys Genen in mir habe, denn auch ich quatsche gerne. Sein Bruder, mein Opa, war genau das Gegenteil von ihm, sehr wortkarg und wir Jungens hatten eher Angst vor ihm. 
Ich bin nun acht und mein Schutzengel muss dass erste Mal einschreiten. Auf dem Weg zur Schule befand sich ein Kiosk, der Zigaretten, Süßigkeiten und Zeitungen verkaufte. Dort gab es auch die „Akim“ und "Zorro" Piccoloheftchen, nachdem wir Jungens ganz verrückt waren. Diese schmalen Heftchen kosteten zwanzig Pfennig, die ich meiner Mutter geklaut hatte denn Taschengeld war für mich damals och ein Fremdwort. Als ich nun die Straße überqueren wollte um an das Objekt meiner Begierde zu kommen, lief ich in ein Motorrad und flog in hohem Bogen durch die Luft. Als ich wieder zu mir kam, lag ich dick bandagiert im Krankenhaus und Mutter saß weinend an meinem Bett…..nicht wegen der zwanzig Pfennig, sondern weil ich diesen Unfall ziemlich schwer verletzt überlebt hatte........

Hurra…….. auch in Deutschland geht es wieder bergauf. Wir haben eine richtige Wohnung. Meine Eltern hatten sich um eine der Neubauwohnungen, die für die Flüchtlinge gebaut wurden, angemeldet und tatsächlich eine bekommen. Also zogen wir in eine zweieinhalb – Zimmer Dachwohnung in die Stadt. Wir Jungens hatten ein eigenes, wenn auch kleines Zimmer nur für uns. Nachdem wir die Körperreinigung bisher einmal wöchentlich in einer Zinkwanne vorgenommen hatten, Reihenfolge: zuerst Ernst, dann ich, dann Mutter und zum Schluss - wenn er zu Hause war, Vater, gab es nun ein Bad mit einer Badewanne und warmes Wasser kam aus dem Wasserhahn………was für ein Luxus.  
Die Schule war um die Ecke. Allerdings fehlte die Freiheit zum Spielen, die wir vorher gewöhnt waren. Vorher gab es in unserer unmittelbaren Nähe nämlich einen Kinderspielplatz von dem die heutigen Kinder träumen würden und der den heutigen Eltern Alpträume verursachen würde. Keine Behörde würde den Kindern heute den Zutritt erlauben aber für uns war er schlechthin das Paradies. 
Es handelte sich um ein Brachgelände von etwa drei bis vier Quadratkilometer direkt an der Elbe auf dem sich die Ruinen gesprengter U-Boot-Bunker befanden. Wir nannten diese Gegend „Schlicka“. In den Resten der Bunker waren wir vor den Erwachsenen sicher. Hier konnten wir unsere Fantasien frei ausleben, Stichlinge und Molche fangen und erste Hierarchien bilden. Und ich fand meine zweite große Liebe……….Anke. Wir spielten gemeinsam Kasperletheater hinter einem Bettlaken, vor Publikum, Eintritt zwei Pfennige und wir wollten, da wir uns ja offensichtlich selbst versorgen konnten, heiraten. Nachdem sie irgendwann einfach weggezogen war,  war es wieder nichts mit dem Heiraten, das kam dann später…….. einige Male.

1955 
Wir ziehen in ein eigenes Haus. Mutter wollte ihren Mann gerne zu Hause haben. Die Erziehung  zweier Jungen füllte sie völlig aus obwohl wir, ich  mittlerweile zehn und Ernst sieben, noch einigermaßen gut zu lenken waren. Wenn sie mal Probleme hatte, genügte die Drohung unsere (meine) Untaten dem Vater zu erzählen, meistens um uns zur Raison zu bringen.  
In unserem  Ortsteil stand eine Fischräucherei mit einem uralten Wohnhaus zum Verkauf. Mein Opa hatte in Pommern neben seinem landwirtschaftlichen Betrieb noch eine Fischräucherei betrieben. Dort hatte Vater die Grundbegriffe der Fischverarbeitung kennengelernt und stürzte sich nun in dieses neue Abenteuer. Wir hatten jetzt sogar ein Auto. Zwar war das ein Kastenwagen, an dem man eine Seite hochklappen konnte und der als Verkaufswagen diente, aber wir hatten das erste Auto in der Straße. Vater fuhr damit mehrmals wöchentlich über Land und verkaufte den Bauern den Fisch den er und Mutter vorher verarbeitet und geräuchert hatten.  
Wenn ich in den Ferien mal mitfahren durfte, ließ er mich die Schiffsglocke, die am Wagen hing läuten, damit die Kunden hörten dass wir da waren. 
Am Wochenende fuhren wir mit dem Auto spazieren. Wir Jungs saßen hinten auf Fischkisten und hatten nur abwechselnd, durch ein klitzekleines Fenster nach vorne die Möglichkeit etwas von der Außenwelt zu sehen. Trotzt des leichten Fischgeruches, der uns anhaftete wenn wir ausstiegen, fanden wir diese Ausflüge toll. 
Leider entwickelte sich das Unternehmen nicht so, wie Vater es sich gewünscht hatte. Fisch war damals ein Armeleuteessen. Ich erinnere mich an Preise wie drei Pfund Heringe für eine Mark. Er wollte investieren und den Betrieb vergrößern, aber meine Mutter war damit nicht einverstanden………Schulden waren ihr ein Greuel. Sie konnten sich nicht einigen. Mutter war, trotzt ihrer Körpergröße von nur eins vierundfünfzig eine sehr starke Frau (Steinbock), die sich durchzusetzen verstand. Also gab er das Geschäft auf und ging er wieder an Bord seines Fischereischutzbootes.  
Ich bestand die Aufnahmeprüfung zur Mittelschule. Meine Eltern, mehr meine Mutter, wollten aus mir unbedingt einen Architekten oder einen Bauingenieur machen. Ein Bruder von ihr, Onkel Dieter, war Apotheker und der Andere, Onkel Kurt, beim Finanzamt. Da hätte ein Architekt gut in die Familie gepasst. Vor lauter Stolz über meine bestandene Prüfung schenkte mir mein Vater ein nagelneues Rad mit einem Sportlenker und Felgenbremsen. Das war etwas anderes als die alten Icken meiner Kumpels. Mit dem Rad bin ich dann tagtäglich, bei jedem Wetter in die ca. 6 km entfernte Mittelschule gefahren. Eine andere Möglichkeit in die Schule zu kommen gab es nicht. 

1957 
Ich hatte mich mittlerweile zu einem Rabauken entwickelt. Wenn irgendwo Dummheiten gemacht wurden, war ich dabei. Meine Stellung als Häuptling verlangte, dass ich an vorderster Front anzutreffen war. Die „Schlicka“ war dabei unser Hauptbetätigungsfeld. In der Abgeschiedenheit konnten wir auch unsere erwachende Neugier auf das andere Geschlecht stillen. Es gab schon ein paar Mädels, die Doktorspielen nicht abgeneigt waren, oder uns auch schon mal zeigten, dass Mädels anders gebaut waren. Diese nahmen wir als Squaws in unseren Stamm auf.  
In der Nähe unseres Hauses gab es ein Korbweidenfeld, von vielleicht 200 mal 200 Metern Größe, das im Sommer für Uneingeweihte schier undurchdringlich war. Mutter hatte irgendwie mitbekommen, dass wir in dem Feld waren, vermutlich mit Mädels und Zigaretten (einer meiner Freunde war Gastwirtssohn und konnte die besorgen) und versuchte uns dort herauszuholen. Sie lief immer um das Feld, traute sich aber nicht hinein. Abends bekam ich das erste Mal von ihr Prügel. Mit dem Teppichklopfer. Ich war zu dem Zeitpunkt zwar erst zwölf aber schon ca. 20 cm größer als sie, was die Sache für sie auch nicht leichter machte. Sie hat dieses wohl auch Vater erzählt als er von See kam. Er hat aber gelassen reagiert. Ich glaube er fand diese Entwicklung seines Ablegers ganz normal. Er hat sich jedenfalls so ausgedrückt. 
Meine an sich sehr guten schulischen Leistungen ließen mit Beginn der Pubertät rapide nach. Ich berief mich darauf, dass ich sowieso zur See fahren wollte und dafür, zumindest damals, auch für ein Kapitänspatent keinen Abschluss einer höheren Schule benötigte. Ich brach die Schule ab und kam wieder zurück in meine alte Klasse in der Volksschule.  
Nur jetzt war Renate, eine neue Mitschülerin da. Ich verliebte mich unsterblich in dieses zierliche, lustige Mädchen. Ich bekam Bauchweh, wenn ich sie sah und suchte ständig ihre Nähe. Ich trat sogar dem Sportverein bei, in dem sie turnte nur um sie abends nach Trainingsende nach Hause begleiten zu können. Obwohl in dem Verein auch Mädchen waren, die bereits frauliche Formen bekamen, die unter den Trikots gut zu erkennen waren, hatte ich nur Augen für meine Liebe, die damit noch nicht sehr üppig ausgestattet war.  
Ich wollte nun unbedingt eine Gitarre haben, weil ich glaubte wenn ich im Schulorchester Gitarre spielen würde, könnte ich auf jeden Fall bei ihr punkten. Meine Eltern waren aber der Meinung, wenn schon ein Instrument, dann ein Akkordeon. Ein Seemann sollte, wie Hans Albers, Akkordeon spielen. Ich bekam eins, nahm auch Unterricht, aber Renate fand Akkordeon doof……….ich dann bald auch. 
Leider war diese Liebe einseitig. Renate schwärmte, wie die meisten Mädchen meiner Klasse für unseren Klassenlehrer. Der wiederum konnte mich nicht besonders leiden. Ich war voll in der Pubertät, hatte durch meine Zeit in der Mittelschule einen Wissensvorsprung gegenüber meinen Mitschülern und kehrte das mit einem großkotzigen Imponiergehabe auch nach außen. Ich erreichte damit genau das Gegenteil von dem was ich wollte. Ich war nicht Renates Typ und so blieb auch meine mittlerweile dritte große Liebe unerfüllt. Ich habe bis zu Ende meiner Schulzeit sehr darunter gelitten zumal ich ihr ja täglich  begegnete.  
Mein Schulfreund Uwe, der bereits eineinhalb Jahre älter war als ich, kannte auch eine Renate, die war schon sechzehn und sexuell weiter als die Mädchen aus meiner Klasse. Eines Tages lud er mich zu sich ein. Seine Renate war auch da. Wir gingen in sein Zimmer, seine Eltern waren nicht zu Hause. Renate zog sich aus und ließ uns an sich spielen. Uwe legte sie aufs Bett und es kam wie es kommen musste. Mir wurde schon beim Zusehen ganz schlecht. Als sie mich danach aufforderten es auch einmal zu probieren, habe ich es vor lauter Aufregung nicht hinbekommen und mich, jedenfalls in meinen Augen, fürchterlich blamiert.  
Unser Abenteuerspielplatz grenzte an das ehemalige Marinedepot der Wehrmacht. Dort waren jetzt die Engländer stationiert. Ihr Gelände war eingezäunt und bewacht. Nach dem Winter haben wir in der „Schlicka“ des Öfteren „gelunschert“ das heißt  die vertrockneten  großen Schilf und Grasflächen angebrannt. Bis wir einmal einen starken Ostwind hatten und uns das Feuer außer Kontrolle geriet. Die Flammen trieben auf das Depot zu und die Engländer mussten Ihre Garnison mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Es wäre also fast dazu gekommen, dass ein paar jugendliche Sioux Indianer die Besatzer vertrieben hätten. Das war der deutschen Wehrmacht damals nicht gelungen. Da ich als einer der Mittäter entlarvt wurde, und mein Vater gerade zu Hause war, konnte ich den nächsten Tag in der Schule kaum sitzen.  
Zu damaliger Zeit gab es für die die Jungen noch Werkunterricht und für die Mädchen Handarbeit und Kochen. Mein Vater riet mir neben dem Werken auch am Kochunterricht teilzunehmen, weil ich das als Seemann bestimmt noch einmal brauchen könnte. Ich konnte mich dem schlecht widersetzen und es war mir sehr peinlich als einziger Junge unter den ganzen Weibern kochen zu lernen. Das war ja nun überhaupt nicht männlich und meine Mitschülerhaben mich auch damit aufgezogen. 

1958 
Im September hatte ich das schrecklichste Erlebnis meines Lebens. Die Herbstferien hatten gerade begonnen. Wir jungen Krieger vom Stamm der tapferen Sioux Indianer, hatten hinter dem Zaun der Engländer Rettungsflöße aus Blech entdeckt. Diese Flöße sind viereckige Schwimmkörper mit einer Seitenlänge von cirka zweieinhalb Metern und in der offenen Mitte mit einem Netz versehen. Diese Flöße hängen normalerweise an den Seiten von Marinefahrzeugen und werden bei Bedarf einfach ins Wasser geworfen.  
Unser Wohnhaus befand sich unmittelbar am Ufer eines Entwässerungskanales und wir fanden dass so ein Floß ein tolles Spielzeug auf unserem Kanal sein müsste. 
Also durchbrachen wir in unserem Indianeroutfit mit Lendenschurz und Möwenfedern im Haar, die Gesichter mit Erde geschwärzt,  den Zaun zu dem bewachten Gelände und es gelang uns tatsächlich so ein großes Floß unbemerkt herauszuholen. Jetzt mussten wir es nur noch zur Elbe bringen und dort etwa zwei Kilometer flussaufwärts ziehen. Unser Entwässerungskanal mündete dort über eine Schleuse in die Elbe.  
An dem Tag der geplanten Überführung waren wir zu dritt. Mein Bruder Ernst, mein Schulfreund Axel, der Gastwirtssohn und ich. Wir hatten aber die Tiede nicht berechnet. Bei Hochwasser hätten wir das Floß normalerweise einfach mit einer langen Leine vom Ufer aus ziehen können. Als wir aber an die Elbe kamen, hatten wir Niedrigwasser. Die ins Fahrwasser hineingebauten Buhnen lagen trocken. Wir mussten also unser Floß irgendwie drum herum bekommen.   
Langsam kam die Flut und wir beschlossen uns auf das Floß zu setzen und mit ein paar mitgebrachten Brettern als Ruder elbaufwärts zu paddeln. Die Flut würde uns dabei unterstützen. Als wir aber ein paar hundert Meter zurückgelegt hatten, hatte uns die Strömung und der starke ablandige Wind bereits weit ins Fahrwasser getrieben.  
Jetzt bekamen wir Angst. Es gelang uns trotzt größter Anstrengungen nicht das Floß dichter ans Ufer zu manövrieren. Das viereckige Teil war zu schwerfällig und einfach nicht in die gewünschte Richtung zu bewegen. Beim Paddeln verloren wir auch noch eins unserer Bretter. Jetzt trieben wir hilflos und total verängstigt mitten im Fahrwasser. Der herrschende Wellengang hatte uns bereits durchnässt.  
Endlich kam elbaufwärts ein Schiff in Sicht. Ein kleinerer Küstenfrachter der unsere Notlage erkannte, wollte uns bergen und fuhr auf etwa fünf Meter an uns heran. Ich versuchte unsere Leine auf das Schiff werfen aber die Matrosen warfen uns ihrerseits eine Leine zu, die wir auch auffingen und uns panisch daran festklammerten. Das Schiff war aber noch nicht vollständig gestoppt. Die Leine straffte sich ganz plötzlich und wir  wurden von dem Floß gerissen. Ich spürte die Leine durch meine Finger rutschen und fand mich allein schwimmend im Wasser wieder.  
Obwohl wir am Wasser aufgewachsen waren, war keiner von uns ein besonders guter Schwimmer. Es gelang mir trotzdem, in voller Kleidung, die Gummistiefel waren mir bereits von den Füßen gerutscht, über Wasser zu bleiben. Von Bord eines Fischdampfers, der in diesem Augenblick die Unfallstelle passierte, wurde mir ein Rettungsring direkt an den Kopf geworfen. Ich konnte ihn greifen und er rettete mir das Leben. Die Seeleute von dem Frachtschiff zogen mich an Bord. Von meinem Bruder und meinem Schulfreund fehlte jede Spur. Sie waren irgendwo neben mir untergegangen. Die Leiche meines Bruders wurde ein paar Wochen später im Hafen von Cuxhaven geborgen. Er war im Tod noch zu dem Kai geschwommen, an dem mein Vater immer mit seinem Schiff angelegt hatte. Meinen Schulfreund Axel hat die See nicht mehr hergegeben.  
In diesem Jahr verließen uns auch noch Oma und Opa ganz kurz hintereinander, so dass wir aus dem Trauern gar nicht mehr herauskamen.  
Ich war nach diesem Unglück zwar Mittelpunkt in meiner Schulklasse, aber bei Renate hat mir das auch nicht weiter geholfen. Dreißig Jahre später habe ich ihr bei einem Klassentreffen erzählt, wie es damals um mich gestanden hat. Sie hatte es anscheinend nicht einmal bemerkt. 

Kapitel 2    
Der Ernst des Lebens beginnt 

1959 
Ostern ist dieses Jahr im März. Ich bin zwar erst dreizehn, habe aber jetzt die Schule bereits hinter mir. Zu meiner Konfirmation gibt es ein großes Fest. Ich habe einen tollen Anzug bekommen, den ich mir selber aussuchen konnte. Dazu ein paar sehr modische, spitze Schuhe mit Westernabsätzen in Größe 43. Ich war bereits knapp 1,80 m groß. Mein Vater bot mir was zu trinken und eine Zigarette an. Ich war jetzt ein Mann. Zu später Stunde war mir aber so schlecht, dass ich mich gar nicht mehr wie ein Mann fühlte. Zwei Monate später musste mein Vater meine spitzen Schuhe auftragen, sie passten mir schon nicht mehr. 
Alle Versuche meiner Eltern mir nach dem Unglück die Seefahrt auszureden, waren erfolglos geblieben. Mutter wollte nicht dass wir jetzt beide zur See fahren und sie ganz alleine zu Hause bleiben sollten. Sie hatte ja bereits den Jüngsten ihrer Männer an die See verloren. 
Mein Vater gibt sich geschlagen und verzichtet zu meinen Gunsten auf die Seefahrt. Er wird ziviler Ausbilder bei der neuen deutschen Bundesmarine. Es ist ihm aber schwer gefallen. Wegen einer aufsehenerregenden, dramatischen Rettungsaktion eines in Seenot geratenen Schiffes im Nordatlantik, bei der er als Taucher des Fischereischutzbootes sein Leben eingesetzt hatte, hat er zwischenzeitlich das Bundesverdienstkreuz erster Klasse bekommen. Das hatte ihn natürlich in seinem Job besonders bestätigt.  
Ein Attentat hatte er dann aber doch noch geplant, um mir die Seefahrt zu vergraulen und mich eventuell an Land zu behalten. Er hatte einen Schulfreund, der einen Fischlogger besaß.  Dort sollte ich anheuern und der sollte mir die Seefahrt austreiben. Ich packte also gleich nach meiner Konfirmation meinen Seesack und fuhr mit dem Zug nach Kiel. Dort lag mein erstes Schiff und ich fühlte mich mit meinem Seesack auf dem Rücken so, als könnte ich Berge versetzen. 
Die Ernüchterung kam aber sehr schnell. In der ersten Nacht in meiner Koje, mit den vielen fremden Gerüchen in der Nase und dem Geplätscher des Wassers an der Bordwand habe ich vor Aufregung kaum ein Auge zugemacht. Nach dem Frühstück fuhr der Kapitän mit mir auf die Heuerstelle in Kiel, wo ich ein Seefahrtsbuch bekommen und die Anmusterung erfolgen sollte.  
Der Heuerbaas war sehr erstaunt, als er ein dreizehnjähriges, lang aufgeschossenes, schmalbrüstiges Bürschlein vor sich sah. Es war doch recht ungewöhnlich dass jemand schon so jung mit der Schule fertig war. Der Gesetzgeber hatte das Mindestalter für Seeleute auf vierzehn Jahre festgesetzt.  
So war mein erster Anlauf die Weltmeere zu erobern schief gelaufen und ich saß bereits mittags wieder, wie ein gestrandeter Seemann mit meinem ungeöffneten Seesack und Tränen in den Augen, in dem Zug nach Hause. 
Ich durfte zwar noch nicht zur See fahren, aber zum Arbeiten war ich nicht zu jung und so wurde ich für die nächsten zwei Monate „Schietgänger“ auf einer unserer Cuxhavener Werften. Ein Schietgänger ist jemand der in jede Ecke und Bilge eines Schiffes kriechen muss um den Dreck wegzumachen. Bei aller Übelkeit, die mich bei diesen Arbeiten überkam, ich hatte  es aber wenigstens mit Schiffen zu tun. 
Mit Sehnsucht wartete ich auf meinen vierzehnten Geburtstag. Dann sollte es endlich losgehen. Am 29. Mai, also zwei Tage vor meinem Geburtstag kam das Schiff des Schulfreundes meines Vaters nach Cuxhaven und sie wollten gleich auf Fangreise in die Nordsee auslaufen. Der Kapitän nahm mich mit in das Heuerbüro, ich bekam ein Seefahrtsbuch und ich wurde zum 01.06.1959 angemustert. Da wir aber gleich, unmittelbar nach meiner Anmusterung, die Leinen loswarfen, bin ich dann doch noch mit dreizehn Jahren das erste Mal zur See gegangen. 
Was nun folgte war die körperlich härteste Zeit meines Lebens. Als „Moses“ (Schiffsjunge) zwischen den rauen Fischern jeden Tag seinen Mann stehen zu müssen, das war schon eine Herausforderung. Die Arbeitszeit richtete sich nach dem Fang. Das Netz wurde ausgesetzt, ca. zwei bis drei Stunden geschleppt und dann wieder eingeholt. In der Zwischenzeit wurde der Fang vom letzten Hol geschlachtet und unter Deck gebracht. Wenn keine Netze zu flicken waren, blieb vielleicht etwas Zeit um sich in der Koje auszustrecken. War ich gerade eingeschlafen kam der Ruf zum hieven. Das ging rund um die Uhr so. Es gab keinen Tarif, und kein Jugendschutzgesetz die diese Sklavenarbeit unterbanden…… das war eine Arbeit für ganze Kerle. 
Bei meiner ersten Reise hatte mir Mutter noch Bettzeug mitgegeben, später nicht mehr. Für die kurzen Schlafpausen zog man sich natürlich nur die Seestiefel aus und legte sich in voller Montur in die Koje. Das hatte zur Folge, dass die Bettwäsche irgendwann gottserbärmlich stank. Auch die Körperpflege kam reichlich zu kurz. Gewaschen wurde sich ab und an mit der Pütz an Deck. Alle acht bis zehn Tage liefen wir wieder in Cuxhaven ein.  Dann war ausgiebiges Baden angesagt um den Fischgestank wieder los zu werden. Nach jeder Heimkehr stand die Frage meiner Eltern an, ob es mir denn noch gefiele oder ich nicht doch lieber zu Hause bleiben wollte. Ich war zwar anfänglich nicht ganz so glücklich aber das hätte ich niemals zugegeben. 
Was mich sehr stolz gemacht hatte, war mein Verdienst. Wir bekamen keine feste Heuer sondern waren prozentual am Fang beteiligt. Nach Abzug aller Kosten für Verpflegung und Schiff, verdiente ich mit vierzehn bereits, je nach Fang, manchmal doppelt so viel wie mein Vater. Im Sommer gingen wir auf Hering. Zu der Zeit trat er noch in riesigen Schwärmen auf. Die See glitzerte und blinkte von den abertausenden silbernen Fischleibern. Jetzt zogen wir ein Netz mit zwei Schiffen. Das eine hatte die Backbord – Leine, dass andere die Steuerbord – Leine und das Netz befand sich zwischen den Schiffen, die im Abstand von etwa zweihundert Metern nebeneinanderher dampften. Es war so groß, das wir bei einem guten Fang etwa zwei bis dreitausend Kilo Heringe an Deck holten. Es wurde mal auf das eine und dann auf das andere Schiff gehievt. Wenn auf dem anderen Schiff gehievt wurde, musste ich zum hieven und schlachten übersteigen. Bei ruhiger See war das kein Problem. War die See jedoch rau, konnten sich die Schiffe nur bis zu einem gewissen Abstand nähern. Dann musste ich springen. Ging auch das nicht, wurde ich auf ebenso einem Rettungsfloß, mit dem wir Kinder verunglückt waren, herübergezogen. Dabei bin ich noch einmal über Bord gegangen aber meine Kollegen haben mich sofort wieder herausgefischt. Das Schicksal wollte nicht, dass ich ertrinke. Dieses hat sich in den nachfolgenden Jahren noch mehrfach bewiesen. 
Ich entwickelte mich zu einem vollwertigen Besatzungsmitglied und fing an die Hochseefischerei zu mögen. Dabei wurde ich sehr schnell zum Mann. Meine Arbeitskollegen ließen mir auch keine Chance das noch ein bisschen hinauszuzögern. Mein Schicksal hatte keine Schonzeit für mich vorgesehen. Nachdem sie herausbekommen hatten, dass ich noch eine männliche Jungfrau war, haben sie mich eines Tages in ein Bordell in Cuxhaven geschleppt, das Honorar einer sündigen Schwester für mich bezahlt und auf den Vollzug gewartet. Es hat dieses Mal zwar geklappt aber es war nicht das, was ich erwartet hatte. Ich hatte mir das irgendwie schöner vorgestellt.  
Deshalb fing ich an, die Frauen in zwei Kategorien aufzuteilen. Die Anständigen, in die man sich verliebt und die Unanständigen, die sich in Hafenkneipen herumtrieben und die für Geld alles mitmachten.  
Um die Sexualität richtig schön zu finden, musste ich mindestens ein bisschen verliebt sein. Da ich aber wenig Gelegenheit hatte, in den kurzen Hafenzeiten anständige Mädchen soweit kennenzulernen dass daraus etwas Weitergehendes werden konnte, blieb meine Erfahrung in der nächsten Zeit auf die unanständigen Mädchen begrenzt. Ich wusste auch gar nicht, wie ich es anstellen sollte ein Anständige ins Bett zu bekommen. Bei den Unanständigen hingegen war das ja, wenn die Heuer stimmte, ganz einfach. 
Meine Unsicherheit ging so weit, dass ich mit einem Mädchen aus Cuxhaven, in das ich mich verliebt hatte, sehr brav und händchenhaltend auf der Alten Liebe, einem bekannten Schiffsanleger an der Elbe saß. Wir knutschten zwar, aber ich traute mich nicht weiter zu gehen. Dafür erklärte ich ihr den Sternenhimmel. Irgendwann kam sie nicht mehr, vermutlich interessierte sie sich nicht so sehr für Sterne. Oder ein Anderer  war geübter im Umgang mit anständigen Mädchen. 

Alkohol spielte im Leben der Fischer eine große Rolle. Die meisten waren unverheiratet und ohne Anhang in den Häfen. So verbrachten sie die kurzen Hafenaufenthalte meistens in Ihren Stammkneipen und hielten die Bordsteinschwalben aus, bis die Heuer aufgebraucht war. Wenn die Schiffe zu einer neuen Fangreise auslaufen sollten, waren manchmal noch einige Maaten in den Kneipen. Dann wurde der Steuermann ausgeschickt die betrunkenen Seeleute einzusammeln. Dabei ist es mehr als einmal passiert dass ein völlig unbeteiligter Zecher mit eingesammelt, das heißt „schanghait“ wurde und sich plötzlich auf See wiederfand. Da die Schiffe nicht mehr umkehrten,  wurde er unfreiwillig für eine Fangreise zum Fischer.  

1960  
Im Winter fischten wir in der Ostsee nach Lachs. Lachs war damals ein Luxusfisch und wurde sehr gut bezahlt. Wir hatten etwa zweihundertfünfzig Angeln an Bord, die mit einem Köder und einem Schwimmer versehen ausgesetzt wurden. Zweimal am Tag wurden sie ins Wasser gebracht und später wieder eingeholt. In dem zwei bis drei Grad kalten Ostseewasser war das eine Schinderei. Ich wurde manchmal gar nicht mehr warm und hatte das Gefühl dass mir, trotzt Handschuhen, meine Finger abgestorben waren. Aber wie sagt man………alles was uns nicht umbringt, macht uns hart. 
Als mein Vater nun einsah, dass mich die Seefahrt richtig gepackt hatte, riet er mir eindringlich, dass ich, um mein Ziel zu erreichen, Kapitän auf einem Frachter zu werden, in die Handelsmarine wechseln müsste. Ich stimmte zu und stieg aus der Fischerei aus. 

Mein erstes Schiff bei der Handelsmarine war ein Küstenmotorschiff, ein kleines Frachtschiff mit einer Tragfähigkeit von siebenhundertfünfzig Tonnen, das die Nord – und Ostsee befuhr. Wir transportierten Holz von Schweden und Finnland nach England und Deutschland und Stahlprodukte von England nach Dänemark. Für die Fahrt über die Weltmeere war dieses etwa fünfundsechzig Meter lange Schiff zwar nicht geeignet. Aber trotzdem hatte ich das Gefühl in den Himmel gekommen zu sein. 
Es gab geregelte Arbeitszeiten……. sechs Stunden Wache und danach sechs Stunden Freitörn. Dazu geregelte Mahlzeiten. Ich war von den insgesamt sechs Mitgliedern der  Besatzung der Jüngste an Bord und musste kochen. Da war sie, die weise Vorhersehung meines Vaters, mich am Kochunterricht teilnehmen zu lassen. Ich war zwar kein Meisterkoch, aber ich glaube meine sechs Kollegen hatten schon schlechter gegessen, denn es gab kaum Klagen. Ich habe das auch gerne gemacht, brauchte ich doch nicht bei Wind und Wetter an Deck zu sein. Den Spaß am Kochen habe ich mir bis heute erhalten. 
Mit diesem Schiff sind wir dann vor nunmehr fünfundfünfzig Jahren bei einem schweren Sturm im Skagerrak dem Gewässer zwischen Norddänemark und Norwegen in Seenot geraten aber dank der Umsicht unseres Kapitäns, noch einmal mit dem Leben davongekommen.  
Dann verliebte mich aufs Neue, hoffnungslos und wiederum unsterblich. Dieses mal in die Tochter des Kapitäns, der gleichzeitig Eigner des Schiffes war, auf dem ich nun arbeitete. Vera, ein süßes, zierliches Mädchen mit weizenblonden, langen Haaren und braunen Augen, in meinem Alter, bringt mich um den Schlaf. Ich war sechzehn und im dritten Ausbildungsjahr und  eine Schiffseignertochter lag für mich in unerreichbarer Ferne. Wenn ich fünf oder sechs Jahre älter gewesen wäre und vielleicht schon auf der Steuermannsschule, hätte es vielleicht etwas mit uns werden können. So aber bemerkte sie mich gar nicht und es zerriss mir jedes Mal fast das Herz wenn ich sie sah. Ich musterte deshalb ab und fuhr nach Hamburg um mir ein Schiff zu suchen dass nur weit genug weg fuhr, um Vera zu vergessen. 
Ich vergaß Vera auch schnell. Nur Mädchen mit blonden Haaren und braunen Augen haben mich seitdem immer wieder fasziniert……...  

Kapitel 3     
Auf den Weltmeeren zu Hause 

1961 / 62 
Kaum in Hamburg angekommen, ging ich auf die Heuerstelle am Baumwall, fast unmittelbar an den Landungsbrücken.  Heuerstelle ist die Bezeichnung für das Arbeitsamt der Seeleute. Es gab dort einen großen Aufenthaltsraum in dem die Arbeitssuchenden saßen. An der einen Seite befanden sich mehrere Klappen in der Wand, hinter denen die Arbeitsplätze der Heuerbaaße (Arbeitsvermittler) lagen. Der bekannteste Heuerbaas war zu der Zeit Max und so sagten die  Seeleute, die eine Heuer suchten einfach nur: „wir gehen zu mal zu Max“. Gab es ein Schiff anzubieten, ging eine der Klappen auf und Max oder einer seiner Kollegen rief die Stelle oder die Stellen aus: „ Zwei Matrosen, ein Heizer, ein Leichtmatrose und ein Smutje für ein Schiff nach Südamerika“. War man interessiert ging man zum Heuerbaas, gab sein Seefahrtsbuch ab und wenn man die geforderten Kriterien erfüllte, bekam man einen Heuerschein, mit dem man sich auf dem Schiff vorstellen musste. Fand man Gnade unter den Augen des Kapitäns oder des ersten Steuermannes, hatte man den Job.  
In meinem Fall, ich war mittlerweile Leichtmatrose, wurde Deckspersonal für ein Tankschiff in der großen Fahrt gesucht. Die Tankschifffahrt war bei den Seeleuten nicht sonderlich beliebt.  Das Beladen der Schiffe im Persischen Golf oder auch in Maracaibo in Venezuela erfolgte fernab jeglicher Zivilisation und das Löschen (entladen) in Hamburg dauerte in der Regel nicht länger als 24 Stunden. Nur ein kleiner Teil der Besatzung bekam frei, da die Übrigen  für den Lade – und Löschvorgang an Bord bleiben mussten. Nur hatte ich zu dem Zeitpunkt natürlich noch keine Ahnung, was mich dort erwartete……. 
Zunächst einmal war ich total begeistert. Die Besatzung des Schiffes bestand aus fünfundvierzig Mann, darunter auch Maschinenpersonal, Koch, Bäcker und Stewards. Bisher hatte ich das Abschmieren des Motors so nebenbei auf der Wache mitmachen müssen. Jetzt kümmerten sich vier Ingenieure und acht Maschinisten um den haushohen Hauptantrieb von dem die Zylinderbüchsen so groß waren, dass ein ausgewachsener Mann hinein steigen konnte und die vier Hilfsdiesel, von denen jeder so groß war wie die Hauptmaschinen der Schiffe, auf denen ich bisher gefahren hatte. Sie lieferten den Strom für das Schiff und die Lenzpumpen. Was für eine Welt…… ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Alles größer, schöner und höher als das, was ich bisher gesehen hatte. Wenn ich als Rudergänger auf der gigantischen Kommandobrücke stand und das Schiff steuern durfte, ging mir das Herz auf.  
Jetzt begann endlich mein Traum von der „großer Fahrt“ und ab jetzt wollte ich viele ferne Länder, Kulturen aber natürlich auch einige der vielen Hafenbars rund um den Globus kennenlernen. Ich war ja schließlich jung. Zunächst einmal fuhren wir aber mit dem leeren Schiff Richtung Persischen Golf, wo wir in Ras Tanura sechsunddreißigtausend Tonnen Rohöl für Hamburg laden sollten. Es ging bei ruhigem Wetter durch die Biscaya, entlang der portugiesischen Küste, durch die Straße von Gibraltar und in Sichtweite der nordafrikanischen Mittelmeerküste nach Port Said.  Hier beginnt der cirka einhundertzweiundsechzig Kilometer lange Suezkanal. Dieser 1869 eröffnete Kanal verkürzt den Seeweg zu unserem Zielhafen im persischen Golf um etwa fünftausend Meilen oder zwei Wochen, die wir sonst rund um Afrika hätten fahren müssen. Er führt mitten durch die Wüste Ägyptens ins Rote Meer.  
Port Said, war für mich, der noch nie Afrikanern begegnet war, ein Erlebnis. Da der Kanal nur einspurig befahrbar war, mussten wir mit mehreren Schiffen vor Port Said ankern bis unser Konvoi in Richtung Suez  abfahren konnte. Sofort war unser Schiff umringt von einer Unzahl bunter kleinen Booten mit Händlern in Kaftans und Turbanen, die uns  billige Souvenirs, kleine Schnitzereien wie Kamele, Masken und Salatbestecke, Sitzkissen oder auch leichte Bekleidung verkaufen wollten.  Zu diesem Zweck warfen sie Leinen zu uns herauf, an dem Körbe befestigt waren,  in denen wir die Waren zur Begutachtung nach oben ziehen konnten und der letztlich verhandelte Kaufpreis oder auch Tauschwaren wie amerikanische Zigaretten, die wir bei uns an Bord zollfrei erwerben konnten, zu den Händlern heruntergefiert wurden. Dieses bunte Treiben….. so hatte ich mir die große weite Welt vorgestellt. Das erste Mal mit einem Schiff durch die Wüste zu fahren, war ebenfalls ein bleibendes Erlebnis. Soweit das Auge reichte……..nichts als Sand und an den Ufern arbeiteten hunderte Wüstensöhne mit Schaufeln, Körben, Eseln und Kamelen daran, den durch den Wind in den Kanal gewehten Sand wieder heraus zu holen…….eine Arbeit, die ein ganzes Leben  oder auch mehrere dauert.  
Die Decksbesatzung war während der Fahrt über die Ozeane in drei Wachen eingeteilt. Der dritte Steuermann, ein Ausguck und ein Rudergänger hatten die Hundswache von Null - bis vier Uhr dann acht Stunden frei und wieder Wache von zwölf bis sechzehn Uhr. Der erste Steuermann hatte mit seinen zwei Leuten die Wache von vier bis acht Uhr und von sechzehn bis zwanzig Uhr. Die Wache von acht bis zwölf Uhr und von zwanzig bis vierundzwanzig Uhr leitete der zweite Steuermann. Für die besonderen Ansprüche einer Revierfahrt (enge Gewässer) gab, war für jede Wache ein weiterer Matrose in Reserve an Bord. Diese Leute sowie der Bootsmann (Vorarbeiter) und der Zimmermann waren, wenn sie keine Wache hatten, mit dem Unterhalt des Schiffes beschäftigt. 
Nach zwei weiteren Tagen auf See, waren wir an unserer Ladestelle angekommen. Eine Verladebrücke, ein paar Öltanks und rundherum nichts als Wüste außer ein paar Bohrtürmen am Horizont absolut nichts, nada, nothing……… Das  war nun gar nicht die große weite Welt, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Nach vierundzwanzig Stunden waren wir beladen und es ging in umgekehrter Richtung zurück nach Hamburg. Wieder vierzehn Tage Seetörn, vierundzwanzig Stunde löschen in denen ich keinen Landgang bekam und ab ging es in Richtung Maracaibo. Wieder das Gleiche……nur auf einem anderen Kontinent. Eine Ladebrücke vierundzwanzig Stunden laden und wieder zurück nach Hamburg. Ich hatte nach zwei Reisen und über drei Monate ohne einen Fuß an Land gesetzt zu haben, die Nase voll. Da aber die Esso, der das Schiff gehörte über Tarif bezahlte, blieb ich dann doch noch für eine weitere Reise an Bord. Dieses Mal ging es nach Aruba auf die niederländischen Antillen. Aber auch hier blieb kaum Zeit für ein kurzes Bier in einer Hafenkneipe und schon waren wir wieder auf See.........

Am 15. Februar 1962 liefen wir bei schwerer See in die Elbe ein. Es blies schon seit Tagen ein starker Sturm aus West bis Nordwest.  Wir sollten in Harburg an der Ölraffinerie löschen. Ich hatte schon gekündigt, musste aber noch bis zur Leerstellung  des  Schiffes an Bord bleiben. Mit meinen Eltern in Cuxhaven hatte ich telefoniert und ihnen mein Kommen für die nächsten Tage angekündigt. Der Sturm nahm im Laufe des Tages weiter zu und wir mussten den Löschvorgang abbrechen, weil die Flut in Hamburg  bereits am Nachmittag so hoch aufgelaufen war, dass die Kais  unter Wasser standen. Da auch die Poller an denen unsere Festmacheleinen aufgehängt waren, unter Wasser waren,  hatte der Kapitän für die gesamte Deckbesatzung Bereitschaft angeordnet, da  befürchtet werden musste, dass sich unsere Leinen von den Pollern lösen und das Schiff in dem Orkan abtreiben könnte.  Am späten Abend hörten wir überall um uns herum Sirenen und Kirchenglocken die die Bevölkerung warnen sollten. Dazu die Signalhörner der Feuerwehren und der Rettungsfahrzeuge. Diese Geräusche, das Heulen des Orkanes und Feuerscheine am Himmel wirkten auf mich sehr gespenstisch. Um Mitternacht brachen dann in Hamburg an mehreren Stellen die Deiche und wie ich später erfuhr, ertranken in dieser Nacht in unserer unmittelbaren Umgebung dreihundertfünfzehn Menschen.  
Am nächsten Morgen versuchte ich meine Eltern in Cuxhaven telefonisch zu erreichen, bekam aber keine Verbindung. Voller Sorge versuchte ich in Erfahrung zu bekommen, wie es den Bewohnern direkt an der Nordsee ergangen war. Die Radiostationen hatten noch keinen  genaueren Überblick. Sie berichteten aber von mehreren Deichbrüchen und großen Überschwemmungen an der Küste und im Unterelbegebiet zwischen Hamburg und Cuxhaven. 
Nachdem das Schiff leer war, packte ich meine Sachen zusammen und ging mit dem Schwur „nie wieder werde ich auf einem Tanker fahren“ von Bord. Da die Bahnverbindung nach Cuxhaven aber noch nicht wieder hergestellt war, kam ich zunächst für ein paar Tage im Seemannsheim unter. 
Zwischenzeitlich konnte ich aber mit meinen Eltern telefonieren………sie waren, Gott sei Dank, wohlauf. Auf der Bahnfahrt, vier Tage später konnte ich mir, bei der Fahrt durch das Kehdinger Tief, das die Bahn auf einem Damm durchquert, noch ein Bild von den Geschehnissen machen……..es standen immer noch weite Landstriche und viele Bauernhöfe unter Wasser.  
Meine Eltern erzählten, dass sie, nachdem sie im Haus alle wertvolleren Sachen hochgestellt hatten, in die Stadt gefahren sind um sich ein Bild von der Situation zu machen. Nachdem ihnen dort aber das Wasser schon entgegen kam, luden sie Onkel Charly und Tante Mieze ins Auto und fuhren auf die Altenwalder Höhen, dem höchsten Punkt in Cuxhaven und warteten auf Entwarnung. Obwohl auch in Cuxhaven ein Deich gebrochen war, sind unsere beiden Wohnhäuser, wie durch ein Wunder, von den Fluten verschont geblieben. 
Meine Mutter verwöhnte mich ein paar Tage mit meinen  Leibgerichten. Bei ihr zu Hause schmeckten selbst die Salzkartoffeln besser als wie an Bord. Nachdem sie meine Wäsche wieder auf Vordermann gebracht hatte, an Bord musste ich das ja selber machen, fuhr ich wieder nach Hamburg und ging zu Max auf die Heuerstelle, um mir einen neuen Job zu suchen.
  
Mein nächstes Schiff war ein Frachter, in der großen Trampfahrt. Das heißt das Schiff fuhr nicht in einem festen Liniendienst sondern weltweit  immer dorthin, wohin gerade Güter jeglicher Art  transportiert werden sollten, oder es eine passende Ladung gab.  Ich ging also in Hamburg an Bord, wurde angenommen und bezog eine Zweimannkabine für mich alleine. Wir verließen Hamburg kurz nach meiner Ankunft, liefen durch den englischen Kanal, der am stärksten befahrenen Wasserstraße der Welt, vorbei an den Kreidefelsen von Dover und waren drei Tage nachdem wir aus Hamburg ausgelaufen waren, in Rouen in Frankreich. Hier sollten wir achtzehntausend Tonnen Weizen für Karachi aufzunehmen. Der Weizen wurde über dicke Rohre, aus riesigen Getreidesilos, innerhalb von drei Tagen lose  in unsere Laderäume geblasen.  
Wieder ging die Reise durch das Mittelmeer, den Suez Kanal, ins Roten Meer. Von dort weiter nach Aden, im Jemen, wo wir unsere Treibstoffvorräte auffüllten. Ein Frachtschiff dieser Größe verbrauchte cirka dreißigtausend Liter Dieselkraftstoff in vierundzwanzig Stunden. Die Treibstofftanks eines Frachtschiffes durchschnittlicher Größe fassten etwa  fünfhunderttausend Liter. Nachdem wir den Golf von Aden verlassen hatten,  erreichten wir den indischen Ozean. Bei Temperaturen von weit über dreißig Grad bekamen wir fliegende Fische, Delfine und springende Mantas zu sehen.  Und ich bekam,  beim Anstreichen auf dem Vorschiff, in der tropischen Sonne mit nacktem Oberkörper, bei einem Fahrtwind, bei dem man die Gefahr zunächst nicht verspürte, meinen ersten richtigen Sonnenbrand. Es war so schlimm, dass ich nicht wusste, wie ich liegen sollte und er mich ein paar Tage lahm legte. Aber……..aus Schaden wird man ja bekanntlich klug………das ist mir in dieser Form danach nie wieder passiert. 
Endlich……….Karachi. Wieder stürmten exotische Eindrücke auf mich ein. Schmutz, Armmut und fremdartige Gerüche Ungeziefer und Menschen ohne Ende. Wir bekamen einen Liegeplatz zugewiesen und öffneten unsere Luken. Mehr als dreihundert Pakistani stiegen in die Laderäume und füllten den Weizen mittels Körbe in Säcke, die direkt an Bord zugenäht und mit unserem eigenen Ladegeschirr an Land gehievt wurden. Achtzehntausend Tonnen loses Getreide ergeben dreihundertsechzigtausend Säcke.......wir löschten drei volle Wochen. Den besten Job hatten hier die Säckezunäher. Sie hockten im Schneidersitz auf den Säcken und nähten und nähten und nähten.....
  
In den europäischen  und amerikanischen Häfen wird das Getreide mit Saugrohren, ähnlich riesiger Staubsauger aus dem Schiff wieder in Silos transportiert und dort mechanisch verpackt.  Dort dauert das Löschen einer Ladung, wie der unseren, dann nur etwa drei Tage. 

Nun war Karachi nicht unbedingt der Traumhafen der Seeleute.  Der Schmutz, auch in den Kneipen und Bordellen und die Angst vor Krankheiten,  lud nicht unbedingt zu größeren Abenteuern ein.  Ein Hafen, in dem die meisten Matrosen in jeder Hinsicht leer ausgingen. Nichts war´s mit „in jedem Hafen eine Braut“. Und dann noch drei Wochen im Hafen bei den tropischen Temperaturen ohne einen Luftzug und ohne Klimaanlagen, denn die waren ein Luxus, den die Frachtschifffahrt noch nicht kannte. Der Fahrtwind,  den wir auf See, mit Bierkartons, die wir in die Bullaugen klemmten, auffingen und der so in den Kabinen wenigstens für etwas Kühlung sorgte, fehlte. Die Schiffe heizten sich in der Sonne so auf, dass wir auf dem heißen Eisen sprichwörtlich Spiegeleier braten konnten und unter Deck kaum an schlafen zu denken war. So legten wir uns des Nachts einfach an Deck um wenigstens eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. 
Aber Karachi war dennoch ein Meilenstein für mich. Ich wurde nach nunmehr dreijähriger Fahrzeit und gerade einmal siebzehn Jahre alt, zum Matrosen befördert. In der deutschen Botschaft bekam ich einen offiziellen Stempel in mein Seefahrtsbuch. Ich hatte in einem Alter, in dem andere noch zur Schule gehen, ausgelernt und war bereits ein vollwertiges Besatzungsmitglied. Damit hatte ich die erste Hürde auf meinem Weg zum Kapitän genommen. Allerdings musste ich in Deutschland noch die dreimonatige Seemannsschule nachholen und eine Matrosenprüfung ablegen. 
Nachdem das Schiff endlich leer war, bekamen wir Order auf den Philippinen eine Ladung Baumstämme aufzunehmen, die für Hamburg bestimmt waren.  Wir fuhren nach Singapur um Treibstoff, Lebensmittel und Trinkwasser aufzunehmen. Die Stadt hatte damals noch nichts mit dem sterilen Singapur zu tun, wie wir es heute kennen. Trotzdem war Singapur gemessen an Karachi um Klassen besser und es blieb uns auch etwas Zeit um uns nach ein paar netten Asiatinnen umzusehen.  
Auf den Philippinen gingen wir vor einer Flussmündung an der Nordspitze der Insel Luzon vor Anker. Die Baumstämme wurden in den dichten Wäldern im Landesinneren gefällt, mit Elefanten zum Fluss transportiert, dort zu Flößen zusammengestellt und anschließend den Fluss hinuntergeschleppt.  Die Flöße wurden dann längsseits an unserem Schiff festgemacht und die Baumstämme einzeln, mit unserem eigenen Ladegeschirr an Bord gehievt. Eine gefährliche und mühselige Arbeit. Die Philippinos, die die Stämme anschlagen mussten,  bewegten sich wie Katzen auf den in der Dünung rollenden und sich auf und ab bewegenden Stämmen. Ein falscher Schritt und zwischen die tonnenschweren Baumstämme fallen………das konnte das Leben kosten. Die Arbeit in den Laderäumen war nicht minder gefährlich. Die Stämme mussten mittels Umlenkrollen und Winden unter Deck gezogen werden. Von einem brechenden Draht oder einer abgerissenen Umlenkrolle getroffen zu werden, konnte ebenfalls tödlich enden. Aber…….bis auf ein paar leichtere Blessuren ging, Gott sei Dank, alles glimpflich aus. Das Beladen dauerte wiederum fast drei Wochen. In der heutigen schnelllebigen Zeit sind solche Lade – und Löschzeiten nicht mehr denkbar. 
Aber wir hatten ausreichend Zeit an Land zu gehen und auch die Philippinas sind, wie eigentlich alle Asiatinnen, sehr nette Mädchen. Als aber das Geld langsam ausging, man muss ja nicht nur die armen Mädchen, sondern auch ihre ganzen Familien mit ernähren, sind wir dann einige Male  in dem glasklaren Wasser an unserem Strand schnorcheln gegangen, das kostete wenigstens nichts.  
Diese Farbenpracht, die sich mir unter Wasser auftat, kann man mit Worten nicht beschreiben.  Ich kam mir vor wie im Garten Eden. Hier musste der Herrgott bei der Erschaffung gerade besonders guter Laune gewesen sein.  Aber nachdem es am Monatsende die nächste Heuer gab, waren die Korallenfische dann nur noch zweite Wahl. 
Doch nicht sehr lange……. An einem verlängerten Wochenende wollten wir mit sechs Mann einmal den Fluss erkunden, auf dem unsere Baumstämme herunterkamen. Wir machten dazu unser Arbeitsboot klar, nahmen etwas Verpflegung für zwei Tage und noch etwas mehr Alkohol an Bord, hängten den Außenbordmotor dran und gingen auf Entdeckertour. Nachdem wir cirka dreißig  Kilometer flussaufwärts gefahren waren, entdeckten wir am Ufer ein kleines Fischerdorf. Wir zogen unser Boot auf den Strand und wurden mit großem Hallo empfangen. Es kam hier vermutlich nicht sehr oft vor, dass weiße Seeleute zu Besuch kamen.  
Das Dorf bereitete eine Hochzeitsfeier vor und natürlich waren wir eingeladen. Ein paar Flaschen Schnaps als Gastgeschenk waren da sehr willkommen. Zum Essen gab es Fleisch aus dem Erdofen und allerlei tropisches Gemüse und Früchte. Dazu floss der Palmwein in Strömen. Irgendwann am späten Abend zogen wir uns gut alkoholisiert um nicht zu sagen volltrunken an den Strand zurück und legten uns zum Schlafen neben unser Boot in den warmen Sand.  Als wir am späten Vormittag aus unserem Rausch erwachten, war der Motor verschwunden. Die Einheimischen  bemühten sich scheinheilig und unermüdlich den Motor wieder zu finden. Sie schauten hinter jeden Busch und litten mit uns aber……..geklaut ist eben geklaut und der Motor tauchte natürlich nicht mehr auf.  
Da wir nun aber nur noch zwei Riemen im Boot hatten, wäre die Rückfahrt zu unserem Schiff eine Tortour geworden. Doch wir hatten Glück, unsere neuen Freunde bedankten sich für den Motor, den sie sicher gut versteckt hatten, indem sie uns mit ihren Einbäumen in Schlepp nahmen. Mit diesem Schleppzug waren wir Heimkehrer in den Augen der übrigen Besatzungsmitglieder wahre Helden. Unser Heldentum kam uns aber teuer zu stehen……..wir mussten den Motor ersetzen. Das bedeutete  Landgänge zur Völkerverständigung waren wieder einmal gestrichen ……..es war wieder Schnorcheln angesagt und das vor einem Seetörn von vier Wochen ohne Landgang, denn es geht wieder nach Hause…….nach Hamburg. 
Ich war zwar ja zwischenzeitlich schon zum Matrosen befördert worden, musste aber, um den Ausbildungsvorschriften für Nautiker zu genügen, die Seemannschule (Berufsschule) nachholen und noch eine Matrosenprüfung ablegen. Nachdem wir wieder in Hamburg angekommen waren, meldete ich mich in der Schule in Finkenwerder an und wurde noch in den gerade angefangenen Kurs aufgenommen. Die Auszubildenden in der Seefahrt können, da sie ja ständig unterwegs sind, eine Berufsschule, wie bei den Landberufen nicht regelmäßig besuchen. Deshalb wird sie für Seeleute en blog angeboten und dauert drei Monate.  In Finkenwerder, damals ein kleines Fischer – und Bauerndorf vor den Toren Hamburgs, war eigentlich der Hund begraben. Also fuhren wir am Wochenende meistens nach Hamburg. Auf der Reeperbahn gab es zwei tolle Beatschuppen natürlich mit Lifemusik, den „Starclub“ und das „Top Ten“. Es war die Zeit in der die Rockgrößen wie Bill Haley, Little Richard, Jerry Lee Lewis und auch die Beatles in Hamburg gastierten. Da steppte in diesen Läden natürlich der Bär. Um mit meinen schmalen Mitteln, die ich mir mühsam, durch ein zumindest manchmal enthaltsames Leben zusammengespart hatte und dem, was meine Eltern zuschossen, auszukommen, leistete ich mir lediglich den Eintritt in die Schuppen, tobte mich ein paar Stunden (ich war ein guter Tänzer) auf der Tanzfläche aus. Ein – zwei Bierchen gab es dann im Anschluss in meiner Stammkneipe am Baumwall, dass war billiger. Manchmal gab es aber auch bei uns  in Finkenwerder „Dans op de Deel“ dann spielten irgendwelche Laienbands. Diese Veranstaltungen waren preiswert und ich konnte mir dabei auch ein paar Biere leisten. Für die Mädels waren wir Seeleute von der großen Fahrt viel interessanter, als die einheimischen Fischerjungs und so machten sie uns schöne Augen. Da flogen dann des Öfteren die Fäuste, weil die Fischerjungs der Meinung waren, dass sie „ihre Hühner selber treten könnten“. 
Nach dem Abschluss der Seemannsschule legte ich die Matrosenprüfung ab und bekam meinen Matrosenbrief. 
Jetzt war ich aber total pleite und brauchte dringend einen Job. Eigentlich sind Seeleute ja immer pleite aber an Bord hatte man für den Fall ja freie Unterkunft und Verpflegung. Alkohol und Zigaretten bekam man beim Steward gegen Unterschrift. Das wurde  dann von der Heuer abgezogen. Also irgendwie kam man auf See, auch wenn man sich die Völkerverständigung wieder mal hat einiges kosten lassen, ganz gut zu Recht. Aber an Land ……das war schon schwieriger. Wie sagt man noch: „Ohne Moos nix los“.  
Wenn das Geld alle war und man nicht gleich ein Schiff bekam, ging man in den Hafen „Schichten kloppen“. Das heißt man verdingte sich tageweise als Schauermann, das sind Hafenarbeiter, die die Schiffe be – und entladen. Dazu gab es am Baumwall eine Vermittlungsstelle für unstetige Hafenarbeiter. Man reihte sich morgens um fünf in die Warteschlange ein und mit ein bisschen Glück bekam man eine Schicht, manchmal, wenn viel los war und man wollte, auch eine Doppelschicht. Das waren dann siebzig Mark (für sechzehn Stunden harte Arbeit), die man bar auf die Hand bekam. Die Übernachtung im Seemannsheim kostete vier Mark, eine Portion Bratkartoffel mit zwei Spiegeleiern, zwei Mark fünfzig. Bratkartoffen bekam man soviel wie man wollte und so kam man notfalls mit sechs Mark fünfzig am Tag zurecht. Das Geld für die nächste Übernachtungen zurückgelegt oder im Voraus bezahlt und man konnte sich wieder einen oder zwei lustigen Abende machen.  
Nachdem ich einige Male erfolglos in der Heuerstelle war, bot Max mir endlich wieder ein Schiff an. Mein neuer Dampfer fuhr im Westafrika Liniendienst……..da war ich ja noch nicht…..also Afrika, ich komme. Das Schiff war abfahrbereit, randvoll beladen mit Gütern jeglicher Art. Kisten und Kartons mit allen möglichen technischen und elektronischen Geräten, wie Radios und Fernseher. Sackgut wie Mehl, Getreide und Düngemittel.  Bier, Wein und andere Alkoholika und Motorräder, Mopeds und PKW´s.  Des Weiteren Eisen – und Stahlerzeugnisse……..in Afrika wird einfach alles gebraucht. Unsere Reise führte uns entlang der Westafrikanischen Küste von Casablanca in Marokko über Gambia, Conakry, Freetown, Monrovia, Abidjan, Lagos und einiger weiteren Häfen bis nach Swakopmund in Namibia.  
Unser zweiter Hafen nach Casablanca war Dakar. Hier nahmen wir vierzig „Crewboys“ an Bord. Das waren Schwarze, die mit uns fuhren und alle Lade – und Löscharbeiten während der Reise erledigen mussten. In einigen Häfen blieben die Schiffe auf Reede vor Anker liegen. Die Ladung wurde dann mit dem bordeigenen Ladegeschirr in größere Ruderboote umgeladen,  mit ca. zwanzig Leuten im Takt des Vorsängers an Land gerudert und dort mit der Hand ausgeladen.  
Unsere neuen Besatzungsmitglieder schliefen in einem großen Zelt, dass aus einem Regensegel über einer geschlossenen Luke errichtet wurde. Im Vorschiff gab es eine „Kanakaküche“ in der sie sich ihr Essen zubereiteten. Naturalien lieferte das Schiff. Währen der Fahrt beschäftigten wir die Boys mit niederen Decksarbeiten wie z.B.  Rost klopfen und alte Farbe abkratzen und……….jeder von uns hatte, solange sie an Bord waren, einen persönlichen Boy zum Schuhe putzen, Wäsche waschen Kabine reinigen usw. Man musste natürlich aufpassen, dass nichts wegkam, denn einige der Boys fuhren nur mit, um nach ihrer Rückkehr wieder in den Busch zu verschwinden und sich dort die Frau ihres Herzens zu kaufen.  Wenn die Braut teurer war, als das was sie auf der Reise verdienten, versuchten sie alles Mögliche mitgehen zu lassen. 
Der Boy, der mir zur Hand ging, sparte auf die Häuptlingstochter, die drei Kühe kosten sollte. Auf meine Frage wie viel Kühe er denn schon hatte, antwortete er „zwei“ und wenn er zurückkäme würde es vielleicht für die dritte Kuh reichen. Ich wollte wissen warum er so eine teuere Frau kaufen wollte, eine Gebrauchte wäre doch sicher günstiger. Es sah mich ganz entgeistert an und meinte, er wolle eine Frau „never fucked before“. Also Schwarze sind da viel anspruchsvoller als wir Seeleute. Am Ende der Reise, wieder in Dakar, schenkte ich ihm fünfzig Dollar. Seinem strahlenden Lächeln entnahm ich, dass es jetzt, zusammen mit seinem Lohn,  wohl mit der Häuptlingstochter klappen könnte. 

1963 / 65 
Mein nächstes Schiff war ein „Bananenjäger“ Ein Kühlschiff, die auch die „weißen Schwäne des Nordatlantiks“ genannt wurden. Das Schiff war an die Standard Fruit Compagnie in New York verchartert und transportierte Bananen von La Ceiba in Honduras nach New Orleans oder auch von Guayaquil in Ecuador nach Los Angeles und San Francisco. Da das Schiff nicht nach Deutschland kam, wurde das Personal bei einem Wechsel in die Vereinigten Staaten geflogen. Ich ging in New Orleans an Bord. Ein tolles Schiff, schneeweiß und……..klimatisiert, ok. wenn man die Bananen kühlen kann, kann man auch etwas von der Kühlung für die die Besatzung abzweigen. 
Die erste Reise ging zum laden nach Ecuador.  Die Bananenjäger hatten außen  an jedem Deck Tore, durch die die Bananenstauden von ca. dreihundert Bananabootboys auf den Schultern in das Schiff getragen wurden. In das eine Tor liefen sie im Dauerlauf  hinein und durch das Andere wieder hinaus. Eine böse Schinderei aber in drei Tagen war das Schiff beladen nur irgendwie klang Harry Belafontes Song von den Bananabootboys romantischer.  
Das Schiff war mit einer Geschwindigkeit von vierundzwanzig Meilen (ca. vierzig km) in der Stunde, sehr schnell, ca. fünfzig Prozent schneller, als gewöhnliche Frachtschiffe. So düsen wir hin und her um die Amis mit Bananen zu versorgen. Die Standard Fruit zahlte uns zusätzlich zu unserer deutschen Heuer, eine großzügige Prämie. Wir verdienten sehr gut, konnten das Geld aber bei diesen kurzen Hafenzeiten, kaum ausgeben, denn auch das Ausladen dauerte nicht einmal zwei Tage. 
In Los Angeles wurde unser Bootsmann krank und musste zurück nach Deutschland.  Da ich der einzige Matrose an Bord war, der über die fundierte, gesetzliche Ausbildung verfügte und auch mit dem Alten (Kapitän) gut konnte, wurde ich kurzerhand zum Bootsmann befördert. Ich war jetzt gerade einmal neunzehn Jahre alt und schon Boss der Deckscrew. Obwohl meine Matrosen älter waren als ich, hatte ich, mittlerweile 1,85 m groß und 90 kg schwer, keine Probleme mich durchzusetzen.  
Nach zehn Monaten lief unsere Charter aus und wir übernahmen in Guayaquil eine Ladung Bananen für Hamburg. Es ging zurück durch den Panama Kanal in Richtung Osten. Ich bin  schon ein paar Mal durch den Kanal gefahren, aber wir hatten immer soviel zu tun, dass ich ihn gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Dabei ist er  eine der wichtigsten künstlichen Wasserstraßen der Welt. Mit einer Länge von ca. zweiundachtzig Kilometern verbindet er den Atlantischen Ozean mit dem Pazifik und verläuft zwischen den Städten Colon am Golf von Mexiko und Balboa an der Pazifikküste. Vor der Eröffnung des Kanals 1914 führte die kürzeste nutzbare Seeverbindung von der Ostküste zur Westküste Nordamerikas durch die Magellanstraße, eine Meerenge zwischen dem Südamerikanischen Festland und der Insel Feuerland. Durch den Kanal verkürzte sich die Seestrecke New York - San Franzisko um ca. achttausendeinhundert Seemeilen. Die Einsparung entspricht bei einer angenommenen Schiffsgeschwindigkeit von fünfzehn Knoten einer Reduzierung der Fahrzeit von ca. drei Wochen. Der Panamakanal hat drei Schleusenanlagen, die für den Begegnungsverkehr und als Vorsorge für Wartungsunterbrechungen jeweils paarweise angelegt sind: Die GatúnSchleusen, die die Schiffe mit drei direkt aufeinanderfolgenden Schleusenkammern zu dem sechsundzwanzig Meter über dem Meeresspiegel liegenden Gatúnsee heben. befinden sich auf der atlantischen Seite. Die Schiffe fahren dabei von einer Schleusenkammer direkt in die nächste, das obere Tor der einen Kammer ist gleichzeitig das untere Tor der nächsten Kammer. Die drei Kammern haben daher einen Hub beziehungsweise eine Fallhöhe von jeweils knapp neun Meter. Die Pedro-Miguel-Schleusen liegen am Ausgang des GaillardDurchstichs an der pazifischen Seite mit nur einer Schleusenkammer mit einem Hub von zehn Meter. Die Miraflores-Schleusen sind auf der pazifischen Seite an dem dortigen Zufahrtskanal mit zwei direkt aufeinanderfolgenden Schleusenkammern und mit einem Hub beziehungsweise einer Fallhöhe von nominal insgesamt siebzehn Metern.  Der Wasserspiegel des Pazifik liegt im Mittel um zwanzig Zentimeter höher als der des Atlantik vor den Gatún-Schleusen und der Tidenhub beträgt hier bis zu sieben Meter. Die Miraflores-Schleusen müssen daher einen Höhenunterschied zwischen mindestens dreizehn Meter und höchstens zwanzig Meter überwinden.  Eine zügige und sichere Durchfahrt durch die Schleusenanlagen gewährleisten die beidseitig angebrachten Zahnradbahnen. Je nach Größe des Schiffes schleppen vier bis acht Zahnradlokomotiven „Mulis“, (nach den Lasttieren benannt) die Schiffe durch die Schleusen und stabilisieren sie gegen die Strömungen in der Schleusenkammer beim Wasserein- und auslaß. Dabei können sie auf bis zu fünfundvierzig Grad steilen Rampen von einer Schleusenkammer zur nächsten fahren.  
Die Fahrt durch den Kanal und die wunderschöne Tropenlandschaft mit weitgehend unberührtem Urwald,  ist schon ein Erlebnis der besonderen Art.  
In Europa ist jetzt Winter. Auf dem Nordatlantik und in der Biskaya müssen wir jetzt mit „Schietwetter“ rechnen. So kommt es dann auch…….in der Biskaya erwischt es uns richtig dicke. Die Bananenjäger sind mit etwa fünftausend Tonnen nicht groß aber Gott sei Dank sehr seetüchtig. Das Schiff rollte schwer in der achterlichen See und legt sich, bei Wellenhöhen von bis zu fünfzehn Metern teilweise so auf die Seite, dass wir meinen es richtet sich gar nicht mehr auf. Irgendwann müssen wir den Kurs ändern und das Unwetter bei langsamer Fahrt, mit dem Kopf in der See abreiten. Das Schiff steigt jetzt die Wellenkämme hoch, und fällt anschließend bis fünfzehn Meter wieder hinunter. Wenn man so ein Schiff im Hafen, an der Pier liegen sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass so ein Gigant derart zu einem Spielball der Naturgewalten werden kann. Wir hoffen, dass unsere Bananen keinen Schaden nehmen und zu Babybrei werden. 
Warmes Essen besteht jetzt aus Suppen,  wobei der Koch den Kessel nur zu einem Drittel füllt, damit sie nicht herausschwappt. An Deck haben wir Strecktaue gespannt, in die man sich einhängt, um nicht über Bord zu gehen. Als sich dort festgelaschte Ölfässer gelöst haben, gehen wir hinaus um sie wieder einzufangen, damit sie nicht über Bord gehen. Ich musste  mich, um richtig zupacken zu können, vom Strecktau lösen und da passiert es…….mich erwischt eine Welle und schleudert mich über Deck. Ich fühle um mich herum nur noch Wasser und habe das Gefühl, dass ich über Bord gegangen bin. War es das jetzt?  Auf einmal durchzuckt mich ein Schmerz……..ich habe mich in einem Speigatt, einem Wasserablauf in der Reling, verkeilt. Das rettet mir das Leben. Meine Kollegen bergen mich, ich bin zwar verletzt aber ich bin noch da. Jetzt glaube ich es wirklich…….ertrinken soll ich wohl nicht. Mit einem gebrochenen Arm, drei gebrochene Rippen und einem verstauchten Fuß liege ich acht Tage später im Hafenkrankenhaus Hamburg. Nach fünf Jahren bin ich das erste Mal außer Gefecht gesetzt.  
Meine Eltern waren froh, mich mal etwas länger zu Hause zu haben. Vater erzählte stolz in seiner Stammkneipe, dass sein Sohn nun gerade von Südamerika zurück war und auf der Heimreise dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen sei. 
Mutter mochte mein knallrotes Hemd und meine Jeansanzüge, die ich mir in den Staaten gekauft hatte, überhaupt nicht leiden und verbannte sie in die hinterste Ecke des Kleiderschrankes. Vater, dem lange Haare ein Dorn im Auge waren, meinte ich müsse dringend mal wieder zum Friseur. So ist das eben wenn man sich den elterlichen Einflüssen völlig entzogen hat.  
Zum Friseur gingen wir dann auch. Meine Haare wurden dann wieder auf ein, für meine Eltern erträgliches Maß zurückgestutzt. Nach dem Haareschneiden, nahmen mein Vater und ich den Frisör, mit dem meine Eltern befreundet waren, mit und wir gingen in ihre Stammkneipe, die direkt nebenan war, zum Skat spielen. Hier musste ich erst einmal ein paar Runden ausgeben. Als ich wieder ordentlich laufen konnte, sind wir auch gerne mal zusammen auf´n Schwof gegangen. Wenn die Dorfkapelle nach ihren Schnulzen wirklich mal was Modernes gespielt hatte, meinte Mutter immer ich hätte Gummiknochen. Auch wenn ich nicht mit rotem Hemd und Jeans, sondern wie damals üblich in Anzug und Krawatte gehen musste, wir hatten immer viel Spaß miteinander......

Einmal nach Tampico……..ein ganz bekannter Schlager von Freddy, dem singenden Seemann, der nie Seemann war,  machte mir, nach meiner Zwangspause von sechs Wochen, Lust auf Mexiko. Dort sollen, so hatte ich jedenfalls gehört, viele Familien darauf warten, von Seeleuten unterstützt zu werden. Als ging ich wieder zu Max und siehe da es klappte…… ich bekam ein Schiff, das Mexiko- Liniendienst fuhr.   
Das Schiff verfügte über ein verstärktes Schwergutgeschirr. Mit den eigenen Ladebäumen konnten wir Schwerlastteile bis einhundert Tonnen Stückgewicht ein – und ausladen. Die Ladung der ersten Reise bestand dann auch aus großen Maschinen und Karosseriepressen, der insolventen Borgwardwerke in Bremen, die nach Mexiko verkauft waren und dort wieder aufgebaut werden sollte. Nachdem wir in Vera Cruz eine Teilladung deutscher Exportartikel gelöscht hatten, ging es nach Tampico.  Um unsere Schwergutladung auszuladen, benötigten wir volle drei Wochen. Das hält selbst der stärkste Seemann nicht aus.  Obwohl die süßen Mexikanerinnen unheimlich auf Deutsche standen und sich uns, nach einer gewissen Zeit, auch schon mal aus Liebe hingaben, ist irgendwann  zuviel, was zuviel ist. Den ganzen Tag arbeiten und die Nächte mit heißen Mexikanerinnen verbringen, das geht ein paar Tage. Aber Wochen…… hatte man eine Freundin, war es sehr schwer, ihr die nächste Reise aus dem Weg zu gehen. Das Schiff fuhr schon zehn Jahre im Mexikoliniendienst und die Mädels erkundigten sich beim Hafenkapitän wann das Schiff wieder ankommen sollte und dann wurden wir schon erwartet. Sie hegten im Stillen die Hoffnung, dass sie geheiratet wurden und in Deutschland, dem gelobten Land, leben konnten. Einige meiner Kollegen hatten sich auch schon eine mexikanische Schönheit mit nach Hause genommen……ich stand aber eher auf Blondinen……mit braunen Augen. 
Die Rückfracht bestand aus losem Schwefel nach Hamburg, und Honig und Kaffee und in einem extra verschließbaren Teil des Laderaums, beim Ein – und Ausladen schwer bewacht, auch Silber in Barren nach Bremen. In Hamburg mussten, nachdem wir unsere Schwefelladung gelöscht hatten, die betroffenen Laderäume ausgewaschen werden. Wenn man dabei Schwefelstaub in die Augen bekam und das konnte man kaum verhindern, da er sich überall an den Schotten festgesetzt hatte, heulte man, trotzt Schutzbrillen, noch zwei Tage später.  
In meiner Stammkneipe  „Zum Blinkfüer“ sprach mich dann auch ein blondes Mädel an und fragte mich, warum ich denn weinen würde. Ich sagte ihr, dass ich traurig wäre, weil ich heute Nacht alleine schlafen müsste. Sie war der Meinung, dass sie Männer nicht weinen sehen könnte…….das war der Anfang vom Ende meiner Seefahrtszeit, nur zu diesem Zeitpunkt wusste ich es noch nicht. Ich war jetzt noch neunzehn und hatte mich gerade zur Steuermannschule angemeldet, denn ich hatte vor, mit einundzwanzig, das Steuermannspatent für die große Fahrt in der Tasche zu haben.  
In den letzten Jahren hatte ich in Deutschland fast ausschließlich Kontakt zu nicht so ganz anständige Mädchen, weil mir die Anständigen zu kompliziert waren. Meine neuste Eroberung hieß Marie, war zwei Jahre älter als ich und gehörte eigentlich in keine der beiden  Kategorien. Sie war einfach sehr lebenslustig, kannte sich schon ganz gut in den zwischenmenschlichen Beziehungen aus und hatte keine finanziellen Interessen. Wir verbrachten heiße Nächte in einem Hotel auf der Reeperbahn und irgendwie hatte es dabei zwischen uns gefunkt. Ich musste ja wieder los aber wir hatten uns geschworen, dass wir uns treu bleiben wollten. Wie das bei ihr war, weiß ich nicht, bei mir hatte es jedoch nicht sofort geklappt. Wie soll  das auch gehen, wenn die mexikanischen Mädchen uns schon erwarteten…….. der Geist ist ja willig, aber das Fleisch war schwach. 
Die Reisen dauerten jeweils ca. drei Monate und liefen fast immer gleich ab. Nur hin und wieder gab es eine kleine Änderung in dem wir noch die eine oder andere karibische Insel wie Barbados, Curacao, Aruba oder ein Hafen der amerikanischen Golfküste wie Huston oder New Orleans anliefen.  
Bei der Heimkehr von unserer nächsten Reise liefen wir nachts um zwölf in Bremen ein. Wie üblich, standen die Ehefrauen der verheirateten Seeleute schon wartend am Pier. War das die große Liebe, oder wollten sie nur verhindern, dass ihre Männer auf dumme Gedanken kommen und ihre Heuer anderweitig verprassten? Bremen war zu der Zeit nämlich ein heißes Pflaster. Als ich genauer hinsah, entdeckte ich unter den wartenden Frauen ein bekanntes Gesicht………ja sie war es wirklich, Marie mine seute Deern aus Hamburg. Sie hatte sich bei der Reederei informiert wann wir einlaufen sollten und war kurzerhand nach Bremen gefahren. Mann war ich stolz, dass auch ich erwartet wurde. Ich schwor mir, dass nun das Lotterleben vorbei sein sollte………sie sollte jetzt meine Frau werden. Ich wollte ja in meinem Leben schon ein paar Mal heiraten, aber jetzt wollte ich es endlich durchziehen.. 
Sie fuhr mit mir als blinder Passagier nach Hamburg. Dass sie mitfuhr, durfte natürlich keiner wissen, aber da ich eine Einzelkammer hatte, blieb sie unbemerkt. Die Kojen an Bord sind zwar sehr schmal……aber Platz ist ja bekanntlich in der kleinsten Hütte. In Hamburg angekommen lud sie mich zu sich nach Hause ein. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in einem kleinen Häuschen in einer Kleingartenkolonie in Niendorf. Ihrer Mutter hatte sie schon erzählt, was für einen tollen Typen, einen angehenden Kapitän, sie kennengelernt hatte. Ich nahm einen großen Straus Blumen mit und stolperte im Haus erst einmal über ein blondes kleines Mädchen……….Marie, hatte eine zwei Jahre alte Tochter…….ich schluckte erst einmal. Das war ja nun eine völlig neue Situation. Zugegeben, die kleine Martha war ein süßes Kind aber ich, gerade zwanzig und schon Vater, dass konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen.......
  
Wir liefen wieder aus in Richtung Mexiko und ich hatte erst einmal Zeit nachzudenken. Doch nicht sehr lange……..In Vera Cruz bekam ich Post von Marie. Sie schrieb mir dass sie schwanger sei. Da muss doch, bei unserer Umfahrt von Bremen nach Hamburg in der engen Koje irgendetwas schief gegangen sein. Das wurde ja immer besser…….mit zwanzig schon zwei Kinder, dass sollte mir erst einmal jemand nachmachen. Eines war mir jetzt klar, ich wusste zwar noch nicht wie, aber ich wollte mich der Verantwortung stellen und gab mein lockeres Junggesellenleben auf, ab sofort war Schluss mit Weib, Wein und Gesang oder Tequila und den süßen Mexikanerinnen....
  
Nach der nächsten Reise musterte ich ab. Marie war mittlerweile im achten Monat und wenn das Kind einen (meinen) Namen haben sollte, wurde es langsam Zeit zu heiraten. Da ich noch keine einundzwanzig war, benötigte ich zu Heirat noch das Einverständnis meiner Eltern. Meine Mutter war mit meiner Wahl so gar nicht einverstanden. Eine Frau, die schon ein uneheliches Kind hatte, war für sie nicht gerade standesgemäß. Ich bekam zwar die Einwilligung aber sie kamen nicht zur Hochzeit. Groß gefeiert hatten wir eh nicht. Wir waren nach dem Standesamt essen und hatten ein paar Freunde von Marie eingeladen. Die Hochzeitsnacht fiel aus, wir hatten sie ja schon, wie man an Marie unschwer erkennen konnte, vorweggenommen und wollten auch nicht soviel ausgeben. 
In dem Häuschen ihrer Mutter war es sowieso schon sehr eng und nun kamen noch ich und ein zweites Kind dazu. Irgendetwas musste passieren.  Das Geld war knapp, ich hatte zwar ein bisschen was zur Seite gelegt um mein Steuermannspatent zu finanzieren aber das wollte ich nicht anbrechen. Nur bei ihrer Mutter konnten wir unmöglich bleiben. Wir vier, in einem Zimmer von zwölf Quadratmeter, dass wäre für alle unzumutbar. Ich hatte gehört, dass die Binnenschiffe, die auf dem Rhein und den angrenzenden Wasserstraßen verkehren,  über komplett eingerichtete Wohnungen verfügten und dort die Familien der Besatzungen mitfahren konnten.  Also machte ich mich schlau…….meine Seefahrtszeit würde mir angerechnet und ich musste nur acht Reisen in einem bestimmten Fahrtgebiet absolvieren, dann konnte ich das Kapitänspatent für dieses erwerben. Das war doch was. Also bewarb ich mich bei einer Reederei in Duisburg und wurde angenommen. Marie stand kurz vor der Niederkunft und wir wollten, wenn das Kind da war, auch gleich an Bord gehen.
  
In der Enge der kleinen Wohnung bekamen Marie und ich uns irgendwann einmal in die Wolle. Ich fuhr wütend, weil ein Mann das ja so macht, in meine Stammkneipe und kam erst am späten Abend, ziemlich betrunken wieder zurück. Dann fiel ich ins Bett um meinen Rausch auszuschlafen. Nachts um zwei wurde ich von Marie geweckt……..es ging los, das Kind wollte kommen. Die Tasche für das Krankenhaus stand ja schon seit ein paar Tagen bereit. Ohne so richtig den Durchblick zu haben, bestellte ich eine Taxe und fuhr mit Marie ins Krankenhaus. Ich weiß nicht wie sie die Geburt überstanden hatte, um sechs war das Kind, ein gesundes Mädchen, auf dieser Welt und Marie wirkte ganz entspannt und glücklich. Ich aber war fürchterlich aufgeregt und ohne Schlaf total am Ende.  
Die Kleine sollte Michelle heißen. Die Frauen hatten sich diesen Namen schon ausgesucht. Ich wollte aber auch ein Wörtchen mitreden. Warum unbedingt einen französischen Namen, Lieselotte, Anna, Erna oder Paula, wären doch so richtig schöne deutsche Namen. Wir kabbelten uns eine Weile, nicht ganz ernsthaft, hin und her und .......ok die Frauen überstimmten mich und wir tauften sie auf den Namen Michelle. Eine Woche später fand sie sich auf einem Schiff wieder…….. eigentlich hätten sie wir auch Arielle nennen können.......

Kapitel vier 
Navigare necesse est (Schifffahrt tut not)

1965 - 1968 
Die Duisburger Reederei schickte ein Auto und das brachte uns mit Sack und Pack und Kind und Kegel nach Dortmund auf unser Schiff. Auf den Binnenschiffen wohnt der Käpt´n achtern, in einer etwa fünfzig Quadratmeter großen zweieinhalb Zimmerwohnung. Die Matrosen, in der Regel sind zwei an Bord, wohnten im Vorschiff. Ihnen stand unter Deck jeweils ein Schlafzimmer zur Verfügung. Oben im Deckshaus gab es eine Gemeinschaftswohnküche und ein WC mit einer Sitzbadewanne. Warmes Wasser wurde in einem ölbeheizten Badeofen, in dem man auch Wäsche kochen konnte, bereitet. Um ausreichend Platz für meine Familie zu haben, hatte die Reederei vorgeschlagen, auf den zweiten Mann zu verzichten. Ich hatte mich bereit erklärt, die Arbeit des zweiten Mannes mit zu übernehmen, ohne zu wissen, was da auf mich zukam.  
Der Skipper war, für mich völlig unverständlich, gar nicht so glücklich darüber, einen Seemann an Bord zu bekommen. Wir Seeleute hatten zwar ab und zu mit Binnenschiffen zu tun,  wenn sie bei uns längstseits festmachten um Ladung zu übernehmen. Aber diese Schuten, waren doch keine Schiffe und die Leute auf diesen Kähnen in unseren Augen Süßwassermatrosen.  Ich musste aber sehr schnell von meinem hohen Ross absteigen, denn die Binnenschifffahrt war ein völlig neuer Beruf………  
Der Bootsmann auf einem Binnenschiff ist, wenn er mit dem Käpt´n alleine an Bord ist, Schiffsjunge, Matrose, Steuermann und Maschinist in einer Person. Diesen Anforderungen sollte ich, ohne ausreichende Kenntnisse der Materie, vom ersten Tag an genügen. Aber da musste ich durch, denn ich hatte ja schließlich eine Familie zu ernähren. Und mein Boss musste da auch durch, denn er hatte, was er sicher des Öfteren noch bereut hat, zugestimmt mit mir alleine zu fahren. Wir wurden zwar beide dafür auch finanziell entschädigt aber es hat ihn bestimmt auch Nerven gekostet, mit einem Greenhorn wie mich durch die Gegend zu fahren. 
Das Schiff hatte eintausend Tonnen Eisenerz von Rotterdam nach Dortmund ans Stahlwerk gebracht und dort gleich wieder achthundert Tonnen Feinbleche für Stuttgart geladen. Nachdem wir uns eingerichtet und verproviantiert hatten, ging es los. Ich kannte mich mittlerweile auf dem Globus ganz gut aus, aber ich hatte keine Ahnung wo Stuttgart lag und wie man dort hinkommt. Wir verließen Dortmund auf dem Dortmund - Ems - Kanal in Richtung des Schiffshebewerkes Henrichenburg.  Ein Hebewerk erfüllt den gleichen Zweck wie eine Schleuse.......es dient dazu, den Höhenunterschied der Wasserstraße auszugleichen. Anders als eine Schleuse, in der das Schiff durch Fluten der Schleusenkammer aufschwimmt,  hebt die technisch äußerst interessante Konstruktion das Schiff in einem fünftausend Tonnen schweren wassergefüllten Trog mit einer vergleichsweise geringen Antriebsleistung von zweihundert Kilowatt auf die gewünschte Höhe. Die Lösung liegt im Auftrieb, von zwei Schwimmern in fünfzig Meter tiefen Schächten, der genauso hoch ist, wie der Gewicht des Troges, dass unabhängig von der Größe des Schiffes immer gleich bleibt denn das Schiff verdrängt beim Einfahren in den Trog soviel Wasser, wie es selbst wiegt.  
Der eigentliche Senk- oder Hebevorgang von vierzehn Metern dauert nur etwa zweieinhalb Minuten. Das geht deutlich schneller als mit den zur gleichen Zeit üblichen Schleusen. Zudem verbraucht der Hubvorgang kaum Wasser das ja aus der unteren Haltung durch Pumpen bereitgestellt werden muss.  
Ich bin von der Technik des Hebewerkes begeistert.......ein Schiff mit Ladung, schwimmend in einem Trog voll Wasser, heraufzuheben und auch wieder herunterzulassen, so etwas hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.....

Unterhalb des Hebewerkes verbindet der Dortmund - Ems - Kanal in nordöstlicher Richtung die Industrieregion Dortmund mit den Seehäfen Emden und Delfzijl. Der Kanal ist Teil eines Wasserstraßennetzes, das über den Mittellandkanal und den Elbe - Seiten Kanal, der Elbe und der Havel das Ruhrgebiet auch mit Hannover, Braunschweig, Wolfsburg, Hamburg und Berlin verbindet. Der  Mittellandkanal ist in Minden durch eine Schleuse mit der Weser verbunden, über die man Bremen und die Unterweserhäfen erreicht. 
Wir fahren aber in westliche Richtung in den Rhein- Herne -  Kanal, der Verbindung von Dortmund mit dem Rhein. Auf fünfundvierzig Kilometern mit sechs Schleusen, durchquert der Kanal den Kohlenpott. Vorbei geht es an den Verladestellen etlicher Kohlenzechen und Kokereien. Unter uns buddeln die Kumpel täglich zig -tausend Tonnen Kohle aus der Erde. Sie wird dann an den Zechen in spezielle Kohlewaggons auf denen zwei Kübel stehen, die jeweils zehn Tonnen fassen, verladen.  Die Kräne der Verladestelle heben die dann die Kübel an und kippen sie direkt in die Schiffe. Durch dieses Patent dauert die Beladung eines tausend Tonnen Schiffes lediglich zwei bis drei Stunden. 
Die Luft ist geschwängert von Staub und dem beißenden Geruch der Koksherstellung. Aber es kommt noch schlimmer......wir nähern uns Duisburg, dem größten Binnenhafen der Welt. Hier verdunkelt sich der Himmel, wenn die umliegenden Stahlwerke, die über den Rhein mit Erz aus aller Welt versorgt werden, ihre Hochöfen abblasen, dabei wird soviel rote Asche in die Luft geschleudert,  dass einem das Atmen schwer fällt.   
In Duisburg fahren wir durch die Ruhrschleuse und drehen auf den Rhein hinaus. Ich stehe als Ausguck auf dem Vorschiff um dem Käpt´n anzuzeigen, ob die Ausfahrt auf den Rhein zu Berg (flussaufwärts) frei ist. Noch gibt es kein Radar, ja noch nicht einmal ein Funkgerät an Bord. Die Navigation findet noch rein visuell statt. Nachdem wir uns in den dichten Verkehr auf dem Strom eingereiht haben, muss der Schiffsdiesel seine volle Leistung bringen. Das Wasser hat eine Fließgeschwindigkeit von bis zu zehn Kilometer in der Stunde und unser sechshundert Pferdestärken starker Motor schafft es dass, wir bei voller Kraft gegen die Strömung noch eine Geschwindigkeit von etwa acht Kilometer in der Stunde schaffen.  
Schon immer ist die Rheinschifffahrt für Schiffer und Schiff kein ungefährliches Unternehmen gewesen und ist es bis heute, 2015, trotz hochentwickelter Steuerungs- und Navigationstechnik (Flussradar, Ruderlagenanzeige, Wendeanzeiger, Windmesser, Echolot, Hauptruderhebel, Bugrudersteuerung, Autopilot) geblieben. Die Rheinkapitäne leiden unter einer dauerhaft großen Stressbelastung.  Einmal der vielen Flusskrümmungen wegen, dann auch, weil Strömungsverlauf, Wassertiefe und Wasserbreite sich fortwährend ändern. Obwohl der Fluss reguliert ist und die Wasserbaubehörden durch Gesetz gehalten sind, der Schifffahrt eine Fahrrinne zu garantieren, verändern Wasserführung und Strömungsdruck die Fahrverhältnisse täglich. Das Wasser fließt nicht gradlinig, sondern schwingt hin und her. Der Schiffsführer muss die sich ständig bewegenden Sandbänke kennen, er muss wissen, ob sich die Fahrrinne verändert hat und wo eine Durchfahrt gefährlich wird. Strömung und Wassertiefe ändern sich ständig, besonders nach einem Hochwasser. Bei Niedrigwasser haben es die Rheinkapitäne immer schwerer, Schiff und Ladung ohne Schaden in den Zielhafen zu bringen.  
Wir schreiben aber das Jahr 1965 und die oben beschriebene Navigationstechnik gibt es in der Binnenschifffahrt noch nicht. Die Schiffe werden noch mittels eines riesigen Steuerrades, über das eine Kette bewegt wird, die nach achtern zum Ruderquadranten läuft, gesteuert. Um das Ruderblatt von hart Backbord nach hart Steuerbord zu bewegen, muss man das Rad ca. zwanzig Mal herumdrehen. Das heißt schnelle Ausweichmanöver oder Manöver beim Anlegen und Schleusenfahren, erfordern schon eine gute Kondition. In der Seeschifffahrt steuerten wir das Schiff über eine elektrohydraulische Ruderanlage oder überließen das Steuern dem Autopiloten.  Die Binnenschifffahrt hinkt aber dieser Technik jetzt noch sechs bis sieben Jahre hinterher......

Jetzt geht es „zu Berg“ vorbei an den Duisburger Häfen, dem Stahlwerk Rheinhausen, und den Häfen Düsseldorf und Krefeld. Wir haben den Dreck des Ruhrgebietes hinter uns gelassen und man kann endlich wieder durchatmen. Ich werfe die Deckwaschpumpe an und befreie das Schiff mit Schlauch, Schrubber und Seifenwasser von dem Staub, der überall und in jeder Ecke sitzt. Danach baue ich auf dem Dach unseres Deckshauses vorne einen Laufstall auf, in dem die kleine Martha spielen kann. Das sieht zwar aus, wie ein Kind in Käfighaltung aber wir müssen keine Angst haben, dass sie über Bord fällt. Dann spanne ich die Wäscheleine über Wäschestützen, die auf den eisernen Lukendeckel, die den Laderaum abdecken und fünfzig Kilo das Stück wiegen, befestigt werden......und bald flattert über das ganze Schiff unsere Wäsche im Fahrtwind. Bisher hat der Käpt´n die ganze Zeit am Ruder gestanden. Wenn er mal austreten musste, hat ihn seine Frau abgelöst. Jetzt zum Mittagessen, muss ich das Ruder übernehmen. Er lässt sich aber sein Essen ins Ruderhaus bringen denn ich kann zwar ein Schiff steuern, aber kenne das Fahrwasser ja nicht. Er muss mir also wieder einmal zeigen, "wo es langgeht". 
Es gibt auf dem Rhein noch keinen Rechtsverkehr. Der Bergfahrer,  gibt an, wie gefahren wird. In den Kurven nimmt das stromaufwärts fahrende Schiff den Weg über die kurze Ecke, weil hier der Weg kürzer und die Strömung geringer ist. Macht der Rhein einen Bogen nach rechts, wird also rechts gefahren, macht er einen Bogen nach links, wird links gefahren. Der Bergfahrer zeigt dem Talfahrer, dem stromabwärts fahrenden Schiff, dieses an, indem er an Steuerbord, also rechts, eine blaue Flagge setzt oder im Dunkeln ein Blinklicht einschaltet. Irgendwann wird die blaue Flagge, die sich des Öfteren um den Flaggenstock wickelt und dadurch nur schwer erkennbar ist, wegen der vielen Havarien, durch eine Tafel ersetzt, die durch einen Mechanismus aufgestellt wird und bei der das Blinklicht auch gleich leuchtet. Aber soweit sind wir ja noch nicht. 
Um die maximale Geschwindigkeit aus dem Schiff herauszuholen, werden die Ecken so dicht wie irgend möglich, angefahren. Das setzt natürlich voraus, dass man den Verlauf der Untiefen, die sich an den Ecken absetzen, genau kennt. Es gibt noch keine Bojen oder ein Echolot, das einem anzeigt, wieviel Wasser man noch unter dem Schiff hat.......das ist alles Wissen und Erfahrung........und an Beidem fehlt es mir total. 
Der Rhein ist zwischen dem schweizerischen Birsfelden und seiner Mündung bei Hoek van Holland unterhalb von Rotterdam in die Nordsee, knapp eintausend Kilometer schiffbar. Er ist eine der am dichtesten befahrene Wasserstraße der Welt. Bis zu fünfhundert Schiffe passieren täglich die deutsch - niederländische Grenze, an der zu dieser Zeit noch eine Grenzabfertigung nötig ist. Sie transportieren jährlich cirka zweihundert Millionen Tonnen Güter, die sich über das Kanalsystem und der Nebenflüsse, Neckar, Main und Mosel auf ganz Deutschland und die Anrainerstaaten verteilen. Man findet in ihren Laderäumen Edelhölzer, Kohle, Erz, Stahlerzeugnisse, Getreide, Futtermittel Baustoffe und Schrott aber auch Stückgüter jeglicher Art.  
Es ist noch die Zeit der großen Schleppzüge.......das heißt, große, teilweise noch durch starke Dampfmaschinen angetriebene, Schaufelradschlepper ziehen fünf, sechs Kähne ohne eigenen Antrieb, hinter sich her. Jedes ist mit einer eigenen Schleppleine mit dem Schlepper verbunden. So ein Schleppzug ist dann etwa einen Kilometer oder mehr lang. Ihn zu überholen kann bis zu einer halben Stunde dauern. Man muss also genau wissen, wann man so ein Überholmanöver startet und auf welcher Seite es am Besten durchgeführt werden kann.  
Was hatte ich gesagt? Ich muss einen völlig neuen Beruf lernen, der richtig betrachtet, eigentlich viel anspruchsvoller ist, als der eines Seemannes. Wir haben ja zwei Kinder, darunter einen Säugling an Bord. Da uns es an Erfahrung fehlt, haben wir uns nicht ausreichend mit Proviant versorgt.......es fehlt vor allen Dingen  Milch. Was die Mama liefert, reicht einfach nicht aus, den Appetit muss die Kleine von mir haben. Aber was können wir jetzt tun?  Wir können ja jetzt nicht einfach unsere Fahrt unterbrechen und in den nächsten Supermarkt gehen. Doch es naht Hilfe ......der Käpt´n lässt mich eine weiße Flagge im Vormast hissen.  Schon nach kurzer Zeit kommt ein Boot, cirka zwanzig Meter lang längstseits gefahren. Es ist ein Proviantboot oder ein schwimmender Supermarkt, von denen es zu der Zeit, auf der Strecke von Rotterdam bis Mannheim mindestens zwanzig gibt. Die weiße Flagge zeigt dem Proviantboot an, dass wir etwas benötigten. Ohne dass wir unsere Geschwindigkeit verringern müssen, können wir jetzt einkaufen. Auf den Proviantbooten gibt es alles, was das Herz begehrt und man an Bord so benötigt, von Arbeitshandschuhen bis zum Ölofenanzünder und neben Obst, Gemüse und Lebensmitteln, auch Milch......wir sind gerettet. Ein paar Jahre später, als die Schiffe endlich mit Funk ausgerüstet sind, werde ich dort sogar Blumen für meine Frau bestellen. 

Mit einer Geschwindigkeit von acht Kilometern in der Stunde und einer Fahrzeit von sechzehn Stunden am Tag, benötigen wir, wenn alles gut geht und bei guten Wetter, drei Tage von Duisburg nach Mannheim. Hier mündet der Neckar, auf dem wir nach Stuttgart kommen, in den Rhein. In der Gegend von Bonn gibt es einen guten Ankerplatz. Meine Aufgabe ist es, die zwei Buganker so zu setzen, dass sie das Schiff in der Strömung sicher halten, beide gleichmäßig belastet werden und nicht durcheinanderkommen. Danach setze ich den Ankerball und das Ankerlicht und muss unter der Anleitung meines Bosses, im Maschinenraum die Kühlwasserfilter auswaschen, die Seeventile und die Anlassluftventile schließen, den Brennstoffverbrauch ablesen und in das Maschinentagebuch eintragen. Danach habe ich endlich Feierabend........dieser erste Tag auf dem Rhein hat mich völlig geschafft und mir gezeigt, wieviel ich noch lernen muss, bis ich so ein Schiff führen kann. 

Am nächsten Morgen heißt es um fünf Uhr aufstehen.  Der Skipper zeigt mir, was zu tun ist, um das Schiff morgens fahrklar zu machen. Zunächst einmal den Motor abschmieren, das heißt mit der Ölkanne alle beweglichen Teile ölen, Fettpressen auffüllen, mit denen die Kühlwasserpumpen  und die Schwanzwelle, die den Propeller treibt, abgeschmiert werden. Die Seeventile und die Anlassluftventile wieder öffnen und die Hauptmaschine einmal durchturnen. Dieses und die Tätigkeiten vom Vorabend, sowie das Abschmieren alle zwei Stunden, gehören jetzt an Fahrtagen zu meinen regelmäßigen Aufgaben. Das habe ich nun davon, ich wollte ja unbedingt alles alleine machen. Nachdem wir fahrklar sind, gehe ich wieder nach vorne, um den Ankermotor mit einer Handkurbel anzuwerfen und die Anker zu hieven. Gott sei Dank ist es Sommer und der Motor springt schnell an…….im Winter werde ich manchmal fast daran verzweifeln, bis ich den kalten Einzylindermotor endlich zum Laufen gebracht habe. 
Meine Familie wird beim Ankerhieven natürlich schnell munter. Wenn der Ankermotor auf dem Vordeck, direkt über ihren Köpfen knattert, ist an schlafen nicht mehr zu denken. Es tut mir leid, aber sie werden sich daran gewöhnen müssen. Wenn ich irgendwann mal mein Patent habe und wir achtern wohnen, hören sie morgens zwar nicht mehr den Ankermotor, dafür aber den ganzen Tag die Hauptmaschine……..einen Tod muss man erleiden. 
Unser Ziel an unserem zweiten Fahrtag auf dem Rhein ist Kaub. Hier beginnt die Gebirgsstrecke, die uns auch an der Loreley vorbeiführt. Wegen der Untiefen und der hohen Strömungsgeschwindigkeit gilt hier noch ein absolutes Nachtfahrverbot und wir benötigen ab hier, bis nach Bingen, ein Vorspannboot und einen Lotsen, die uns bei der Passage dieser gefährlichen Strecke unterstützen sollen. Wir gehen in Kaub kurz oberhalb der Kauber Pfalz, einer Wasserburg, die mitten im Strom steht, wieder vor Anker.  Am nächsten Morgen ist das Vorspannboot da, setzt den Lotsen bei uns ab und ich befestige den dicken Schleppdraht den mir der Schlepper rüber gibt, mühsam an den vorderen Pollern. Jetzt die Anker hieven, und dem Schlepper durch das Leuten der Ankerglocke anzeigen, dass sie oben sind, den schwarz-gelben Schleppzylinder in den Mast ziehen und los geht´s. 

Der Lotse hat für uns frische Brötchen mitgebracht und wir genießen dieses unverhoffte Luxusfrühstück. Durch die zusätzliche Kraft des Schleppers, haben wir jetzt eine riesige Bugwelle, sind aber wegen der starken Strömung, mit der das Wasser durch die Engstellen fließt, auch nicht schneller als vorher. Im Gegenteil an manchen Stellen mit einer Geschwindigkeit von nur noch drei bis vier Kilometern in der Stunde sogar erheblich langsamer……hier wären wir ohne die Unterstützung des Schleppers nicht mehr von der Stelle gekommen. 
Die Gebirgsstrecke ist landschaftlich einfach umwerfend schön. Kleine Ortschaften säumen die Ufer, und auf den Gipfeln der Felsen zeugen etliche Burgruinen und Schlösser von der bewegten Geschichte dieser Gegend. Und man sieht, was den Rhein so berühmt gemacht hat, an den Hängen wo nur irgendwie möglich, jede Menge Weinstöcke,  ja……..warum ist es am Rhein so schön. Ich bin zwar kein Weintrinker, sondern bevorzuge, echt Norddeutsch Bier und Korn, aber es wird nicht mehr so lange dauern, bis auch ich einen guten Tropfen zu schätzen weiß.  
Oberhalb von St. Goar passieren wir den weltberühmten Loreleyfelsen. Auf diesem Felsen soll ja, so berichtet eine Sage, in früheren Zeiten, eine schöne nackte Frau gesessen und ihr langes blondes Haar gekämmt haben. Dadurch soll sie die Schiffer und Flößer von ihrer schwierigen und gefährlichen Arbeit so abgelenkt haben, dass viele von Ihnen auf die Untiefen aufgelaufen sind und ihr Leben verloren haben. Ich kann mir, wenn ich die Felsen mitten im Fluss sehe, vorstellen, dass es hier in der Zeit, wo die Schiffe und Flöße noch ohne Motorenkraft unterwegs waren, auch ohne das nackte Mädchen, einige schwere Unfälle gegeben hat. 
Nach sechs Stunden Fahrt und rund dreißig Kilometern erreichen wir das Binger Loch, unsere letzte und größte Hürde für heute. Ein kleiner Wasserfall, der eine so hohe Strömungsgeschwindigkeit aufweist, dass wir unserem Motor noch einmal alles abverlangen müssen und auch der Schlepper alles gibt. Trotzdem meint man stehenzubleiben. Nachdem wir den Mäuseturm passiert haben, können wir aufatmen……..wir haben es geschafft. Die Berge weichen zurück, der Fluss wird breiter und die Strömung lässt nach. Querab von Rüdesheim werfe ich den Schlepper los, der nimmt den Lotsen wieder mit und wir sind wieder auf uns gestellt.  
Von Rüdesheim bis Mannheim geht die Fahrt nun durch das liebliche Rheingau. Nachdem hier die Strömung erheblich geringer ist, kommen wir, mit einer Geschwindigkeit von fast zwölf Kilometern recht flott voran.  Wir passieren Wiesbaden, die Mündung des Mains, Mainz und den Weinkennern bekannte Orte wie Nierstein oder Oppenheim und das geschichtsträchtige Worms.  
Unser heutiges Ziel ist die Schleuse Mannheim- Feudenheim, der ersten von dreiundzwanzig Schleusen des kanalisierten Neckars auf knapp einhundertneunzig Kilometern, bis Stuttgart. Auf jeder Eingangsstelle zu einer bundesdeutschen Wasserstraße befindet sich eine Hebestelle. Hier werden die Abgaben für die Benutzung der Wasserstraße erhoben. Während das Befahren des Rheins, als internationale Wasserstraße gebührenfrei ist, muss die Schifffahrt einen Beitrag an den Unterhalts – und Betriebskosten der nationalen Wasserstraßen, Neckar, Main, Mosel und den bundesdeutschen Kanälen, leisten. Die Abgaben richten sich nach danach, welche Strecke mit wieviel Ladung zurückgelegt wird (Tonnen/Kilometer) und nach dem Wert der Ladung. Um dieses berechnen zu können, sind die verschiedenen Ladungsarten nach Güterklassen eingeteilt. Zum Fahrscheinmachen hat der Käpt´n mich mit auf die Hebestelle genommen, dabei habe ich schon wieder etwas Neues gelernt. 
In der Nähe der Schleuse gibt es einen kleinen Supermarkt und während wir darauf warten, dass wir an der Reihe sind, können wir in Ruhe einkaufen gehen. Ich weiß ja mittlerweile, dank der sechs Schleusen auf dem Rhein-Herne- Kanal, die uns etwa vierzig Meter auf das Rheinniveau abgesenkt hatten, wie das Schleusen funktioniert. Beim Abwärtsschleusen gibt man den Drähten soviel Lose, dass sich das Schiff nicht aufhängt. Ist man unten und das Schleusentor auf, gibt es einen besonderen Schlenker, mir dem man den Draht auf dem oberen Poller wieder lösen kann. Den Dreh hatte ich ganz schnell raus. Beim Hochschleusen jedoch, muss man den Draht immer wieder auf den nächst höheren Anker, die übereinander in einem Abstand von einem Meter fünfzig in der Schleusenmauer eingelassen sind, umsetzen. Da sich das Schiff aber, durch das von oben in die Kammer einströmende Wasser bewegt, muss das sehr schnell gehen.  Das bedeutet, dass man dabei nicht einschlafen darf. Bei dreiundzwanzig Schleusen auf einhundertneunzig Kilometern, ist man also ständig in Bewegung. Die Frauen müssen sich bei der Essenszubereitung darauf einstellen, dass wir Männer nur zwischen den Schleusen Zeit zum Essen haben.  Die Landschaft des Neckars der zwischen Heidelberg bei Eberbach noch einmal kurz durch Hessen fließt, lässt das Herz eines Flachlandtirolers wieder einmal höher schlagen. Am frühen Morgen durch das Neckartal, umgeben von den sanften Hügeln des Odenwaldes, oberhalb von Hirschhorn an der sogenannten Reiherwiese vorbeizuziehen, an der alle zehn Meter ein Fischreiher auf Beute wartet……..diese friedliche Schönheit prägt sich einem unvergesslich ein.   

Oberhalb von Heilbronn sind wir im Schwabenländle, dem Land der Dichter und Denker. Hier verändert sich die Landschaft total. Es gibt kaum noch höhere Erhebungen und die Wenigen werden vom Weinanbau dominiert. Hier wächst der berühmte Trollinger………ein Rotwein, von dem ich später einmal behaupten werde, ich könnte darin baden. Wir passieren Marbach, der Heimat Schillers und langsam nähern wir uns unserem Endziel. Vorher geht es noch vorbei an Zuffenhausen, wo der bekannteste deutsche Sportwagen gebaut wird und Untertürkheim, der Schmiede der deutschen Edelkarosse mit dem Stern. Unsere Bleche werden vermutlich in Form von PKW´s der einen oder anderen hier umschriebenen Marke…….oder auch Beider, in Kürze über die Straßen rollen. 
In Stuttgart angekommen, schickt mich mein Boss mit den Ladepapieren aufs Hafenamt um uns anzumelden. Ich gebe dem Hafenkapitän die Angaben, die er benötigt um das Hafengeld erheben zu können. Ich ahne nicht, dass ich zwanzig Jahre später einmal seinen Platz einnehmen werde.....

Das Löschen in Stuttgart geht sehr schnell und so befinden wir uns nach ein paar Stunden bereits wieder auf der Talfahrt in Richtung Heilbronn. Hier, genauer gesagt in Kochendorf wird Salz gefördert und wir laden eintausend Tonnen Salz für die Bayerwerke in Leverkusen.  So sind wir eigentlich ständig unterwegs und froh, wenn es manchmal mit einer Anschlussladung nicht gleich klappt oder es etwas zu reparieren gibt und wir einmal paar Tage Ruhe haben. Ich habe dann zwar mir dem Unterhalt und der Pflege des Schiffes zu tun, oder helfe bei Reparaturen aber Marie freut sich, wenn sie mal mit den Kindern an Land gehen kann. Da ich dann auch etwas mehr Zeit habe, kann ich mich auch mal mit den Kindern beschäftigen. Die Kleine kriegt ja noch nicht soviel mit, aber Martha ist glücklich mit mir als ihrem Papa……..sie kennt ja auch keinen Anderen. 

Was wird eigentlich, wenn mal jemand von uns krank werden sollte, oder ich Urlaub habe, wohin gehen wir dann?  Wir können ja dann nicht einfach so mit vier Personen bei unseren Familien aufschlagen. Also…….wir brauchen dringend ein Domizil an Land. Ich hatte gehört, dass meine Firma in Homberg, wo sie ihre Verwaltung und eine eigene Reparaturwerkstatt unterhält, auch einige Wohnungen besitzt. Homberg liegt für die Schifffahrt sehr zentral, auf der anderen Rheinseite, gegenüber von Duisburg- Ruhrort. Ich bewerbe mich um eine der Wohnungen uns siehe da…….es klappt. Wir bekommen eine Zweieinhalbzimmerwohnung und werden nach Hamburger jetzt Homberger.  Die Wohnung wird zwar noch mit Kohle beheizt aber das ist uns egal. In der Zeit sind im Ruhrgebiet sowieso noch viele Wohnungen mit Kohle beheizt, weil die Bergleute und Angestellten der Zechen noch ihre kostenlosen Deputatkohlen bekommen. Wir sind glücklich, wir haben unsere erste eigene Wohnung. Ich habe ja noch das Geld, das ich eigentlich für die Steuermannschule gespart hatte. Das ist ja jetzt hinfällig und wir richten die Wohnung davon ein.

Jetzt kann kommen was will. Und es kommt auch etwas, dass wir aber mit Sicherheit nicht wollten.  Auf der Talfahrt mit dem leeren Schiff fahren wir, bei einbrechender Dunkelheit, kurz oberhalb von Duisburg in eine Nebelbank hinein. Bei fünfzig Meter Sicht, sieht man plötzlich sein eigenes Vorschiff nicht mehr. Mit der Strömung von achtern, können wir nicht stoppen. Um ankern zu können, müssen wir das Schiff aufdrehen,  und mit dem Bug gegen den Strom legen. Dieses Manöver ist ohne Sicht brandgefährlich. Ich stehe vorne auf Ausguck und um, wenn wir gedreht haben, den Anker fallen zu lassen. Aber soweit kommen wir nicht…….während des Wendemanövers kollidieren wir mit einem Bergfahrer, der uns ja auch nicht rechtzeitig erkennt. Es gibt einen heftigen Zusammenstoß, „Kopf auf Kopf“.
Ich kann mich gerade noch festhalten und verhindern, dass ich über Bord geschleudert werde. Funken sprühen und ich höre das Reißen und Knirschen von Stahl. Ich habe Angst um meine Familie, rappele mich auf und schaue sofort in die Wohnung. Marie sitzt mit den Kindern oben in der Küche. Sie ist zu Tode erschrocken und die Kinder weinen aber sie haben offensichtlich keinen körperlichen Schaden erlitten. Ich springe wieder an Deck. Das Schiff hat sich zwischenzeitlich gegen die Strömung gelegt. Wir manövrieren uns längstseits von unserem Kollisionsgegner und setzen Anker. Der Schaden an unserem Schiff ist immens. Wir haben in dem Backbord Schlafzimmer, in dem eigentlich die Kinder schlafen, ein Loch über der Wasserlinie von drei mal zwei Meter. Wäre die Havarie eine Stunde später passiert, wenn die Kinder schon im Bett gewesen wären, oder wir wären beladen gewesen……..ich vermag mir die Folgen gar nicht auszudenken.......
Bei Havarien im Nebel kann die Schuldfrage in der Regel nicht geklärt werden, weil es in den meisten Fällen keine Zeugen gibt die den Unfallhergang beobachtet haben. Deshalb steht es meistens Aussagen gegen Aussage. Versicherungstechnisch kommt also folglich jeder für seinen eigenen Schaden auf.  Die Duisburger Werft, mit der unsere Firma gerne zusammenarbeitete, schätzt unseren Schaden auf rund achtzigtausend DM, weil ja auch die Wohnung in dem Bereich komplett wieder neu hergerichtet werden muss.  Für die Reparaturzeit veranschlagt die Werft vier Wochen. Gott sei Dank……..wir haben ja jetzt eine Wohnung und die nur etwa drei Kilometer von der Werft entfernt ist. Ich gabele ein altes Fahrrad auf, und fahre ein paar Wochen lang jeden Morgen zur Arbeit. Wir genießen die Zeit, unternehmen was mit den Kindern und abends sind wir oft in der Kneipe, direkt an unserer Hausecke. Wir schwofen nach den Schlagern aus der Musikbox und einer von uns kann immer mal schnell nach oben laufen und nach den Kindern sehen. Dieses Leben gefällt vor allen Dingen meiner lebenslustigen Marie sehr gut. 
Auf der Werft, streiche ich die Laderäume und das Schiff bekommt auch einen neuen Außenbordanstrich. Wenn ich dann noch Zeit habe, oder bei schlechtem Wetter, beschäftige ich mich mit den Flusskarten und der Binnenschifffahrtsstraßenordnung. Da ich ja meine Ausbildung in der Seefahrt erhalten habe, fehlt mir, als Quereinsteiger die Theorie, die die Auszubildenden der Binnenschifffahrt in den Binnenschifffahrtsberufsschulen vermittelt bekommen. 

Nach sechs Wochen ist das Schiff endlich wieder fahrbereit. Die Hauptmaschine wurde auch gleich mit überholt und es kann wieder losgehen. Ich bin heilfroh, denn dieses Landleben war zwar nicht schlecht, aber mit der Zeit kribbelt es in meinen Adern……ich möchte wieder los. Nur Marie ist darüber gar nicht glücklich. Sie sagt, sie hätte nach der Havarie Angst und außerdem wäre ihr an Bord alles zu eng. Ich kann sie verstehen, nur so hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Wenn ich jetzt die Schifffahrt aufgäbe und an Land bliebe, was sollte ich dann machen, wovon wollten wir leben, sollte ich umschulen auf Kranführer oder ähnliches oder ohne die Familie an Bord gehen und weitermachen? Ich entscheide mich fürs Weitermachen, denn ich möchte noch etwas erreichen im Leben.  Ich bin jetzt also alleine unterwegs. Das ist gar nicht so einfach. Mein Verdienst beträgt cirka achthundert Mark im Monat. Nach Abzug der Lebenshaltungskosten für die Familie und der Miete, bleiben mir für mich noch etwa hundertfünfzig  Mark. Davon muss ich den ganzen Monat leben und sollte, wenn ich mal nach Hause komme, den Kindern wenigstens noch eine Tafel Schokolade mitbringen. Ab jetzt ist bei mir Schmalhans Küchenmeister. Ich bin irgendwann nur noch Haut und Knochen und wiege nur noch zweiundsiebzig Kilo.  So kann das nicht weitergehen, ich muss  so schnell wie möglich meine Patentprüfung ablegen, um unseren Lebenstandart zu verbessern. Wenn ich als Käpt´n die achtere Wohnung habe, hat ja auch meine Familie mehr Platz. 

Ich habe mir mittlerweile alles Wissen angeeignet, dass ich benötige, um ein Schiff führen zu können. Ich kann die erforderlichen acht Reisen auf dem Rhein nachweisen und kenne von sämtlichen Untiefen die Namen, die sie von den alten, betrunkenen Fahrensmännern vor Jahrhunderten mal erhalten haben. Ich reiche meine Unterlagen ein und bekomme einen Prüfungstermin im Mai 1968, kurz vor meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag…….ab dreiundzwanzig darf man in der Binnenschifffahrt ein Schiff führen. Da ich sehr gut auf die Prüfung vorbereitet bin, habe ich keine Schwierigkeiten, den  schriftlichen und mündlichen Anforderungen zu genügen und am Abend des Prüfungstages habe ich mein Rheinpatent und das Patent für die Westdeutschen Kanäle in der Tasche. Mit dem  Rheinpatent darf ich auch die Nebenflüsse des Rheins,  die holländischen und  auch die belgischen Wasserstraßen befahren. Ich bin jetzt Kapitän in der Binnenschifffahrt. 
Eine kleine Geschichte fällt mir noch zur mündlichen Patentprüfung ein. Ich weiß nicht ob sie sich tatsächlich so zugetragen und wenn ja, ob der Prüfling sein Patent bekommen hat. Der Prüfer fragt den Prüfling, was er macht, wenn er abends auf dem Rhein Feierabend machen möchte. Antwort des Prüflings: „Ich setze den Anker“ daraufhin der Prüfer: „Die Strömung nimmt zu“ Antwort: „Ich setze einen zweiten Anker“ wieder der Prüfer: „Die Strömung wird sehr stark, es ist ein Hochwasser gemeldet“ Antwort: „ Ich setze einen dritten Anker“ Daraufhin fragt ihn der Prüfer, woher er denn die ganzen Anker nehme. Antwort: „Daher wo sie die ganze Strömung hernehmen“. Der Prüfer wollte natürlich hören, dass der angehende Kapitän in diesem Fall in einem der Nothäfen Schutz sucht. 

Meine Reederei bietet mir an, mich als Kapitän zu beschäftigen. Nur……da alle Posten besetzt sind, soll ich Ablöser machen. Das heißt im Urlaubs – und Krankheitsfall springe ich ein. Ich will ja unbedingt als Käpt´n fahren und stimme dem zunächst einmal zu, bemerke aber sehr schnell, dass es nicht das ist, was ich eigentlich wollte. Ich verdiene jetzt zwar erheblich besser, aber ich kann mich mit meiner Familie auf keinem Schiff einrichten, weil ich ja immer nur ein paar Wochen an Bord bin. Auf meine Anfrage hin, sagt man mir im Personalbüro, dass ich erfahrungsgemäß etwa zwei Jahre ablösen muss, bis ich damit rechnen kann, ein festes Schiff zu bekommen.  

1969 - 1971 „Was tun sprach Zeus“…….ich, für mein Teil werde mich in Ruhrort beim Arbeitsamt einfach mal umhören. Und siehe da, ich bekomme ein Schiff angeboten. Ich stelle mich bei dem Eigner, der eine kleine Reederei mit vier Schiffen unterhält, vor und werde auch angenommen. Das Schiff liegt in Duisburg auf der Werft und ich kann nach Ablauf meiner Kündigungszeit sofort anfangen. Ich bin happy, nur Marie hat immer noch keine Lust, wieder für fest an Bord zu gehen, obwohl mein neues Schiff eine ganz nette Wohnung hat, die uns vieren ausreichen Platz bietet.  Mein neuer Chef hat seine Schiffe zwischen dem Mittelrhein und dem Oberneckar eingesetzt. Sie transportieren Bimshohlblocksteine, die sich wegen ihrer ausgezeichneten Wärmedämmung hervorragend für den Hausbau eignen, sowie Bimskies und Lava. Diese Materialien werden in der nahen Vulkaneifel  gefördert, wo  der letzte dramatische Vulkanausbruch vor etwa dreizehntausend Jahren eine bis zu dreißig Meter hohe Bims und Ascheschichten hinterlassen hat. Am oberen Neckar werden diese Baustoffe an diversen Entladestationen zwischen Heilbronn und Plochingen gelöscht.  Ja, ja die Schwaben ……. „schaffe, schaffe Häusle baue“.  

Die Entscheidung, den Job anzunehmen, fällt mir schwer. Ich wollte eigentlich nicht alleine durch die Gegend fahren. Es war geplant, dass wir Martha, deren Einschulung ja bald anstand, in ein Internat für Schifferkinder geben wollten. Mittlerweile hat Marie aber ihre Meinung geändert. Sie möchte das jetzt nicht mehr und will lieber dass die Kleine nun erst einmal in den Kindergarten und, wenn es dann so weit ist, auch in Homberg zur Schule gehen soll. Die Schulferien würde sie dann gerne mit den Kindern bei mir an Bord verbringen. Was bleibt mir anderes übrig……….“Frau und Kinder schreien nach Sekt und Kaviar“ und ich muss Geld verdienen. Es geht nicht anders, da muss ich jetzt durch und so nehme ich den Job an.  
Da ich mit dem Schiff nicht nach Homberg oder in die Nähe komme, sehe ich meine Familie recht selten. Wenn es ab und zu mal ein freies Wochenende gibt, weil das Schiff dann nicht mehr beladen wird, fahre ich die einhundertfünfzig Kilometer vom Mittelrhein mit dem Zug  nach Hause. Die Kinder freuen sich immer riesig aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich die Beziehung zwischen Marie und mir verändert hat. Sie hat eine beste Freundin gefunden, mit der sie viel zusammenhängt. Nur wenn sie in den Ferien mit den Kindern an Bord ist, stellt sich bei uns noch so etwas wie ein Eheleben ein.  Leider sind diese Zeiten für mich immer zu kurz. Ich habe einen Steuermann und einen Maschinisten an Bord, die ich ganz gut im Griff habe und eigentlich ein ganz gutes Leben. Allerdings verbringe ich viele Stunden im Ruderhaus. Wir fahren täglich sechzehn Stunden und manchmal auch noch die eine oder andere Stunde mehr. Ich versuche es möglichst so hinzukriegen, dass wir die Wochenenden nicht stilliegen.  Das freut natürlich meinen Chef, denn nur ein fahrendes Schiff bringt ja schließlich Geld.  

An einem  Wochenende sollte ich am Samstagvormittag noch in Andernach mit Bimskies beladen werden und so telefonierte ich von der Ladestelle nach Hause und sagte Marie, dass ich am Wochenende schon wieder unterwegs in Richtung Plochingen sei. Aber…….das Verladeband ging kaputt und die Reparatur konnte erst am Montag erfolgen.  Ich versuchte vergeblich Marie zu erreichen um sie über die veränderte Situation zu informieren. Egal……kurzentschlossen  löste ich am Nachmittag eine Fahrkarte, fuhr mit dem Zug nach Duisburg und stand am frühen Abend unverhofft vor unserer Wohnungstür. Was dann kam, lief ab wie in einem schlechten Film…….Marie hatte Besuch. Die Kinder hatte sie, um ungestört zu sein, bei ihrer Freundin untergebracht. Sie war natürlich sehr erschrocken, warf mir aber noch vor, dass ich ja hätte vorher anrufen können. Das war dann der Gipfel, ich rackere mich ab, damit es meiner Familie gut geht und muss ich mich vorher anmelden, wenn ich nach Hause komme…….tief verletzt drehe ich mich um, und fahre wieder auf mein Schiff.  Marie hat dann noch einige Male vergeblich versucht mich umzustimmen. Aber ich will nicht mehr zurück und reiche die Scheidung ein.  
Auf dem Rhein tauchen mittlerweile einige neue Schiffe auf. Die Bundesregierung hat beschlossen, um die Westberliner Wirtschaft zu stärken, die Möglichkeit einer Sonderabschreibung für Investitionen in Berlin einzuführen. Sehr schnell haben sich einige Schifffahrtsunternehmen in Berlin neu gegründet und alteingesessene westdeutsche Reedereien Tochterunternehmen, mit dem Ziel neue Schiffe bauen zu lassen, in Berlin angemeldet. Die Schiffe, die jetzt auf den Markt kommen, sind schon mit Funk und Radar ausgerüstet, haben mechanisches Ruderwerk und Rollluken und das Eine oder Andere sogar ein Bugstrahlruder. Kurzum………diese Schiffe sind der Traum eines jeden Schiffsführers. Auch wenn es erst einmal nur wenigen Kapitänen vergönnt ist, so ein Schiff zu führen, die technischen Neuerungen, die diese Schiffe aufweisen, werden sich so nach und nach in der gesamten Schifffahrt durchsetzen.  Mein Schiff, das schon vierzig Jahre auf dem Buckel hat, wird verkauft und ich steige innerhalb der Firma um. 

Das Schiff, das ich jetzt fahre, ist einige Jahre jünger als das Vorherige und hat im Hinterschiff eine sehr schöne Wohnung. Dazu noch ein elektrisch angetriebenes Ruder und , ganz wichtig auch ein Funkgerät. Ich könnte jetzt eigentlich ganz zufrieden sein.  Aber……..meine private Situation gefällt mir überhaupt nicht. Ich fahre wie ein Weltmeister, habe dabei aber kein Privatleben und bin jetzt schon fast ein Jahr alleine.  Seit ein paar Monaten habe ich einen Hund an Bord. Meine Besatzung hat ihn mal irgendwo aufgegabelt und mitgenommen. Offensichtlich haben sie ihn dann aber nicht besonders gut verpflegt, denn er hing ständig bei mir achtern an der Wohnungstür und bettelte. Da habe ich ihn dann einfach konfisziert. Susi……eine weiße Malteserhündin, bei der man nicht sehen konnte wo vorne und hinten ist, ging mir ab dann hinterher, als wenn ich Speck in der Tasche hatte. Sie sollte eigentlich bei mir im Schlafzimmer vor dem Bett schlafen, aber sie sprang nachts einfach auf die leere Hälfte meines Doppelbettes und irgendwann ließ ich sie da auch. 

1972 - 1976 Über die Osterfeiertage  liegen wir in Neckarrems, dass ist ein kleiner Ort in der Nähe von Marbach. Ich war schon mehrfach dort, bin aber, weil ja eigentlich nie viel Zeit war, höchstens mal in der Gaststätte „Zum Adler“ im Ort gewesen, um einen Happen zu essen. Die Wirtsfrau machte das beste Jägerschnitzel, das ich bis dato gegessen hatte und herrliche  Bratkartoffeln. Außerdem haben sie einen leckeren Trollinger aus dem Remstal im Ausschank,  ja……inzwischen trinke ich auch schon mal gerne Rotwein.  An diesem verlängerten Wochenende aber, gehe ich mit meinen Jungs an Land um mal zu sehen, ob es noch was Anderes gibt außer Bratkartoffeln. Wir hören, dass es in der Nähe ein Tanzkaffee gibt wo ordentlich was los sein soll. Also nichts wie hin, denn ich wusste ja schon bald nicht mehr, wie eine Frau aussieht. Und wie der Teufel es will…….ich lerne dort Katrin kennen, die sieht aber so was von aus…….ich bin ganz aus dem Häuschen. Eine süße Maus, ein Jahr jünger und einen ganzen Kopf kleiner als ich und, wie ich bei den vielen Blicken, die ich beim Tanzen in ihren Ausschnitt werfen konnte, wunderbar ausgestattet. Dazu mit einem schwäbischen Dialekt, der wie Musik in meinen Ohren klingt. Es war wohl bei uns beiden Liebe auf den ersten Blick. Wir tanzen den ganzen Abend und da sie sehr hohe Schuhe trägt, passt das auch so einigermaßen mit der Größe. Obwohl, beim Tanzen so Wange an Wange, muss ich mich doch noch ganz schön krumm machen. Sie schmiegt sich an mich und fordert mich auch nicht auf, mal den Schlüssel aus der Tasche zu nehmen, als sie merkt, dass ……. Ich hätte ihr ja gerne noch meinen Bordhund gezeigt, aber leider musste sie nach Hause.
Sie lebte und arbeitete in Stuttgart in einem Villenhaushalt und hatte am Ostersonntag volles Programm, weil Gäste im Haus waren. Und außerdem ………am ersten Abend……..so etwas gehört sich doch nicht.

Die nächsten Reisen war ich, wie meistens, immer nur kurz in ihrer Gegend. Wir telefonierten aber so oft es ging. Zu Pfingsten klappte es dann endlich, ich hatte Ladung nach Plochingen. Und es war schon absehbar, dass ich über die Feiertage dort liegen bleiben würde. Ich lud sie zu mir ein. Sie hatte einen alten VW Baujahr 48, und sie kam tatsächlich. Natürlich hatte ich meine Wohnung auf Vordermann gebracht. Beide Betten frisch bezogen und dem Hund erzählt, dass wir jetzt ein Frauchen bekommen und er nicht mehr im Schlafzimmer schlafen dürfte. Er ist dann auf sein Bett gesprungen und hat Töne von sich gegeben, die ich noch nie von ihm gehört hatte, so als wollte er mir erzählen, dass er diese neue Entwicklung gar nicht gut fand.
Als Katrin kam, hatte sie dem Hund Würstchen mitgebracht…….er hat sie doch tatsächlich nicht angerührt. Der arme Hund hat dann auch über die Feiertage nicht viel von mir gehabt, denn wir waren immer wieder so müde, dass wir gar nicht mehr aus den Betten kamen. Es war ja nicht der erste sondern schließlich schon unser zweiter Abend……..und es sollten noch viele folgen. Wenn wir uns später an diese Zeit zurückerinnerten, sprachen wir immer gerne von unseren „Bettpfingsten“.

Dann bekommt Katrin vierzehn Tage Urlaub. Ich baue aus Bodendielen und Lukendeckeln ein Gerüst, über das ich ihr Auto an Deck nehmen kann. Ein paar Jahre später haben wir dafür einen bordeigenen Hydraulikkran.  Wir haben eine wunderbare Zeit zusammen. Sie war auch geschieden. Ihr Mann hatte sie ständig geschlagen, so dass sie eines Tages ausgezogen war und weil sie nicht wusste wohin, kam ihr der Job im Haushalt gerade recht. Aus der Ehe war eine Tochter hervorgegangen,  die mittlerweile vier, bei Katrins Exschwiegereltern lebte. Ich hatte damit kein Problem, ein Kind geschenkt zu bekommen, dass kannte ich ja schon.
Am Ende ihres Urlaubes war uns zwischenzeitlich klar, dass wir zusammenbleiben wollten. Sie kündigt ihren Job und zieht mit Sack und Pack bei mir ein. Sie ist eine wunderbare Partnerin, anhänglich, liebevoll, sehr häuslich und kann hervorragend kochen. Außerdem ist sie eine echte Schwäbin und Schwaben sind ja bekanntlich wegen Geiz des Landes verwiesene Schotten, sogenannte „Schwotten“. Sie kann, im Gegensatz zu Marie, gut mit Geld umgehen. Ich bin wieder glücklich.

Ein paar Monate später, bekomme ich auf der Fahrt zum Mittelrhein an einer Neckarschleuse die Order, in Mannheim in den Industriehafen zu fahren, und dort längsseits der zwei anderen Schiffe unserer Firma, die dort schon liegen, zu gehen. Ich habe irgendwie ein komisches Gefühl. Musste ich doch schon in der letzten Zeit Schiffsbedarfsartikel, die ich vorher auf Rechnung gekauft hatte, bar bezahlen… Bargeld bekam ich als Frachtvorschuss von unserem Auftraggeber. Mein Chef erzählte mir, dass er einen kurzfristigen finanziellen Engpass hätte, er das aber schnell wieder in den Griff bekommen würde. Hat er aber nicht…….die beiden anderen Schiffe waren von einem Gerichtsvollzieher bereits an die Kette gelegt worden und wir kamen jetzt noch hinzu. Die Firma war pleite. Ich bekomme vom Gerichtsvollzieher den Auftrag die Schiffe gegen Bezahlung zu bewachen, bis sich ein Käufer gefunden hat oder es zu einer Versteigerung kommt. Eine komische Situation, ich werde jetzt fürs Nichtstun bezahlt.
Da wir gar nicht wissen, wie es mit uns weitergeht, ist es wichtig, dass wir uns eine Wohnung suchen, damit wir eine Bleibe haben. Wir fahren nach Ludwigsburg und können in Neckarweihingen, das liegt etwa dreißig Kilometer vor Stuttgart, direkt am Neckar, ein Reihenhaus mieten. Schwieriger wird es mit der Beschaffung der Möbel. Ein französisches Bett können wir sofort bekommen. In der Küche steht ein Gasherd und ein einfaches Spülbecken. Bis zur Lieferung der neuen Küche stellt uns das Möbelhaus zwei kleine preiswerte Unterschränke zur Verfügung in denen wir erst einmal unser Geschirr unterbringen können. Im Wohnzimmer stellen wir unsere Liegestühle und den Gartentisch von Bord auf und auf zwei übereinandergestellte Bierkästen legen wir eine Tischdecke und stellen unser Fernsehgerät darauf. Die bestellten Möbel sollen in acht bis zehn Wochen kommen, solange müssen wir uns mit dem was wir haben, begnügen. Aber was brauchen wir schon, wir haben ein Bett und der Rest hat Zeit.
Es war gut, dass wir uns darum gekümmert haben, denn schon nach kurzer Zeit sind die Schiffe verkauft und meine Beschäftigung ist zu Ende. Jetzt überlege ich, ob ich den Beruf an den Nagel hängen soll und gehe zum Arbeitsamt um mich zu informieren, ob ich eventuell umschulen kann. Mir schwebt  eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann vor. Es gibt da auch einige Möglichkeiten, allerdings bekomme ich keine Förderung, da es in der Schifffahrt viele freie Stellen gibt. Wir wollen es trotzdem wagen. Ich habe noch ein paar Ersparnisse Katrin sucht sich gleich einen Job und ich bekomme ja auch während der Ausbildung etwas bezahlt.  Wir haben jetzt März und die Umschulung soll im August beginnen. Was mache ich solange?

Ich besorge mir einen Gewerbeschein und biete mich in den Fachzeitschriften der Binnenschifffahrt als freiberuflicher Urlaubsvertreter für Kapitäne an. Das klappt, denn schon nach kurzer Zeit habe ich recht gut zu tun. Und ich verdiene dabei so gut, dass wir den Plan an Land zu bleiben, schnell wieder fallen lassen. Ich bin ja jetzt mein eigener Herr und kann Aufträge annehmen oder ablehnen, gerade wie es mir passt. Wir planen jetzt dass Katrin wieder mit an Bord geht, wir zirka acht Monate im Jahr arbeiten und uns den Rest des Jahres ein schönes Leben machen. Aber es kommt immer erstens anders, als wie man zweitens denkt…….Ich arbeite jetzt viel für eine Firma, die wegen der Berlinabschreibung alle paar Monate ein neues Schiff in Dienst stellt. Ich fahre also fast nur noch neue Schiffe die ja mittlerweile mit allem Pipapo ausgerüstet sind. Das macht einerseits natürlich Spaß aber andererseits habe ich jetzt soviel zu tun, dass ich gar keine Freizeit mehr habe. Wenn ich angerufen werde und man mich händeringend bittet, den nächsten Auftrag anzunehmen, kann ich nicht nein sagen.

Nicht nein sagen zu können,  passiert mir in meinem Leben noch des Öfteren, und wird irgendwann mal zu meinem Untergang beitragen.  Nach einiger Zeit habe ich,  nicht zuletzt auch dank Katrin die, die ihr anvertrauten Wohnungen sehr gut in Schuss hält, einen so guten Ruf im Gewerbe, dass mich sogar ein selbstfahrenden Unternehmer, ein sogenannten Partikulier, der auch gerne mal in Urlaub fahren möchte, für drei Wochen bucht. Diese Leute geben ihre Schiffe normalerweise nicht in fremde Hände, haben sie doch sehr viel Privates an Bord, da für sie das Schiff die zweite, manchmal auch die erste Heimat ist. Nach seiner Rückkehr, ist das Ehepaar von unserer Arbeit so begeistert, dass wir uns anfreunden. Wir erfahren so nach und nach viel über die Partikulierschifffahrt und Rolf, der Schiffseigner, ist der Meinung, dass wir das Zeug dazu hätten, ein eigenes Schiff zu betreiben. Ich hatte noch nicht den Mut dazu aber ein Saatkorn war gesetzt.
Die Reederei, für die ich viel arbeite, ist wohl auch sehr zufrieden mit meiner Arbeit denn ich bekomme immer wieder mal das Angebot, doch fest für sie zu fahren. Irgendwann beschwert sich Katrin  bei mir, dass sie bei unserem ständigen Wechsel der Schiffe, alle drei bis vier Wochen, in jeder Wohnung, die wir verlassen, einen Großputz macht und…….damit man uns nichts nachsagen kann, die Wohnungen meistens sauberer übergibt, als sie sie übernommen hat. Inzwischen stört sie dieses ständige Hin und Her, sie möchte doch auch gerne wieder etwas mehr Privates um sich haben.  Ich trete also mit der Reederei in Verhandlungen ein. Derzeit verdiene ich als freiberuflicher Käpt´n mehr als doppelt soviel wie ein Angestellter.  Es ist nicht ganz leicht, aber wir können diesen Punkt irgendwann zu meiner vollsten Zufriedenheit abhaken.

Natürlich muss ich Abstriche machen aber dafür bin ich ja wieder sozial abgesichert und habe einen Anspruch auf bezahlten Urlaub. Meine nächste Forderung geht auf Katrin zurück. Wir sind ja auf einigen neuen Schiffen gewesen aber meistens hat ihr der Stiel der Wohnungseinrichtung nicht gefallen. Um sie zufrieden zu stellen, möchte ich ein neues Schiff, für das ich die Bauaufsicht bekomme und wir die Einrichtung selbst bestimmen können, von der Werft holen. Was soll ich sagen…….ich kann auch diese Forderungen durchsetzen. Ein paar Wochen später fahren wir auf eine Werft an der Oberweser, wo unser neues Schiff im Bau ist. Da lag es nun, hoch und trocken auf der Helling, noch ein rostiger Stahlhaufen aber die gute Figur schon erkennbar.
Die Werften stellen meistens Monteuren oder Fremdarbeitern eine Wohnung zur Verfügung. Wir bekamen davon eine mit einem wunderschönen Ausblick auf die Weser. Das war nun für die nächsten acht bis zehn Wochen unser Zuhause.  Katrins alten VW hatten wir verkauft und uns einen gebrauchten Kadett zugelegt. Ich hatte eigentlich nie die Zeit gefunden einen Führerschein zu machen…….brauchte ich auch nicht, meine Kleine fuhr wie eine junge Göttin.
Von Minden sind es gut zweihundert Kilometer nach Cuxhaven und ich möchte die Zeit nutzen, meinen Eltern Katrin vorzustellen. Wir sind jetzt schon fast zweieinhalb Jahre zusammen und sie kennen sich noch nicht. Als wir ankommen, ist Vater, typisch Mann, von ihr begeistert. Mutter hat noch das Problem, dass sie ihre Enkelin nicht mehr sieht. Sie ist, nachdem ihre Eltern beide sehr früh verstorben waren,  in einem Pfarrhaus aufgewachsen und hat dort eine sehr konservative Erziehung genossen. Deshalb trägt sie mir noch nach, dass ich mich habe scheiden lassen. Sie ist es auch, die für mich in einer Pension nebenan ein Zimmer bestellt hat, es gibt ja schließlich noch den Kuppeleiparagrafen......... Jetzt weiß ich wie fensterln geht…….ich habe nachts an Katrins Zimmerfenster geklopft und sie hat mir geöffnet. Wer kennt es bei uns an der Küste nicht, diese alte Volkslied „Dat du min Leevsten büst, dat du wohl weest“,  welches genau dieses Thema zum Inhalt hat.
Vater ist mittlerweile Frührentner. Er hat sich durch seine Arbeit, in den schweren Taucheranzügen, einen Hüftgelenksschaden zugezogen. Sie hatten ihm zwar ein neues Hüftgelenk eingebaut, aber diese Technik war noch in den Kinderschuhen und es hatte ihm nicht geholfen, er konnte nie wieder richtig laufen.  Seine Rente ist nicht zum totlachen und Mutter geht in der Pension in der Nachbarschaft putzen um ihr gemeinsames Einkommen aufzubessern. Sie haben inzwischen das Haus von Onkel Charly und Tante Mieze geerbt. Die Beiden sind mit über neunzig in einem Abstand von nur vierzehn Tagen gestorben. Sie haben sich in dem Haus bis zu ihrem Tod mit Unterstützung meiner Mutter selbst versorgt. Das ist doch, nach mehr als sechzig gemeinsamen Jahren ein Glück, dass nicht vielen widerfährt.
Nachdem meine Eltern in das Haus, das in einer Entfernung von nur dreihundert Metern zum Strand liegt eingezogen sind, haben sie das alte Haus verkauft. Der Erlös reichte, um das marode Reetdach des geerbten Hauses zu entsorgen und es mit Eternitplatten neu einzudecken. Sie haben sich noch ein kleines Auto gekauft und weg war das Geld. Vater überlegt jetzt, um ihr Einkommen zu verbessern, das Haus zu verrenten. Katrin und mir geht es ja wirtschaftlich sehr gut und so schlage ich ihm vor, dass ich Ihnen mein Erbe durch Zahlung einer Leibrente abkaufe.
Wieder auf der Werft, klettere ich den ganzen Tag in dem, was mal ein Schiff werden soll, rum. Es macht mir viel Spaß dem Werden beizuwohnen. Natürlich passe ich auf, dass nicht irgendwo beim Schweißen gepfuscht wird. Aber noch mehr überwache ich mit Argusaugen, den Einbau der Motoren und der Navigationselektronik. Welch ein technischer Wandel hatte sich doch in den letzten paar Jahren in der Binnenschifffahrt vollzogen. In das hydraulisch voll absenkbare Ruderhaus, wird ein Einmannfahrstand eingebaut. Neben den Joysticks für die elektrohydraulische Ruderanlage und dem Bugstrahlruder, gibt es zwei Funkgeräte und natürlich ein Radargerät mit Wendeanzeiger. Außerdem kann ich aus dem Fahrstand die Generatoren starten, die Buganker fallen lassen und wieder aufhieven.
Die Werft beschäftigt keine festen Elektriker mehr und hat für den Neubau zwei alte Elektriker, die früher auf ihr gearbeitet hatten noch einmal aus dem Ruhestand geholt. Denen muss ich nun ständig auf die Finger gucken, weil sie mit einem großen Teil der neuen Technik schlechthin überfordert sind. Aber wir kriegen das hin, so nach und nach sehen wir das Licht am Ende des Tunnels. Die Werft liefert ja schlüsselfertig und hat natürlich einen Möbellieferanten, bei dem wir uns die Küche und die Wohnzimmermöbel aussuchen dürfen. Selbstverständlich gibt es da eine Preisobergrenze aber auch ein Werftbesitzer kann der Katrin nicht widerstehen. Die Möbel, Lampen, die Gardinen und Teppichböden sprengen zwar den gesetzten Rahmen aber was sind schon ein paar tausend Mark bei zwei Millionen Baukosten. Unsere Wohnung an Bord ist dann auch ein wahres Schmuckstück.

Was lange währt, wird endlich gut…….das Schiff ist fertig. Ich habe Verstärkung durch einen Steuermann und einen Maschinisten bekommen. Hein, der Maschinist, ist ein lustiger Typ und ist so stolz auf den picobello sauberen Motorenraum, dass er immer mit einer weißen Schürze, die er in den Putzlappen gefunden hat, herumläuft. Um die Pflege und Wartung der Motorenanlage muss ich mir bei ihm keine Sorgen machen.  Jetzt soll das Schiff das erste Mal ins Wasser aber die Schiffstaufe ist erst für später vorgesehen. Die Oberweser hat kaum Wasser. Als wir die Hellingwagen runterlassen,  sind die Schienen zu Ende aber das Schiff schwimmt nicht auf. Es fehlen so zehn bis zwanzig Zentimeter. Die Werftarbeiter drücken Fett zwischen die Wagen und den Schiffsboden und dann schieben zwei große Radlader das Schiff gewaltsam von den Wagen in sein Element. So einen Stapellauf habe ich auch noch nie gesehen.
Die Frachtraten von und nach Berlin sind, wegen der Lage der Stadt, die Besten in ganz Deutschland. Die Abschreibungsschiffe mussten, um den rechtlichen Bedingungen zu genügen, fünf Jahre lang einhundertdreiundachtzig Tage im Jahr nach Berlin fahren. Gerechnet wird ab dem ersten Tag der Beladung  nach Berlin und wenn es Ladung aus Berlin mitnimmt, bis zum letzten Tag des Löschens. Fährt es leer aus Berlin, rechnet die Zeit bis zum Eintreffen im nächsten Ladehafen. Eigentlich sind diese neuen Schiffe für die Berlinfahrt völlig ungeeignet. Sie sind mit einer Ladekapazität von eintausendsiebenhundert Tonnen bei einem Tiefgang von drei Meter zwanzig für den Rhein gebaut. Im westdeutschen Teil des Mittellandkanals (MLK) können die Schiffe zu dieser Zeit mit einem Tiefgang von lediglich zwei Metern und im ostdeutschen Teil, nicht zuletzt wegen des schlechten Unterhaltungszustandes der Wasserstraße von maximal einem Meter achtzig verkehren. Ab Magdeburg befährt man die Elbe etwa zwanzig Kilometer zu Tal, um bei Nigripp  in den Elbe – Havel- Kanal (EHK) zu gelangen. Die Elbe ist wasserbautechnisch noch schlechter unterhalten so dass, auch wegen der oft niedrigen Wasserstände des Flusses, vielfach mit noch geringeren Tiefgängen gefahren werden kann. Es kam vor, dass die Schiffe nur mit drei – vierhundert Tonnen in Berlin ankamen oder von dort wieder wegfuhren. Irgendwie muss es sich aber für die Reeder, durch die Sonderabschreibung, doch noch gelohnt haben.

Unser Reeder hat seinen Stammsitz in Esslingen am Neckar, wo er auch eine große Baustofffirma betreibt. Dort soll das Schiff dann auch getauft werden. Der Heimathafen des Schiffes ist eigentlich, wegen der Sonderabschreibungen, Berlin. Aber da er viele Gäste aus seinem Kundenkreis, der Politik und Wirtschaft Baden – Württembergs eingeladen hat, malen wir auf das Heck, nur für die Taufe, in großen Buchstaben den Heimathafen Esslingen. Wir bekommen eine Stahl - Holzkonstruktion in den Laderaum eingehängt, auf der für zweihundert Gäste und einer Musikkapelle Platz ist. Nachdem die Tochter des Reeders die obligatorische Sektflasche an dem, mit einer Blumengirlande geschmückten, Bug hat zerschellen lassen hat, und dem Schiff und mir mit dem Schiff „allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“ gewünscht hat, schippere ich dann die Gästen den Neckar abwärts bis Marbach und dann wieder zurück. Dabei habe ich Blut und Wasser geschwitzt. Das Ruderhaus und das Vorschiff voller Leute, die mir, wenn ich das Steuerhaus wegen der Brücken runterfahren musste, die Sicht nehmen, die Musikkapelle die eine Verständigung mit dem Vorschiff unmöglich macht und dann noch Schleusen fahren und zwar so sanft, das kein Glas umfällt. Natürlich habe ich diese Aufgabe neudeutsch (cool) gemeistert.
Auf Katrins Wunsch hatte ich mir schon vor einiger Zeit einen Bart wachsen lassen. Sie war der Meinung, dass der Bart ein Muss für einen Kapitän ist. Nun ist das ja Geschmackssache aber ich auch sonst nicht ganz hässlich, noch schlank und Pfeifenraucher, hätte ich mir von den Mädels, die mir im Steuerhaus ehrfurchtsvoll zusahen, eine aussuchen können.  Aber ich bin ja eine treue Seele, ich hatte zwar mehrere Frauen in meinem Leben, aber immer nur eine zurzeit......
Auf der Party, die Abends in der Stadthalle Esslingen stattfand, habe ich, da ich ja den ganzen Tag nur Wasser trinken musste, einiges nachholen müssen, damit ich zu den anderen Gästen aufschließen konnte. Wenn ich in Stimmung komme, singe ich irgendwann Seemannslieder und so kam es auch hier…….zu späterer Stunde stand ich auf der Bühne und machte einen auf Hans Albers. Scheinbar so gut, dass mich jemand ansprach und mich fragte, ob ich das nicht professionell machen wollte. Ich lehnte aber mit der Begründung ab, dass ich nur betrunken singe und mich eine derartige Karriere unweigerlich zum Alkoholiker machen würde.
Bei einem Drink mit meinem Chef an der Bar, ließ dieser durchblicken, dass er auch von dem Kuppeleiparagrafen wusste und es wohl besser wäre, wenn ich, um in dem sittsamen Schwabenländle nicht anzuecken, meine Schwottin heiraten würde. Weinselig  machte  ich meinem Schätzle auch am gleichen Abend noch einen Antrag. Ich hatte zwar keine Ringe dabei, aber meine Kleine wollte sowieso erst einmal von mir wissen, ob ich noch so nüchtern sei, dass ich die Reichweite meines Tuns übersehen könnte. Als ich sie davon überzeugt hatte, sah ich ein paar Tränen in ihren Augen……. Die Verlobungsringe kauften wir gleich am nächsten Tag.

Nachdem alle Spuren der Schiffstaufe beseitigt waren, und wir den Heimathafen am Heck mit Berlin wieder richtig gestellt haben, geht es wieder den Neckar zu Tal. Ich habe Order am Oberrhein eine Ladung Kies nach Berlin aufzunehmen. Im Mannheim lege ich an der Lotsenstationn an, um einen Lotsen an Bord zu nehmen. Der Oberrhein  hat eine hohe Strömungsgeschwindigkeit und das Kiesbett des Flusses ist ständig in Bewegung. Nach jedem Hochwasser verändert sich das Fahrwasser und wenn man dort nicht laufend unterwegs ist, sollte man aus Sicherheitsgründen einen ortskundigen Berater an Bord nehmen.  Unsere Verladestelle liegt in Gambsheim im Elsass, oberhalb der ersten Schleuse des kanalisierten Oberrheins. Hier beladen wir das Schiff, da der Wasserstand auf dem Rhein dies zulässt mit eintausendsiebenhundert Tonnen.  Fünfhundert Tonnen sollen bei einem Kunden in Ruhrort gelöscht werden, mit der verbleibenden Restladung haben wir einen Tiefgang von zwei Meter fünfzig der für den Dortmund – Ems –Kanal (DEK) zulässig ist. Damit soll es weiter nach Münster gehen, wo wir weiter fünfhundert Tonnen ausladen werden. Mit einem Tiefgang von jetzt noch einem Meter achtzig und der Restladung von gut siebenhundert Tonnen, geht es weiter in den Mittellandkanal (MLK), der etwa vierzig Kilometer nach Münster vom DEK abzweigt, Richtung Osten.

Der MLK ist mit gut dreihundertfünfundzwanzig Kilometern Deutschlands längste künstliche Wasserstraße. Von 1906 bis 1938 in mehreren Etappen erbaut, stellt er die Vollendung einer bereits 1856 geplanten Kanalverbindung zwischen dem Rhein und der Elbe dar.  Ursprünglich war geplant, ihn über eine Trogbrücke über die Elbe zu führen und mit dem Schiffshebewerk Hohenwarte an den  Elbe – Havel – Kanal anzubinden. Die Arbeiten an diesen Bauwerken wurden aber 1942 eingestellt und erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Rahmen des „Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 17“ wieder aufgenommen und vollendet.
Für mich ist diese Strecke ein völlig neues Fahrtgebiet. Mit diesem großen, 9,50 m breiten Schiff den MLK mit nur zweiundzwanzig Meter Sohlenbreite zu befahren und dabei noch heil am Gegenverkehr vorbeizukommen, dass ist schon eine Herausforderung. Die Schiffe fahren hier in einem seitlichen Abstand von etwa zwei Metern aneinander vorbei. Da kann man fast hinüberspringen. Gott sei Dank steuere ich mit dem Joystick, mit einer Handruderanlage wäre ich vermutlich gescheitert. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt acht Kilometer in der Stunde, ich komme bei den vielen Begegnungen, bei denen ich immer wieder die Fahrt drosseln muss, auf maximal sieben Kilometer. Das bedeutet, dass wir bei einer Tagesleistung von cirka einhundert Kilometern und den Aufenthalten an den Schleusen und der Zonengrenze vier Tage brauchen werden, um Magdeburg zu erreichen.

Nach den ersten einhundert Kilometern fahren wir über die Trogbrücke des Wasserstraßenkreuzes Minden. Dieses Bauwerk wurde bereits 1915 fertig gestellt und führt mit einer Länge von dreihundertsiebzig Metern über die rund dreizehn Meter tiefer liegende Weser. Einfach gigantisch und unter uns fährt ein Schiff in Richtung Bremen.  Vorbei geht es an Hannover, dort passieren wir die Schleuse Anderten, in der wir fünfzehn Meter hoch geschleust werden, dann Braunschweig und die Schleuse Süllfeld, in der wir wieder um  neun Meter abgesenkt werden. Nachdem wir Salzgitter und das VW Werk  in Wolfsburg passiert haben, erreichen wir Rühen, die westdeutsche Seite des eisernen Vorhanges.
Das Passieren der Zonengrenze, weckt beklemmende Gefühle. Wir dürfen nur bei Tageslicht in den Grenzbereich einfahren. Deshalb kommen morgens immer einige Schiffe an, die in Rühen übernachtet haben. Wir sehen überall Stacheldrahtverhaue  mit bewaffneten Grenzpolizisten und auf den Brücken scharfe Hunde, die wie wild und  zähnefletschend innerhalb der Umzäunungen hin und her rennen. Schiff und Ladung werden akribisch durchsucht. Bei der Ausreise werden die Ladung und die Wohnungen sogar mit Hunden durchsucht da man ausschließen möchte, das  Republikflüchtlinge den Weg in die Freiheit über die Schiffe suchen. Die Grenzer behandeln uns, den westdeutsche Klassenfeind, meistens sehr  provokativ und unfreundlich, obwohl wir durch unsere Abgaben die gesamte ostdeutsche Transitinfrastruktur  finanzieren.
Die DDR erkennt lediglich unser Patent für die Westdeutschen Kanäle an und das auch nur bis Magdeburg. Wir dürfen nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fahren und müssen nachts an besonders gesicherten Übernachtungsplätzen liegenbleiben. Da diese Plätze oftmals bis zu drei Stunden auseinander liegen, endet unser Tag im Winter manchmal schon nachmittags um zwei. Auf der Strecke zwischen der Grenze und Magdeburg gibt es einen Übernachtungsplatz, an dem wir sogar an Land dürfen. Von unserem Wachposten bekommen wir einen Landgangsschein…….um vierundzwanzig Uhr müssen wir wieder an Bord sein. Dieser Ort, Bülstringen, wird in Schifffahrtskreisen Gänsedorf genannt. Dieser Name sagt einfach alles aus. Was könnte man hier schon bis Nachts um zwölf  anstellen. Aber wir, neugierig  wie wir nun mal sind, sind an Land gegangen. Beim Bürgermeister müssen wir unserem Zwangsumtausch von zehn DM in zehn Ostmark pro Person leisten. Es gibt in dem Ort einen HO – Laden, einen Schlachter und eine Kneipe. Wir fragen die Bürgermeisterin nach den Fleischpreisen und erfahren, dass sie doch erheblich niedriger sind als im Westen. Wir tauschen fünfzig Mark und wollen uns dafür mit Fleisch eindecken. In der Schlachterei gab es aber nichts außer noch einigen wenigen Koteletts. Wir trauten uns nicht diese zu kaufen, um den Anwohnern wenigstens noch etwas zu lassen. Unverrichteter Dinge gingen wir also in die Dorfkneipe und bestellten uns etwas zu essen und zwei Bier. Für zwei Portionen Kotelett mit Kartoffeln und Gemüse und zwei Bier bezahlte ich acht Mark siebzig.
Jetzt ist es aber nicht erlaubt, warum auch immer, Ostmark auszuführen. Wir mussten die Aluchips irgendwie auf den Kopf kloppen.  In der Ecke der Kneipe saßen sechs junge Leute. Ich schickte eine Runde Bier rüber, Preis für sechs Stück zwei Mark zehn. Um so das Geld loszuwerden, dass würde dauern. Die nächste Runde ließ ich den Wirt den Jungs zum Bier auch noch einen DDR Cognac, das teuerste auf der Karte, bringen. Preis für alles sechs Mark neunzig. Ich schmiss jetzt solange Runden, bis ich die Ostmark los war. Als wir gehen wollten,  meinten die Jungs, jetzt seien sie aber mal an der Reihe…… auweia wir hatten zu tun, dass wir um vierundzwanzig Uhr an Bord waren.

Am Schiffshebewerk Rothensee bei Magdeburg werden wir um etwa sechzehn Meter auf das Niveau der Elbe abgesenkt. Ich habe im Schleusenbüro einen Lotsen bestellt denn wir müssen, da meine Patente ab hier nicht mehr anerkannt werden, für die zwei Tage bis Berlin einen Ostlotsen an Bord nehmen. Diese Lotsen müssen natürlich linientreu sein und stehen unter besonderer Beobachtung. Es gibt hier nur vier Lotsen, die mit Westschiffen fahren dürfen, so kommt es vor, dass man, wenn der Andrang besonders hoch ist manchmal bis drei Tage auf einen Lotsen warten muss. Ich habe aber Glück, der Lotse kommt schon am nächsten Tag.  Nachdem wir nun die zwanzig Kilometer auf der Elbe hinter uns gelassen haben, sind wir jetzt im Elbe-Havel-Kanal (EHK). Dieser Kanal ist in einem jämmerlichen Zustand. Die Böschungen sind teilweise eingebrochen und in den Kanal gerutscht. Es haben sich dabei Untiefen gebildet, so dass wir selbst mit einem Tiefgang von nur einem Meter achtzig noch Grundberührungen haben. Auch der schlechte Zustand der Häuser in den Ortschaften, die wir jetzt passieren, lässt die Spruchbänder, die an den Brücken die Errungenschaften des Sozialismus preisen, wie blanker Hohn erscheinen.
Ein besonderer Vorfall lässt mich annehmen, dass offensichtlich schon Kindergartenkinder gegen den Klassenfeind geimpft werden. In Brandenburg zieht so eine Gruppe mit ihren Kindergärtnerinnen über eine Brücke, unter der wir gerade durchfahren. Bei uns im Westen kreischen und winken die Kinder und versuchen auf den Kahn zu spucken. Hier……von den Kindern keine Regung. Als ich das so sehe, habe ich nicht die geringste Hoffnung, dass die beiden Teile Deutschland noch einmal eins werden.
Der Lotse fährt bis Nedlitz, an der Grenze zu Westberlin mit. Ich bezahlen ihm seine Rechnung bar aus der Bordkasse in DM, die er natürlich abliefern muss, es ist etwa das Fünffache von dem, was er selbst für die Tour in Ostmark bekommt. Er sagt nichts aber ich sehe ihm an, er denkt sich sein Teil. Weil die Lotsen auch bei uns übernachten und man sich dadurch auch langsam näher kennenlernt, bekommen wir aber mit der Zeit doch einen Einblick in den DDR-Alltag.  Hierher sollte man die einmal schicken, die bei uns unzufrieden sind.

Jetzt kommen wir auf den Wannsee. Zunächst verläuft auf dem See noch die Zonengrenze, bewacht von DDR Patrouillenbooten. Aber das Fahrwasser verläuft jetzt im Westteil, hier darf ich zwar mit meinem Patent wieder fahren, habe aber überhaupt keine Ahnung wo es lang geht. Vom Wannsee hatte ich vorher nur mal etwas in dem Lied der kleinen Conny „Pack die Badehose ein“ gehört und bin natürlich erstaunt, wie groß er ist. Der westliche Teil des Wannsees ist voller Jachten, sie fahren mir kreuz und quer vor den Bug und ich habe Angst irgendwann mal eine über den Haufen zu fahren.
Für die Radarfahrt auf dem Rhein zu Tal, habe ich ein automatisches Dreitonsignal an Bord. Ich schalte es ein und fahre mit Tatütata über den See und erreiche damit, dass mir die Jachten eine Schneise  bilden. Irgendwann entdecke ich auch anhand der Schifffahrtszeichen an Land, wie es weitergeht und komme nach Spandau.
Ich werde diese Tour nach Berlin im Laufe der nächsten Jahre noch des Öfteren fahren und mich auch hier bald sehr gut auskennen. Nach unserer Rückkehr an den Rhein, in den goldenen Westen, bitte ich meine Firma um ein paar Tage Urlaub. Ich möchte mein Versprechen einlösen und heiraten…….mal wieder. Und ich möchte mir natürlich meine Rechte an meinem Schätzle sichern. Wir verstehen uns nach wie vor prächtig……eigentlich ist das ja auch klar, denn wir sind ja beide Zwillinge, auch wenn es optisch nicht erkennbar ist. Ich gebe es, wenn auch ungern zu, sie ist schöner als ich.
Nachdem wir in Homberg eintausendsiebenhundert Tonnen Kohlen für das Großkraftwerk Mannheim Rheinau geladen haben,  kann ich testen, wie sich das neue Schiff mit voller Ladung auf der Bergfahrt verhält. Der Schiffsrumpf wurde strömungstechnisch optimiert und mit einer Motorenleistung von eintausend Pferdestärken, stürmen wir schon ab Duisburg mit gut zehn Kilometern in der Stunde zu Berg. Wenn man überholen möchte, setzt man am Vormast eine blaue Flagge, die von achtern bedient werden kann. Bei älteren Schiffen, mittels einer langen Flaggenleine und bei den modernen, natürlich elektrisch. Ich kann, bei der Geschwindigkeit, die Flagge einfach stehen lassen. Als ich fast einen halben Tag früher, als gewohnt in Kaub ankomme, überlege ich, ob ich meiner Reederei die Kosten für das Vorspannboot ersparen kann, traue mich aber noch nicht. Jetzt beobachte ich das Fahrverhalten des Schiffe in der Gebirgsstrecke genau, lasse den Schlepper, mit dem ich ja nun über Funk verbunden bin, an den neuralgischen Stellen mal nicht ziehen und im Ergebnis nehme mir vor, es das nächste Mal alleine zu versuchen.
Von Mannheim fahren wir wieder in den Oberrhein, und laden Kies nach Esslingen. Dort wollen wir aussteigen und uns in den Hafen der Ehe begeben. Katrins Mutter, in zweiter Ehe mit einem  sechzehn Jahre jüngeren Italiener verheiratet, wohnt in Kornwestheim, nicht so weit von uns entfernt. Katrin und ihre Mutter können nicht sehr gut miteinander und auch wenn ich sie nicht mehr um die Hand ihrer Tochter bitten muss, sie sollte ja ihren künftigen Schwiegersohn wenigstens einmal kennenlernen.  Ich werde also wieder einmal Blumen für eine angehende Schwiegermutter kaufen. Dazu eine gute Flasche Rotwein, für ihren Mann besorgen und mein schönstes Sonntagnachmittagskaffetrinkergesicht aufsetzen. Ich hätte fast einen guten Eindruck hinterlassen, wenn nicht…….wir haben nicht nur meinen Wein ausgetrunken sondern Pierro, so ein richtiger Italiener hat natürlich auch Rotwein im Haus. Er hat mich ein paar Mal genötigt und so kamen wir in Stimmung. Irgendwann läuft im Fernsehen ein Fußballspiel Deutschland – Italien. Ich bin zwar kein großer Fußballfan aber irgendwie war ich dann doch dabei. Die Italiener schossen ein Tor und Pierro jubelt, die Deutschen schießen ein Tor und ich jubele. Dabei springe ich vom Sofa auf, lasse mich wieder fallen und das Sofa…….bricht zusammen. Ich weiß nicht wo sie es gekauft hatten, es war aber sicher keine deutsche Wertarbeit.
Meine neue Schwiegermutter verhält sich jetzt mir gegenüber sehr reserviert. Katrin erzählt erst einmal nichts von unserer bevorstehenden Hochzeit denn wir haben sowieso keine großartige Feier geplant. Für meine Eltern ist es zu weit und sonst kennen wir ja hier auch kaum jemanden.  Doch welch ein Zufall……bei uns in Neckarweihingen liegt ein befreundetes Schifferehepaar, Wolfgang und Roswitha, die dort löschen. Wir laden sie zu uns nach Hause ein, und irgendwann kommt das Gespräch darauf, wie lange wir schon verheiratet sind, und wir klären sie auf, dass wir am nächsten Tag heiraten wollen.  Wir hatten uns schon Gedanken gemacht, wo wir die Trauzeugen herbekommen sollten, aber das war ja jetzt geklärt. Wir gingen zum Standesamt, danach mit unseren Trauzeugen gut essen und am Abend, es war Freitag, mischten wir uns unter die Gäste in dem Tanzkaffee, wo wir uns kennengelernt hatten. Ich habe ein paar Runden für die Musik ausgegeben, dazu das, was wir selber verzehrten und mit rund dreihundert Mark war das eine lustige Hochzeitsfeier so ganz nach dem Geschmack meiner Schwäbin, denn von ihr könnte auch die folgende schwäbische Einladung stammen: "Kommet glei noch em Kaffee, daß r zom Vespa wieder drhoim sei kennat" (kommt gleich nach dem Kaffee, dass ihr zum Abendessen wieder zu Hause sein könnt), und ich bin ja schließlich lernfähig.......

Wieder an Bord, fordere ich mich selbst heraus. Ich fahre jetzt ohne Vorspann durch das Gebirge und schaffe die Reise mit Kohlen von Homberg nach Mannheim an das Kraftwerk in sechsunddreißig Stunden, denn nachts fahren wir einfach durch. Ich habe ja Radar und einen guten Steuermann an Bord, der mich auch mal ein – zwei Stunden ablösen kann und die Kontrollen durch die Wasserschutzpolizei sind damals noch recht lasch. Wir dürfen eigentlich offiziell nur sechzehn Stunden fahren und müssen über unsere Fahrzeiten ein Fahrtenbuch führen aber…….in der Schifffahrt wird es Lügenbuch genannt.  Das Fahren mit Radar bei null Sicht, habe ich immer wieder geübt, in dem ich die Fenster im Ruderhaus abgedunkelt habe und so blind gefahren bin. In der Realität muss man ja auch im dichten Nebel anhand des Radarbildes jederzeit wissen, wo man sich befindet. Ich bin inzwischen so firm, dass ich auch im dichten Nebel durch den engen MLK fahre oder bei Sichtweiten unter fünfzig Meter in  Schleusenkammern, die man unter diesen Bedingungen erst sieht, wenn man schon drin ist. Da ist es nur recht und billig, dass ich mich zur Radarpatentprüfung anmelde. Mir dem Patent kann ich überall bei null Sicht fahren und bin versicherungstechnisch auf der sicheren Seite. Ohne Patent darf das Radar lediglich als Hilfsmittel bei Fahrten, die man auch ohne Radar machen könnte, benutzt werden.
Die praktische Prüfung ist für mich kein Problem, ich muss mit abgedunkelten Scheiben ein Wendemanöver auf dem Rhein fahren, in Mainz in den Hafen einlaufen und das Schiff anlegen. Die Theorie, auch für den Funkschein, den ich gleichzeitig mitmachen muss, habe ich auswendig gelernt und jetzt…….bin ich Radarschiffer.

Die Wartezeiten auf die ostdeutschen Lotsen bei unseren Fahrten von und nach Berlin sind eigentlich  inakzeptabel.  Ein Schiff dieser Größe sollte täglich mindestens zweitausend Mark einfahren. Da kommen auf einer Reise, bei den Wartezeiten, schon mal sechs – achttausend Mark an Umsatzausfall zusammen, die vermeidbar wären, wenn ich das Patent für die Wasserstraßen der DDR erwerben würde.  Ähnlich wie auch in Westdeutschland, kann ich mich nach acht Fahrten zur Patentprüfung anmelden. Das tue ich dann auch und bekomme schon nach recht kurzer Zeit eine Einladung zu einem Prüfungstermin in Ostberlin.
Zu dem Termin fliege ich, weil ich mit meinem Schiff gerade auf dem Rhein unterwes bin, von Düsseldorf nach Berlin und übernachte dort. Morgens um acht soll ich im Haus der Deutschen Binnenreederei in Alt Stralau sein. Um sieben bin ich am Grenzübergang Friedrichstraße, gebe die Einladung und meine Papiere ab und warte…….und warte……und warte. Es ist mittlerweile schon kurz vor acht als ich noch mal an den Schalter gehe und mich, leicht angesäuert, nach dem Fortgang der Dinge erkundige.
Nach einer weiteren halben Stunde kommt irgend so ein Oberst…oder so, mit meinen Papieren in der Hand und teilt mir mit, dass ich nicht einreisen könne, weil ich meinem Passbild nicht ähnlich sähe. Ich, jetzt schon richtig sauer, weise auf diverse Stempel von der Grenzorganen der DDR in meinem Pass hin…… der letzte stammt von vor ungefähr drei Wochen. Ich muss mich ja in kurzer Zeit stark verändert haben, denn da habe ich ja offensichtlich meinem Passbild noch ähnlich gesehen. Ich verlange meine Papiere zurück, mit dem Hinweis diese Angelegenheit der deutsch – deutschen Grenzkommission vorzulegen. Da lenkt er ein und meint er würde mir einen Passersatz mit einem aktuellen Foto zum Preis von fünfzig DM ausstellen. Jetzt bin ich wütend. Es ist inzwischen kurz vor neun und frage ihn ob er meine Einladung gelesen hätte. Mein Termin war um acht. Ganz entspannt antwortete er, dass er bereits mit dem Haus der Binnenreederei telefoniert hätte, Ergebnis ich könnte auch später kommen. Na gut…..ich lasse mich auf den Deal ein und verkneife mir einige Unfreundlichkeiten, die mir eigentlich auf der Zunge liegen. Jetzt geht plötzlich alles sehr schnell, ich kriege auch gleich ein Taxi, sitze um halb zehn  in der schriftlichen Prüfung und bin tatsächlich noch der Erste, der seine Prüfungsbögen abgibt. Der Prüfer, eigentlich ein sympathischer Typ, nimmt mich beiseite, stellt mir noch ein paar Fragen und um zwölf sitze ich, mit dem Elbe Patent und dem Patent Märkische Wasserstraßen in der Tasche, bereits wieder im Taxi, dass mich zum Grenzübergang  Friedrichsstraße zurückbringt. Dass ich mit diesem netten Prüfer, oder besser er mit mir, siebzehn Jahre später noch beruflich zu tun bekomme, können wir uns, zu diesem Zeitpunkt, in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen.

Wir sind auch des Öfteren in Rotterdam meistens laden wir dort Importkohlen  im Auftrag des niederländischen Kohlehandelsunternehmen SSM Coal B.V,  die den Kontrakt haben, die amerikanischen Streitkräfte in Europa mit Kohlen zu beliefern. Als ich wieder einmal Richtung Rotterdam fahre, bekomme ich einen Anruf von unserem Geschäftsführer, ob ich mir vorstellen könnte, den Chefdisponenten der SSM mit seiner Frau ein paar Tage mit an Bord zu nehmen. Ich schaue mal kurz zu meiner Frau hinüber, die hat mitgehört und zuckt mit den Schultern. Ich verhandele einen guten Tagessatz, denn wir müssen die VIP Gäste ja schließlich ordentlich bewirten und  sage zu. Wir sind ja beide nicht auf den Mund gefallen und ich spreche sogar etwas Holländisch, das wird schon gut gehen. Das geht so gut, dass wir, obwohl sie etwa zwanzig Jahre älter sind als wir, sogar schnell gute Freunde werden. Als die beiden an Bord kommen, brechen sie sofort das Eis, indem sie sich mit Vornamen bei uns vorstellen . Maart, ein Genussmensch, ist ein ziemlich übergewichtiger großer Kerl und Toos eine kleine Zierliche, die er rein körperlich am ausgestreckten Arm verhungern lassen könnte. Als Reiseproviant hat er einige Flaschen „Jonge Genever“ und auch einige Pakete Drum, schwarzen holländischen Tabak (er drehte seine Zigaretten selber) mitgebracht.  Sie waren noch nie auf einem Binnenschiff und sind von unsere Wohnung und dem Gästezimmer in dem sie jetzt untergebracht sind, begeistert. Nachdem das Schiff mit US Kohlen nach Stuttgart beladen ist, machen wir uns auf den Weg. Ich habe ja eigentlich durch die Gäste keine Mehrarbeit. Nur Katrin muss sich natürlich schon einen Kopf machen, was sie den Beiden vorsetzt. Aber……sie ist eine sehr gute Köchin und war ja schließlich auch einmal Haushälterin in einem Villenhaushalt und hat deshalb alles im Griff.
Eigentlich sind wir von ein paar Tagen ausgegangen, vielleicht bis nach Stuttgart? Natürlich wurden wir vier von unserem Reeder in Stuttgart eingeladen und der, obwohl auch Schwabe, hat sich nicht lumpen lassen und unsere Passagiere machen keine Anstalten uns zu verlassen. Als ich bei Maart mal so vorsichtig anklopfe, wie lange sie noch bleiben möchten, bekomme ich zur Antwort, dass es ihm am liebsten wäre, wenn sie wieder in Rotterdam aussteigen könnten.
Wir fahren wieder in den Oberrhein und laden Kies nach Utrecht. So nach gut zwei Wochen, Katrin hat natürlich jeden Tag etwas Anderes gekocht, und oft haben wir auch zweimal am Tag warm gegessen, meint sie, dass ihr nichts Neues mehr einfällt. Ich meine dazu, sie solle einfach mal fragen, was den Beiden besonders gut geschmeckt hat, sie könnte es dann ja noch einmal kochen. Maart, der schon Probleme hat, seine Hosen zu zubekommen, meint, dass er, solange es noch etwas Anderes gäbe,  dieses gerne auch noch probieren wolle. Ja unsere gute deutsche Küche…….wir waren später oft bei ihnen eingeladen…….die Holländer können nicht kochen. Utrecht ist nicht Rotterdam und deshalb sorgt er dafür, dass wir im Anschluss an unsere Kiestour wieder eine Ladung Kohlen von Rotterdam nach Stuttgart bekommen und lässt sich nach über drei Wochen, fast vor seiner Haustür, absetzen.  Er hat uns während dieser Reise mehrfach ans Herz gelegt, ein Schiff zu kaufen, denn er könne eine Menge für uns tun. Damit war ein weiteres Saatkorn gelegt. Und dann kam noch ein ganz besonderes Lob aus seinem Munde…….er hätte sich, bevor er uns kennengelernt hatte niemals vorstellen können, mit Deutschen eine Freundschaft zu pflegen, wir aber hätten seine Meinung total umgekrempelt. Und wirklich, immer wenn wir in der Nähe waren und es uns möglich war, ließ er uns abholen……wir gehörten zur Familie. Sieben Jahre später, er war mittlerweile unheilbar an Lungenkrebs erkrankt und hatte nur noch höchstens drei Monate zu leben, bat er uns, ihn und Toos noch einmal mitzunehmen. Diesen, seinen letzten Wunsch an uns erfüllten wir ihm gerne. Es war für uns erst einmal nicht ganz einfach mit dieser Situation umzugehen. Aber wir haben in den zwei Wochen, die sie mit uns an Bord verbrachten, durch ihn gelernt, dass der Tod zum Leben gehört. Ich erinnere mich voller Bewunderung an ihn, vor allen Dingen, wie er seiner kleinen Frau immer wieder Mut gemacht hat…..ein starker Typ.

Ich sehr bin fleißig und entwickele mich immer mehr zum Perfektionisten. Den Lotsen von Kaub nach Bingen spare ich jetzt auch ein,  denn außer frische Brötchen mitzubringen, macht er ja eigentlich nichts, was ich nicht auch könnte. Mittlerweile bin ich schon so oft um die Loreley gefahren und kenne mich so gut aus,  dass ich das problemlos alleine bewältige.  Ich sitze jetzt auf einem ziemlich hohen Ross und bilde mir ein zu den Top dreißig…….na, wenn ich ganz ehrlich sein soll, zu den Top zehn der Kapitäne auf dem Rhein zu gehören. Und ich ecke an. Ich lege mich mit einigen Disponenten unserer Niederlassungen an, wenn ich feststelle, dass sie ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht haben. Zum Beispiel das Schiff nicht oder zu spät an der Lade – oder Löschstelle angemeldet haben, so dass unnötige Liegezeiten entstehen. Und was mich auch ärgert, wenn irgendein Dussel von Schiffsführer mal etwas falsch gemacht hat, kriegen wir alle ein Rundschreiben wie wir uns zu verhalten hätten. Ich moniere das und fange an Rundschreiben an die Niederlassungen zu verfassen, wenn ich feststelle, dass dort etwas nicht rund läuft. Das trägt natürlich dazu bei, dass ich in einigen Büros nicht mehr so gerne gesehen werde. Als ich mich dann, bei einer Reparatur auf einer Werft mit einem unserer Niederlassungsleiter anlege, weil der mir ein Schiff erklären will, dabei aber davon überhaupt keine Ahnung hat, denke ich daran hinzuschmeißen………

Kapitel 5 
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

1976 - 1986
Die Saatkörner fangen an zu keimen…….ich glaube ich bin jetzt soweit, ich muss mich selbstständig machen. Ich habe einfach keine Lust mehr mich von Bürokraten gängeln zu lassen und will für mich selber arbeiten. Katrin und ich diskutieren mindestens zwei Wochen lang heiß über das für und wieder. Wenn ich meinen Job hinschmeiße, kann es mir bei einer anderen Firma genauso ergehen und sicher wäre……ein solches Schiff wie das jetzige, würde ich so schnell nicht wiederbekommen. Und wenn ich dann wieder einen alten Eimer fahren muss, dann sollte es schon der Eigene sein. Aber……meine Frau ist Schwäbin.
Wir haben gut  fünfzigtausend Mark auf der Bank und ein cirka fünfundzwanzig Jahre altes, neunhundert Tonnen -  Schiff, wie ich es mir vorstelle, kostet ungefähr zweihundertfünfzigtausend Mark. Das bedeutet für sie Geld weg und Schulden machen. Sie reagiert ähnlich wie meine Mutter damals als Vater in den Fischhandel investieren wollte. Nur mein Vater hat damals nachgegeben, da bin ich dann doch aus etwas anderem Holz geschnitzt. Nach zwei Wochen, in denen ich mich so intensiv mit allen Facetten einer  Betriebsgründung auseinandersetzen musste, um Katrins Einwände zu entkräften, gibt sie endlich nach.

In der Firmenleitung glaubt es mir keiner, aber ich kündige tatsächlich.  Wir haben in der ganzen Zeit noch keinen vernünftigen Urlaub gemacht. Das wollen wir erst einmal nachholen. Ich gehe mal davon aus, dass wir, wenn wir unser Schiff gefunden haben, sowieso erst mal keinen Urlaub machen werden, also fliegen wir für vier Wochen nach Ostafrika. Dort ist es 1976 noch nicht so voll, es gibt einige wenige gute Hotels an der Küste Kenias. All inklusive und saufen bis der Arzt kommt, ist noch unbekannt. Die meisten Fernreisenden sind damals noch etwas niveauvoller unterwegs. Wir fliegen für drei Wochen nach Mombasa. Nördlich der Stadt sind wir in einem Hotel im afrikanischen Stil mit Palmenwedeln gedeckten Dächern untergebracht. Wir machen lange Spaziergänge an dem damals noch menschenleeren Strand. Es gibt zwar im Hotel Tanzabende und Vorführungen von einheimischen Tänzen aber irgendwie wird es uns schnell langweilig. An der Hotelbar lernen wir einen Schweizer kennen, der mit einem Kollegen dabei ist ein Safariunternehmen, den African Safari Club (mittlerweile eins der größten in Ostafrika) zu gründen. Er erzählt uns von den Schönheiten des Inlandes und wir buchen bei ihm eine Flugsafari.  Von Mombasa aus fliegen wir mit einer Buschmaschine in den Tsavo Nationalpark und nach Tansania in die Serengeti. Dort  landen wir in der Savanne inmitten der Millionen von Gnus, Zebras und Antilopen, die sie alljährlich durchwandern. Fliegen an den Ngorongoro Krater, einem unvergleichlichen Tierreservat, an dessen Rand der Sohn des berühmten Tierschützers Bernhard Grzimek, Michael Grzimek, der in der Serengeti bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, beigesetzt ist. Wir beobachten Löwen bei der Jagd und finden uns mit unserem Jeep inmitten von Elefantenherden, Giraffen und Nashörnern wieder. Wir übernachteten in Lodges und Camps wo wir nachts die Geräusche der Wildnis hören. Und wer einmal einen Sonnenaufgang am Kilimandscharo erlebt hat, wenn es unten in der Savanne noch dunkel ist und die schneebedeckte Bergspitze, angestrahlt von der aufgehenden Sonne, rot leuchtet, wird es nie mehr vergessen.
Wieder im Hotel zurück, freundeten wir uns mit Francis an, einem Hilfskoch, der uns immer mit seinem strahlenden Lächeln am Buffet bediente. Eines Tages lädt er uns an seinem freien Tag ein, mit ihm seine Familie im Busch zu besuchen. Natürlich besorgen wir Gastgeschenke. Für seine Frau, die jeden Tag vier Kilometer zum Wasserholen gehen muss, einen zwanzig Liter Plastikeimer mit Deckel (wir hatten bisher immer gesehen,  dass die Frauen alte Ölkanister auf dem Kopf balancierten), und ein knallbuntes Kleid das man von beiden Seiten tragen konnte. Für die zwei Kinder einen Plastik LKW, ein Netz voller Bälle und natürlich einen Sack Bonbons. Als wir nach einer Fahrt in einem sehr abenteuerlich anmutendem Taxi (nur noch vom Rost zusammengehalten) in seinem Heimatdorf ankamen,  waren seine Frau und seine Kinder, vier und sechs Jahre alt, zunächst sehr scheu. Aber als wir unsere Geschenke auspackten, legte sich das sehr schnell. Er packte sein altes Kofferradio, dass sorgfältig in Tücher eingepackt war aus und es gab so etwas wie eine Party. Zum Trinken stellte Francis Flaschen mit irgendetwas Alkoholischem aus Palmen auf den Tisch. Auf dem Inhalt schwamm eine dicke Schimmelschicht und in dem Gebräu steckte ein Strohhalm an dessen Ende ein aus Bast zusammengedrehter Filter befestigt war. Katrin lehnte sofort ab und da Frauen davon eigentlich sowieso nichts abbekamen, war das für unseren Gastgeber auch kein Problem. Aber ich…….Augen zu und durch.  Seine Frau hatte für uns einen Korb aus bunten Plastikschnüren geflochten. Er überreichte ihn an Katrin, mit einer Freude, die man sich gar nicht vorstellen kann und meinte dazu: „Wenn du damit bei dir zu Hause auf den Markt gehst, werden dich deine Freundinnen fragen, woher du denn diesen schönen Korb hast. Und du wirst ihnen antworten: von meinen Freunden aus Kenia“……..Eigentlich müssten wir uns schämen, der Korb ist nie auf dem Markt gewesen…..

Die uns noch verbleibenden Tage baden wir im Indischen Ocean und tanzen nach afrikanischer Musik. Es war dann doch ein Traumurlaub und wird für die nächsten vier Jahre auch unser Letzter gewesen sein. Die Realität hat uns wieder………wir machen uns auf die Suche nach einem Schiff. Zunächst lassen wir uns die Exposes  eines uns empfohlenen Schiffsmaklers zuschicken. Und es ist auch das Eine oder Andere interessante Objekt dabei. Wir vereinbaren einige Besichtigungstermine und da die Schiffe ja in der Regel unterwegs sind, muss Katrin uns einige tausend Kilometer durchs Land fahren, damit wir sie uns ansehen können…… ich habe ja immer noch keinen Führerschein. Ok…….ein Schiff, das zwanzig Jahre oder älter ist, kann man natürlich nicht mit dem vergleichen, was wir gewohnt waren. Aber wir hatten ja, bei unseren Partikulierfreunden Rolf und Inge gesehen, wie schön man sich auch ein älteres Schiff zurechtmachen kann. Wichtig ist, dass die Maschine in Ordnung ist, sie ist ja das Herz eines jeden Schiffes. Alles Andere kann man ja nach und nach machen lassen. Wir finden auch eins, das unseren Vorstellungen nahe kommt und müssen uns jetzt erst einmal um die Finanzierung kümmern. Der Schiffsmakler hat gute Beziehungen zur Bank für Schifffahrt in Hannover und so vereinbaren wir einen Termin und fahren mit unserem Expose und unserem Kontoauszug nach Hannover. Aber der Bankdirektor dort lässt unsere Hoffnungen sehr schnell wie Seifenblasen zerplatzen.  Die meisten Kunden dieser Bank waren Reedereien oder alteingesessene Familienbetriebe. Uns…..Quereinsteiger, kannte ja kein Mensch und so war er der Meinung, wenn sie uns ein Schiff finanzieren würden, dann bekämen wir höchstens fünfundsechzig Prozent der Kaufsumme. Das bedeutete, bei einem Kaufpreis von zweihundertfünfzigtausend Mark würden uns rund vierzigtausend Mark fehlen. Um meinen Traum aber nicht aufgeben zu müssen, mussten wir jetzt kleinere Brötchen backen. Unser Limit lag jetzt bei einhundertfünfzigtausend Mark.

Der Makler hatte auch in dieser Preisklasse einige Angebote, allerdings waren diese Schiffe wesentlich älter. In einem der Angebote stand, dass eine Finanzierung mit übernommen werden könne. Das klang doch schon mal recht hoffnungsvoll. Das Schiff liegt in Dorfprozelten am Main. Der Schiffseigner lebt dort und möchte das Schiff aus gesundheitlichen Gründen verkaufen. Wir fahren hin, und sehen uns das Schiff an. Baujahr 1908…….fast siebzig Jahre alt. Ein umgebauter Schleppkahn, der Rumpf noch genietet, fünf Laderäume mit Holzluken, Handruder und außer einem Funkgerät, keinerlei Navigationselektronik. Aber……die Maschine war noch recht neu, die Wohnung war ganz in Ordnung und wir konnten mit dem Schiff erst einmal so losfahren. Den Kaufpreis konnte ich auf einhundertvierzigtausend runterhandeln und mit diesem Ergebnis wurden wir bei der Bank in Dorfprozelten, deren Hypothek wir eventuell mit übernehmen könnten,  vorstellig.  In Dorfprozelten waren viele Schiffseigner ansässig, die auch die Hauptkunden der Bank waren. Der Banker kannte also die Partikulierschifffahrt und ihre Ertragssituation. Ich weiß nicht woran es gelegen hatte, war es dass ich so ein nettes Mädel dabei hatte oder ich mit meiner großen Klappe punkten konnte oder war es beides? Es gab hier jedenfalls überhaupt keine Probleme. Er schneiderte uns eine Finanzierung  inklusive einer Eigenkapitalhilfe und eines Existensgründungsdarlehens zurecht, so dass wir unser Eigenkapital eigentlich gar nicht gebraucht hätten. Wie war das noch? Wo ein Wille ist…….

Nachdem wir so alles soweit unter Dach und Fach hatten der Kaufvertrag notariell beglaubigt und die Schiffshypothek eingetragen war………war ich Schiffseigner. Wir haben bei dem Notartermin in dem Schiffsbrief auch gleich den neuen Namen und unseren Heimathafen eintragen lassen………“Katrin M.“ aus „Neckarweihingen“. Das Fläschen Sekt soll Katrin bevor es losgeht an den Bug werfen. Im Anschluss fahren wir nach Duisburg, dort hatte eine Partikuliergenossenschaft ihren Hauptsitz. Ich hatte mit dem Geschäftsführer schon im Vorfeld mal telefoniert. Er hatte mir dabei schon mitgeteilt, dass sie noch Mitglieder aufnehmen würden. Ich wollten mir aber jetzt noch genauere Informationen holen und die Leute kennenlernen, mit denen zukünftig zusammenarbeiten wollte. Eine Partikuliergenossenschaft ist ein Zusammenschluss mehrerer Schiffseigner, in diesem Fall mehr als dreihundert, die eigene Büros unterhalten und Disponenten und eine Buchhaltung  beschäftigen, die Ladung akquirieren und abrechnen sollen. Der Schiffseigner hat also mit dem Auftraggeber nichts zu tun. Er erhält nach Beendigung seiner Reise eine Abrechnung und bekommt das Geld auf sein Konto überwiesen. Dafür zahlt er eine Provision und braucht sich um diese Dinge nicht weiter zu kümmern.  Ich muss Anteile an der Genossenschaft kaufen, die auch verzinst werden und die ich, sollte ich wieder ausscheiden wollen, auch wieder zurückgeben kann. Die Genossenschaften sind ähnlich strukturiert wie Kapitalgesellschaften. Der Anteilseigner hat also Stimmrecht, kann sich in den Beirat wählen lassen und so oder so die Ausrichtung der Genossenschaft mit gestalten.
Jetzt haben wir alle Hürden genommen……..wir haben ein Schiff und bekommen dafür auch Ladung. Jetzt zum Arbeitsamt in Ruhrort und einen Bootsmann einstellen, dann kann los gehen. Als wir wieder zu Hause sind und unseren neuen Schifffahrtsbetrieb beim Gewerbeamt anmelden, ruft mich das Arbeitsamt an………sie haben einen Bootsmann für mich. Wir verabreden uns am Liegeplatz des Schiffes. Drei Tage später haben wir den neuen Namen und den Heimathafen rangepinselt. Und…….nachdem Katrin mit dem schwäbischen Spruch    „ Gott gebe dass es hebe“ (Gott gib, dass es heil bleibt) die Sektflasche an den Bug geknallt hat, starten  wir zu unserer erste  Reise.

Wir fahren nach Frankfurt Höchst und laden sechshundert Tonnen Kunstdünger für achttausendvierhundert Mark nach Hannover. Ich hatte kalkuliert, dass ich, um kostendeckend zu fahren, am Tag Minimum sechshundert Mark brauche. Wegen des niedrigen Kaufpreises war natürlich auch mein monatlicher Kapitaldienst nicht so hoch. Diese Reise aber brachte mir am Tag schon gut tausend Mark. Ich vergaß dabei allerdings die Anfahrt und eine eventuelle Abfahrt in meine Kalkulation mit aufzunehmen. Aber……es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen. Und ich hatte auch noch Glück, ich konnte direkt in Hannover eine Ladung von fünfhundert Tonnen Schrott für sechstausend Mark nach Duisburg bekommen.  Das war doch mal ein Anfang……..Aber ich, der von einem supermodernem Schiff kam, in einem Einmannfahrstand mit aller Technik, die es zu der Zeit gab, gesessen hatte, wurde jetzt ins Mittelalter zurückgeworfen. Ich hatte, auch wegen der Kochkünste meiner Frau an Gewicht zugelegt dabei aber Muskeln abgebaut. Wir waren ja jetzt nur noch zu zweit um die anstehenden Arbeiten zu bewältigen. Hatte ich vor gar nicht langer Zeit gemeint, es sei unmöglich ein Schiff mit Handruder durch den MLK zu steuern……..jetzt musste ich mir das Gegenteil beweisen.
Die Laderäume auf – und wieder zudecken bedeutete, achtzig Holzdeckel mit einem Gewicht von ca. fünfzig Kilo per Stück, also vier Tonnen zu zweit hin und wieder her zu tragen. Ich verliere Gewicht ohne Ende obwohl Karin schon doppelte Portionen kocht.                                                            Obwohl ich eigentlich vom Steuern im Kanal schon lange Arme habe, wird der Kanal unser Hauptfahrtgebiet. Zum Einen, das Schiff hatte nur einen Maximaltiefgang von zwei Metern. Ich kann es im Kanalgebiet also optimal auslasten. Zum Anderen, um die zulässige Höchstgeschwindigkeit von acht Kilometern in der Stunde zu erreichen, läuft die Hauptmaschine nur mit halber Kraft. Das sparte Diesel und natürlich verringert sich auch der Verschleiß.
Am einträglichsten waren die Reisen von und nach Westberlin. Wegen der Probleme auf der Transitstrecke durch die DDR, und um die Versorgung nach der Blockade durch die Sowjets sicherzustellen, hatte man die Frachtraten kräftig erhöht. Und die Berliner Wirtschaft hatte einen großen Bedarf an Kohlen, Stahl, Baustoffe, Getreide, Lebensmittel wie Mehl und Zucker, die nach der Erfahrung mit der Blockade in großen Mengen eingelagert wurden.  Nachdem ich in Duisburg den Schrott gelöscht hatte, luden wir sechshundert Tonnen Getreide für zweiundzwanzig Mark die Tonne von Duisburg nach Berlin.  Wenn es dann noch möglich ist, eine Rückladung zu ergattern, klingelt das so richtig in der Kasse. Jetzt kommt mir natürlich zugute, dass ich das Patent für den Osten gemacht habe. Das spart Kosten und Zeit. Meine Genossenschaft unterhält auch ein Büro in Berlin. Für eine eventuelle Rückladung gibt es eine Reihenfolge, die sich danach richtet, wann das Schiff leer geworden ist.
Als ich leer bin, habe ich noch vier Vordermänner, bin aber der Einzige, der überall hinfährt. Die meisten Berlinfahrer bei uns sind reine Kirchturmschiffer, das heißt, sie fahren nur im Kanal, weil sie kein Rheinpatent haben oder die Motorenleistung ihrer Schiffe für den Rhein zu schwach ist. Ich riskiere es liegen zu bleiben und hoffe auf eine Rückladung.

Katrins Oma lebt in Ostberlin und sie hat sie schon sehr lange nicht mehr gesehen. Da wir ja Zeit haben, beschließen wir mal rüber zu fahren um sie zu besuchen. Der Grenzübertritt an der Friedrichstraße ging im Gegensatz zu meinem letzten, verhältnismäßig flott vonstatten und .,…….ich sehe wieder meinem Passbild ähnlich. Seit der Geschichte mit meiner Patentprüfung, habe ich mit dem gleichen Pass noch mehrere Grenzkontrollen ohne Beanstandungen hinter mich gebracht. Wir gehen gleich hinter der Grenze in einen Intershop. Hier gibt es fast alles für Devisen zu kaufen, was ansonsten im Osten Mangelware ist und auch sehr viele Westartikel sogar Stereoanlagen und Fernseher Auch die DDR – Bürger können hier einkaufen, wenn sie denn Westgeld haben……wohl dem, der Westverwandte hat.
Wir kaufen für die Oma Kaffee, und Pralinen.  Die letzte Wohnung der Oma, die Katrin kennt, liegt in Pankow. Wir lassen uns mit einer Taxe dorthin bringen und sind erschüttert über den Zustand des Stadtteiles. Alle Häuser, Straßen und Gehwege in einem baulich schlechten Zustand und ohne Farbe ist alles grau in grau. Der Anblick macht irgendwie depressiv. An der Adresse finden wir die Oma nicht aber eine Nachbarin erzählt uns, sie sei jetzt in einem Altenheim  und gibt uns die Adresse. In dieser Gegend, finden wir keine Taxe und müssen zu Fuß laufen. Das Altenheim liegt in der Nähe der Mauer……wir können sie sehen. Das Haus befindet sich in dem gleichen baulichen Zustand, wie alle Häuser in diesem Stadtteil. Als wir eintreten überfällt uns ein scharfer Geruch nach Desinfektionsmittel. Eine Mitarbeiterin führt uns in einen Schlafsaal. Dort leben zehn Frauen, jede hat ein Bett und einen zweitürigen Schrank, die in Reih und Glied stehen. Die Oma sitzt auf ihrem Bett und…….macht nichts. Als wir die kleine, dünne Frau sehen, fängt Katrin an zu weinen. Die Oma erkennt sie nicht und hat kaum noch Erinnerungen an ihre Familie. Mir einem Mal steht sie auf, geht an ihren Schrank, der fast leer ist und holt ihr verblichenes Hochzeitskleid raus und zeigt es uns voller Stolz. Das ist offensichtlich das Einzige, was ihr nach einem langen Leben noch geblieben ist und in ihr irgendwelche Erinnerungen weckt. Den Kaffee bekommt die Heimleitung, denn die Oma hat keine Möglichkeit irgendetwas selbstständig zu machen. Als wir uns verabschieden, und uns vor dem Haus noch einmal umdrehen, fällt unser Blick auf ein Spruchband, dass die Errungenschaften des Sozialismus preist. Es klingt wie Hohn, denn wir haben gesehen, wie der Arbeiter-und Bauernstaat mit den Werktätigen, die nichts mehr leisten können, umgeht.

Wir haben richtigen Dusel……..wir können in Rudow an den Eternitwerken fünfhundertfünfzig Tonnen Eternitplatten nach Bamberg laden. Das ist mit zweiundvierzig Mark per Tonne die lukrativste Ladung,  die man in Berlin ergattern kann. Das ist fast wie ein Lottogewinn. Darauf müssen wir erst einmal anstoßen. Nach Rudow zu kommen, ist zwar nicht ganz leicht, denn wir müssen noch mal durch den Osten und dann zwei Kilometer rückwärts in den Stichkanal, weil wir an der Verladestelle nicht drehen können. Aber was tut man nicht alles für soviel Kohle. Die Eternitplatten sind Asbesthaltig und müssen einige Jahre später als Sondermüll entsorgt werden. Aber das wissen wir jetzt noch nicht und aus heutiger Sicht müssen wir sagen…….Glück gehabt.

Wieder zurück im goldenen Westen, machen wir eines Abends an der Übernachtungsstelle bei MLK Kilometer dreiundsiebzig Feierabend. Diese Anleger liegt etwa dreißig Kilometer westlich von Minden und eigentlich am A….der Welt, ist aber bei der Schifffahrt sehr beliebt. Ein findiger Gastronom hat hier direkt am Anleger eine Gaststätte  mit einem Lebensmittelladen gebaut. Man kann sich also verproviantieren, ohne weit laufen zu müssen und danach trifft man sich in der Kneipe. Hier wird nach der Musikbox getanzt und meistens wird es spät. An diesem Abend, ist ein Bekannter da, der einen neuen Schiffsjungen an Bord hat.  In der Seefahrt hat man einen Schiffsjungen derart veräppelt, indem man ihn von der Brücke in den Maschinenraum geschickt hat, um den Kompassschlüssel zu holen. Einen Kompassschlüssel gibt es aber gar nicht, deshalb hat der Wachhabende in der Maschine, ihm dann einen Zylinderkopfschlüssel, dass ist der größten Schraubenschlüssel, den es im Maschinenraum gab, mitgegeben. So ein Schlüssel kann schon mal mehr als fünfzig Kilos wiegen. Wenn der Moses dann völlig knülle auf der Brücke ankamen, wurde er mit der Begründung dass es der falsche sei, wieder nach unten geschickt. Diese Prozedur ließ sich
einige Male wiederholen……..es gab ja mehrere große Schraubenschlüssel im Maschinenraum.

Mein Bekannter aber beauftragt seinen Schiffsjungen  Ilvetritschen zu fangen. Das wären etwa kaninchengroße, nachtaktive, wohlschmeckende Tiere, ähnlich der bayrischen Wolperdinger, die man oft auf Kuhweiden antrifft. Die Fangmethode……..man legt einen Sack aus und klemmt ein Kreuz aus Stöcken, an das man eine zirka dreißig Meter lange Leine befestigt hat, so in die Öffnung, dass er offen bleibt. Dann stellt man ein Ankerlicht neben die Öffnung, nimmt die Leine und legt sich auf die Lauer. Wenn nun ein Ilvetritsch, vom Licht angezogen kommt und in den Sack geht, zieht man einfach mit der Leine das Kreuz heraus uns schon hat man ihn. Nachdem der Junge zwei Stunden im Dunkeln und bei leichtem Regen auf der Kuhweide gelegen hatte, kam er durchnässt in die Kneipe um uns zu berichten dass er keinen Erfolg gehabt hatte. Außerdem waren ihm die Kühe unheimlich gewesen. Als mein Bekannter ihm daraufhin erzählte, dass man Fische gut fangen kann, indem man auf die Sitzbank eines Bootes einen Wecker und eine Laterne stellt und die Fische, weil sie wissen wollen wie spät das ist, ins Boot springen…….ging ihm ein Licht auf.

Deutschland ist ein schönes Land und das Maintal zwischen dem malerischen Miltenberg und der Taubermündung, inmitten des Spessarts gehört mit zu den schönsten Landschaften unserer Heimat. Wir passieren historische Bauten, wie das Schloss Johannisburg in Aschaffenburg, die alte Mainbrücke und die Festung Marienburg in Würzburg. Weiter geht es  oberhalb Würzburg bis Volkach durch die Mainschleife. Hier liegt das berühmte fränkische Weinanbaugebiet, aus dem der beliebte Boxbeutel, ein leckerer Weißwein in bauchigen Flaschen, stammt.
Nach zwei Wochen, in denen wir etwa eintausendzweihundert Kilometer zurückgelegt und achtundvierzig Schleusen passiert haben, erreichen wir Bamberg. Wir sind jetzt gut zwei Monate selbstständig und es  hat sich bisher gelohnt. Die Lage am Frachtenmarkt bleibt gut und ich bin ja nun als Schiffeigner nicht weniger fleißig als vorher. Ok Nachtfahrten machte ich, weil mir das Radar fehlt, nur noch bei guter Sicht und für die Kanäle habe ich mir zwei starke Scheinwerfer gekauft, mit denen ich die Ufer ausleuchten kann……..so geht es auch, zwar nicht so gut, aber es geht. Wenn es geschäftlich so weiter geht, möchte ich das Schiff im nächsten Jahr modernisieren. Ich bin mir zwar im Klaren, dass Investitionen den Wert Schiffes aufgrund des Alters nicht in gleichem Maße steigern würde.  Aber um es optimal einsetzen zu können, muss ich das Fünfraumschiff in ein Zwei – Raum – Schiff umbauen lassen. Dazu benötigten wir dringend ein leichteres Lukendach, eine elektrische Ruderhilfe und last but not least ein Radar. Alles zusammen summa summarum etwa einhundertzehntausend Mark.

Ende Dezember 1976 haben wir eine Rückladung Brammen (Stahlblöcke) von den Borsigwerken in Berlin Tegel nach Charleroi an der Sambre in Belgien bekommen. Wir fahren über die Weihnachtsfeiertage, soweit es uns die Feiertagsruhe an den Schleusen erlaubt und feiern den Jahreswechsel in Wesel am Niederrhein. Am zweiten Januar fahren wir los, ich erledige die deutsche Grenzabfertigung in Emmerich und die niederländische in Lobith.  Der Wasserstand des Rheins ist mit sieben Metern über Normal außergewöhnlich hoch. Das Wetter ist sehr schlecht und es gibt bei einem kräftigen nordwestliche Wind immer wieder Schneeschauer.  Die Sambre ist über die Maas, die in Nijmegen in den Rhein mündet, zu erreichen. Von Lobith bis nach Nijmegen, benötigt man eine knappe Stunde und so entschließe ich mich trotzt des schlechten Wetters dieses Stück zu wagen. Ich habe gerade zu Tal gedreht, da bricht der nächste Schneeschauer, verbunden mit orkanartigen Böen, über uns herein. Bei sehr schlechter Sicht durchfahre ich die Eisenbahnbrücke von Nijmegen
und möchte unterhalb der Brücke, kurz über die Ecke in die Maas drehen, um schnell aus der Gefahrenzone zu kommen. Jetzt kommt mir aber direkt an der Maasmündung ein Schubverband entgegen. Ich versuche ihn über Funk zu veranlassen mir die Einfahrt zu ermöglichen, er reagiert aber nicht. Ich muss ihn passieren lassen und fahre an der Maas vorbei. Danach schwenkt der Rhein nach Nord und wird sehr breit. Der Wind bläst gegen die Strömung und es bauen sich hohe Wellen auf, die übers Vorschiff schlagen. Ich muss ja drehen um zurück in die Maas zu kommen. Fahre ich bei dem Wellengang weiter, schlägt mir das Schiff voll, drehe ich um, kann mir, da das Lukensüll nur siebzig Zentimeter hoch ist, das gleiche passieren. Ich riskiere es und drehe nach Backbord zwischen zwei Buhnen und nehme mir vor, dass ich, wenn es nicht klappen sollte, das Schiff mit dem Kopf an Land setze, damit es nicht ganz absäuft. Nach einigen bangen Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, habe ich das Schiff sicher gedreht. Wir haben zwar eine Menge Wasser genommen aber…….es schwimmt noch. Katrin und mein Bootsmann, beide mit umgelegter Schwimmweste, sind kreidebleich. Wie es mir geht, kann ich ja nicht zeigen. Nachdem wir in die Maas eingefahren und endlich wieder in ruhigem Wasser sind, brauche ich erst einmal einen doppelten Cognac. Diese Geschichte bestärkt mich in dem Entschluss, die geplante Modernisierung jetzt so schnell wie möglich anzugehen.

Nach nur einem halben Jahr hatten wir ja schon fast die Hälfte zusammen. Wir fuhren noch einmal zu unserer Bank nach Dorfprozelten und unser Banker bewilligte uns ein Darlehen von siebzigtausend Mark. Ich ließ mir von verschieden Werften Angebote machen und das Günstigste lag knapp unter hunderttausend Mark.  Dieses Angebot hatten wir von einer Werft in Oldersum erhalten. Also fuhren wir Anfang März ins tiefste Ostfriesland. In dem Bauvertrag hatte ich mit der Werft eine Bauzeit von dreißig Werktagen vereinbart und achthundert Mark pro Tag, wenn sie den Termin nicht einhalten würden. Aber es gab keinen Grund zur Klage. Die Arbeiten gingen flott voran. Das ganze Mittelschiff wurde entkernt und in der Mitte in einem Abstand von gut zwei Metern zwei neue Schotten eingebaut. Darauf kam unser Autodeck, denn wir wollten gerne unseren PKW mitnehmen, der in den letzten Monaten zuhause rumgestanden hat. Von dem Raum darunter, in der Fachsprache „Herft“ genannt, richteten wir in Eigenarbeit eine Hälfte als Lagerraum her. Die andere Hälfte wurde Motorenraum. Da ich ja noch etwas Geld überbehalten hatte, ließ ich dort ein 220 Volt Aggregat installieren. Jetzt musste Katrin nicht mehr mit der Hand waschen, sondern bekam eine Waschmaschine.  In den neuen Laderäumen bauen wir längst den Bordwänden Trimmbleche ein. Dadurch werden die Spanten geschont und man kann in den Räumen zum Trimmen Bobcats (kleine Radlader) einsetzen, die das Löschen von Schüttgütern erheblich verkürzen. Das Lukensüll wurde auf einszwanzig erhöht und mit Windsicherungen für die neuen Aluminiumluken versehen. Achtern neben dem Ruderhaus wurde ein absenkbarer Mast angebaut, auf dem die Radarantenne befestigt wurde. Auf die Ruderanlage installieren wir einen starken EAntrieb, den man auch auskuppeln kann um im Notfall das Schiff wieder mit der Hand steuern zu können.

Ich bekomme einen Anruf von meiner Mutter. Sie berichtet, dass Michelle mit einer Freundin für ein paar Tage über Ostern zu Besuch sei. Ich hatte die Kleine schon ungefähr sechs Jahre nicht mehr gesehen und da nicht nur Frauen neugierig sind, entschließen wir uns spontan nach Cuxhaven zu fahren. Als wir dort ankommen, stehen zwei Mädels in der Tür. Eine süße Kleine und eine ziemlich propere Größere. Mir war klar, die süße Kleine muss Michelle sein, sie war doch zu meiner Zeit ein zierliches Mädchen. Ich will sie sofort in meine Arme schließen. Gott sei Dank ist Mutter da und gibt mir einen Fingerzeig……..meine Tochter ist die Propere. Als sie später neben mir sitzt und sich irgendwie glücklich an mich kuschelt, muss ich mich erst einmal an soviel Mensch gewöhnen, sie ist nämlich erheblich kräftiger als Katrin. Aber bereits nach einer kurzen Eingewöhnungsphase, ist etwas in mir wiedererwacht. Wir verabreden jetzt, dass wir uns schreiben oder mal miteinander telefonieren und in den Ferien kommt sie uns dann mal an Bord besuchen.

Mitte April verlassen wir die Werft. Unsere neuen Aluminiumluken glänzen in der Sonne, die Laderäumen sind frisch gestrichenen, und an Deck steht unser Auto. Wir haben uns noch eine Traverse bauen lassen, damit wir es mit einem Kran rauf und runter heben lassen können. Die „Katrin M.“ ist zwar immer noch kein Neubau aber technisch das, was wir uns für´s Erste vorgenommen haben…….. Nach dem Umbau habe ich jetzt zwei Laderäume von dreiundzwanzig Metern Länge, die sich hervorragend für Projektladungen eignen. Da meine Laderäume dreißig Zentimeter breiter sind, wie die der neueren Schiffe meiner Größe, und diese Ladungen besonders gut bezahlt werden macht sich der Umbau sehr schnell bezahlt. Ich kann jetzt Kessel, Konstruktionen oder Maschinenteile bis zu einer Breite von sechs Meter achtzig und einer Länge von fast dreiundzwanzig Meter laden. Die neuen, großen Schiffe, können diese Ladungen zwar auch übernehmen, aber sie sind damit meistens nicht ausgelastet und während sie Minimum zweitausend Mark am Tag brauchen, springe ich ja schon bei eintausend bis eintausendzweihundert Mark vor Freude an die Decke.

Katrins Tochter Erika, ein paar Monate älter als Michelle, lebt weiterhin bei Ihren Großeltern. Die habe ich noch vor unserer Hochzeit kennengelernt. Sie kommen aus Schlesien und sind beide herzensgut und….. sie lieben ihre Enkelin. Obwohl ich ja ein total Fremder für sie bin, haben sie mich fast wie einen Sohn aufgenommen und ich fühle mich auch sehr wohl bei Ihnen. Katrins Ex jedoch, der ja offensichtlich ziemlich schwierig ist, bin ich nie begegnet.  Nur die Kleine hat mir irgendwann, als ich sie einmal zurechtweisen wollte gesagt, dass ich ihr ja gar nichts zu sagen hätte, denn ich wäre ja nicht ihr Papa. Woher sie das wohl hatte……? Aber die Großeltern hatten panische Angst, wir würden ihnen das Kind wegnehmen. Nur was wäre die Alternative gewesen? Katrin und ich wollten auf jeden Fall weiterhin zusammen leben und fahren und so hätten wir Erika in ein Internat geben müssen. Da erschien uns die Variante Großeltern doch die Bessere zu sein. Wir einigten uns auf einen Unterhalt (mittlerweile neben meinen Eltern jetzt auch noch für zwei Kinder) und damit waren alle zufrieden. Wenn es ging, haben wir die Kleine auch hin und wieder mal  für ein paar Tage mit an Bord genommen und für die nächsten großen Ferien planen wir unsere beiden Teens mal  gemeinsam mit an Bord zu nehmen.

Mit meinem Bootsmann, einem Urbayer, deshalb nennen wir ihn nur Batzi, bin ich eigentlich ganz zufrieden. Er ist ein kräftiger Bursche nur laut und ungehobelt und wenn er drei Mal an Land geht, hat er sich bestimmt zwei Mal geprügelt. Aber vor mir hat er Respekt, nicht zuletzt, weil ich unseren Hilfsdiesel, der einen Kompressor und die Deckwaschpumpe antreibt, ankurbeln kann und er nicht. Wenn ich ihm immer wieder mal den Auftrag dazu gebe, schmeißt er,  wenn er es zwei drei Mal vergeblich versucht hat, die Kurbel durch den Maschinenraum und ich höre ihn laut fluchen „hurakruzifixsakramentlujasagi“. Dann gehe ich zu ihm zeige auf meinen Bizeps und sage ihm „ Batzi nicht hier“ lege dann den Finger an die Stirn und sage „sondern hier“ nehme  die Kurbel und der Motor springt sofort an. Das hat mit Kraft nicht soviel zu tun, man muss nur im richtigen Augenblick den Dekrompressionshebel loslassen. Das kriegt er irgendwie einfach nicht hin und das ärgert ihn „greislich“
Nach unserem Umbau, können wir jetzt auch Kohlen nach Berlin fahren. Die Kraftwerke, mittlerweile verwöhnt von den Abschreibungsschiffen,  wollen nur noch Schiffe mit maximal zwei Laderäumen und Trimmblechen, weil sie schneller zu entladen sind.  Nachdem wir unsere Kohlen in Berlin gelöscht haben, soll  Batzi die Laderäume saubermachen. Beim Einsteigen rutscht ihm die Leiter weg, er fällt in den Laderaum und bricht sich das Bein. Wie sich später herausstellt, ist es ein komplizierter Bruch und er fällt für mindestens zwei Monate aus.
Was machen wir jetzt? Nachdem sie ihn eingegipst haben, fährt er nach Hause aber ich muss ihn ja sechs Wochen weiterbezahlen. Jetzt einen zweiten Mann einstellen, dass wird teuer. Katrin meint, wir könnten es doch mal probieren alleine zu fahren, das würden doch viele andere Partikuliere auch machen. Seit sie bei mir auf dem Schiff ist, führe ich für sie ein Schifferdienstbuch, damit hätte sie ausreichend Fahrzeit um als Bootsmann durchzugehen..  Aber ich lehne das strickt ab. Mein Erdnuckel, einsvierundfünfzig groß und fünfzig Kilo leicht und dann Decksarbeit…….das geht gar nicht und außerdem möchte ich nicht nachts von rauen Fingern gestreichelt werde…..nein, punktum.   Aber mein Schätzle gibt nicht auf, sie bohrt und bohrt und bohrt. Da mir ja auch nichts Besseres einfällt, gebe ich mich irgendwann geschlagen. Wir waren jetzt bereits fast zwei Wochen leer und haben wieder Glück. Es gibt noch einmal Eternitplatten nach Bamberg. Meine Kleine steht jetzt mit Arbeitshandschuhen, die ihr viel zu groß sind, vorne um Taue fest zu machen, die für sie viel zu dick sind. Wenn ich sie dabei beobachte, wird mir richtig schlecht…….und es tut mir in der Seele weh. Wir kriegen das aber hin. Ok ich muss jetzt erheblich mehr tun, weil ich ihr die Arbeit weitestgehend abnehmen möchte……aber es geht. Beim Schleusen renne ich zwischen vorne und achtern hin und her um die Leinen umzuhängen. Das hält schlank, denn mit meinem jetzt elektrischen Ruder hätte ich eh nur wieder Fett angesetzt. Gott sei Dank, dass wir den Umbau gemacht haben. Mit der neuen Ruderanlage kann ich Katrin jetzt das Steuern beibringen. Ich muss ja schließlich auch mal wohin und wenn sie das Ruder übernimmt wenn ich esse, kleckere ich auch nicht soviel. Sie stellt sich beim Steuern sehr geschickt an und bald kann ich sie im Kanal auch schon mal alleine im Ruderhaus lassen und ein wenig Decksarbeit verrichten. Auf dem Rhein wird es dann schon schwieriger. Ich lasse sie dort zwar auch mal fahren aber da muss ich dabei bleiben. Bis sie sich da auskennt, das wird dauern aber das muss sie ja nicht unbedingt lernen, denn ich rechne damit, das Batzi irgendwann wiederkommt.
Als wir in Bamberg ankommen und die achtundvierzig Schleusen ohne Zwischenfälle hinter uns gebracht haben, hat Katrin ihre Feuertaufe bestanden.  Ich kann und muss jetzt einiges alleine machen. Die Laderäume sauber machen, Deck waschen und die Wartung des Motors um nur einiges zu nennen. Als ich beim Liegen vor der Schleuse mal am Pinseln bin, komm sie dazu und macht einfach mit. Das ist ja keine schwere Arbeit, und sie macht es gut, also lasse ich das zu. Nach Bamberg fahren wir nach Karlstadt und laden Zement in Säcken nach Thionville an der oberen Mosel. Den Main zu Tal, dass sind wieder vierunddreißig Schleusen und dann die Mosel zu Berg noch einmal achtundzwanzig. Wir probieren mal ob Katrin das Schiff in die Schleuse fahren kann. Ich gehe nach vorne, gebe ihr über die Wechselsprechanlage Anweisungen und übernehme das Festmachen. Das klappt wunderbar und so kann sie im Ruderhaus sitzen bleiben um, wenn es nötig sein sollte, auf meine Anweisung hin die Maschine zu bedienen. Wir arbeiten wirklich gut zusammen.  Etwas schwierig ist das auf- und zudecken der Luken. Die Aluminiumdeckel müssen wir zu zweit auf die Wagen legen. Sie wiegen zwar nur zwanzig Kilo aber für ein Mädchen, sind auch zehn Kilo viel. Aber nach einiger Zeit bekommt sie auch das hin und meint, dass diese Arbeit gut für die Brustmuskulatur wäre und andere dafür ins Fitnessstudio gehen würden.
Batzi kommt nicht mehr wieder, er hat jetzt eine Freundin und will in Bayern bleiben. Karin freut das, denn sich möchte es weiterhin mit mir alleine machen und mich ärgert das, kann ich doch nicht mehr Käpt´n spielen. Den spielt sie jetzt manchmal. Wir fahren unsere sechzehn Stunden eigentlich immer aus aber wenn ich mal um acht Feierabend machen möchte, weil es etwas Gutes im Fernsehen gibt, versucht sie mich davon abzubringen. Sie ist eben Schwäbin; schaffe, schaffe….

Im Winter frieren die Kanäle meistens zu und wenn man einfriert, kann es schon mal vier bis sechs Wochen dauern, bis man wieder in Gang kommt. Um uns aber dieser Gefahr gar nicht erst auszusetzen, nehme ich eigentlich ab Mitte Dezember keine Reisen ins Kanalgebiet mehr an.  Mitte  Dezember 1978 ist es zwölf bis vierzehn Grad  warm und es hatte auch vorher noch keinen Frost gegeben. Unser Mannheimer Büro bietet mir siebenhundert Tonnen Dünger von der BASF in Ludwigshafen für vierundzwanzig Mark die Tonne nach Hannover an. Bei den herrschenden Temperaturen kann ich einfach nicht nein sagen. Wir laden am achtzehnten Dezember und sind am einundzwanzigsten Abends in Münster. Wenn alles klappt, können wir gleich nach Weihnachten in Hannover löschen und dann, je nach Wetterlage mal gucken ob wir eine Rückladung bekommen können, oder wenn es kalt werden sollte, schnurstracks leer nach Westen fahren. Das Wetter bleibt aber erst einmal weiterhin mild und ich komme auf die glorreiche Idee, wir könnten ja hier in Münster unser Auto an Land setzen und Weihnachten bei meinen Eltern in Cuxhaven feiern. Wir löschen dann eben gleich im neuen Jahr und bis dahin dürfte eigentlich nichts passieren.

Gesagt……getan, wir binden unseren Dampfer gut an und fahren los. Nach Weihnachten setzen wir unsere Fahrt fort und in Hannover sollen wir dann auch gleich am zweiten Januar gelöscht werden.  Am dreißigsten sehen wir im Fernsehen die Bilder, wie Schleswig Holstein im Schnee versinkt, machen uns da aber noch keine Gedanken. Wir gingen beide gerne aus und wollten Silvester in der Stadthalle Hannover feiern. Am Nachmittag wurde es plötzlich kalt und es fing auch in Hannover an stark zu schneien. Der Verkehr brach komplett zusammen, und wir sahen keine Möglichkeit, wie wir in die Stadthalle kommen sollten. Also bleiben wir an Bord, kochen uns etwas Schönes und machen es uns gemütlich. Wir haben, von außen erreichbar, einen unisolierten Farbenschrank zum Vorratsschrank umfunktioniert. Dort lagern wir Konserven und Getränke. Meine Chefin schickt mich von dort etwas zu holen. Als ich nach draußen gehe, ist das schon lausig kalt und als ich die Tür zum Vorratsschrank aufmache, sehe ich geplatzte Rotkohlgläser und dicke Konservendosen. Ich rette, was noch zu retten ist mache vorne in der Wohnung den Ölofen an und verziehe mich wieder nach achtern in unsere warme Stube……..Am Neujahrsmorgen waren wir komplett von Eis umschlossen und der Schnee lag so hoch, dass vorne nur noch der Mast und die Ofenrohre rausguckten. Die Temperatur war auf unfassbare minus sechsundzwanzig Grad gesunken und wir sind innerhalb von einer Nacht eingefroren.
Wir haben später mitbekommen, dass ein paar Schiffe mitten im Kanal eingefroren waren. Da hatten wir ja noch einmal Glück gehabt. Wir bekamen Strom und Trinkwasser von Land und hatten es nicht weit zum Supermarkt. Nein, eigentlich war es kein Glück……wir kamen erst am zwanzigsten März wieder frei. Das war ein langer Urlaub und am Ende war unser Konto wie leergefegt, denn die Kosten laufen ja weiter.  Aber dann hatten wir wirklich Glück. In Sachsenhagen gab es eine Ladung Kali nach Hamburg. Dort lagen nur ein paar Kirchturmfahrer und man bot mir im Anschluss eine Ladung Kupferbarren für vierundzwanzigtausend Mark nach Basel an. Nach diesem Winter ein warmer Regen. Als man mich im Büro fragte, wann ich in Basel sein wollte, und ich von in zehn Tagen sprach, wollte mir das keiner glauben. Aber……wir waren ja ausgeruht.
In Mannheim kamen uns zwei Schiffe unserer Genossenschaft beladen mit großen Kesseln von Birsfelden (ganz am Anfang  des schiffbaren Rheins) nach Berlin entgegen. Man sagte mir dass dort noch ein paar Kessel an Land lägen, die auch nach Berlin sollten. Ich drückte uns die Daumen und tatsächlich nachdem unsere Kupferbarren gelöscht waren, fuhren wir auch nach Birsfelden um vier Kessel für wiederum vierundzwanzigtausend Mark nach Berlin zu laden. Als wir dort oben ankamen, bekamen wir nur drei Kessel, weil mit dem vierten etwas nicht stimmte. Die Frachtrate blieb aber gleich denn Frachtvertrag ist Frachtvertrag. Da ich ja nun noch Platz hatte, lud ich in Iffezheim noch Kies für sechstausend Mark nach Berlin dazu. Als wir Ende April in Berlin leer waren, hatten wir in nur sechs Wochen sechzigtausend Mark eingefahren und konnten, da wir ja jetzt keine Personalkosten mehr hatten, den Eiswinter einfach abhaken.

Wir sind jetzt ein eingespieltes Team und haben auch keine Probleme vierundzwanzig Stunden aufeinander zu hocken.  Im Gegenteil, es macht Spaß zusammen den Laden zu schmeißen. Ich liebe sie und mit dem Schiff durch die Gegend zu gondeln und sie liebt mich und Geld zu zählen. Wir können zufrieden sein und sind es auch. Da wir ja sehen, welche Probleme Kinder in unserem Beruf machen, verzichten wir auf Nachwuchs. Wir haben ja beide bewiesen, dass wir es, wenn auch nicht gemeinsam, zumindest können. In den Sommerferien nehmen wir unsere beiden Teenager mit an Bord. Michelle vierzehn und Erika knapp fünfzehn, Katrin dreiunddreißig und ich vierunddreißig. Da kann man doch noch einiges zusammen anstellen. Wir gehen in Rotterdam auf ein Country - und Westernfestival,  rocken in Diskotheken ab und auch unsere Mädels sind ganz zufrieden.  Den nächsten Winter bleiben wir im Westen. Der Rhein friert im Winter nicht und die Nebenflüsse kaum und wenn nur kurz zu. Wenn auch die Frachtraten hier niedriger sind und die Kosten höher, ist das, was überbleibt  immerhin besser als im Kanal nichts zu haben.
Allerdings in diesem Fahrtgebiet wäre es natürlich ertragreicher ein paar Tonnen mehr transportieren zu können. Ein Bekannter hat sich ein größeres Schiff gekauft und ich fange an zu überlegen……..Wir könnten unser Schiff verlängern, pro Meter etwa zehntausend Mark. Zehn Meter würde unsere Ladekapazität um etwa zweihundert Tonnen erhöhen.  Das wäre ja schon was, aber wir hätten dann insgesamt bald vierhunderttausend Mark investiert und das würden wir bei einem Verkauf bei weitem nicht mehr erzielen. Zudem wären dann unsere vierhundertsechzig PS gerade mal eben so ausreichend. Eine Leistungsreserve, die man auf dem Rhein eigentlich braucht, hätten wir dann auch nicht mehr und irgendwann für zweihunderttausend Mark einen neuen, stärkeren Motor einbauen, dass würde sich ja überhaupt nicht mehr rechnen.  Aber jetzt waren wir voll im Thema. Katrin, die ja vor dem Kauf unseres Schiffes erhebliche Bedenken geäußert hatte, vertraute mir mittlerweile und fand die Idee, ein neueres, größeres Schiff zu kaufen ganz gut. Nur ein technisch gut ausgerüstetes Achtzigmeterschiff, Baujahr Ende der fünfziger – Anfang der sechziger Jahre, also fünfzig Jahre jünger als unser jetziges Schiff , kostete inzwischen ungefähr siebenhundertfünfzigtausend Mark……..das war schon eine Hausnummer.  Mit unserem Banker hatte ich dieses Thema schon mal besprochen. Er war bereit maximal achtzig Prozent zu finanzieren und hatte die Idee, dass Katrin einen Betrieb gründen und das Schiff kaufen sollte. Damit bekämen wir noch einmal Fördermittel und zinsverbilligte Kredite.

Unser Schiffsmakler, mit dem wir wieder in Verbindung waren, rief mich eines Tages an und teilte mir mit, dass er einen Interessenten für unser Schiff hätte. Wir hatten es für zweihundertsechzigtausend Mark angeboten und ich will es kurz machen……..unser Schiff war genau das, was der Interessent suchte. Er versuchte uns nicht einmal runterzuhandeln und so wurden wir uns schnell einig. Mit dem, was mein Finanzminister auf die hohe Kante gelegt hatte, hatten wir jetzt, nach Abzug der restlichen Schiffshypotheken, gut zweihunderttausend Mark Eigenkapital für ein neues Schiff. Jetzt packten wir unsere Sachen und fuhren erst einmal wieder nach Hause. Wir wollten uns, bevor wir das neue Schiff angingen, nach über vier Jahren, erst einmal wieder eine schöne Urlaubsreise gönnen.
Ich überredete Katrin zu vier Wochen Sri Lanka. Überreden deshalb, weil auf der Insel eigentlich ein Bürgerkrieg zwischen den Singhalesen und den Tamilen herrschte. Ihr Kommentar am Ende: „Dann fahren wir eben in den Krieg“. Ähnlich wie heute mit der Türkei und Nordafrika hatten die Medien natürlich laufend darüber berichtet und der Tourismus war um siebzig Prozent zurückgegangen. In unserem Hotel im Süden, von den Auseinandersetzungen überhaupt nicht tangiert, waren von zweihundert Zimmern lediglich vierzig belegt. Es wurde wieder ein Traumurlaub. Wir badeten im Indischen Ozean und schwammen mit Meeresschildkröten, die in der Nähe ihre Eier legten.  Wir lieben scharfes Essen, so scharf, dass unser Hund, der immer unsere Reste bekam, des Öfteren gehustet hatte. Hier auf Sri Lanka wollten wir das mal so richtig ausleben. Im Hotel gab es natürlich das mäßig gewürzte Touristenessen, deshalb suchten wir uns ein Lokal in dem auch Einheimische aßen. Wie ja eigentlich jedem bekannt ist, wirkt scharfes Essen zwei Mal. Nach einer Woche waren wir von innen so ausgebrannt, dass wir dann doch lieber wieder im Hotel aßen. Trotz der Unruhen entschlossen wir uns zu einer einwöchigen Inselrundfahrt.
Mit einem Bus, der bei uns mit Sicherheit nicht durch den TÜV gekommen wäre, fuhren wir zunächst ins Hochland nach Candy. Hier herrscht ein gemäßigtes Klima und überall wird Tee angebaut. Wir übernachteten in einem alten britischen Hotel das noch im originalen Kolonialstil eingerichtet war. Auf unserer Fahrt durch das bis zweitausendfünfhundert Meter hohe Gebirge, stotterte unser Bus und blieb auf einer abenteuerlichen Straße plötzlich stehen. Motorschaden…….kein Kontakt zur Außenwelt und das in einer Gegend fast ohne Verkehr. Ich kenne mich ja mit Dieselmotoren gut aus und gehe mit dem Fahrer, dem Beifahrer sowie unserem singhalesischen Reiseführer, der einigermaßen gut deutsch spricht, den rustikalen Motor mal durch. Nachdem ich einen Kolbenfresser oder einen Lagerschaden ausschließen konnte, konnte es eigentlich nur an der Brennstoffzufuhr liegen. Wir bauten die Brennstoffleitungen, die Einspritzpumpen, und den Filter aus, reinigten alles und bauten es wieder zusammen. Jetzt entlüften und starten und siehe da……..der Motor läuft wieder.  In einem Reisebus streiten sich die Fahrgäste meistens um die vorderen Sitzplätze. Nach meiner Aktion räumte man uns, ohne dass wir irgendwie darauf bestanden hätten, dieses Privileg für den Rest unserer Tour ein. Wir setzen unser Tour fort und kommen nach Anuradhapura, der ehemaligen Hauptstadt des singhalesischen Königreiches. Hier sind wir drei Nächte, untergebracht in einer wunderschönen Ferienanlage mit lauter kleinen freistehenden Bungalows, die einzigen Gäste. Wir sind ja jetzt schon recht weit im Norden in der Nähe des tamilischen Gebietes und hierher traut sich kaum noch jemand……..das ist so schade.

Wir besteigen die Felsenfestung von Sigiriya, bestaunen die berühmten Felszeichnungen der Wolkenmädchen und zu welchen technischen und baulichen Meisterleistungen dieses Volk schon vor mehr als tausend Jahren fähig war. Unser Reiseführer ist toll. Während wir so durch die Gegend fahren erzählt er uns, im Stil eines Märchenerzählers, Geschichten aus der Frühzeit seines Heimatlandes. Wir erfahren, welcher Prinz sich in welche Prinzessin verliebt hat und einiges über den Buddhismus, der dort ja zu der Zeit Staatsreligion war. Diese Rundfahrt, hat uns die Insel näher gebracht und wir sind begeistert. Als unser geschäftstüchtiger Reiseführer uns dann noch kurz vor dem Ende der Tour von einem Elefantenweisenhaus erzählt, dass eigentlich nicht im Tourprogramm wäre, sind die Mädels nicht mehr zu stoppen. Da müssen wir hin, koste es was es wolle. Es war dann auch ganz niedlich, ein Elefantenstreichelzoo, mit einigen, zum Teil noch sehr kleinen Elefanten die ulkig anzusehen, miteinander spielten und dabei herumsprangen, wie Punchingbälle. Gekostet hat es nicht viel, aber das Trinkgeld, das der Reiseführer daraufhin  einheimste war, auch wenn er dem Fahrer und dem Beifahrer etwas abgegeben hat, fürstlich.

Wir erleben in unserer Zeit auch noch die Candy Prahera, einen prunkvollen und farbenprächtigen Umzug, der in Südost-Asien, ja weltweit seinesgleichen sucht. Tausende von Prozessionsteilnehmern wie Musiker, Tänzer, Peitschenknaller, Akrobaten, Fackel- und Würdenträger sowie über hundert Elefanten mit ihren kostbaren Umhängen und Dekorationen geschmückt, ziehen an der extra für uns Touristen aufgebauten und  bewachten Tribüne vorbei. Nach diesen wunderbaren Erlebnissen noch ein paar Tage am Strand relaxen und auf geht es in unsere eigenes neues Abenteuer……..

Wir suchen also unser neues Schiff und finden kein vernünftiges Fahrzeug zu einem Preis, den ich gut finde. Nach der Zusage unseres Bankers bis achtzig Prozent finanzieren zu wollen, könnten wir zwar jetzt bis auf etwa eine Million gehen, aber das erscheint mir dann doch erheblich zu viel. Und ich habe eine Idee und werde fündig…….. Das gesamte deutsche Binnenschifffahrtsgewerbe zahlt einen Prozentsatz seines Umsatzes in einen sogenannten Abwrackfond. Aus diesem Fond sollen Strukturbereinigungen finanziert werden und selbstfahrenden Unternehmern der Ausstieg aus dem Gewerbe, wenn sie ihr Schiff abwracken müssen, weil sie es nicht mehr verkaufen können, durch Zahlung einer Abwrackprämie erleichtern. Während die Frachtschifffahrt gut läuft, liegt die Tankschifffahrt am Boden. Überkapazitäten und Pipelines haben die Frachtraten dermaßen einbrechen lassen, dass viele gute Schiffe einfach verschrottet werden. Jetzt erhalten die Tankreeder, die verschrotten eine Abwrackprämie zuzüglich zu dem Schrottpreis, den sie im Markt erzielen. Beides zusammen ergibt für ein Achtzigmeterschiff so etwa dreihundertdreißigtausend Mark. Warum soll ich nicht einen Tanker kaufen, und den zum Frachter umbauen? Ich hole mir Informationen was dieses wohl in etwa kosten könnte, und was ich bedenken müsste. Frachtschiffe werden von der SUK klassifiziert. Für die ist wichtig,  dass die vorgegeben Stärken der Außenhaut, die Ruderanlagen und die Rettungsmittel ihren Vorschriften entsprechen. Tankschiffe hingegen werden vom Germanischen Lloyd klassifiziert, einer Klassifikationsgesellschaft, die auch Seeschiffe klassifiziert und die erheblich höhere Maßstäbe ansetzt. Bei Tankschiffen, aufgrund des erhöhten Gefahrenrisikos, sind sie noch höher. Es wird nicht nur das Schiff, sondern die gesamte Technik inklusive der Motorenanlage auf Mängel überprüft. Wenn ich also einen Tanker kaufe, den noch Klasse hat, kann ich sicher sein ein technisch einwandfreies Schiff zu bekommen.

Das Schiff, das ich finde, ist elfhundert Tonnen groß und hat noch vor einem halben Jahr Klasse gemacht. Ich könnte also, so ich denn Ladung bekäme, sofort losfahren und Benzin oder andere flüssigen Brennstoffe laden. Aber ich habe mir aber ja vor vielen Jahren geschworen, nie mehr auf einem Tanker zu fahren.  Es gehört einer Reederei vom Main und  liegt still weil es nichts mehr zu tun gibt. Die Reederei versucht es nun für vierhunderttausend Mark zu verkaufen. Ich biete dreihundertvierzig, also etwas mehr als wie der zu erzielende Preis, wenn sie das Schiff verschrotten und wir einigen uns auf dreihundertfünfzig. Katrin ist so gar nicht begeistert. Die Wohnung eines Reedereischiffes wird in der Regel nur von Männern bewohnt, ist funktionell und bietet einer Frau natürlich nichts, was sie begeistern könnte. Ich verstehe sie, aber ich habe schon einiges gefunden, dass mich überzeugt. Das Herz dieses 1960 gebauten Schiffes, die Hauptmaschine, ein Deutz Achtzylindermotor mit siebenhundertfünfzig PS, ein Langsamläufer, mit nur dreihundertachtzig Umdrehungen in der Minute,  ist ein Argument, da lasse ich nicht dran rütteln. Der passt zu mir, keine Schnörkel, urig,  Leistungsstark und…….unkaputtbar. Dieser Motor würde heute, wo nur noch japanische schnelllaufende Wegwerfmotoren eingebaut werden, mindestens dreihunderttausend Mark kosten Auch sonst ist das Schiff, bis auf die Wohnung, einfach Klasse. Alleine diese Form des Rumpfes, die Materialstärken und, und, und……ich verspreche Katrin, in spätestens einem Jahr hat sie eine Wohnung, schöner als die auf dem Neubau, den wir damals von der Werft geholt hatten. Können diese Augen lügen, nein………und sie glaubt mir.

Ich lasse mir wieder einige Kostenvoranschläge machen und gebe den Oldersummern, weil ich ja mit ihrer letzten Arbeit sehr zufrieden war, das letzte Wort. Wir haben mit knapp einhunderttausend Mark einen Preis vereinbart, der nur halb so hoch ist, wie das teuerste Angebot, dass ich erhalten habe. Der Preis bezieht sich allerdings lediglich auf den Umbau des Tankschiffes auf ein Zweiraum – Frachtschiff. Zunächst noch ohne Lukenabdeckung, denn ich gehe mal davon aus, dass ich mit Ladungen, die nicht abgedeckt werden müssen wie Baustoffe, Erz und Kohlen für´s Erste eine ausreichende Beschäftigung finde. Die anderen Arbeiten, wie die Wohnung und das Lukendach will ich dann in einem zweiten Bauabschnitt machen lassen. Wir kaufen das Schiff bzw. Katrin kauft das Schiff. Jetzt ist sie mein Boss, da muss ich mich wohl hochschlafen aber schlafen lässt sie mich nicht……ich muss ja fahren. Zunächst läuft alles ab, wie auch beim ersten Schiff. Die Schiffseigenerin, den neuen Schiffsnamen wiederum „Katrin M.“ und da wir Mittel vom Freistaat Bayern bekommen haben, unseren neuen Heimathafen Dorfprozelten, ins Schiffsregister eintragen lassen. Die Schiffshypothek bestellen usw. dann fahren wir an die Werft. Sekt gibt es erst, bevor wir, nach dem Umbau, zur ersten Reise auslaufen Der Umbau geht auch, wie erwartet, flott voran. Das Tankdeck, mit sämtlichen Rohrleitungen, die Löschpumpe, das Längst- und die überflüssigen Querschotten werden entfernt. Danach ein doppelter Boden, vier Rahmenspanten und Trimmbleche eingebaut und nach nur vier Wochen Bauzeit sind wir einsatzklar. Die SUK nimmt unseren Umbau ab und das Tankschiff ist jetzt Geschichte. Meine Chefin ist mit ihrem Mitarbeiter zufrieden, wir haben jetzt, mit dem ersten Bauabschnitt, lediglich eine viertel und nicht eine halbe Million Schulden…….da lacht ihr schwäbische Herz. Ich habe mir, während der Baumaßnahme, von der Werft auch gleich ein Angebot für den zweiten Bauabschnitt machen lassen. Die hintere Wohnung komplett neu ausbauen, vorne ein Bugstrahlruder und einen zweihundertzwanzig Volt Generator einbauen und an Deck ein Aluminiumlukendach mit elektrischem Lukenwagen und einen hydraulischen Autokran aufbauen. Dafür kommen dann zwar noch einmal gut zweihunderttausend Mark auf uns zu aber wir hätten dann alles nagelneu und gegenüber einem fertigen Schiff aus dem Markt mit dieser Ausstattung trotzdem noch weit über hunderttausend Mark eingespart.

Jetzt heißt es aber erst einmal wieder Geld verdienen. Wir wollen bei unserem nächsten Umbau wieder soviel Eigenkapital wie möglich einsetzen.  Konnten wir das vorige Schiff zu zweit fahren, benötigen wir für unser neues, größeres Schiff, jetzt zusätzlich einen Schiffsjungen. Wir sind aber so ein eingespieltes Team, dass wir es riskieren unterbemannt zu fahren. Die Polizei kann uns wegen eines fehlenden Schiffsjungen nicht stilllegen, sondern nur verwarnen und im schlimmsten Fall anzeigen. Das kostet dann so zwischen zwanzig und hundert Mark…….auf jeden Fall billiger als ein Moses.

Katrin ist mittlerweile auch auf dem Rhein so firm, dass ich mich auch mal ein Stündchen hinlegen kann, denn wir wieder mal Tag und Nacht räubern. Da ich ja keine Luken mehr habe, gehe ich in die Erzfahrt von Rotterdam nach Thionville an der Obermosel. Hier muss man, wenn man Geld verdienen will, schnell sein. Das Erz kommt in Rotterdam mit bis zu einhunderttausend Tonnen tragenden Seeschiffen an. Über riesige Bandanlagen, die ein Schiff, wie das unsere, in nur dreißig Minuten beladen, werden innerhalb von weniger als zwei Tagen achtzig Schiffe nach Thionville beladen. Wenn alle innerhalb kurzer Zeit dort ankommen, gibt es meistens nur für die Ersten eine Rückladung, die Anderen müssen leer wieder wegfahren. Unser Schiff ist ein „Hartläufer“, das heißt, es ist richtig schnell. Wir benötigen von Rotterdam nach Thionville etwa einhundert Stunden und die machen wir ohne Pause……. am Stück. Wir haben es schon geschafft, dass wir dem nächsten Erzschiff, aus dem Pulk, schon wieder beladen auf der Talfahrt, kurz unterhalb Thionville begegnet sind. Ich habe das mal im Schiffstagebuch verfolgt, wir sind über mehrer Monate jede Woche einmal, entweder zu Berg oder zu Tal, an Koblenz vorbeigefahren…….Das freut natürlich meinen Finanzminister.

Weihnachten möchte Katrin gerne zu Hause im Schwabeländle verbringen und da wir bei unserer Fahrweise in den letzten Monaten jeweils etwa vierhundertfünfzig Stunden gearbeitet haben, laden wir am Mittelrhein Bimskies in den Neckar und fahren so, dass wir zwischen Weihnachten und Neujahr frei haben. Sie hatte mir erzählt, dass sie noch einen geistig behinderten Bruder hat, der, zwei Jahre jünger als sie, schon seit Kindesalter in einer geschlossenen Anstalt im Schwarzwald lebt. Nun möchte sie ihn gerne einmal besuchen. Wir fahren also hin und ich lerne Reinhold, einen etwas zurückgebliebenen Menschen kennen. Ich kann mich mit ihm eigentlich gut unterhalten. Über das Eine oder Andere weiß er nichts aber woher auch, er kommt ja nicht raus. Sein Umfeld finde ich ganz schlimm und wenn ich mir so seine wirklich schwer behinderten Mitbewohner anschaue, meine ich, dass er nicht in solch eine Anstalt gehört. Wir laden ihn ein, Weihnachten mit uns zu verbringen. Erst will das Heim ihn gar nicht gehen lassen. Aber, nachdem ich ein bisschen ärgerlich geworden bin, müssen wir unterschreiben, dass wir die Verantwortung für ihn übernehmen und können ihn dann doch mitnehmen. Er ist ein ganz lieber Kerl und wir haben überhaupt keine Probleme mit ihm.  Die Anstalt hat uns Tabletten für ihn mitgegeben, die er regelmäßig einnehmen soll. Ich bemerke aber, dass er jedes Mal, wenn er seine Tablette genommen hat so apathisch, ja wie weggetreten wirkt. Wir lassen also die Tabletten weg und er reagiert wieder normal. Nach Weihnachten bringen wir ihn, mit einem schlechten Gewissen wieder zurück, ich verspreche ihm aber, dass  er irgendwann einmal auf unserem Schiff Urlaub machen kann.  Wir nehmen Kontakt zu seinem Amtsvormund auf, denn er wurde ja entmündigt, um etwas mehr über ihn zu erfahren. Der weiß eigentlich nichts, aber aus Reinholds Akte geht hervor, dass er sich einmal in ein unverschlossenes Auto gesetzt hat, eine abschüssige Straße heruntergerollt ist und es dabei beschädigt wurde.  Oder das er im Heim erwischt wurde, wie er mit einer Mitbewohnerin geschlafen hatte.
Ich habe ihn später mal darauf angesprochen. Er hat mir dann erzählt, er hätte sie gefragt, ob sie  Sex mit ihm haben wolle und sie hätte ja gesagt. Diese Vorkommnisse, die bei einem normalen Menschen Bagatellen gewesen wären, führten aber dazu, dass er überhaupt keinen Ausgang bekam und die Anstalt ihn wegsperrte.

Ich nehme mir vor ihn zu helfen. Ich weiß zwar noch nicht genau wie, aber irgendetwas muss ich tun. Wir werden ihn, wenn es passt im Sommer mal zwei drei Wochen mit an Bord nehmen, damit ich mir ein besseres Bild von ihm machen kann.  Danach stürzen wir uns wieder in die Arbeit. Wir verdienen weiterhin sehr gut und so steht unserem Umbau nichts mehr im Wege. Mit der Werft vereinbare ich einen Termin gleich nach den Sommerferien. Der Ausbau der Wohnung ist sehr aufwendig und deshalb veranschlagt die Werft für die anstehenden Arbeiten acht Wochen.  Im Juni machen wir unser Versprechen wahr und nehmen Reinhold für zwei Wochen an Bord. Und wieder stellen wir fest, er braucht zwar noch jemanden, der sich um ihn kümmert, aber in eine geschlossene Anstalt gehört er nicht. Ich spanne ihn an Bord ein bisschen mit ein. Laderaum fegen, Maschinenraum putzen oder mir beim Deckwaschen helfen……er ist zwar nicht der fleißigste, aber wenn man nicht so hohe Ansprüche stellt, geht das schon.  Ich mache Katrin den Vorschlag, dass wir ihn nach unserem Umbau mit an Bord nehmen. Sie findet mich mal wieder toll, hatte sie doch im Stillen auch schon daran gedacht, sich aber nicht getraut mich darum zu fragen.  Nachdem wir uns nun einig sind, planen wir ihn vorne unterzubringen, dazu müssen wir, weil die Schlafzimmer unten, wegen des Bugstrahlruders wegfallen, die Wohnküche oben in ein kleines Einzimmerappartement umbauen. Aus dem Bad nehmen wir dann die Badewanne und den Badeofen raus und bauen eine Dusche, mit Durchlauferhitzer ein. Die zusätzlichen Kosten schätze ich auf ca. zehntausend Mark. Aber dafür haben wir dann auch etwas für unser Gewissen getan, einen Schiffjungen an Bord und ersparen uns damit den Ärger mit der Wasserschutzpolizei. Als wir ihm den Vorschlag unterbreiten, ist er Feuer und Flamme, zumal ich ihm verspreche, dass er  bei freier Kost  noch einen Lohn von dreihundert Mark netto im Monat bekommen soll.

Am ersten September liegen wir in Oldersum. Der Werftbesitzer hat extra für unseren Auftrag vorübergehend noch ein paar Leute eingestellt. Es sind ja erst einmal einige Abbrucharbeiten zu erledigen. Wir beziehen eine sehr schöne werfteigene möblierte Wohnung. Unsere Wohnung wird jetzt vollständig entkernt, Wände und Fußboden einschließlich der Isolierung und der gesamten Verkabelung, der Heizungs- Wasser und Abwasserleitungen sowie alle Fenster werden ausgebaut. Zurück bleibt nur rostiges Eisen.  Nach über zwanzig Jahren, ist durch die Fensterrahmen Feuchtigkeit eingedrungen und der Rost hat dort auch schon einigen Schaden angerichtet. Jetzt werden die schadhaften Stellen repariert und das gesamte Eisen konserviert und isoliert. Obwohl die Wohnung klimatisiert werden soll (zu der Zeit ein Novum in der Binnenschifffahrt), achte ich auf eine gewissenhafte Ausführung. Wir haben auch noch Zwischenwände entfernt, denn wir ändern auch die Raumaufteilung. Es soll hinten ein großes Wohnzimmer mit einer offenen Küche entstehen. Die neuen Schiebefenster, mit Isolierverglasung, sind größer als die Alten, so wird die Wohnung erheblich heller. Die Tischler machen eine hervorragende Arbeit. Die Wandtäfelung in Buche hell, ist so sauber eingebaut, dass die Stöße nahezu unsichtbar sind. Auch der Fußboden unter dem sich ja der Motorenraum befindet, bekommt unter dem Estrich eine extra Schalldämmung. Wir lassen den  Fußboden in der ganzen Wohnung, bis auf das Schlafzimmer, in dem ein Teppichboden verlegt wird, fliesen. Die Schlafzimmer- und Fremdenzimmermöbel werden von der Tischlerei gefertigt und passgenau eingebaut, um die Räume bestmöglich auszunutzen, dazu lasse ich auch unter den Betten noch Schubladen eingebaut. Katrin möchte im Flur einen Garderobenschrank haben, in den vierzig paar Schuhe passen. Sie liebt Schuhe und hat vor allen Dingen, wegen unseres Größenunterschiedes sehr viele hohe Schuhe. Dieser Schrank wird auf der Werft das Gesprächsthema schlechthin……wer hat im tiefsten Ostfriesland schon vierzig paar Schuhe.
Das neue, geflieste Bad mit einer Duschkabine war genau so geplant, dass noch eine Waschmaschine hineinpasste.  Die Möbel für das Wohnzimmer, einen Teppich, die Essecke und die Küche kaufen wir im Möbelhandel. Um in unserem Limit zu bleiben, haben wir dort scharf verhandelt und haben uns am Ende riesig gefreut, denn der Rabatt, den wir raushandeln konnten, war um einiges höher als der mit dem wir gerechnet hatten.  Normalerweise wird in der Schifffahrt mit Popangas gekocht und der Kühlschrank betrieben. Wir kauften aber eine Küche mit Ceranfeld, einer elektrischen Kühl- und Gefrierkombination und einem Geschirrspüler (auch noch unüblich). Wir hatten ja jetzt zwei Generatoren mit ausreichender Leistung an Bord. Um unsere Polstergarnitur ins Wohnzimmer zu bekommen, mussten wir extra noch einmal ein Fenster ausbauen. Im Vorschiff haben wir unter dem Deckshaus die Schlafzimmern zum Motorenraum umgewandelt. Dazu musste die Vertäfelung und die Isolierung entfernt, der alte Niedergang dichtgesetzt, und ein Neuer von Deck aus geschaffen werden. Hier wurde ein dreihundert PS starkes Bugstrahlruder sowie ein dreißig KW Stromaggregat eingebaut und der Boden mit rutschfesten Riffelblechen (Flurplatten) ausgelegt.
Im Deckshaus entstand, wie geplant, ein kleines schnuckelige Appartement für Reinhold. An Deck wurden an jeder Seite der Luke die Windsicherungen für die Aluminiumluken und eine Laufschiene für den elektrischen Lukenwagen angeschweißt. Die neuen Luken wurden jetzt nicht mehr mit der Hand angehoben, sondern das übernahm eine Elektrohydraulik. Von nun an konnte das Schiff von einer Person komplett auf- und zugedeckt werden. Den Autokran mit einem zwölf Meter langen Ausleger und einer Hubkraft von eineinhalb Tonnen, hatten wir in Groningen gekauft. Das ist nicht sehr weit von Oldersum entfernt. Die Holländer kamen morgens mit dem Kran und abends war er schon aufgebaut und funktionierte. Jetzt konnten wir unser Auto überall und zu jeder Zeit selbst rauf-  und wieder herunterheben. Auf dem Achterdeck, hinter unserer neuen Wohnung haben wir dann letztlich die Klimaanlage platziert und an das Leitungssystem angeschlossen.  Jetzt sind wir fertig und ich habe mein Versprechen gehalten…….die Wohnung ist einfach toll geworden. Katrin hat zwar etwas länger als ein Jahr darauf warten müssen aber, dafür haben wir es, nicht zuletzt auch wegen der Klimaanlage und dem Geschirrspüler noch komfortabeler als wir es uns ursprünglich vorgestellt hatten. Und……mal abgesehen von den Kosten für Reinhards Appartement, das wir ja anfänglich nicht geplant hatten, sind wir annähernd in unserem Kostenrahmen geblieben.

Ich sollte eigentlich in die Politik gehen…….. Apropos Politik……während unseres Umbaues entnahm ich der Fachzeitschrift, die ich abonniert hatte, dass in Bonn eine Tagung des Bundesverband der Selbstständigen (BDS) Abt. Binnenschifffahrt stattfinden sollte. Ich wollte mir darüber einmal einen persönlichen Eindruck verschaffen und deshalb fuhren wir nach Bonn. Es gab einige Themen, die ich ganz interessant fand. Nach den Referaten von Verkehrsminister Leber, einem Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium und einigen Verkehrswissenschaftlern, gab es eine
Podiumsdiskussion, an der ich regen Anteil nahm. Wie war das noch mit dem Maul, das man bei mir extra totschlagen müsste? Am Ende der Veranstaltung, gab es Vorstandswahlen und obwohl mich dort vorher kein Mensch kannte, wurde ich, vermutlich wegen meiner großen Klappe, vorgeschlagen. Das Ende vom Lied……..ich musste erst einmal schnell dem Verband beitreten denn ich wurde in den Vorstand gewählt. So kommt man zu Posten……. ich werde später noch darüber berichten.

Um Reinhold aus der Anstalt zu bekommen und mit an Bord nehmen zu können, hatte ich im Vorfeld einige Auseinandersetzungen mit der Heimleitung. Sie wollten ihn mit dem Hinweis auf seine Vorgeschichte nicht entlassen. Jemand wie er, der eigentlich keine Arbeit macht sondern im Gegenteil noch die eine oder andere Aufgabe erledigen kann und für den man, wenn man es nur klug genug anstellt, das gleiche Geld bekommt, wie für einen Schwerstbehinderten, ist für solch eine Einrichtung, wie ein Sechser im Lotto. Ich machte der Heimleitung klar, dass ich ihre Gutachten anzweifele und eigene Gutachten in Auftrag geben werde und seine Entlassung notfalls rechtlich erstreiten würde. Offenbar hatte ich damit an der richtigen Strippe gezogen……..sie gaben ihre Zustimmung zur Entlassung. Vom Vormundschaftsgericht wurde ich als sein Vormund eingesetzt und wir konnten ihn mitnehmen…….ich wollte ja immer eine große Familie haben.

Natürlich war ich am Anfang noch etwas unsicher und hoffte, dass wir durch ihn keinen Ärger bekommen würden, so wie zu der Zeit gerade mit Katrins Tochter. Sie war nämlich, noch keine sechzehn, zu Hause ausgerissen und hatte mit ihrem achtzehnjährigen Freund Bonny und Clyde gespielt. Dabei hatten sie in Ludwigsburg eine Tankstelle überfallen, den Pächter niedergeschlagen und ausgeraubt. Die Oma, mit dieser Situation völlig überfordert, hatte uns informiert. Nachdem wir uns von der Polizei den Sachverhalt hatten schildern lassen, haben wir, leider erfolglos, alle ihre Freunden abgeklappert, in der Hoffnung sie zu finden. Zwei Tage später erhielten wir die Nachricht, dass sie in Bremen festgenommen wurden. Ihr Freund saß im Gefängnis  und sie, noch nicht strafmündig, könnten wir bei Michelle, die mit ihrer Mutter inzwischen in Bremen wohnte, abholen. Katrin und ich hatten uns vorher abgesprochen, dass wir ihr erst einmal keine Vorwürfe machen wollten. Die Heimfahrt von Bremen nach Neckarweihingen war dann auch nicht ganz einfach. Erika war völlig verstockt und ließ uns auch nicht an sich heran.  Als sie aber später in der Angelegenheit vor Gericht erscheinen musste, zeigte sie dann doch Reue. Um sie aus ihrer alten Umgebung herauszuholen, besorgten wir ihr einen Ausbildungsplatz zur Friseuse im Allgäu. Gott sei Dank, gefiel es ihr dort gut und sie entwickelte sich zu einer netten jungen Frau.

Wie ich mit Reinhold umgehen sollte, wusste ich noch nicht so genau. Ich konnte und wollte ihn ja nicht an Bord einsperren. Er war ja mittlerweile schon über dreißig und noch nie in einer Diskothek gewesen. An einem Wochenende in Neuwied erlaubte ich ihm das erste Mal alleine an Land zu gehen. Er freute sich wie ein Schneekönig, denn dort gab es eine Disco. Ich gab ich ihm zwanzig Mark und sagte ihm, dass er um zweiundzwanzig Uhr wieder an Bord sein müsste. Wer nicht kam, war unser Reinhold. Um elf fingen wir an uns Sorgen zu machen und gingen ihn suchen, fanden ihn aber nicht. Er kam um eins……..Natürlich habe ich mit ihm geschimpft und ihm angedroht, wenn er noch einmal zu spät käme, würde er keinen Landgang mehr bekommen. Die nächste Gelegenheit ergab sich schon bald. Wir hatten uns aber überlegt, dass um zehn Uhr wieder an Bord sein zu müssen, vielleicht etwas zu früh wäre und gaben ihm Landgang bis zwölf. Um fünf vor zwölf hörten wir ihn über Deck rennen. Er klopfte und als erstes fragte er, wie spät es sei. Nachdem ich ihm sagte, dass es fünf vor zwölf sei, sah man richtig, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel…….seit dem bekam er keine Zeit mehr mit. Das Geld musste wir ihm aber weiterhin einteilen, denn egal, wieviel er dabei hatte, er war, wenn er zurückkam immer pleite.

Wir hatten nach wie vor gut zu tun. Dadurch, dass wir jetzt wieder ein Lukendach hatten und wieder alles fahren konnten, war die Auslastung natürlich besser als vorher und die Güter, die abgedeckt transportiert werden müssen, sind meistens auch besser bezahlt als die, die offen gefahren werden können. Aber es waren ja jetzt auch Schiffshypotheken in Höhe von vierhunderttausend Mark zu bedienen.  Das bedeutete wir hatten einen Kapitaldienst von monatlich fünftausend Mark zu leisten. Dazu kamen weitere fünftausend Mark für die Schiffsversicherung, unsere privaten Versicherungen, Unterhalt und ca. fünfzehntausend Mark für Diesel und Schmierstoffe. Da musste der Umsatz schon stimmen, aber das war ja meine Aufgabe und ich sorgte schon dafür, dass er stimmte, auch wenn ich dafür in meiner Betriebsführung manchmal geltende Regeln missachtete.  So zum Beispiel hatten wir in Rotterdam Silbersand, der für die Herstellung von Zahncremes verwendet wird, nach Birsfelden geladen. Wie immer hielt ich mich natürlich nicht an die Fahrtzeitbeschränkungen und fuhr ohne unterwegs anzuhalten durch. Ich rechnete von Rotterdam nach Basel, mit einer Fahrtzeit von sechsundneunzig Stunden und hatte mich entsprechend beim Empfänger der Ware angemeldet. Wir hatten am frühen Morgen die Gebirgsstrecke passiert und waren nachts um eins in Mannheim. Für die Nachtfahrt nach Gambsheim hatte ich einen Oberrheinlotsen für ein Uhr bestellt. Als ich an der Lotsenstation anlegen wollte, fuhr neben mir das Streifenboot der Wasserschutzpolizei (WSP).  Was jetzt tun? Ich hatte die zugelassene Fahrzeit erheblich überschritten und egal, was ich jetzt machen würde, ob ankern oder weiterfahren, ich war sowieso dran. Also gab ich, nachdem der Lotse übergestiegen war, wieder Vollgas. Kaum hatte ich Fahrt aufgenommen, kam das Boot längstseits. Ich sollte ihnen mein Fahrtenbuch vorlegen. Das hatte ich natürlich nicht geführt. Daraufhin wollten die Beamten wissen,  wo und wann ich denn gestern Morgen meinen Dienst begonnen hatte. Ich erzählte ihnen was von morgens um sieben in Kaub. Damit war ich allerdings auch schon achtzehn Stunden unterwegs und sechzehn durfte ich ja nur. Jetzt argumentierte ich, dass ich ja gerade einen zweiten Schiffsführer an Bord genommen hätte und somit rund um die Uhr fahren könnte. Darauf ließen sich die Beamten nicht ein, und forderten mich auf, meine Fahrt für acht Stunden zu unterbrechen. Ich, stur wie ein Panzer, entgegnete, dass sie um dieses Schiff stoppen zu wollen, mich verhaften oder erschießen müssten. Da sie nicht wussten, wie mir beizukommen sei, zogen sie erst einmal unverrichteter Dinge wieder ab. Aber sie hatten ihre Kollegen in Karlsruhe informiert, denn als ich sechs Stunden später Karlsruhe passierte, machte das Karlsruher Streifenboot längstseits fest. Wir führten die gleiche Diskussion und ich wiederholte auf meine Aussage von der Nacht……..wenn ihr das Schiff stoppen wollt, müsst ihr mich verhaften oder erschießen. Auch die Karlsruher zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Als wir mittags in Gambsheim ankamen, meldete ich mich über Funk an der Schleuse. Der Schleusenmeister informierte mich, dass er Anweisung von seiner vorgesetzten Dienststelle bei der Wasser – und Schifffahrtsdirektion (WSD)  erhalten hatte, mich nicht zu schleusen. Ich sollte die Fahrt für eine Ruhepause von acht Stunden unterbrechen. Jetzt hatte ich ein Problem. Die Schleuse war zwar klar aber das Signal stand auf rot und ich konnte ja schlecht eine Schleusung erzwingen. Wir machten also fest, der Lotse ging von Bord und ich zur Schleuse. Dort ließ ich mich zu dem Beamten bei der WSD verbinden, der dem Schleusenmeister die Order gegeben hatte, mich nicht zu schleusen. Bei dem beschwerte ich mich mit fester Stimme, dass ich eine wichtige Terminladung hätte, die unbedingt am nächsten Tag in Birsfelden sein müsste, und ich deshalb in Mannheim extra einen zweiten Schiffsführer an Bord genommen hätte. Frech schob ich hinterher, dass ich die Behörde für alle, mir durch eine verspätete Ankunft entstehenden Kosten, in Regress nehmen würde. Irgendwie muss ich ihn unsicher gemacht haben. Er versprach mir sich darum zu kümmern und……..zwei Stunden später lag ich in der Schleuse. Puh….das hätte ins Auge gehen können, Fahrtzeitüberschreitung auf der ganzen Reise und dann zwei Mal den Anordnungen der WSP nicht Folge geleistet, ich mochte mir gar nicht ausrechnen, was mich diese Anzeige gekostet hätte........ So bekam ich vier Wochen später lediglich eine gebührenpflichtige Verwarnung über einhundert Mark, wegen Nichtführen des Fahrtenbuches. Frechheit siegt aber man lernt ja nie aus…….künftig vermied ich es nachts durch Mannheim zu fahren.

Unsere neue Wohnung fanden unsere Bekannten alle toll nur einige waren der Meinung, dass wir es da doch wohl etwas übertrieben hätten. Für soviel Geld könnte man doch ein Haus bauen. Die meisten Partikuliere hatten ihr Haus an Land und lebten an Bord recht spartanisch.  Ich war aber der Meinung, dass sich diese Investition rechnen würde, weil sie sich bei einem Verkauf des Schiffes einmal bezahlt machen würden.  Da wir ja mittlerweile an Bord recht komfortabel wohnten und kaum noch in unsere Wohnung waren, war es eigentlich überflüssig sie zu unterhalten, also kündigten wir sie. Das Mobiliar, kaum beansprucht, verkauften wir an den Nachmieter.  Ich bin zwischenzeitlich mit einer Großmutter verheiratet. Erika hat es Ihrer Mutter, die ja mit achtzehn schon Mutter geworden war, nachgemacht und jetzt ist Katrin mit nur sechsunddreißig Oma. Und was für eine, es fehlte ihr an allen gängigen Attributen…….kein Dutt im Haar, kein Buckel, ja nicht einmal eine Warze auf der Nase.
Neben meinem Job nimmt mich mittlerweile auch mein Vorstandsposten beim BDS ziemlich in Anspruch. Wir hatten etwa fünfhundert Mitglieder und unser erstes Anliegen war, diese Zahl zu erhöhen. Es gab in Deutschland eintausendvierhundert Partikuliere und es galt die, die noch nicht Mitglied waren, für unsere Arbeit zu gewinnen.
Neben unserer Genossenschaft,  gab es eine weitere Größere in Süddeutschland und zwei – drei Kleinere in denen eine gewisse Umverteilung stattfand………von den guten innerdeutschen Frachten ging ein Teil in einen Fond, aus dem schlechte,  grenzüberschreitende gestützt wurden. An diesen Genossenschaften waren etwa die Hälfte der deutschen Schiffseigner  beteiligt.  Die andere Hälfte waren sogenannte Reedereifahrer, die unter Vertrag bei einer Reederei standen. Die großen innerdeutschen Ladungspakete, vor allen Dingen die der Kraftwerkskohlen, waren meistens in den Händen der großen deutschen Reedereien. Ein Kraftwerk verbraucht am Tag etwa viertausend Tonnen Kohlen. Die Frachtraten innerdeutsch, bezahlt nach einem festen Tarifsystem, waren mehr als auskömmlich. Die der grenzüberschreitenden Verkehre unterlagen jedoch dem freien Markt, das heißt je nachdem wieviel Schiffsraum gerade zur Verfügung stand, waren sie besser, oder schlechter aber…….überwiegend erheblich schlechter. Zu den innerdeutschen Kohlenpaketen gehörten immer auch Importkohlen. Die Reedereien fuhren nun mit ihren eigenen Schiffen die innerdeutschen Kohlen und die grenzüberschreitenden ließen sei von ihren Reedereifahrern transportieren. Dafür beanspruchten sie noch die üblichen zehn Prozent Provision. Unter diesen Vorraussetzungen privatisierten die Reedereien ihre alten Schiffe in dem sie sie mit Knebelverträgen an ihre eigenen Schiffsführer abgaben und so zu Leibeigenen machten. Sie selber bauten Dank der guten innerdeutschen Raten, auch unter der Mithilfe des Staates in Form der Sonderabschreibung,  neuen, hocheffizienten Schiffsraum, der sich langsam zur Überkapazität entwickelte.
Wir sahen unsere Aufgabe darin, dem Einhalt zu gebieten. Und wie heißt es so schön……..Einigkeit macht stark, nur die Schiffer unter einen Hut zu bringen, ist schlimmer als wie einen Sack Flöhe hüten. Sie sind eben Individualisten. Neben der Mitgliederwerbung war auch  Lobbyarbeit in Bonn angesagt und wir befassten uns aber auch mit der Infrastruktur und für uns wichtige steuerliche Themen. Diese Arbeit ist mühselig, wie das Bohren dicker Bretter. Aber wie immer, wenn ich was tue, setze ich mich auch voll ein. So kam es, das mich diese nebenberufliche Arbeit einiges an Zeit kostete, wir aber dafür auch den einen oder anderen Erfolg verbuchen konnten. Was mir aber auch ganz wichtig war; diese Arbeit ließ mich über den Tellerrand blicken. Wenn man immer nur mit Scheuklappen vor den Augen hin und her fährt und sich nur mit sich selbst beschäftigt, entgehen einem so viele wichtige Informationen, zu denen ein  Unternehmer, wenn er erfolgreich sein will, Zugang haben sollte. Da mir diese Möglichkeit durch meine Verbandsarbeit jetzt gegeben war, fühlte mich in meiner Rolle richtig wohl und es bereitete mir viel Freude mich auch für meine Berufskollegen einzusetzen.  Meine Vorstandskollegen waren alle Partikuliere und da wir ja alle am gleichen Strang zogen, sind auch enge Freundschaften entstanden. Eine davon besteht noch heute, obwohl ich schon vor nunmehr dreißig Jahren aus beruflichen Gründen meinen Posten niederlegte.

Die Schifffahrt, ließ zu der Zeit auch noch Raum für Freundschaften. Wenn sich unsere Wege irgendwo kreuzten, versuchten wir etwas Zeit miteinander zu verbringen. Man traf sich auf den Schifffahrtsbällen, die von Versicherungen, den Schiffervereinen oder den Verbänden veranstaltet wurden. In den Ferienzeiten, wenn das Ladungsangebot schlechter war, kam es schon mal vor, dass wir ein paar Tage auf eine Fracht warten mussten. In dieser Zeit konnten wir unsere freundschaftlichen Kontakte besonders pflegen, So sind wir einmal im Sommer mit  einem guten Freund mit unseren Schiffen einfach mal so ans Ijsselmeer gefahren. Dort sind wir vor Anker gegangen, haben unser Außenbordtreppen und die Boote runtergelassen und ein paar Tage Urlaub gemacht. Oder als wir einmal mit mehreren Schiffen in Thionville auf Ladung warteten, haben wir unseren Laderaum ausgewaschen und eine Laderaumparty veranstaltet. Heute gibt es dieses alles nicht mehr, jetzt gilt nur noch „time is money“……..schade.

Kapitel 6 
Wie ein Fisch auf dem Trockenen

1985 - 1991
Anfang 1985, wir waren jetzt zehn Jahre selbstständig, stieß Katrin  in unserer Fachzeitschrift auf eine Annonce, in der die Position des Hafenkapitäns in Stuttgart ausgeschrieben war. Sie legte sie mir auf den Tisch. Sie liebte ihren Enkel, den sie ja nur selten sah und  träumte von einem „Häusle im Schwabeländle“. Deshalb versuchte sie mir schmackhaft zu machen, wie schön es doch sein könnte, mit einem sicheren Job im öffentlichen Dienst mal etwas kürzer zu treten. Dazu Pensionsberechtigung, eine geregelte Arbeitszeit und jedes Jahr in Urlaub  fahren können (unser letzte Reise lag jetzt schon wieder fünf Jahre zurück).  Ich konnte mir so etwas überhaupt nicht vorstellen. Ich war jetzt sechsundzwanzig Jahre auf dem Wasser, davon achtzehn Jahre in führender Position. Wir hatten ein schönes Schiff und wirtschaftlich ging es uns gut. Warum sollte ich eigentlich daran etwas ändern? Aber irgendwie beschäftigte mich das doch, denn ich war jetzt vierzig.......vielleicht müssten wir irgendwann doch noch einmal in ein größeres Schiff investieren. Dann würde es mir sicher schwerer fallen, noch einmal die Leistungen der letzten Jahre zu erbringen. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass ich mich ja mal unverbindlich bewerben  und damit auch mal meinen Marktwert testen könnte. Ich schickte also meine Unterlagen nach Stuttgart und......ich bekam prompt eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Wer A sagt, muss auch B sagen. ich fuhr also hin und es muss mir wohl gelungen sein, mich gut in Szene zu setzen denn ehe ich mich versah.......bot man mir den Job an.

Ich hatte mir allerdings für meine endgültige Zusage eine Frist von drei Monaten erbeten, damit ich ausreichend Zeit hatte, unser Schiff, nicht unter Druck, zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen.  Wieder zurück, gingen wir erst einmal in medias res. Wollten wir das wirklich, was wäre wenn es uns nicht gefiele, welche Möglichkeiten hätten wir dann? Ok. zunächst wollten wir erst einmal sehen, zu welchem Preis wir das Schiff überhaupt verkaufen könnten. Die Neubaupreise waren mittlerweile auf etwa eintausendfünfhundert Mark pro Tonne Tragfähigkeit gestiegen. Gute Gebrauchtschiffe kosteten cirka neunhundert bis eintausend Mark pro Tonne. Das bedeutete, mit etwas Glück müssten wir für unser elfhundert Tonnen Schiff etwa eine gute Million bekommen. Unsere Hypotheken valutierten noch mit knapp zweihunderttausend Mark und nach Abzug des, bei Betriebsauflösungen ermäßigten Steuersatzes, würden uns dann Summa summarum siebenhundertfünfzigtausend Mark übrig bleiben. Mein Finanzminister hatte natürlich auch noch was im Sparstrumpf. Mein Gehalt im Hafen wäre auch ganz gut......also finanziell müssten wir keine Not erleiden. Aber wir konnten ja nicht nur an uns denken, sondern wir mussten ja auch noch  eine Lösung für Reinhold finden….

Ich hatte unseren Makler mit dem Verkauf des Schiffes beauftragt, mir aber ausbedungen, selbst auch noch aktiv werden zu können. Erst einmal passierte nicht soviel. Er schickte uns zwar zwei - drei deutsche Interessenten aber denen war das Schiff zu teuer, die luxuriöse Wohnung würde nicht gebraucht, da die Familien, wegen der schulpflichtigen Kinder sowieso meistens nicht an Bord waren usw. usw….
Die Holländer das wussten wir, legten sehr viel Wert auf schöne Wohnungen. Da fuhren mittlerweile offensichtlich schon Schiffe herum, die sogar einen offenen Kamin an Bord haben sollten. Ich ließ mir deshalb  Spruchbänder mit der Aufschrift "te koop" (zu verkaufen) fertigen und platzierte sie an beiden Seiten des Schiffes. In Holland wurde ich daraufhin mehrfach über Funk angesprochen und so vereinbarte ich einige Besichtigungstermine. Ich weiß nicht mehr, war es der zweite oder der dritte Termin……ein Ehepaar, etwa in unserem Alter kam in Amsterdam an Bord, sie folgten uns in die Wohnung und ich hörte die Frau begeistert sagen: "hier ga ik noit mer out" (hier gehe ich nicht mehr raus). Nun, dass Schiff war ja auch sonst in einem hervorragenden Zustand aber ich glaube, selbst wenn der Mann noch etwas zu meckern gehabt hätte......die Frau hätte sich durchgesetzt. Wir vereinbarten dennoch einen weiteren Termin, an dem er mit einem Gutachter kommen wollte, um die Motorenanlage prüfen zu lassen. Dieser fand dann, wie schon von mir erwartet, keine Mängel, sondern im Gegenteil, er war hellauf begeistert von dem guten Zustand in dem der Motor sich befand.  Da bei diesen Verkauf, den ich ja selber in die Wege geleitet hatte, keine Maklerprovision für den Käufer anfiel, einigten wir uns letztendlich, nach zähem Ringen, auf eine Million fünfzigtausend Mark.......Ich hatte doch irgendwann einmal erwähnt, dass die Wohnung mal das Schiff verkaufen wird.

Wir gingen zu einem Notar und ließen den Kaufvertrag beurkunden. Darin vereinbarte wir, dass der Käufer das Schiff, wie es „railt und sailt“, also wie gesehen und mit allem Inventar, spätestens am ersten Juli in Stuttgart, übernehmen könnte. Es klappte auch, wie von uns geplant, denn ich bekam, passend zu dem vorgesehenen Termin, eine Ladung Feinbleche nach Stuttgart. Reinhold hatten wir zwischenzeitlich bei einem Bekannten, auch wieder auf einem Schiff untergebracht und hofften, dass das gut gehen würde. Ansonsten hatte ich vor, wenn wir erst einmal richtig Fuß gefasst hatten, mich dann intensiv um die Rücknahme seiner Entmündigung zu befassen. Meinem neuen Arbeitgeber teilte ich nun mit, dass wir den Schiffsverkauf unter Dach und Fach hatten, und ich meinen Posten am ersten September antreten wollte.
In dem Vorstellungsgespräch hatte man mir eine Dienstwohnung in der Nähe des Hafens angeboten. Wir hatten zwar vor, uns eine Immobilie anzuschaffen, wollten aber erst einmal abwarten, ob wir die Entscheidung, unser bisheriges Leben aufzugeben, nicht schon in ein paar Monaten bereuen würden.  Jetzt hatten wir wieder einmal das Problem, wir hatten eine Wohnung aber keine Möbel. Es hieß also wieder einmal improvisieren. Wir suchten uns in Möbelhäusern Möbel aus, die direkt geliefert werden konnten, zogen in die Dienstwohnung und hatten erst einmal damit zu tun, uns häuslich einzurichten.
Als das holländische Ehepaar mit unserem Schiff den Hafen Stuttgart verließ, vergoss Katrin, die das ja eigentlich alles eingefädelt hatte, bittere Tränen. War das Abschiedsschmerz oder ahnte sie bereits, dass das ein Fehler gewesen war.

Katrin und ich waren jetzt fünfzehn Jahre zusammen und hatten in dieser Zeit nur zweimal richtig Urlaub gemacht. Wir wollten jetzt unsere neue Freiheit auskosten und buchten eine vierwöchige Reise in die Karibik und nach Venezuela. Um möglichst viel von Venezuela kennenzulernen, hatten wir eine vierzehntägige Rundreise durch das Land gebucht, die uns zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Landes bringen sollten. Zunächst einmal flogen wir in die Millionenstadt Caracas. Die Stadt liegt eingebettet zwischen zwei Gebirgszügen und wurde in den letzten Jahrhunderten mehrfach durch schwere Erdbeben zerstört, so dass nicht sehr viele Bauten aus der Kolonialzeit erhalten geblieben sind. Sehenswert ist die erhalten gebliebene Kathedrale, eine fünfschiffige Basilika von 1614 mit einer Fassade von 1710 bis 1713  und der Casa del Libertador, dem Geburtshaus des Freiheitskämpfers Simon Bolivars. Es gibt in Caracas mehrere Universitäten darunter die 1721 gegründete Universidat Central, der größten Universität Venezuelas. Wir verbrachten drei Tagen in Caracas, in denen wir auch die weniger schönen Seiten der Stadt kennenlernten. Denn trotzt des Ölreichtums des Landes, der sich überall im Zentrum wiederspiegelt, gibt es am Rande von Caracas riesige Armenviertel.

Am vierten Tag unserer Rundreise flogen wir in den Nationalpark Canaima. Dieser Park im Amazonasgebiet gehörte mit etwa dreißigtausend km² zu den größten Nationalparks der Welt und gehört seit 1994 zum Unesco Weltnaturerbe. Charakteristisch für den Nationalpark sind mächtige Tafelberge aus Sandstein, die Tepuis genannt werden. Auf ihren Hochplateaus hat sich eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt entwickelt. Auf Grund der klimatischen Isolation der Hochplateaus vom tropischen Regenwald hat die Evolution in der Isolation über Jahrmillionen einen großen Teil von endemischen Arten hervorgebracht. Zur Zeit Ihrer Entdeckung, hat man dort oben große Mengen Gold gefunden. Die höchsten Wasserfälle der Welt, der Salto Angel oder der Salto Kukenam stürzen von den Tafelbergen fast eintausend Meter in die Tiefe. Man erreicht den Salto Angel, der mitten im Urwald liegt, durch eine Bootstour in einem Einbaum oder man kann ihn mit dem Flugzeug erreichen. Als wir dort waren,  wurden von Canaima aus Rundflüge um die Tafelberge mit einer uralten „Tante Ju“ angeboten. Obwohl uns dieses Flugzeug, in dem sich zum besseren fotografieren, die seitliche Panoramafenster, sogar aufschieben ließen, abenteuerlich vorkam, zogen wir diese Möglichkeit vor. Bootstouren, in Einbäumen standen uns auf der Lagune und zu den Wasserfällen auf dem Rio Carrao an den nächsten Tagen ohnehin noch bevor.  An der Laguna de Canaima in die sich in mehreren Wasserfällen, der Rio Carrao stürzt, waren wir in einer wunderschöne gelegenen Lodge untergebracht. Auf der Terrasse mit Blick auf die Lagune, waren wir umgeben von bunten Papageien, die obwohl wildlebend, so zutraulich waren, dass sie zu den Mahlzeiten sogar auf die Tische flogen um sich füttern zu lassen. Mit dem Einbaum durch den Dschungel zu fahren, ist schon ein besonderes Erlebnis. Man sitzt in so einem Boot ja fast auf Augenhöhe mit den Alligatoren, die nur darauf warten, dass mal ein Tourist über Bord fällt. Meiner, mir Angetrauten war es zwischen den vielen Panzerechsen gar nicht wohl. Dann erzählte ich noch, dass ich gehört hatte, dass es hier nur so von Piranhas wimmeln würde.  Und mit der Geschichte von der Hand, die einer Touristin in Sekunden bis auf die Knochen abgefressen wurde, ohne dass sie das gemerkt hatte, weil die Piranhas rasierklingenscharfe Zähne haben, hatte ich meinem Mädel, glaube ich, den Spaß an der Bootstour endgültig verdorben.

Zum nächsten Highlight dieser Rundreise ging es zunächst wieder zurück und nach Caracas. Und nach einem kurzen Zwischenstopp flogen wir in die Anden nach Merida, der Hauptstadt des Bundeslandes Merida. Geprägt ist Mérida durch seine Tallage im Andenhochland. Das Zentrum liegt in einer Höhe von 1.630 m auf einer angeschwemmten Terrasse zwischen den Flüssen Río Albarregas im Westen und Río Chama im Osten. Begrenzt wird es von zwei Gebirgsketten, im Südosten die Sierra Nevada und im Nordwesten die Sierra La Culata. In unmittelbarer Nähe zur Stadt und in Sichtweite befindet sich der höchste Berg Venezuelas, der fast fünftausend Meter hohe Pico Bolívar. Schon der Anflug auf Merida, war ein Abenteuer für sich. Die Verkehrsmaschine, eine Boing 737 musste die Gebirgskette überfliegen und sich dann auf das Niveau von Merida herunterschrauben. Der Pilot flog das Flugzeug wie ein Sportflugzeug und man hatte das Gefühl, gleich mit den Tragflächen die Berge zu berühren. Wir erfuhren, dass diese Strecke nur bei Tage und ausreichender Sicht, von speziell ausgebildeten Piloten geflogen wird.
Die größte Attraktion Méridas ist die Teleférico de Mérida, eine Seilbahn auf den Pico Espejo. Aus dem Zentrum der Stadt führt sie über eine Distanz von fast dreizehn Kilometern bis in die Gletscherregion der Anden auf eine Höhe von viertausendachthundert Meter. Damit ist sie die höchste und zweitlängste Seilbahn der Welt. Wie in allen venezolanischen Städten bildet die Plaza Bolívar das Herz der Stadt. An ihrer Westseite befindet sich die Kathedrale (Catedral de Mérida) im gotischen Stil aus dem Jahr 1803. Außerdem befindet sich in der Innenstadt die „Heladería Coromoto“, eine Eisdiele, die aufgrund ihrer mehr als achthundert verschiedene Eissorten, davon fünfundsiebzig bis einhundert permanent verfügbar, in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen wurde. Darunter befinden sich so ausgefallene Eissorten wie Forellen- oder Knoblaucheis.
Trotz des beengten Raumes zur Stadtentwicklung weist Mérida wegen der Vielzahl seiner Plätze und öffentlichen Parks den höchsten Anteil an Grünfläche pro Einwohner von Venezuela auf. Der Botanische Garten von Mérida enthält die größte Sammlung von Bromeliengewächsen in Südamerika. In der Umgebung befinden sich die Nationalparks Sierra Nevada und La Culata sowie eine Vielzahl von Bergseen wie die Laguna Mucubají, die Laguna Negra oder die Laguna Tapada. Diese ganzen Naturschönheiten zu erleben, setzten unserem Andenbesuch noch das I-Tüpfelchen obendrauf.

Nachdem wir nun schon zum dritten Mal in Caracas gelandet sind, um unser nächstes Ziel Aruba anzufliegen ziehen wir ein Resümee dieser Rundreise…….Venezuela hat uns durch seine Vielfalt an Naturschönheiten begeistert. Es bietet soviel, dass es eigentlich schade ist, wenn man sich als Tourist auf einen Badeurlaub auf der Isla Margarita beschränkt. Nach Aruba, eine der drei ABC Inseln (Aruba, Bonaire, Curacao) der niederländischen Kleinen Antillen, wollte ich eigentlich nur, weil ich ja als Seemann mit einem Tanker einmal dort war. Die Insel hatte sich zwischenzeitlich völlig verändert. Die große Ölraffinerie, die damals eine sehr große wirtschaftliche Bedeutung hatte und an der wir vor rund fünfundzwanzig Jahren noch geladen hatten, war mittlerweile nicht mehr in Betrieb. Danach lebte Aruba, wie auch Curacao von den vielen Offshore Banken, die wiederum zum großen Teil von Geldwäsche und großangelegter Steuerhinterziehung lebten. Dem haben die Niederländer aber  mittlerweile einen Riegel vorgeschoben. Heute lebt Aruba, die westlichste und kleinste der ABC Inseln, durch seine kilometerlange Sandstrände, in der Hauptsache vom boomenden Tourismus.
Zu meiner Zeit, als Seemann, waren wir in Oranjestad, in einer damals sehr bekannten Hafenkneipe. Der Wirt sammelte maritime Exponate und wir hatten ihm einen alten Rettungsring von unserem Schiff mitgenommen. Ich habe, bei unserem jetzigen Aufenthalt die Kneipe wiedergefunden und…….unser Rettungsring hing dort noch immer.

Unsere letzte Woche verbrachten wir zum Relaxen auf Curacao. Schon der Name weckt Träume. Wir hatten ein ziemlich luxuriöses Hotel mit Halbpension am Strand gebucht. Nachdem wir die Nase von den abendlichen Vier-Gänge-Menüs voll hatten, sind wir nach Willemstad, der Hauptstadt der Insel, gefahren. Dort gibt es eine schwimmende Brücke, die "Floating Bridge" und direkt neben der Brücke eine holländische Frittenbude ......Pommes mit Mayonnaise, welch ein Hochgenuss. Sonst gibt es über Curacao es eigentlich nicht so sehr viel zu berichten. Gut, man trifft hier auf "Kleinholland" nur eben mit bunten Häusern. Das ist schon sehenswert aber auf diesen Inseln, kann man sonst eigentlich nur baden gehen und dafür muss man eigentlich nicht soweit fliegen.

Wir waren kaum wieder zu Hause, rief Mutter an, die zwischenzeitlich unsere frühere Stammkneipe gepachtet hatte. Das Schützenfest unseres Ortsteils stand an und die Gaststätte war nur etwa dreihundert Meter vom  Schützenplatz entfernt. Vater war gestürzt und längere Zeit nicht einsatzfähig. Sie hatte nun Angst, dem erwarteten Andrang alleine nicht gewachsen zu sein. Natürlich erklärten wir uns bereit ihr über die drei tollen Tage behilflich zu sein. Für Katrin, die immer noch unserem Schiff nachtrauerte, war das eine willkommene Abwechslung. Wir hatten uns gerade einen Ford Capri 2.8 i gekauft. Metallicgoldbraun mit einem Vinyldach in beige. Eine heiße Kiste, vorne Spoiler, hinten Spoiler und meine „schnellste Maus von Mexiko“, die in diesem Auto eigentlich kaum über das Lenkrad gucken konnte, brachte uns in nur fünf Stunden von Stuttgart nach Cuxhaven……..heute ein Traum.
Ich liebte Miniröcke, aber welcher Mann eigentlich nicht……und meine Frau konnte Minis tragen. Die waren meistens so kurz, dass sie ihre Höschen der Farbe ihrer Röcke und Kleider anpassen musste. Als sie sich derart ausgerüstet in Mutters Gaststätte präsentierte, schlug meine Mutter, man erinnere sich, in einem Pfarrhaus aufgewachsen und mag keine roten Hemden, die Hände über ihrem Kopf zusammen. Ihre Schwiegertochter, doch schon Oma und dann so kurz rumlaufen, dass wäre unmöglich, da würden sich die Leute ja das Maul zerreißen. Das taten sie offensichtlich auch, denn obwohl Mutter meinte: „es wird heute ruhig“ hatten wir schon am frühen Abend die Bude voll. Neuigkeiten sprechen sich auf dem Lande sehr schnell herum. Eine Frau, mit toller Figur und einem Supermini, den die Bauernjungs höchstens mal in den Fischerkneipen oder in irgendwelchen Zeitschriften zu sehen bekamen, dazu einen Dialekt, der fast exotisch erscheint…….das muss man doch gesehen haben. Ich bin sehr selbstbewusst, aber ich passte natürlich auf, dass die Anmachen nicht zu plump waren. Einen besonderen Verehrer meiner Frau muss ich hier aber extra erwähnen. Er arbeitete in einer Fischfabrik, die auch Konserven herstellte. Er kam jeden Abend, nach Feierabend, bestellte sich ein Bier und schmachtete sie wortlos an. Eines Abends aber überreichte er ihr ein sorgfältig eingepacktes Geschenk……..einen ganzen Karton mit fehlerhaften Fischkonserven, die die Mitarbeiter besonders günstig kaufen können. Er hätte mich vorher fragen sollen, meine Frau liebt Blumen, Schokolade und…….ganz doll mich.

Unser Kurztrip in die Kneipen - Gastronomie  wird dank Katrin ein voller Erfolg. Sie hat einfach ein Händchen mit Gästen umzugehen, auch wenn sie nicht mehr ganz nüchtern sind. Aber wenn sich mit einer Kneipe auch gutes Geld verdienen lässt……für mich wäre das nichts. Zu uns kamen oft nachts, wenn die Kneipen im Hafen dicht machten, noch betrunkene Fischer. Ich bin da im Umgang mit Betrunkenen nicht so geduldig. Im Gegenteil, man hat mich mal gefragt ob ich Rausschmeißer auf St. Pauli gewesen wäre….  Wir verhelfen Muttern zu Umsätzen, von denen sie nicht zu träumen gewagt hatte. Allerdings hat sie normalerweise um zehn zugemacht und wir sind keinen Tag vor zwei ins Bett gekommen. Sie gibt die Kneipe aber schon bald auf, denn Vater hat sich wohl zu oft  aus dem Vollen bedient  und ist ja wohl auch aus diesem Grund, bevor wir kamen, so schwer gestürzt.

Ich bin jetzt ein „neigschmeckter“ Gastarbeiter in dem Land wo die „Leit  älles kennet außer hochdeitsch“. An meinem ersten Arbeitstag in meiner Dienststelle, fällt mir auf, dass meine Kollegen wirklich miteinander  kein Hochdeutsch sprechen. Obwohl ich ja mit einer Schwäbin verheiratet bin, muss ich aufpassen, dass ich alles verstehe. Katrin hatte, im Laufe der Jahre, ihren Dialekt doch ein bisschen verloren.
Ich teile mir ein Büro mit meinem Stellvertreter. Der…….vier Jahre älter als ich, hätte meinen Posten eigentlich gerne gehabt, aber er war zu labil und konnte sich nicht durchsetzen, so blieb er in der zweiten Reihe. Wir kamen aber Gott sei Dank blendend miteinander aus. Ich hatte ja keine Ahnung von dem was verwaltungstechnisch auf mich zu kam. Deshalb musste er mich, seinen Vorgesetzten, einarbeiten.
Die Hafeninfrastruktur, wie die Kaianlagen, etwa fünfunddreißig Kilometer Hafenbahngleise, ein Hafenbecken für den Ölumschlag, eins für trockene Güter und die Kaianlagen zu beiden Seiten des Neckars gehörten der Stadt Stuttgart. Auf einer Gesamtlänge von fast vier Kilometern wurden etwa dreieinhalb Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Damit hatte der Binnenhafen Stuttgart einen höheren Umschlag, als der Hafen meiner Heimatstadt Cuxhaven. Die  Anliegerfirmen, hatten ihre Grundstücke langfristig gepachtet und ihre für ihren Umschlag notwendigen Anlagen wie Kräne, Förderbänder oder Sauganlagen für Getreide und ihre Hallen und Freilager auf eigene Kosten erstellt. Unsere (meine) Aufgabe bestand nun darin, den ein – und ausgehenden Schiffsverkehr festzustellen und zu überwachen. Weiterhin hatten wir die an – und abgehenden Güter, die per Bahn transportiert wurden zu erfassen. Für jede im Hafen umgeschlagene Tonne unabhängig ob sie per Bahn oder Schiff ankam oder abging, wurde den Anliegerfirmen ein Entgelt in Rechnung gestellt. Bei uns mussten sich die Schiffe mit ihren Ladungspapieren an – und abmelden und wir kontrollierten die Vollständigkeit durch einen Abgleich mit den Schleusendaten und durch regelmäßige Kontrollfahrten durch den Hafen. Dafür stand mir das Feuerlöschboot, das auch einen Salon hatte und gleichzeitig als Bereisungsboot diente, zur Verfügung.
Weiterhin hatte ich einen Dienstwagen aber……ich hatte keinen Führerschein. Ich war ja die ganzen Jahre ganz gut ohne ausgekommen. Und auch nie damit nie Probleme gehabt, im Gegenteil, die Frage, wer was trinken darf und wer von uns fährt stellte sich erst gar nicht. Aber jetzt wurde der Erwerb einer Fahrerlaubnis unumgänglich. Die Funktion eines PKW war mir nicht fremd, hatten wir doch die meiste Zeit ein Auto an Bord gehabt. Da war es des Öfteren vorgekommen, dass ich es hin und her bewegen musste. Ich meldete mich also bei der Fahrschule an, absolvierte meine Pflichtstunden und trat zur Prüfung an. Die Theoretische war kein Problem aber bei der Praktischen, bei der ich unter Anderem auf einer Serpentinenstrecke durch die Weinberge fahren musste, war der Prüfer nicht so ganz zufrieden. Auf seine Frage, wie schnell ich den hier, außerhalb von geschlossenen Ortschaften, fahren dürfte, antwortete ich: „Hundert“. Er meinte daraufhin: „Warum fahren sie dann vierzig?“ Meine Antwort: „Ich komme vom Schiff und bin das langsam Fahren gewohnt“.  Er lachte und meinte, dass ich so aber ein Verkehrshindernis sei und doch ein bisschen schneller fahren sollte. Trotzt meiner etwas zu gesetzten Fahrweise, bekam ich meinen Führerschein, nutzte ihn in der Folgezeit rege und eignete mir eine ziemlich sportliche Fahrweise an.

Bei den regelmäßigen Kontrollfahrten mit dem Boot, peilte ich mit dem Echolot  gleichzeitig die Wassertiefen im Hafen….. Die Flüsse führen bei Hochwasser Sedimente und Geschiebe mit sich. So auch der Neckar, der wie alle unsere  Flüsse, einige Male im Jahr Hochwasser hat. Diese Sedimente setzten sich in den Hafenbecken ab und ich musste diese Untiefen feststellen, die notwendigen Baggerarbeiten ausschreiben, in Auftrag geben und überwachen.
Ab und zu machte ich auch mit dem Boot Rundfahrten, dabei zeigte und erklärte ich den Gästen der Stadt den Hafen und seine Bedeutung für die Region. Wenn ich diese an Bord begrüßte, war ein Schnack von mir, dass ich auf die Vorführung der Rettungsmittel verzichten würde……es wären ohnehin nur welche für das Personal an Bord und sollte das Schiff untergehen, möge sich bitte niemand daran festhalten. Einmal hatte ich eine Schulklasse etwa zehnjähriger Kinder im Hafen. Als sie mit dem Bus ankamen und ich, Bartträger in Uniform, weißer Mütze und  Rollkragenpullover, dazu stieg, hörte ich plötzlich ein Kind: „Da kommt ja Käpt´n Iglo“. Das fanden alle so toll, dass ich zu tun hatte, die Bagage  noch zum Zuhören zu bewegen.

Auch war ich für die Sicherheit und Leichtigkeit der Hafenverkehre, für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und für den Zustand der Kaianlagen und Bahngleise, verantwortlich. Aber das hört sich alles schlimmer an, als es ist und  irgendwann stellte sich eine Routine ein und es wurde mir ein bisschen langweilig. Ok. ich hatte jetzt zweiundvierzig Tage bezahlten Urlaub im Jahr und hatte endlich mal Zeit mich mal so richtig durchchecken zu lassen. Aber so richtig bewegen konnte ich nichts…… Mutter hatte am zwölften Januar Geburtstag. Wie jedes Jahr gratulieren wir ihr telefonisch und ich spreche anschließend noch ein  Weilchen mit meinem Vater. Es hatte außer seinem Hüftgelenk keine weiteren Probleme. Abends ruft Mutter an……..Vater war gestorben. Sie hatten vor dem Fernseher zu Abend gegessen, Mutter danach das Geschirr in die Küche gebracht  und als sie zurückkam, war er schon tot. Er war erst fünfundsechzig, da hätte er sich eigentlich noch ein Weilchen Zeit lassen können. Und sich dann noch ausgerechnet auf Mutters Geburtstag zu verabschieden, war auch nicht die feine englische Art……..

Weil das Wetter so schlecht war, wollten wir nicht mit dem Auto fahren sondern flogen  noch am selben Abend, mit der letzten Maschine nach Bremen und fuhren von dort mit der Taxe nach Cuxhaven. Mutter hatte niemanden außer uns…….da mussten wir uns ja um sie kümmern. Nachdem wir ihn beerdigt hatten, nahmen wir sie mit nach Stuttgart. Sie war noch nie geflogen…….das lenkte sie erst einmal ab. Wir hatten ihr erzählt, fliegen sei wie Omnibus fahren. Aber dieser Flug war, witterungsbedingt, einer der schlechtesten, den wir bis dato erlebt hatten. Von Turbolenzen durchgeschüttelt, waren wir froh als wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten. In den nächsten Tagen unternahmen wir alles um Mutter auf andere Gedanken zu bringen aber sie wurde immer stiller. Als ich sie nach dem Grund fragte, sagte sie mir dass sie es natürlich schön findet, dass wir uns um sie kümmern aber sie möchte wieder nach Hause. Sie wollte gerne, in aller Ruhe und  alleine um Vater trauern. Wir ließen sie schweren Herzens fahren, denn fliegen wollte sie nicht (nie) mehr. Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht aber sie hat mir immer wieder glaubhaft versichert, dass sie sich zu Hause nicht alleine fühlt.

Katrin war schon länger nicht mehr mit ihrem Hausfrauendasein zufrieden. Sie wollte irgendetwas tun, wusste aber nicht was. Sie hatte keinen Beruf erlernt und eine Schreibtischtätigkeit wollte sie sowieso nicht…….also was tun. Ich schlug ihr vor, dass wir einen kleinen Laden pachten und sie Pullover oder Dessous verkaufen sollte. Dann hätte sie was um die Ohren aber dabei keinen Zwang im Nacken, denn ein wirtschaftlicher Erfolg war ja nicht zwingend notwendig. In dieser Phase der Unentschlossenheit las ich in der Zeitung, dass am Autohof, bei uns im Hafen, der Imbiss verkauft werden sollte. Ich fuhr mal hin und holte mir von dem Betreiber ein paar weitergehende Informationen. Was ich da erfuhr, klang gar nicht übel. Der Imbiss war von Montag bis Freitag von acht bis neunzehn Uhr geöffnet, damit waren, für mich ganz wichtig, die Wochenenden frei. Den Umsatz, den er mir nannte, war auch in Ordnung. Selbst wenn er noch dreißig Prozent draufgelogen hat, könnte man damit leben.  Katrin fand die Idee, einen Imbiss zu betreiben, auch nicht so schlecht. Wir schauten uns das alles noch einmal gemeinsam an, und verhandelten den Kaufpreis. Da der Inhaber recht schnell auf unser Angebot einging, regte sich in mir der Verdacht, dass er schnell verkaufen musste, da der Laden wohl doch nicht so gut lief. Trotzdem war ich der Meinung, dass an einem Autohof und in einem großen Gewerbegebiet, damit eigentlich Geld verdient werden könnte. Ich hielt das Risiko für überschaubar und wir wurden Eigentümer eines Schnellimbisses. Wir wussten beide wie eine Currywurst mit Pommes oder ein Hamburger schmecken, hatten aber ansonsten überhaupt keine Ahnung von dem Geschäft. Aus diesem Grund hatte ich mit dem Vorbesitzer vereinbart, dass er uns nach unserer Neueröffnung drei Tage unterstützen sollte.
Wir brachten den Laden erst einmal auf Vordermann. Der Vorbesitzer war Italiener und hatte das nicht so mit der Sauberkeit. Dann kümmerten wir uns um Lieferanten, wie Metzger, Bäcker und Getränkehändler. Dabei tat ich das, was ich besonders gerne tue, ich verhandelte die Preise. Alle anderen Waren wollten wir in der Metro einkaufen. Nachdem wir diese wichtigen Dinge unter Dach und Fach hatten, entwarf ich ein Plakat und einen Flyer mit der Überschrift „Unter neuer Leitung“ und „Zur Eröffnung jede Wurst eine Mark“ und ließ fünfzig Plakate und zehntausend Flyer drucken. Die Plakate brachte ich selber an und die Flyer ließen wir von Schülern verteilen.

Alles war gut organisiert und ich setzte Katrin am Eröffnungstag am Imbiss ab und fuhr ins Büro. Nach einer halben Stunde rief sie mich an und funkte SOS. Der Voreigentümer war nicht da, der Bäcker war nicht gekommen und sie hatte den Laden auf und wusste nicht, was sie machen sollte. Ich nahm mir schnell frei und fuhr ins Geschäft. Dort war aber zwischenzeitlich der Voreigentümer eingetroffen und der Bäcker hatte auch geliefert. Nun war ich einmal da, zog den weißen Kittel über meine Uniform und half mit. Das war auch nötig. Wir hatten, nach unserer Werbung und bei den Eröffnungspreisen, mit einigem Andrang gerechnet, aber dass dieser so groß werden würde, das hatten wir nicht gedacht. Bereits kurz nach Mittag musste ich Waren nachbestellen. Als wir am Abend Kasse machten, hatten wir trotzt der Eröffnungspreisen fast doppelt soviel Umsatz gemacht, als uns der Italiener vermutlich vorgeschwindelt hatte. Ich glaube dass er noch nie so viele Kunden gehabt hatte.  Ich nahm mir jetzt eine ganze Woche frei, kümmerte mich um die Einkäufe in der Metro und setzte ein Inserat in die Zeitung, weil uns klar war, wir dringend eine Mitarbeiterin brauchten.
Am zweiten Tag, ging der Umsatz rapide zurück, was war geschehen, wollten die geizigen Schwaben nur die Schnäppchen mitnehmen? Wir hatten keine Ahnung, woran es lag. Wir hatte sehr gute Ware und deren Zubereitung erfordert ja nun nicht unbedingt einen Sternekoch. Nach zwei- drei Wochen, zog das Geschäft aber langsam wieder an und wir erfuhren den Grund…….die Kunden hatten gelesen „Unter neuer Leitung“, waren gekommen und hatten den Italiener wieder im Laden gesehen. Er hatte offensichtlich einen sehr schlechten Ruf gehabt und deshalb blieben die Kunden erst einmal wieder weg.  Auch die neue Mitarbeiterin suchten wir unter optischen Gesichtspunkten aus. Die überwiegende Zahl waren Männer. Sehr viel Fernfahrer, von denen wir später hörten, dass es sich schon bis über die Grenzen herumgesprochen hatte, dass es im Stuttgarter Hafen einen Imbiss gibt, in dem zwei tolle Mädchen arbeiten  und der offensichtlich auch noch gute Ware hat (in dieser Reihenfolge). Selbst die Motorradstaffel der Polizei war bei uns Stammkunde, obwohl unsere Hamburger teurer waren als die, bei unserem großen Mitbewerber mit dem M.

Alles in allem…….das Geschäft entwickelte sich zu einer Goldgrube.  Katrin ist glücklich, bekommt den ganzen Tag Komplimente und verdient dabei noch besser als ich. Sie ist die geborene Gastronomin, flink, nicht aus der Ruhe zu bringen und immer freundlich. Ich fahre mit ihr morgens in den Laden und helfe  bei den Vorbereitungen zur Öffnung. Nach meinem Feierabend, kümmerte ich mich um den Einkauf und um die Buchhaltung. Wenn ich danach noch im Laden erschien, wo die LKW – Fahrer mittlerweile ihre dritte Currywurst aßen und mit den Mädels flirteten, hörte ich manchmal…….was will der denn hier?
Ja, wenn das alles so gut läuft, wird es langsam Zeit, dass wir uns mal ums „Häusle baue“ kümmern. Wir wohnen zwar aktuell ganz bequem in der Nähe von unseren Arbeitsstätten aber der Traum vom Eigenheim war deshalb nicht verloren gegangen. Den Zahn, in Stadtnähe eine Immobilie zu kaufen, konnten wir uns ziehen lassen.  Hier sind gute Immobilien nicht zu bezahlen. Die Grundstückspreise in den unmittelbaren Randlagen der Stadt, liegen bei eintausendfünfhundert bis eintausendsiebenhundert Mark pro Quadratmeter……. also ebenfalls unbezahlbar.  Selbst  zwanzig Kilometer außerhalb werden noch fünfhundert  bis siebenhundert Mark verlangt. Da kommen bei einem freistehenden Wohnhaus mit sechshundert Quadratmeter Grundstück schon leicht sieben- achthunderttausend Mark zusammen. Zum Vergleich: in Cuxhaven und umzu kostete ein Haus weniger als halb soviel. Ein Häuslebauer im Schwabeländle stand also, trotzt der hier höheren Löhne, am Ende schlechter da, als ein Norddeutscher. So gab es zu der Zeit in Stuttgart eine Vielzahl von norddeutschen Arbeitnehmern, die lieber pendelten, als umzuziehen.

Aber wir werden irgendwann dann doch fündig. In Remseck bei Ludwigsburg unweit vom Neckar, baut ein Unternehmer Reihenhäuser. Ein Eckhaus mit einhundertvierzig Quadratmeter Wohnfläche auf  dreihundert Quadratmeter Grundstück, soll schlüsselfertig, mit Garage,  vierhundertzwanzigtausend Mark kosten. Das erscheint uns, nach den Preisen, mit denen wir vorher konfrontiert waren, fast geschenkt. Wir lassen die Maler- Fliesen und Bodenbelagsarbeiten herausnehmen. Einiges wollen wir selber machen denn Katrin hat so viel  Handwerker unter ihren Kunden, da werden wir schon was hinkriegen. Wir einigen uns mit dem Unternehmer letztendlich auf einen Kaufpreis von dreihundertachtundneunzigtausend Mark.  Jetzt sind wir Bauherren und fahren jeden Abend, nach Feierabend auf die Baustelle. Es ist schon ein tolles Gefühl das Werden des eigenen Hauses zu verfolgen und sich vorzustellen, wie wir darin wohnen werden. Der Bau geht recht flott vonstatten und es gibt wirklich nichts zu meckern. Ich habe ja später noch einige Male gebaut und hatte bei jedem Bau Probleme……..vielleicht können die Schwaben wirklich alles, außer Hochdeutsch.  Das Grundstück war eine Hanglage und terrassenförmig angelegt. Wenn ich die Baggerungen im Hafen habe durchführen lassen, transportierten wir das Baggergut in Trockenbecken, in denen es abtrocknete und wir gaben es dann in den Landschaftsbau. Da auf unserem Baugrundstück Auffüllmaterial fehlte, ließ ich einige LKW von dem getrockneten Baggergut auf das Grundstück fahren. Jetzt weiß ich, warum die Nilbauern auf ihr jährliches Hochwasser warten…….diese Segmente die der Fluss mitgebracht hat, sind so fruchtbar, dass die Pflanzen auf unserem Grundstück doppelt so schnell wuchsen, als wie die bei den Nachbarn.

Wir hatten im Dachgeschoss gleich noch ein zusätzliches Gästezimmer mit Duschbad einbauen lassen und kamen jetzt auf eine Wohnfläche von cirka einhundertachtzig m². Nachdem, was wir bisher an Wohnraum gewohnt waren, erschien uns unser neues Haus riesig. In der Dienstwohnung hatten wir ja Einrichtungstechnisch improvisieren müssen. Jetzt konnte wir uns so einrichten, wie  Katrin es sich erträumt hatte. Als alles fertig war, sprach sie nur noch von ihrem Schloss.

Nachteilig war natürlich jetzt unser Arbeitsweg. Für die rund zwanzig Kilometer in die Stadt und wieder hinaus,  benötigten wir eine gute dreiviertel Stunde.  Aber wir hatten uns jetzt auch meinen Traumwagen, ein Auto mit dem Stern zugelegt. Einen Halbahreswagen von der Geschäftsführung. Das wäre aber beinahe ein Traum geblieben. In dem werkseigenen Verkaufsbüro in dem wir das Auto aussuchten, waren die Wände voller Fotos, von Berühmtheiten, die ihre Autos dort abgeholt hatten. Da sollte man ja eigentlich schon vor Ehrfurcht in den Boden versinken. Als wir den passenden Wagen gefunden hatten und der Verkäufer uns den stolzen Preis nannte, habe ich aus alter Gewohnheit versucht zu handeln. Mein Gegenüber sah mich daraufhin ganz distigniert an, so nach dem Motto, eigentlich müssen wir froh sein, überhaupt einen Stern zu bekommen. Als er mir dann noch zusätzlich sechsundsiebzig Mark für die Zulassung abverlangte, habe ich mich so geärgert, dass wir beinahe ohne den Wagen gegangen wären.
Ganz anders ist es einem uns bekannten Partikulierehepaar ergangen. Die Beiden, wohlhabend aber optisch recht rustikal, wollten sich auch eine E –Klasse zulegen. Der Verkäufer, der sie bediente, traute ihnen so ein Auto nicht zu und ließ sie das wohl auch spüren. Daraufhin, so erzählte mir der Bekannte „heb ik mi so argert, do heb ich mi een fifhunderter S köft“. (habe ich mich so geärgert, da habe ich mir eine fünfhunderter S – Klasse gekauft)

Eines Tages bekomme ich im Büro einen Anruf, von einer Nachbarin von Katrins Mutter, dass sie Katrins Mutter schon mehrere Tage nicht gesehen hätte. Die war zwar schon längere Zeit krank und immer mal wieder im Krankenhaus gewesen, aber sie sind sich wohl doch des Öfteren noch im Treppenhaus begegnet.  Katrins Mutter lebte alleine denn Pierro, ihr sechzehn Jahre jüngerer Mann, hatte vor drei Jahren einen Arbeitsunfall und ist daran verstorben. Ich fahre also hin und als auf mein Klingeln keiner öffnet, rufe ich die Feuerwehr an und lasse die Tür öffnen. Sie liegt auf dem Bett und atmet nur noch schwach. Ich rufe den ärztlichen Notdienst an aber als der eintrifft, ist sie bereits gestorben. Während ich so bei ihr sitze und auf den Bestatter warte, geht es mir so durch den Kopf, dass sie sich in ihrem Leben nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Wie ist sie damit fertig geworden, dass der Vater ihrer Kinder, als sie noch klein waren, Selbstmord begangen hat. Oder das sie danach versucht hat, beide Kinder abzuschieben, was ihr bei Reinhold ja letztendlich auch gelungen ist. Ihrer Tochter, der auch das Schicksal drohte, im Heim aufzuwachsen zu müssen hat sie, als das nicht funktionierte, das Leben danach nicht besonders leicht gemacht.……hat sie das irgendwann einmal bereut??

Zur Beerdigung kommt auch Reinhold. Er bittet mich um Hilfe, denn er möchte danach nicht mehr auf das Schiff zurück. Mein Bekannter war wohl nicht so sehr zufrieden mit ihm und hat ihn das auch spüren lassen. In der eigenen Familie geht man da vermutlich doch etwas rücksichtsvoller miteinander um. Wir können ihm aber schnell wieder einen Job verschaffen. Er kann als Hilfskraft bei dem Metzger anfangen, der uns beliefert. Und der stellt ihm auch eine kleine möblierte Wohnung zur Verfügung. Jetzt kann ich mich auch um seine Entmündigung kümmern. Wir lassen die entsprechenden Gutachten machen und……..im Alter von nunmehr einundvierzig Jahren kann Reinhold endlich für sich selbst entscheiden. Das geht zwar in der Folgezeit nicht immer gut, aber das tut es ja bei Anderen auch nicht immer.

Meine Tochter lebt mittlerweile in Osnabrück. Wir haben uns in den letzten Jahren nur drei, vier Mal gesehen. Sie hatte, inzwischen vierundzwanzig, auch schon eine recht bunte Vergangenheit hinter sich. Ihre Mutter (meine Ex) hatte nach mir einen Jugoslawen geheiratet, und war mit ihm nach Bremen gezogen. Das ging aber nicht lange gut und es gab inzwischen Ehemann Nummer drei. Michelle hatte eine Lehre als Hotelfachfrau begonnen, sie aber, nachdem ihr Chef ihr nachgestellt hatte, hingeschmissen. Danach machte sie, wie ja auch Heike, eine Lehre zur Friseuse. Mit zwanzig lernte sie Ernesto, einen Italiener, kennen, der Filialleiter bei Benetton war und zog mit ihm zusammen. Sie konnte aber den Friseurberuf, nachdem sie ausgelernt hatte, nicht weiter ausüben, da sie auf die diversen Chemikalien allergisch reagierte. Als Ernesto nach Osnabrück versetzt wurde, fing sie auch bei Benetton an und sie arbeiteten zusammen. Es ist aber ihr Wunsch, sich irgendwann einmal selbstständig zu machen. Ich bin von den Beiden überzeugt und habe ihnen zugesagt, dass ich sie, wenn nötig, dabei unterstützen werde.

Eigentlich haben wir uns ja, als wir an Land gegangen sind vorgenommen, jedes Jahr in Urlaub zu fahren. Aber bis jetzt ist immer irgendetwas dazwischen gekommen und der Imbiss hält uns so in Trab, dass wir auch wenn wir es gewollt hätten, gar nicht hätten fahren können. Was nützt es, dass ich zweiundvierzig Tage Jahresurlaub habe, wenn wir den nicht nutzen. Wir sind schon wieder mal Sklaven unseres Objektes und können den Laden, um Urlaub zu machen, nicht mehr einfach zumachen. Unsere Kunden verlassen sich auf uns, wir sind an unserem Standort eine Institution geworden. Aber inzwischen beschäftigen wir drei Mitarbeiterinnen. Eine Ganztagskraft und zwei Halbtagskräfte. Da müsste es doch möglich sein, dass wir uns mal ausklinken.

Die Zusammenarbeit mit unseren Mädels funktioniert sehr gut und wir trauen es unserer Ganztagskraft auch zu, den Laden mal eine Weile ohne uns zu schmeißen. Kurz und gut…….wir planen vier Wochen Barbados. Wir hatten irgendwann mal im Fernsehen einen Bericht über diese Insel gesehen und fanden das, was wir gesehen hatten, so schön, dass wir dort unbedingt einmal Urlaub machen wollten.  In Erwartung eines Tropenparadieses, mit palmenumsäumten weißen Stränden, Steelbands, Reggae, und Rumpunsch, näherten wir uns nach neun Stunden Flugzeit der westlichsten Insel der kleinen Antillen. Schon beim Landeanflug wurden wir das erste Mal enttäuscht. Was da unter uns lag, war kein Tropeneiland sondern der größte Teil der Insel war nicht grün, sondern braun. Wie wir später erfuhren, gibt es dort riesige Monokulturen mit Zuckerrohr. Wenn die Ernte ansteht und das war als wir ankamen gerade der Fall, werden die Flächen vorher abgebrannt um die vertrockneten Blätter zu entfernen. Die nächste Enttäuschung, unser Hotel lag nicht, wie erwartet, an einem endlos langen weißen Traumstrand. Wir waren auf der Ostseite der Insel, der Atlantic Coast untergebracht. Dort liefen an einem zerklüfteten Ufer aus Korallengestein hohe Brandungswellen ans Ufer. Man konnte deshalb eigentlich nur im Pool baden.
Nachdem wir uns akklimatisiert hatten, mieteten wir uns ein „Minimoke“, ein kleines offenes Funcar und fuhren an die Westküste der Caribian Cost. Dort fanden wir dann auch ein bisschen was von dem paradiesischen Eiland, das wir eigentlich erwartet hatten. Spiegelglattes, glasklares Wasser und auch Palmen. Zunächst einmal musste ich mich an den Linksverkehr gewöhnen. Als wir einmal nach Bridgetown, die Hauptstadt von Barbados, fuhren, stand ich beim rechts abbiegen an einer großen Kreuzung, plötzlich auf der rechten Straßenseite und hielt dabei den ganzen Verkehr auf. Für die Einheimischen „no problem“ ……einer stellte sich lachend auf die Straße und stoppte den Verkehr, bis wir wieder links standen und unsere Fahrt fortsetzen konnten. Wir hatten uns das Auto mit einem Ehepaar aus unserem Hotel gemeinsam gemietet und fuhren jetzt jeden Tag an die Westküste.
Dort an unserem Stammplatz kam oft ein Strandverkäufer vorbei. In der einen Hand eine Tasche voller Kokosnüsse und in der anderen Hand eine Tasche mit einigen Flaschen und um den Hals ein Kofferradio aus dem Reggae schallte. Er bot uns für umgerechnet vier Mark einen Pinacolada an, für den er eine Kokosnuss aufschlug und die Milch mit den Zutaten aus seiner zweiten Tasche mixte. So ein Drink, direkt aus einer Kokosnuss, an einem Karibischen Strand……das hatte schon was. Nachdem er für uns vier Drinks zubereitet hatte, und mit strahlendem Gesicht das Geld eingesteckt hatte, setzte er sich ganz entspannt zu uns um sich mit uns zu unterhalten. Als ich ihn fragte, wieviel er am Tag verkaufen müsste, damit er zurecht käme, antwortete er: „Vier“ damit hätte er im Monat so ungefähr dreihundert Mark und das wäre mehr, als was er mit einem normalen Job verdienen könnte. Wie glücklich müssen diese Menschen sein, die das Leben so easy nehmen. Wir gucken, dass uns die Arbeit nicht ausgeht und sie, dass sie nicht zuviel wird.

So langsam hatten wir die erste Enttäuschung verkraftet und die Insel fing an, uns Spaß zu machen. Das Volk ist so locker drauf und wenn man den deutschen Stress hinter sich gelassen hat, kann man sich auch darauf einlassen. Wir genossen die Tanzabende mit Steelbands, Reggae und Rumpunsch, einem Mixgetränk aus weißem Rum Fruchtsaft und Muskat. Und da wir ja ein Auto hatten, haben wir dann doch einige schöne Stellen auf der Insel gefunden. Mit dem Superachtfilm, in dem ich diese Plätze aneinandergereiht hatte, hätten wir dann auch Werbung für Barbados machen können.

Ein besonderes Erlebnis war dann unser Ausflug mit Caribian Air auf die Nachbarinsel St. Lucia. Schon der Flug, wieder mal mit einer „Tante Ju“, war ein Abenteuer. Ich hatte einen Fensterplatz direkt über dem Flügel. Als wir in der Luft waren, traute ich meinen Augen nicht……an der Tragfläche waren Nieten lose. Sie vibrierten hin und her. Ich behielt sie während des kurzen Fluges immer im Blick und war froh als wir heil auf St. Lucia angekommen waren.
Diese Insel mit ihrem Wahrzeichen, den Twin Pitons, zwei nebeneinander stehenden spitzen inaktiven Vulkankegeln, ähnelt dann schon eher den Vorstellungen einer Tropeninsel. Hier gibt es Urwald, Bananen und andere tropische Früchte und auch Palmenstrände. Allerdings liegt sie im Hurrikangürtel und wird deshalb oft von schweren Stürmen heimgesucht ……. Einen Monat nach unserem Besuch wurde die Hauptstadt Castries von einem Hurrikan der auch fast die gesamte Bananenernte vernichtete, schwer beschädigt.
Auf unserem Rückflug nach Barbados, saß ich in der gleichen Maschine auf dem gleichen Platz. Mein erster Blick……nach den Nieten. Die schienen jetzt aber fest zu sein. Aber nach einer Viertelstunde in der Luft……klapperten sie wieder. Vermutlich kann man sie auch wegnehmen, denn sie sind offensichtlich überflüssig weil wir, Gott sei dank, wiederum heil runter gekommen sind.

Auch der schönste Urlaub endet irgendwann und man muss wieder in die Realität zurück…….so auch wir. Zu Hause angekommen, galt unser erstes Interesse natürlich dem Geschäft. Wir hatten zwar ein paar Mal mit unserer ersten Kraft telefoniert, so dass wir uns keine großen Sorgen gemacht hatten. Vor der Reise hatten wir uns gesagt, dass es ok wäre, wenn die Mädels die Kosten einspielen würden, aber als wir die Abrechnung bekamen, mussten wir feststellen, es ging auch ohne uns ganz gut……..eigentlich hätten wir gar nicht zurückkommen müssen……..

Kapitel 7 
Wenn es dem Esel zu gut geht………

1991 - 1996
Am 03.10.1990 feiert Deutschland seine Wiedervereinigung. In den nun neu hinzugewonnenen Bundesländern, herrscht Goldgräberstimmung. Ein komplettes Wirtschaftssystem muss umgebaut werden.......es war die Stunde Null und wer jetzt zu spät kommt, den bestraft das Leben. Für unseren Hausbau in Remseck  hatten wir von unserem Vermögen lediglich zweihundertfünfzigtausend Mark eingesetzt und das was wir darüber hinaus gebraucht hatten, finanziert. Die restlichen fünfhunderttausend Mark, die uns von dem Schiffsverkauf übrig geblieben waren, hatten wir gut angelegt. Ich hatte ja Michelle und Ernesto versprochen, dass ich sie auf ihrem Weg in eine Selbstständigkeit unterstützen würde. Durch die Wende boten sich ja nun im Osten tausende von Möglichkeiten an und so fuhr ich mit Ernesto gleich Anfang 1991 nach Schwerin. Mecklenburg deshalb, weil es Norddeutsche sind, die dort leben und Schwerin, weil ich ganz fest davon ausging, das es einmal die Landeshauptstadt werden würde.
Es gab hier seit ein paar Tagen bereits ein Amt für Wirtschaftsförderung, aber die Mitarbeiter, die wir dort vorfanden, wussten noch gar nicht so genau, was ihre Aufgabe war. Wir erkundigten uns welche Möglichkeiten beständen in der Stadt ein Modehaus zu eröffnen und bekamen einen Treuhandkatalog mit Geschäften, die zum Verkauf standen. So ausgerüstet begaben wir uns auf Besichtigungstour. In der nicht sehr gepflegten Fußgängerzone konnten wir praktisch jedes Geschäft kaufen. Ernesto war von dem, was wir schon gesehen hatten, nicht so richtig begeistert. Alle Geschäfte waren in einem schlechten Zustand und mussten von Grund auf saniert werden. Wir hatten uns vorgenommen, uns auch am nächsten Tag weiter umzusehen, denn es war uns tatsächlich gelungen ein Hotelzimmer zu ergattern. Das war zu dieser Zeit gar nicht so leicht, weil der Osten von Versicherungsvertretern und Autoverkäufern überschwemmt war, die unseren Neubürgern alle möglichen Versicherungen und Schrottkisten andrehten.
Als wir zur Feierabendzeit  in unser Hotel gingen, war es nebelig und es hing eine Wolke von Braunkohleöfen und Trabbiabgasen in den Straßen und in der Luft, die einem den Atem nahm. Unter diesen Umständen war ein Wohnen in dieser Stadt nicht besonders erstrebenswert. Abends an der Hotelbar ließen wir den Tag Revue passieren und Ernesto erzählte mir, dass er eigentlich lieber Autos verkaufen wollte.
Gebrauchtwagenhändler gab es mittlerweile aber an jeder Straßenecke und auf der grünen Wiese. Findige Holländer organisierten sogar Busreisen nach Holland, um Interessenten und holländische Verkäufer zusammenzubringen. Auf diesen Zug aufzuspringen, war meines Erachtens schon zu spät. Aber ein richtiges Autohaus mit Werkstatt zu bauen, das hielt ich für die langfristig bessere Variante.
Also waren wir am nächsten Tag wieder bei der Wirtschaftsförderung und erkundigten uns nach Gewerbegrundstücke. Und wirklich, wir wurden fündig. Ein pfiffiger Landwirt, vermutlich in Kürze einer der ersten Neureichen, hier im Osten,  hatte, nachdem er seine Ländereien am Rande von Schwerin zurückbekommen hatte, diese für einen neuen großen Gewerbepark umwidmen lassen und an die von ihm gegründete Immobiliengesellschaft verkauft. Diese übernahm die Erschließung und die Vermarktung des gesamten Areals. Der Grundstückspreis betrug fünfundsiebzig Mark für den Quadratmeter. Ich war jetzt bereit, für die Beiden ins Risiko zu gehen und reservierte für uns fünftausend Quadratmeter in guter Lage, direkt an der Einfahrt zu dem Gewerbegebiet.  Ein guter Kaufmann wie Ernesto, kann alles verkaufen.......also auch Autos. Das technische Wissen kann er sich aneignen und für die Werkstatt stellt er die entsprechenden Mitarbeiter ein. Michelle ist klug genug, um die Buchhaltung zu leiten…….und was sie noch nicht weiß, kann sie lernen.

Jetzt mussten wir uns zunächst einmal um einen Händlervertrag bemühen. Da ich ja in Stuttgart den Hersteller mit dem Stern vor der Nase hatte und auch beruflich des Öfteren mit de Firma zu tun hatte, machte ich kurzerhand einen Termin und trug dabei unseren Plan vor. So kurz nach der Wende hatten sich aber die meisten Hersteller schon nach Standorten umgesehen und da wo es möglich war, auch schon Vorverträge gemacht. So auch die Stuttgarter. Sie hatten einen Vorvertrag mit einem Wartburghändler, in dem sie ihm ein Jahr Zeit gaben, ein entsprechendes Objekt zu erstellen. Mein Gegenüber bedauerte das, sah aber aktuell keine Möglichkeit vorzeitig aus dem Vertrag zu kommen. Sie würden aber zu gegebener Zeit gerne auf mich zurückkommen. Da war natürlich sehr schade. Ein Autohaus mit dem Stern zu betreiben, war einmal abgesehen von der Investition, kaum ein Risiko. Die Händlerprovision war zwar die Niedrigste von allen Marken aber es gab wegen der langen Lieferzeiten keine Lagerhaltung und deshalb man musste keine Autos vorfinanzieren. Die Händler fungierte eigentlich nur als Makler.
Was nun.....bei VW, Ford und Opel ein ähnliches Bild, vielleicht wäre später etwas möglich, aber aktuell leider nein. Auf den Stern zu warten hatte auch keinen Sinn. Wir sind offenbar doch zu spät gekommen. Aber Ernesto ist ja Italiener, da fällt uns noch Fiat ein. Und tatsächlich, wir rennen dort offene Türen ein.  Fiat war in Schwerin noch nicht fündig geworden und sie sind begeistert als wir uns bei ihnen melden. Sie bieten uns an, Haupthändler für PKW und Iveco Nutzfahrzeuge in Mecklenburg zu werden. Das ist natürlich eine andere Nummer aber zusammen mit dem Geschäft für Transporter und dann noch Haupthändler, hört sich das doch ganz gut an. Sie stellen uns einen Werbekostenzuschuss von fünfzigtausend Mark in Aussicht und wir schließen einen Vorvertrag ab.

Als Nächstes brauchen wir eine Finanzierung. Ich hatte geplant, dass Ernesto und Michelle als geschäftsführende Gesellschafter eine GmbH gründen sollten. Durch die Neugründung alle möglichen Fördertöpfe ausschöpfen sollten, und ich mit fünfhunderttausend Mark als stiller Teilhaber einsteige.  Wir hatten einen jüngeren ostdeutschen Architekten gebeten uns eine Grobplanung für das Objekt inklusive einer geräumigen Inhaberwohnung  on Top zu machen. Was er uns schließlich zur Verfügung stellte, war optisch nicht schlecht……. Ein werbewirksamer Bau mit einer einhundertzwanzig Quadratmeter großen Wohnung plus einem Dachgarten von achtzig Quadratmeter.  Kostenpunkt........zwei Millionen.   Ich kümmerte mich um ein Konzept, einen Businessplan mit einer Ertragsvorschau und vereinbarte mit einigen Banken in Schwerin Termine.

Das war gar nicht so einfach, denn die Telefonverbindungen in den Osten waren katastrophal. Ich habe manchmal Stunden gebraucht um durchzukommen. Wir sprachen mit drei Banken, die noch recht provisorisch untergebracht waren und eine sogar noch in Containern residierte. Alle drei standen, nicht zuletzt auch wegen unserer guten Eigenkapitalsituation, unseren Plänen positiv gegenüber. Da die Konditionen, die man uns angeboten hatte, annähernd gleich waren, entschieden wir uns für eine Hamburger Bank. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich bezüglich der Fördermittel die wir uns erhofften, am Besten für uns einsetzen würden. Wir stellten die entsprechenden Anträge.  Darlehen in dieser Größenordnung wurden natürlich nicht in Filialen entschieden. Man teilte uns mit, dass es in etwa drei Wochen dauern würde, bis wir Bescheid bekämen.  Weil es für uns immer sehr problematisch war, in Schwerin ein Hotelzimmer zu bekommen, hatte mir mein guter Freund Karl aus dem BDS die Adresse seiner Kusine gegeben, die in Schwerin wohnte. Er meinte, dass sie uns da wohl behilflich sein könnte. Sie war erst seit kurzem Witwe.  Sie hatten sich gleich nach der Wende einen BMW gekauft und ihr Mann war dann damit tödlich verunglückt. Er war eines der vielen Opfer geworden, die nach der Wende auf den relativ schlechten Straßen im Osten, mit den schnellen Westautos nicht zurechtkamen.
Sie hatte ein Wochenendhaus am Schweriner See. Weil die Rentenangelegenheit noch nicht so richtig geklärt war, ging es ihr  wirtschaftlich nicht sehr gut. Um über die Runden zu kommen, wollte sie das Häuschen gerne vermieten. Während der Bauphase musste ich ja des Öfteren und Ernesto nach Baubeginn ständig vor Ort sein. Also mietete ich das Haus für sechs Monate.
Nach knapp vier Wochen bekamen wir Bescheid, dass die Bank die Darlehen genehmigt hatte. Wir trafen uns also wieder in Schwerin und unser Banker hatte die Unterlagen soweit vorbereitet. Allerdings hätte seine Zentrale in Hamburg bemängelt, dass Ernesto nicht aus dem KFZ- Gewerbe kam, das würde natürlich ihr Risiko erhöhen. Aber die Bank würde eng mit der Bürgschaftsbank Mecklenburg - Vorpommern zusammenarbeiten und die würden gegen zwei Prozent zusätzlich die Bürgschaft übernehmen. Ferner sollte ich mit Katrins und meinem Vermögen in die Haftung gehen. Davon war aber nie die Rede gewesen, auch die Bürgschaftsbank war vorher kein Thema. Ich fühlte mich über den Tisch gezogen und war richtig sauer. Durch die zusätzlichen zwei Prozent stieg unsere Zinslast um ein Drittel…….das war für mich nicht akzeptabel.  Ich zog mich mit Ernesto zu einem Vieraugengespräch zurück. Bei der Diskussion um ein Für und Wieder, kam er damit raus, dass Michelle, der er zwischenzeitlich schon mal ihre neue Heimat gezeigt hatte, gar keine Lust hatte, in den Osten zu ziehen. Das gab dann den Ausschlag………wir stiegen aus. Ich hatte zwar schon fast zwanzigtausend Mark in das Projekt gesteckt aber jetzt wollte ich nicht mehr. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.   Am Ende waren alle froh. Michelle, weil sie sowieso nicht in den Osten wollte, Katrin, weil uns das Kapital erhalten bleiben würde und Ernesto, dem das ganze irgendwie dann doch eine Nummer zu groß war. Nur ich bin nicht zufrieden, denn ich hätte den Beiden wirklich gerne unter die Arme gegriffen und……..ich verliere nicht gerne.

Im Sommer 1992 ruft mich mein Freund Karl an. Er und ein paar meiner ehemaligen Vorstandskollegen beim BDS haben Großes vor. Sie möchten von der Treuhand aus dem ehemaligen DDR Kombinat Binnenschifffahrt, Werften und Wasserstraßen, die „Deutsche Binnenreederei GmbH i. L.“ (in Liquidation) herauskaufen und fragt mich, ob ich Lust hätte, da mitzumachen……..ich, von meinem Posten im öffentliche Dienst unendlich gelangweilt, hatte Lust und sage sofort und ohne lange zu überlegen zu.  Zur Binnenreederei gehörten etwa eintausend Wasserfahrzeuge (Motorgüterschiffen, Tankschiffen, Schubbooten, Schubschiffen, Schleppern und Leichtern) mit einer Tragfähigkeit von zusammen weit über vierhunderttausend Tonnen. Sie war das größte westeuropäische Binnenschifffahrtsunternehmen und wurde nach der Wende der Treuhand unterstellt, die es verkaufen oder liquidieren sollte. Aufgrund das Wegbrechens des Transportmarktes in den neuen Bundesländern, hatte die Treuhand inzwischen etwa zwei drittel der Flotte stillgelegt und über dreitausend Mitarbeiter entlassen.  

In meiner Zeit als Partikulier, bin ich diesen Schiffen, die in der Hauptsache für den Gütertransport innerhalb der DDR eingesetzt waren, oft begegnet. Ich konnte mir deshalb schon in etwa ein Bild über den Zustand der Flotte machen. Von Karl bekam ich die  Unterlagen der Treuhand zur Einsicht und nachdem Katrin und ich uns diese genau angesehen hatten, einigten wir uns darauf, dass wir, wenn alle Vorraussetzungen stimmen würden, mit vierhunderttausend Mark, das waren zwölf Prozent des geplanten Stammkapitals, dort einsteigen würden.  Mit sechs Interessenten aus unserem Freundes - und Bekanntenkreise und Herbert, dem ehemaligen Bundesgeschäftsführer des Bundes der Selbstständigen (BDS) in Bonn und Initiator dieses Vorhabens, trafen wir uns bei Karl in Bremen. Wir diskutierten, welche Chancen wir mit so einem großen Unternehmen im Markt hätten  und wie wir es in die Marktwirtschaft überführen könnten und kamen zu dem Entschluss, dass wir das Risiko auf uns nehmen wollten, wenn der Kaufpreis stimmen würde.
In der Berliner Verwaltung waren noch achtzig Mitarbeiter in den Abteilungen Schifffahrt, Technik und Buchhaltung und auf den Schiffen noch etwa fünfhundert Leute beschäftigt. Diese Mitarbeiter galt es nun an die Hand zu nehmen um sie für die Marktwirtschaft fit zu machen. Wir kamen überein,  Herbert zum Geschäftsführer zu bestellen. Der kam nicht aus der Schifffahrt und war nur bereit, diese Aufgabe anzunehmen, wenn ihn zwei drei Leute aus unserem Kreis unterstützen würden. Ich fühlte mich ja schon seit längerem wie ein Fisch auf dem Trockenen und mit meinem Posten in Stuttgart unterfordert, deshalb erklärte ich mich bereit mit nach Berlin zu gehen. Es fand sich noch ein weiterer Kollege und auch Karls Sohn, ein Schifffahrtskaufmann, würde mitmachen. Nachdem wir uns einig waren, gründeten wir die „Mittelständische Binnenreederei GmbH“ in Bremen zum Zweck der Übernahme der Deutschen Binnenreederei (DBR) mit Sitz in Berlin. Herbert hatte durch seine vorhergehende Tätigkeit Im BDS guten Kontakt zur Politik und wusste, dass es der Treuhand beim Verkauf von Unternehmen wichtig war, soviel Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten. Der Kaufpreis spielte eine sekundäre Rolle. Also machten wir der Treuhand ein Angebot über zehn Millionen Mark für die Schiffe, ohne Immobilien und eine Arbeitsplatzgarantie von fünfhundert Mitarbeitern für die nächsten fünf Jahre. Bei diesem Kaufpreis würden wir kein Risiko eingehen, denn alleine der Schrottwert der Schiffe überstieg ihn um das Vielfache.
Ich war zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, dass wir mit unserem Angebot sowieso keine Chancen hätten, den Zuschlag zu bekommen. Mein Argument, dass die westdeutschen Großreedereien, sich doch nicht von so ein paar Mittelständlern die Butter vom Brot nehmen lassen würden, beruhigte auch Katrin. Sie war nämlich mit meiner Zusage an meine Mitstreiter, dass ich mit nach Berlin gehen würde, nicht so ganz einverstanden……
Vor dieser Aktion hatten wir uns vorgenommen, dem kommenden Winter so weit als möglich zu entgehen. Da ich noch ausreichend alten Urlaub hatte, mieteten wir uns für sechs Wochen, ab Mitte Januar bis Ende Februar ein Haus mit Boot und Auto in Florida. Den Betrag dafür überwies ich Anfang Dezember an das Reisebüro. Ein paar Tage danach, informierte uns Herbert, dass die Treuhand nachgefragt hatte, ob wir bereit wären unser Angebot noch nachzubessern. Es wurde beschlossen, den Kaufpreis um fünfhunderttausend Mark und die Mitarbeitergarantie um fünfzig zu erhöhen. Das machte mich zwar stutzig, aber ich machte mir immer noch keine größeren Gedanken darüber, dass das Angebotsverfahren zu unseren Gunsten ausgehen könnte.
Zwei Tage vor Weihnachten schickt mir Karl ein Fax……..wir haben den Zuschlag. Diese Nachricht schlägt mir sofort auf den Magen. Ich habe das erste Mal in meinem Leben Angst vor meiner eigenen Courage.  
Und nun geht alles auch sehr schnell. Wir sollen schon Ende Februar übernehmen. Das heißt keinen Urlaub in Florida, und einen Aufhebungsvertrag mit dem Hafenamt schließen. Dazu musste ich mich wieder selbstständig machen, denn wir hatten vereinbart, dass ich mit der DBR einen Beratervertrag abschließen würde.  Und als zweitgrößter Gesellschafter hatte ich auch noch einen Posten im Aufsichtsrat. Mein Salär, das ich verhandelt hatte und ich verhandele gerne, war  so gut, dass meine Schwäbin ihren anfänglichen Widerstand aufgab, zumal ich ihr versprach, soweit möglich, jedes Wochenende nach Hause zu kommen.  Jetzt versuchte ich noch, die Kosten, oder zumindest einen Teil, von unserer Floridareise zurückzubekommen, das ist mir leider nicht gelungen……aber bei meinem aktuellen Einkommen werden wir das verschmerzen.
Ende Januar lädt Karl zu seinem „Sechzigsten“ nach Bremen- Vegesack ein. Karl ist Tankreeder und hat cirka zweihundert Gäste in eine Ausflugsgaststätte am westlichen Weserufer eingeladen. Neben seinen Auftraggebern und Kunden natürlich auch die neuen Gesellschafter der DBR und solche, die es eventuell noch werden könnten. Wir wollen neben seinem Geburtstag auch gleichzeitig unseren Erfolg in dem Bieterverfahren feiern und, wenn möglich, noch ein paar neue Gesellschafter hinzugewinnen. Fast alle Gäste müssen am Abend mit der Fähre  zu diesem Gasthaus übersetzen. Also…….Chapeau, Karl hat sich nicht lumpen lassen. Er bewirtet uns aufs Feinste. Vielleicht habe ich damals meinen Tanker doch zu früh zum Frachter umbauen lassen.  Wir feiern ihn und uns und als die Musik um zwei auch mit Geld und guten Worten endgültig nicht mehr bereit ist Zugaben zu spielen, machen wir uns auf den Weg zur Fähre. Wir kommen aber nicht weit, weil uns das Wasser entgegen kommt. Es herrscht eine Nordwestwetterlage und starke Stürme haben das Weserhochwasser so ansteigen lassen, dass die gesamte Uferregion unter Wasser steht und auch die Fähren hatten mittlerweile den Verkehr eingestellt. Was können wir also tun……..wir feiern weiter. Und da auch die Kapelle nicht wegkommt, packen sie ihre Instrumente wieder aus.
Morgens um sieben kommen wir endlich auf die andere Seite und alle Autos, die an der Fähre abgestellt waren, waren vollgelaufen. So etwas nennt man, glaube ich, Kollateralschaden. Unser Auto stand bei  Karl…….wir hatten ein Taxi genommen.

Ich habe meinen sicheren Job, mit Pensionsberechtigung, sausen lassen und fühle mich irgendwie wieder frei. Trotzdem fliege ich, mit einem etwas mulmigen Gefühl, weil ich nicht weiß, was wohl jetzt auf mich zukommen wird, zur Vertragsunterzeichnung nach Berlin. Da muss ich jetzt durch.  Nach der feierlichen Zeremonie der Geschäftsübernahme, begeben wir uns auf die Betriebsversammlung um uns unseren Mitarbeitern vorzustellen. Der Abteilungsleiter Schifffahrt begrüßt uns als Sprecher der Belegschaft. Als ich mir ihn so ansehe, denke ich, dass ich ihn irgendwo schon einmal gesehen habe. Und mit einem Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen……das ist doch der nette Prüfer, der mir vor siebzehn Jahren die Patentprüfung abgenommen hatte. Hätte ich ihm damals gesagt, dass ich einmal sein Vorgesetzter werden würde, weiß ich nicht, ob er noch so nett gewesen wäre…….ich glaube ich wäre in Sibirien gelandet. Aber er ist immer noch nett. Ein Kerl wie ein Baum mit Vollbart und Händen wie Klodeckel. Er ist früher auch als Kapitän gefahren und hat dann noch ein Wirtschaftsstudium zum Ing. Ökonom absolviert. Er kennt den Betrieb aus dem Efef und wird uns in der Folgezeit zu einer wichtigen Stütze. Ich habe mich später mit ihm angefreundet und er hat mir erzählt, dass auch er mich sofort wiedererkannt hätte. 

Ich bin jetzt einer der Leithammel mit einem eigenen Büro, und eine, zugegeben sehr hübsche Vorzimmerdame. Mein Einstieg gestaltet sich dann doch erheblich leichter, als ich gedacht hatte. Alle unsere Mitarbeiter waren ja fremd im kapitalistischen System und keiner zweifelt an unserer Kompetenz. Allerdings standen sie uns zunächst einmal etwas misstrauisch gegenüber. Die  Treuhand hatte im Osten keinen guten Ruf. Hatte sie doch viele Betriebe geschlossen und dadurch zigtausend Arbeitsplätze vernichtet. Auch bei den Privatisierungen hatte sie nicht immer ein gutes Händchen gezeigt. Viele Unternehmen waren von den neuen Eigentümern, nachdem sie sich die Filetstückchen gesichert hatten, zerschlagen worden.
Keiner von uns hatte vorher in einem Großbetrieb eine führende Position innegehabt und wir hatten deshalb auch keine Erfahrungen mit den dort praktizierten Führungsstielen. Wir kannten es nicht besser und standen unseren Mitarbeitern zu jeder Zeit für Fragen zur Verfügung. Ich war mit Sondervollmachten für alle Geschäftsbereiche ausgestattet, und  konnte auch sofort Entscheidungen treffen. Meine Bürotür war, wenn ich nicht gerade einen Gesprächstermin hatte, immer und für jeden Mitarbeiter geöffnet.  Es musste uns gelingen, in möglichst kurzer Zeit ihr Vertrauen zu gewinnen denn wir benötigen, um das Unternehmen zum Erfolg zu führen, das Wissen und die Motivation unsere Angestellten. Sie kannten den ostdeutschen Markt und haben, wie dort früher üblich, viele persönliche Kontakte. Diese alten Seilschaften existieren ja zum großen Teil noch. Wenn wir eine reelle Chance haben wollen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass der ostdeutsche Markt in unseren Händen bleibt.
Dafür mussten wir auch den bisherigen großen Auftraggebern, wie den Berliner Kraftwerken, glaubhaft machen, dass unser Konzept ihnen eine langfristige Transportsicherheit bietet.  Um die etwa eintausend Wasserfahrzeuge, die überall innerhalb der ehemaligen DDR verstreut und lagen, auch körperlich zu übernehmen, brauchten wir annähernd drei Monate. Einige kleinere Fahrzeuge waren verschollen und andere bereits in irgendwelchen Kieslöchern untergegangen. Wurden sie gefunden, wurden wir von der WSP aufgefordert, unsere Wracks beseitigen zu lassen.
Ein Großteil der stillgelegten Flotte (Parkflotte) lag in Rogätz in der Nähe von Magdeburg. Es war schon gigantisch……..hunderte Schubleichter und Schubboote füllten fast den gesamten Baggersee aus. Zur Bewachung waren fünfundzwanzig Leute abgestellt, deren Aufgabe es unter anderem war, die Motoreinheiten, jetzt im Winter zu beheizen, damit die technischen Anlagen nicht kaputt frieren.

Die DDR hatte, um Devisen für Ölimporte zu sparen, selbst die Schiffe mit Braunkohleheizungen ausgerüstet. So lag über dem See eine dicke, beißende Qualmwolke. Das störte hier aber niemanden, denn im Osten wurden ja überall mit Braunkohle geheizt.  Ein weiterer Teil der Parkflotte lag in der Rummelsburger Bucht in Ostberlin. Hier das gleiche Bild……Schiff an Schiff, soweit das Auge reicht. Diese Kosten, die uns die stilliegende Flotte verursacht, können wir mit den fahrenden Schiffen nicht verdienen. Es ist uns klar, dass wir diese so schnell wie möglich wieder in Gang bekommen, oder verwerten müssen.
Die Abteilung Technik bekam den Auftrag den Zustand der Schiffe zu dokumentieren, damit wir uns ein Bild von dem Reparaturstau und den uns dadurch entstehenden Kosten machen konnten. Alte Schiffe, bei denen der Aufwand zu hoch war, sollten abgewrackt und die Besseren durch Modernisierung effizienter einsetzbar gemacht werden. Auch dachten wir an einen Verkauf von einem Teil der Flotte, um uns ausreichend Liquidität dafür zu schaffen. Allerdings sollte kein Schiff an  Wettbewerber gehen. Unsere Zielgruppe waren Wasserbaufirmen und ausländische Interessenten. So haben wir Schubleichter nach Westafrika und in die skandinavischen Länder verkauft.

Wir vier Wessies haben eine große möblierte Wohnung im Gästehaus  des Bundesamtes für Strahlenschutz in Karlshorst gemietet. In diesem Objekt fühlten wir uns, streng bewacht, sicher. Karlshorst ist noch russische Garnison. Um uns herum leben tausende Soldaten mit ihren Familien. Wenn wir morgens ins Büro fahren, wird das Straßenbild von den Tellermützen der Soldaten dominiert. Dieser Stadtteil war vor dem Krieg die Beamtenstadt von Berlin. Viele alte Patrizierhäuser zeugen noch vom Wohlstand, der hier einmal herrschte. Aber jetzt sah es hier genauso aus, wie im gesamten Ostberlin……die Häuser zerfielen, Farbe gab es nicht und die Grundstücke waren ungepflegt.
Aber so ganz zaghaft, machte sich auch hier die neue Zeit wie ein zartes Pflänzchen breit…….hier ein Italiener, dort eine neue Kneipe oder ein kleiner neuer Laden. Alles braucht seine Zeit…..

Wenig Zeit hingegen, haben die großen Projekte im Zentrum von Berlin. Am Potsdamer Platz, eine riesige Brache an dem ehemaligen Todesstreifen mitten in der Stadt, stehen in – und ausländische  Investoren in den Startlöchern. Hier soll die neue City entstehen. Um solch ein Projekt mitten in der Stadt zu realisieren, bedarf es einer ausgefeilten Verkehrslogistik. Es müssen Unmengen von Baustoffen in die Stadt und Abbruchmaterial heraus gefahren werden. Hier kommen wir mit unserem  Equipment ins Spiel. Die Spree fließt ja mitten durch die Stadt und wir können ausreichend Schiffsraum zur Verfügung stellen, um diese Transporte abzuwickeln und damit den unausweichlichen Verkehrskollaps in der Stadt zu verhindern.
In Ostberlin gibt es ein Kraftwerk, das ausschließlich mit Braunkohle aus der Lausitz betrieben wird. Da dieses keinen Bahnanschluss hatte,  transportierten wir täglich viertausend Tonnen Braunkohle von Königswusterhausen nach Berlin. Diese Aufträge garantieren uns zunächst einmal eine gute Auslastung unserer aktiven Schubflotte.
Wir vier sind voll im Einsatz und kamen keinen Tag vor zwanzig Uhr aus dem Büro. Jeder ist in einem Bereich voll ausgelastet. Herbert kümmert sich um Marketing und Akquisition von Großkunden. Mein Kollege, technisch versiert und auch als Berater in der Firma, kümmerte sich um die Technik. Karls Sohn, um die Logistik und ich, der ja ein paar Jahre Erfahrung in der Hafenverwaltung hinter sich hatte, kümmere mich um die internen Dinge und die Verwaltung. So wurde zum Beispiel keine Rechnung bezahlt, wenn ich sie nicht vorher gesehen hatte. Ich kümmerte mich um den Verkauf von Schiffen und schaffte neue Büromöbel sowie eine Flotte von Dienstwagen für die leitenden Mitarbeiter und die Schiffsinspektoren an. Ganz wichtig war, eine neue Telefonanlage installieren zu lassen und die Mitarbeiter auch darauf und im telefonischen Umgang mit unseren Kunden zu schulen. Denn es kam vor, dass im Betrieb niemand abnahm wenn das Telefon klingelte. Oder unsere Sekretärinnen verabschiedeten sich bereits um halb drei mit Begründung, sie würden schon morgens um sechs anfangen. Wenn ich nachmittags etwas zu schreiben hatte, waren die Mädels ausgeflogen. Ich bestand darauf, dass ihre Arbeitszeit jetzt um acht Uhr beginnen und um halb fünf enden würde. Kurz und gut, wir krempelten die gesamte Büroorganisation um.
Nach Büroschluss gingen wir dann meistens essen oder waren oft noch von Lieferanten eingeladen, so dass unsere Tage meistens nicht vor Mitternacht endeten. Am Morgen saßen wir dann beim Frühstück zusammen, tauschten uns aus und besprachen die nächsten Schritte weil wir uns meistens den ganzen Tag nicht mehr zu sehen bekamen. 
So nach und nach bekamen wir die Sache in den Griff. Die Transportmengen zogen, nicht zuletzt auch wegen der regen Bautätigkeit, die überall im Osten auflebte, langsam an. Wir konnten daran denken, jetzt einige Schiffe der Parkflotte zu reanimieren. Das sprach sich natürlich rum uns so kamen wieder einige der von der Treuhand entlassenen Kapitäne, um nach Jobs nachzufragen. Wir wollten aber zunächst einmal kein zusätzliches Personal einstellen, deshalb bot ich ihnen an, ein Schiff von uns zu mieten oder zu kaufen. Wir würden ihnen, vertraglich zugesichert, die Ladungen vermitteln und sie auch sonst, wenn nötig, betreuen.
Für Interessierte hielt ich Existenzgründungsberatungen ab. Dabei konnte ich ja viel meiner eigenen Erfahrung einbringen Mit unserer Hausbank, hatten wir ein Konzept entwickelt, das geeigneten Kapitänen den Weg in die Selbstständigkeit ermöglichen sollte. Es gab von der Regierung wieder entsprechende Programme, so dass sie, auch ohne Eigenkapital, eine Chance hatten…….Wer sich noch nicht traute, gleich ein Schiff zu kaufen, konnte es zunächst einmal mieten.
Im Laufe von drei Jahren habe ich fast hundert Neugründungen begleitet, von denen die Meisten auch erfolgreich waren. Teilweise so erfolgreich, dass sich aus einigen dieser Partikulierbetriebe sogar kleine Reedereien entwickelt hatten.

Ich war in meinem Element…….ich konnte, nein musste, quatschen ohne Ende und es war immer was los. Ich konnte erst abschalten, wenn ich freitags im Flieger saß und meinen Weekenddrink zu mir nahm. „Tue Gutes und sprich darüber“ ist ein wichtiger Grundsatz im Marketing. Herbert hatte mittlerweile eine Firmenzeitung ins Leben gerufen und ließ die monatlichen Ausgaben an alle für uns relevanten Stellen versenden. So wurde auch die Bundesregierung auf uns aufmerksam und wir bekamen, weil es doch endlich einmal auch etwas Positives aus den neuen Bundesländern zu berichten gab, sogar Ministerbesuch. Die Deutsche Binnenreederei ein Erfolgsmodell?
Auch für unsere stilliegenden Schubleichter bot sich eine wirtschaftlich interessante Lösung an. 1990 wurde das Duale System (grüner Punkt) gegründet. Es sollten Plastikabfälle getrennt gesammelt, recycelt und einer Wiederverwertung zugeführt werden. Man hatte angefangen zu sammeln, ohne die ausreichende Recyclingmöglichkeiten geschaffen zu haben. Irgendwann hatte das System Probleme im Markt geeigneten Lagerraum anzumieten. Wir hörten davon und boten unsere ungenutzten Schubleichter als schwimmendes Lager an. Unser Konzept bestand daraus bis cirka zweihunderttausend Tonnen dieser zu Ballen gepressten Plastikabfälle aufzunehmen. Anschließend wieder an den jetzigen Liegeplatz nach Rogätz zu verbringen, dort zwischenzulagern und bei Bedarf einer Verwertung zuzuführen. Zur Sicherheit wollten wir zwei Schubboote zu Feuerlöschbooten ausrüsten und dieses Lager rund um die Uhr bewachen lassen.
Das Duale System fand unser Konzept gut und es kam zu einem Vertragsabschluss, der so gut war, dass wir der Meinung waren, unser Unternehmen jetzt, auch operativ, in schwarze Zahlen zu bekommen. Aber......nachdem wir etwa vierzigtausend Tonnen eingeladen hatten, war irgendein Schreiberling einer ostdeutschen Tageszeitung au unsere Aktivitäten gestoßen und  hatte einen Artikel mit der Überschrift „Stinkender Westmüll lagert in ostdeutschem Naturschutzgebiet“ veröffentlicht. Daraus entstand, wie auch schon bei anderen Anlässen, eine riesige Medienkampagne, bei der die Politik kalte Füße bekam und uns die bereits erteilte Genehmigung wieder entzog......... Ich bin in dieser Angelegenheit noch bei der zuständigen Behörde in Stendal vorstellig geworden aber man hat uns, wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, obwohl der Grüne Punkt doch eigentlich auf eine Initiative des Bundes zurückgeht……….Ich sah mich einmal mehr in meiner Feststellung, dass wir eine mediengesteuerte Gesellschaft sind,  bestätigt.

Mit unserer Wochenendehe klappte es zunächst wirklich gut. Katrin war aber zwischenzeitlich an Asthma erkrankt und arbeitete nur noch halbtags im Imbiss. Sie hatte jetzt mehr Zeit und holte mich vom Flughafen ab. Sie kochte mir meine Leibgerichte und wir genossen die, zugegeben zu kurze, Zeit miteinander. Nur wenn sie manchmal ihre Asthmaanfälle bekam, war ich doch sehr besorgt und empfahl ihr die Arbeit im Imbiss ganz  aufzugeben und ihn nur noch organisatorisch zu betreuen. Und was ich für ganz wichtig empfand, sie sollte das Rauchen aufgeben. Um sie dabei zu unterstützen, gab ich von einem auf den anderen Tag das Rauchen auf und versuchte sie mitzuziehen. Leider ist es mir nicht gelungen und es hat mich dann doch schon geärgert, wenn sie sich, nachdem sie sich wieder einmal von einem Anfall erholt hatte, trotzdem wieder eine Zigarette ansteckte.
Mitte 1994 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand so sehr, dass sie ins Krankenhaus kam und danach in Kur ging. Daraufhin verkauften wir den Imbiss im Mietkauf an unsere Mitarbeiterin. Nun wurde sie zusehends unzufriedener. Sie langweilte sich jetzt zu Hause und machte mir dann Vorwürfe, dass  ich mir in Berlin ein schönes Leben machen würde und sie zu Hause alleine herumsäße.
Sie hatte einen, aus ihrer Sicht, begründeten Verdacht denn, neben meinen vielfältigen Aufgaben organisierte ich unsere Auftritte bei allen großen Verkehrsmessen im Lande. Ich hatte einen attraktiven Messestand entworfen und bauen lassen und stellte unser Unternehmen in Leipzig, Düsseldorf und München mit einer Crew von vier – fünf Leuten vor…… Bei der Verkehrsmesse in Leipzig kam auch unser Geschäftsführer vorbei und wir gingen abends zusammen essen. Er trank dabei etwas zu schnell und etwas zuviel und lud uns danach noch in eine Bar ein. Diese Bar, war so wie man (n) sich eine Bar vorstellt, die Dekorationen waren ausgesprochen hübsch.  Als erfahrener Seemann weiß man damit umzugehen aber Herbert war nie Seemann und ließ sich verführen mehrere Flaschen Schampus auszugeben.  Als wir gehen wollten, war er plötzlich verschwunden und ich saß auf einer Rechnung von fast eintausendvierhundert Mark. Ich hatte nicht soviel Bargeld dabei und musste mit meiner privaten Kreditkarte bezahlen. Die Abrechnung kam bei mir zu Hause an und da wir keine Geheimnisse voreinander hatten, öffnete Katrin die Post und fand eine Abrechnung der „Rosi Bar“ in Leipzig über fast eintausendvierhundert Mark und dem Hinweis: „Wir hoffen, wir konnten ihnen einen angenehmen Abend bereiten“. Ich weiß nicht, ob ich alle Zweifel bei ihr ausräumen konnte……ich glaube ein Stachel war geblieben…..

Also musste ich mir wieder einmal etwas einfallen lassen……ich verdiente ja sehr gut und bezahlte dementsprechend auch eine Menge Steuern. Um Investitionen in den Osten zu bekommen, hatte die Bundesregierung beschlossen, für diese Sonderabschreibungen zu gewähren. Ich bin jetzt der Meinung, darum sollte ich mich mal kümmern. Auf einem Flug von Stuttgart nach Berlin, komme ich mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie das Liegenschaftsamt in Altlandsberg, östlich von Berlin leitet. Ich hatte mitbekommen, dass durch dieses Steuersparmodell in und um Berlin viele Immobilien in der Entstehung waren bzw. modernisiert wurden. In Altlandsberg sollte ein Baugebiet erschlossen werden, in dem der Quadratmeter einhundertfünfundzwanzig Mark kosten sollte. Das machte mich hellhörig, im Speckgürtel von Berlin, in einem Neubaugebiet Grundstücke zu diesem Preis…….das konnte ja gar nicht schiefgehen. Wir vereinbarten einen Termin und ich sah mir dass Vorort mal an. Die Verkehrsanbindung nach Berlin war gut und laut Bebauungsplan würde dort eine nette Neubausiedlung entstehen in der sich, meiner Meinung nach, Immobilen gut vermieten lassen müssten. Ich hatte noch die freie Auswahl und ließ mir zwei nebeneinander liegende Grundstücke von eintausendfünfzig und eintausendzweihundertfünfzig Quadratmeter reservieren.
Danach führte ich ein Gespräch mit unserem Steuerberater und unserer Bank, die meine Pläne positiv beurteilten. Ich suchte mir ein Bauunternehmen im Ort und plante mit den, aus dem Westen stammenden Inhabern, auf dem kleineren Grundstück zwei Doppelhaushälften zu erstellen und verhandelte mit ihnen einen sehr guten Preis. Damit ich noch in den Genuss der Sonderabschreibung kommen konnte, mussten die beiden Häuser bis Ende 1995 fertig gestellt und auch vermietet sein. Die Fertigstellung regelten wir vertraglich und mit einer entsprechenden Strafzahlung bei Nichteinhaltung der Vereinbarung……..um die Vermietung müsste ich mich selbst kümmern. Nachdem mir unsere Bank für dieses Objekt eine Vollfinanzierung zugesagt hatte, kaufte ich im Februar 1995 beide Grundstücke.
Auf dem Größeren, das ich bar bezahlte, wollte ich vielleicht etwas später ein Bungalow für uns privat bauen. Das Treppensteigen in unserem Reihenhaus über drei Etagen, war für Katrin, in ihrem Zustand, schon sehr mühsam. Ich versuchte ihr einen Umzug In Richtung Berlin so schmackhaft wie möglich zu machen und hoffte, dass sie irgendwann einmal ihre noch ablehnende Haltung aufgeben würde.

Ich saß ja auch im Aufsichtsrat der Firma und wir hatten inzwischen rund fünfzig Gesellschafter. Ertragsmäßig dümpelten wir so vor uns hin. Die schwarze Null schafften wir nur durch den Verkauf von Schiffen. Herbert hatte aus Prestigegründen einen Großvertrag abgeschlossen, der nicht kostendeckend war und versuchte uns als Globalplayer aufzubauen. Er hatte Schiffe mit einem ungeheueren Kostenaufwand nach London auf die Themse geschickt. Weiterhin hatten wir Tochterunternehmen in Polen und in den Niederlanden gegründet. Dazu unterhielten wir Niederlassungen in Magdeburg, Dresden, Hamburg, Duisburg und Mannheim. Diese Entwicklung, die uns erhebliche mehr Kosten verursachte, als sie uns einbrachte, war von mir mehrfach scharf kritisiert worden. Dazu bekamen wir Mitglieder des Aufsichtsrates auf den Gesellschafterversammlungen Kritik ob dieser Entwicklung und  dass wir vier Wessies der Firma durch unsere Heimflüge und  der Unterbringung in Berlin  jährlich etwa einhundertfünfzigtausend Mark kosten würden. Es wurde gefordert, dass wir, nach nunmehr gut zwei Jahren, unseren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegen, oder unsere Reise- und Unterbringungskosten selber tragen sollten. Ich fand die Forderung der Anteilseigner gerechtfertigt und der Ton, der zwischen Herbert und mir sowieso nicht mehr der freundschaftlichste war, wurde dadurch noch rauer.

Die Baufirma in Altlandsberg hatte, nachdem ich die Baugenehmigung in der Hand hatte sofort begonnen und die Grube für das Untergeschoss ausgehoben. Die Häuser sollten jeweils zweihundertvierzig Quadratmeter Wohn – und Nutzfläche bekommen. Darin eingeschlossen ein voll ausgebautes Souterrain mit fünfundachtzig Quadratmeter und separatem Eingang. Ich hatte mir dieses als Einliegerwohnung oder Büroflächen für Freiberufler, wie Steuerberater o. ä. gedacht. Die meisten der umliegenden Neubauten hatten kaum mehr als einhundert Quadratmeter und ich war mir sicher, dass es bestimmt einen Bedarf gäbe, den ich mit meinem Bau decken könnte. Nachdem Ende Mai die Bodenplatte gegossen war, passierte zunächst nichts mehr und ich sah mich das erste Mal genötigt, das Bauunternehmen auf unseren vereinbarten Fertigstellungstermin hinzuweisen.

Anfang Juli habe ich, als Vertreter der Firma, an einer Beerdigung eines technischen Mitarbeiters von uns, der mit nur fünfunddreißig Jahren einem Verkehrsunfall erlegen war, teilgenommen. Er hinterließ eine Frau und zwei kleine Kinder. Das alles hatte mich so mitgenommen, dass ich nicht mehr in der Stimmung war, gleich ins Büro zurückzufahren. Ich fuhr also auf die Baustelle und traute meinen Augen nicht. Eine ganze Kolonne Maurer hatten bereits die Wände im Untergeschoss hochgezogen. Als ich mir das so ansah, kamen mir Zweifel, dass es mit dem was ich sah, seine Richtigkeit hatte und bat um Einsicht in die Pläne. Mich verstand aber keiner…….alle Maurer kamen aus England. Nachdem ich den Vorarbeiter ausfindig gemacht hatte und wir gemeinsam die Pläne einsahen, stellten wir fest, dass die Wände um einhundertachtzig Grad von den Plänen abwichen.  Ja, ja diese Engländer, irgendwie müssen sie den Plan auf den Kopf gestellt haben…….sie fahren nicht nur auf der falschen Seite, nein sie bauen die Häuser auch noch falsch herum. Was für ein Glück, dass ich an dem Tag zur Stelle war. Der Mörtel hatte noch nicht abgebunden uns so rissen sie die Wände wieder ein und fingen wieder von vorne an.
Danach sollte die erste Zwischendecke aus Fertigteilen kommen……sie kam aber nicht. Als ich das Bauunternehmen anrief, hatte ich einen der Inhaber am Telefon, der mir mitteilte, dass  sie für ihre Firma Konkurs angemeldet hatten. Jetzt schnappte ich erst einmal nach Luft. Wie sollte ich die Häuser jetzt termingerecht fertigbekommen und wenn ich die Sonderabschreibung nicht nutzen konnte, war diese Investition für die Katz……. Aber meine Vertragspartner boten mir an, eine neue Firma zu gründen und meine Häuser fertig zu bauen. Ich setzte die Abschlagszahlungen weiter nach hinten um mehr Sicherheit zu haben und wir bauten weiter.

Zu Hause in Hochdorf, ging unsere Diskussion weiter. Katrin wollte nicht mit nach Berlin kommen. Auch meine Argumente, dass uns eigentlich gar nichts Anderes übrig bleiben würde, als nach Berlin zu ziehen, weil ja hier mein / unser wirtschaftlicher Mittelpunkt war, erkannte sie nicht an. Ich weiß nicht, was passiert war, wir waren doch fast fünfundzwanzig Jahre durch dick und dünn gegangen, hatten alles miteinander geteilt und fanden jetzt einfach keine Lösung. Sie holte mich auch nicht mehr vom Flughafen ab. Irgendwie hatte ich den Verdacht, dass sie vielleicht bei einer ihrer Kuren jemanden kennengelernt haben könnte. Wir sprachen jetzt von Trennung und steuerten unaufhaltsam, wie der Zug der Lemminge, auf unseren persönlichen Abgrund zu.
Ich flog wieder nach Berlin und wir vereinbarten, eine Denkpause um uns danach mit den Folgen, wie auch immer, auseinanderzusetzen. Wir kamen aber zu keiner Einigung und es galt jetzt nur noch, eine Trennung fair durchzuziehen. Also setzten wir uns zusammen, listeten unser Vermögen auf und teilten es durch zwei. Sie hatte schon unser gemeinsames Konto abgeräumt und bekam dazu das Haus mit allem was darin war. Dazu das Auto und die Raten aus dem Verkauf des Imbiss und weil sie ja nicht arbeiten konnte, erklärte ich mich bereit ihr, solange sie alleine leben würde, einen Unterhalt von zweitausendfünfhundert Mark im Monat zu zahlen. Ich behielt den Anteil an der Firma und die Immobilien in Altlandsberg.  Als ich mit meinen paar persönlichen Sachen von Hochdorf wegfuhr und sie mir nachsah, hatte ich das Gefühl……wir hatten es eigentlich beide nicht soweit kommen lassen wollen, waren jetzt aber doch den Abgrund hinuntergefallen. Es ist schlimm nach so einer langen Zeit, einen Partner zu verlieren. Aber genauso schlimm ist es fünfundzwanzig Jahre seines Lebens zu verlieren. Es gibt kein gemeinsames Rückerinnern „weißt du noch wie es war“ mehr…..diese Zeit ist einfach unwiederbringlich verloren……
Ein paar Wochen später bekam ich Post von einer Anwältin aus Ludwigsburg. Katrin hatte mir misstraut und über den Tisch gezogen gefühlt. Sie hatte sich mit unserer Vereinbarung an diese Anwältin gewandt……ich weiß nicht, was die ihr geraten hatte. In dem Schreiben, das ich erhielt, waren genau die Forderungen aufgelistet, über die wir uns ja schon geeinigt hatten. Ich rief Katrin an um ihr mitzuteilen, dass sie dieses überflüssige Schreiben einiges kosten würde. Sie hatte die Rechnung schon……..wegen des Streitwertes von über einer Million, verlangte die Anwältin für dieses eine Schreiben von ihr fünfzehntausend Mark. Ich habe daraufhin noch versucht ihr zu helfen, aber mein Schreiben an die Anwaltskammer hatte keinen Erfolg. Nach der Gebührenordnung war die Anwältin im Recht…….

Von der Maklerfirma, die ich mit der Vermietung der Häuser in Altlandberg beauftragt hatte, habe ich wochenlang nichts gehört…….nicht ein einziger Interessent. Aber auch hier hatte ich mir wieder eine Selbstvermarktung offen gehalten und daraufhin die Häuser in den großen Berliner Tageszeitungen angeboten. Es meldeten sich einige Interessenten und schon beim ersten Besichtigungstermin hatte ich für beide Häuser solvente Mieter…….wenn man nicht alles selber macht. Jetzt mussten die Häuser nur noch rechtzeitig fertig werden. „Ich bin ein Berliner“ und spare der Firma die Reisekosten. An den Wochenenden bin ich  jetzt alleine in unserer WG Wohnung und kann nicht sagen, dass ich mich dabei wohlfühle. Das Alleinsein ist nichts für mich, ich möchte jemanden um mich haben…….ich brauche eine neue Frau. Da ich in den letzten Jahren tüchtig zugenommen hatte, fing ich an auf dem weitläufigen Gelände des Bundesamtes zu laufen und Gymnastik zu machen. Ich mied Fahrstühle und klinkte mich bei unseren allabendlichen Rastaurantbesuchen aus. Dabei wurde nämlich meistens deftig gegessen und getrunken. Jetzt bereitete ich mir mein Abendessen selber zu und verlor dabei so nach und nach einige Kilos. Ok, mit neunzig Kilo war ich immer noch kein Leichtgewicht, aber die Anzüge saßen wieder besser, und die Hosen kniffen nicht mehr……so konnte ich mich jetzt aber sehen lassen und mich mal unter den Schönen des Landes umtun.  Ich inserierte in der Wochenendausgabe unserer Tageszeitung, dass ich eine Frau um vierzig suchte, die sich in Jeans aber auch im Abendkleid wohlfühlt. Bei meiner Selbstdarstellung muss ich wohl den richtigen Ton gefunden haben……mit einem guten Marketing kann man ja  bekanntlich alles verkaufen…… denn ich bekam siebenunddreißig Zuschriften.
Jetzt sagen ja ein paar Zeilen noch nicht sehr viel über einen Menschen aus. Aber Männer sind ja bekanntlich Augenmenschen und so selektierte ich zunächst einmal nach dem Aussehen. Dann war mir eine vernünftige Ausdrucksweise wichtig und ich schloss zu junge Frauen aus. Am Ende blieben sieben Damen über und ich fing an, mich zu verabreden. Alle kamen aus dem Ostteil der Stadt. Es war auffällig, aber sie wirkten, nicht zuletzt auch durch ihren Bekleidungsstiel, einfach femininer als die Frauen aus dem Westen. In der nun folgenden Zeit, blieb die Küche in der Wohnung des Öfteren kalt. Ich lud die Mädels, natürlich einzeln, ins ehemalige Pressekaffee am Alexanderplatz ein. Dort servierte  das dort neueröffnete brasilianisches Steakhaus ein hervorragendes Rodizio. Diese Abende waren alle ein Highlight. Fleisch satt und das in Gesellschaft von wirklich tollen Frauen. Natürlich hatten sie sich alle schick gemacht und ich war begeistert. Ich bin ja nicht auf den Mund gefallen und so kamen recht schnell rege Unterhaltungen auf. Offensichtlich hatte ich den Mädels auch gefallen, denn nach unseren Abenden wollten wir auf jeden Fall in Kontakt bleiben. Ich hatte mich zwar in keine verknallt aber da ich der Ansicht war, dass das sowieso Zeit braucht, hätte ich mir vorstellen können, mit jeder von ihnen einen Versuch zu starten. Aber genau das war jetzt mein Problem…….ich konnte mich einfach nicht entscheiden, wie sollte ich denn jetzt weitermachen. Ich wusste es wirklich nicht und weiter sieben Freundinnen auszuhalten, dass wird auf die Dauer auch teuer.

Dann bekam ich noch eine verspätete Zuschrift. Bärbel entsprach, dem Foto nach, genau meinem Beuteschema. Also verabredete ich mich mit ihr in Marzahn, vor dem Plattenbau, in dem sie wohnte. Als sie aus der Tür kam……wow  das war wirklich Liebe auf den ersten Blick. Wieder fuhr ich mit einer neuen Frau zum Brasilianer Rodizio essen. Die Kellner dort wunderten sich wohl schon über mich…….immer wenn er kommt, mit einer Anderen, das ist ja doch ungewöhnlich. Bärbel war acht Jahre jünger als ich und sehr belesen sie erzählte mir, dass sie sich, nach der Wende,  ihren Lebenstraum verwirklicht und einen Buchladen eröffnet hatte. Nur ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse, ging das nicht lange gut und so musste sie ihren Traum vor ein paar Monaten wieder begraben. Jetzt lebte sie von Sozialhilfe in einer Einzimmerwohnung in Marzahn. Nach dem Essen fuhr ich sie wieder nach Hause und sie lud mich noch auf einen Kaffee zu sich ein. Na ja, den Kaffee am nächsten Morgen bekam ich auch noch.
Sie hatte mir auch noch erzählt, dass sie eigentlich Kommunistin sei und es sich bis dato hätte gar nicht vorstellen können, sich mit einem Wessie näher zu beschäftigen. Aber wir beschäftigten uns sehr eingehend näher miteinander und so lernte ich das Liebesleben von Kommunistinnen kennen. Das kannte ich noch nicht aber es gefiel mir so gut, dass ich bald zu ihr in ihre Einraumwohnung in die neunte Etage zog. Sollte sie vorher irgendwelche Ressentiments gegen das Liebesleben von Kapitalisten gehabt haben, legte sie sie schnell ab. Auch sonst hatte sie nichts dagegen, wenn ich den Kapitalisten heraushängen ließ und sie ein bisschen verwöhnte.

Ich war richtig froh, wieder in festen Händen zu sein und schrieb den anderen Mädels ab.  In Ihrem Wolkenkuckucksheim war es ja mit dreißig Quadratmeter ein bisschen eng aber wir hatten bald eine Alternative. Einer meiner zukünftigen Mieter sprang ab. Ich verlangte für eine Haushälfte zweitausend Mark und er hatte etwas Günstigeres gefunden. Kurzerhand hielt ich das Haus für Bärbel frei, die mir versprach, mich als Untermieter aufzunehmen, wenn ich die Miete übernehmen würde.  Sie stellte mich stolz ihrer Familie vor. Sie, die Kommunistin, hatte sich einen Manager geangelt. Ihre Eltern beide Mitte sechzig, hatten mit der Wende durch Betriebsschließungen ihre Arbeitsplätze verloren und waren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Vor allen Dingen ihr Vater, ein ewig Gestriger, schimpfte über die Wende, obwohl es ihnen heute, beide mit einer recht guten Rente, besser ging, als je zuvor und wenn ich mich noch an Karins Oma erinnere, hat die Wende sie vor der Altersarmmut bewahrt.
Das Gemeckere ging mir so ein bisschen auf die Nerven. Wir bekamen deshalb auch nicht so einen guten Draht zueinander. Bärbel hatte einen zweiundzwanzigjährigen Sohn mit Schwiegertochter und eine zwanzigjährige Tochter mit Lebensgefährten und eine Enkeltochter. Ich bekam also jetzt eine ganze Familie dazu.

Zum Richtfest im Oktober hielt den Richtspruch nicht der Zimmermann, sondern einer der Bauunternehmer. Das warum hätte ich eigentlich hinterfragen sollen aber ich war ja noch nicht so bauerfahren. Wir feierten in Altlandsberg in einer Gaststätte namens „Armenhaus“. Als Gag servierte der Wirt Pellkartoffeln mit Salz und ich bat meine Gäste um Nachsicht, weil mir zwischenzeitlich das Geld ausgegangen sei. Nun……ich glaube nicht, dass mir das jemand abgenommen hatte und es gab ja dann auch noch etwas Ordentliches auf den Teller. Aber der Installateur sprach mich bei der Feier an, er hätte gehört, dass der Zimmermann sein Geld nicht bekommen und aus diesem Grund auch keinen Richtspruch gehalten hatte. Er würde mir für seine Heizungs - und Sanitärarbeiten einen besonderen Rabatt einräumen, wenn ich seine Rechnung direkt an ihn bezahlen würde. Er hatte Bedenken, dass er sonst sein Geld auch nicht bekäme. Ich sagte ihm zu denn es war mir egal, ob ich an den Bauunternehmer zahlte oder an den Handwerker. Die Hauptsache war, wir würden termingerecht fertig. 

Und dann kam es, wie es kommen sollte……..Anfang November war meine Baufirma wieder pleite. Die eine Haushälfte war innen, bis auf ein paar Restarbeiten fertig und in der zweiten waren noch der Fliesenleger und der Maler beschäftigt. Außen war noch gar nichts gemacht. Es fehlten die Terrassenplatten, die Pflasterung der Zuwegung und der Stellplätze und die gesamte Grundstücksgestaltung. Aber ich hatte ja, in weiser Voraussicht meine Ratenzahlungen nach hinten verschieben lassen und so hatte ich noch Geld auf dem Baukonto. Von den beiden Geschäftsführern fehlte jede Spur. Sie hatten dieses Mal einen betrügerischen Konkurs hingelegt und waren mit meinen Zahlungen offensichtlich einfach durchgebrannt.
Bei der Zusammenkunft mit den Handwerkern, erfuhr ich, dass das Bauunternehmen weder dem Tischler die Fenster und Türen bezahlt hatte und auch Fliesenleger, Maler oder Elektriker hatten noch kein Geld gesehen. Ich zog erst einmal provisorisch in die Baustelle, damit keiner auf die Idee kam, wieder etwas aus den Häusern auszubauen. Ich hatte ja die vereinbarten Raten pünktlich bezahlt und laut Gesetz dürfen die Handwerker eigentlich nichts mehr entfernen aber…….sicher ist sicher.

Ich einigte mich dann mit ihnen, dass ich alles bezahlen würde, was noch in Arbeit war nur den Tischler konnte ich nicht mehr befriedigen. Ich hatte die Abschlagszahlung die nach dem Einbau bereits bezahlt. Er ist auf seiner Lieferung und dem Einbau von vierzig Türen und Fenster, vier Haustüren und zwei Terrassenelementen sitzen geblieben. Ich hoffe, dass er das wirtschaftlich überstanden hat.  Die Gestaltung des Grundstückes wollte ich aus Kostengründen, selber übernehmen. Ich hatte noch Bärbels Verbindlichkeiten aus ihrem Geschäft übernommen, um zu verhindern, dass sie einen Offenbarungseid leisten musste. Dafür sollte meine neue Familie, jetzt mit anpacken.  Am Besten verstehe ich mich mit Marco, Bärbels Sohn und Jana, seiner Frau. Die Beiden sind zweiundzwanzig und seit kurzem verheiratet. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kam von Anfang an zwischen uns so ein Vater – Sohn Gefühl auf.
Bärbel war alleinerziehende Mutter und ihre Kinder hatten ihre Väter nie kennengelernt. Marco hat es schon zum Abteilungsleiter in einem großen Elektronikmarkt gebracht. Er ist unheimlich aktiv und quatscht genauso gerne wie ich. Jana ist bei einer Krankenkasse und sehr strebsam……die Beiden werden ihren Weg schon machen. Bärbels Tochter Lara, gelernte Friseuse, ist zwei Jahre Jünger, hat eine zweijährige Tochter und lebt mit Andreas dem Vater des Kindes zusammen.  Der hat aber zwei linke Hände, deshalb sehe ich deren Zukunft nicht so ganz rosig.

Das Erdreich rund um das Haus besteht aus einem Sand – Lehm Gemisch und war durch die Baufahrzeuge so festgefahren, dass es steinhart war.  Durch das Souterrain lagen die Terrassentüren etwa eineinhalb Meter über Grundstücksniveau. Deshalb lasse ich seitwärts L-Profile setzen und nach vorne bauen wir einen Wall aus einhundertachtzig Pflanzringen. Unter den Terrassen werden zwei Regenwassertanks mit Pumpen eingesetzt und Wasserhähne jeweils seitlich an den L-Profilen installiert. Ein Tiefbauunternehmen füllt unsere Terrassen an und liefert zweihundert Kubikmeter Muttererde. Wir füllen davon etwa zwanzig Kubikmeter mit Eimern in die Pflanzringe und die Mädels bepflanzen sie. Mit einer geliehenen Motorhacke arbeiten wir den Rest der Muttererde in den Boden ein. Wir zäunen das Grundstück ein, pflanzen eine Hecke und säen den Rasen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so hart gearbeitet hatte. An die Pflasterung und das Verlegen der Terrassenplatten traue ich mich aber nicht heran und lasse das machen. 
Jetzt mussten wir das Haus noch komplett neu einrichten und einen neuen Hausstand anschaffen. Vom Abfalleimer bis zur Zimmerpflanze…….ich hatte ja nichts mehr und dass Wenige, was Bärbel besaß, waren noch Relikte aus der Zeit von vor dem Mauerfall. Wenn es auch manchmal gehakt hat, die Häuser wurden termingerecht fertig, dadurch blieb ich für die nächste fünf Jahre steuerfrei.
Ich hatte die Mietverträge wegen der Spekulationssteuer, nach der ich die Objekte fünf Jahre in meinem Eigentum halten musste, auf fünf Jahre befristet. Wenn ich danach, bei einem Verkauf wenigstens meine Erstellungskosten erzielen konnte, hätte ich ein ganz ordentliches Geschäft gemacht. Für uns plante ich, nach wie vor, im nächsten Jahr ein freistehendes Haus auf dem anderen Grundstück zu errichten.

Zu Weihnachten  haben wir das Haus voll. Wir haben ja Platz genug und so kommt Bärbels ganze Familie. Ich spiele „Oskar der Familienvater“ und fühle mich dabei sauwohl….. Anfang Januar überrasche ich Bärbel mit zwei Wochen Urlaub in Kenia. Wir hatten in der letzten Zeit soviel Stress gehabt, dass ich meinte……wir müssen einfach mal raus. Außer Ostsee und Ungarn kannte sie ja noch nichts von der Welt und jetzt sollte es schon in einer Woche nach Ostafrika gehen. Ich hatte eine Lastminute Reise mit Glückshotel nördlich von Mombasa gebucht. Jetzt gab es doch noch einmal Stress…….Bärbel hatte keinen gültigen Pass und mir ihrem alten DDR – Pass konnten wir ja nicht fahren. Es gibt ja die Möglichkeit gegen Zahlung eines Aufpreises  das Passantragsverfahren zu beschleunigen. Und wir schafften es auch gerade so Lastminute…….unser Flieger ging Freitagabend und den Pass bekamen wir Freitagmittag…….puh das war knapp.
Das wir nach Kenia flogen und noch kein festes Hotel hatten, war ihr suspekt. Ich beruhigte sie aber, denn ich war ja schließlich schon mal nördlich von Mombasa gewesen und die Hotels, die ich so gesehen hatte, waren eigentlich ganz gut. In Mombasa angekommen, verfrachtete uns unsere Reiseleitung in einen VW-Bus und wir fuhren und fuhren und fuhren. Nach zwei Stunden kamen wir an einer eigentlich ganz hübschen Hotelanlage an, die im Stil eines afrikanischen Dorfes, am A…..der Welt, an einem Creek erbaut war. Die Rundhütten aus Lehm mit Palmenblättern gedeckt und ohne Klimaanlage, waren zwar ganz nett, aber ich gebe zu, es war nicht das, was ich erwartet hatte.  Jetzt erfuhr ich das erste Mal, wie zickig meine Partnerin sein konnte. Sie weigerte sich in so eine Hütte einzuziehen. Was kann ich da tun…..ich muss versuchen Kontakt zu unserer Reiseleitung aufzunehmen, um eventuell etwas Anderes zu bekommen. Der schwarze Manager des Hotels sieht das ganz locker und verspricht uns, dass er sich darum kümmern wolle.
Wir hatten einen Nachtflug hinter uns und dann noch der lange Transfer. Ich hätte gerne wenigstens mal geduscht aber……sie wollte nicht. Wir saßen in der Empfangshalle und sie schimpfte fast ununterbrochen. Als sich bis zum Mittagessen immer noch niemand gemeldet hatte, bekam ich sie wenigstens soweit mit ins Restaurant zu gehen. Das Buffet war reichlich und mit Blumen schön geschmückt und ihre schlechte Stimmung hellte sich ein wenig auf. Als wir nach dem Mittagessen immer noch nichts von unserer Reiseleitung gehört hatten, schlug ich ihr vor jetzt einfach einmal tief durchzuatmen und danach unseren Urlaub hier beginnen zu lassen.
Ich habe dann noch eine dreitägige Safari in den Tsavo – Park gebucht. Sie hat die „big five“ gesehen und  wir haben am Fuße des Kilimandscharo übernachtet. Doch ich konnte ihr, die doch noch nichts in ihrem Leben gesehen hatte, und eigentlich froh sein musste, solch eine Reise machen zu können, kaum etwas recht machen. Sie hatte ständig etwas zu meckern. Wenn ich nachts mal etwas näher rückte, war es zu warm, mal nachts im Mondenschein baden zu gehen, ging wegen der Krebse auch nicht und sowieso lag das Hotel ja an einem Creek und nicht direkt am Ozean. Ich hatte gedacht, dass Kommunistinnen anspruchsloser sind……. 

Als wir wieder nach Berlin kommen, liegt der größte Teil unserer Schiffe im Eis fest. Die Ostdeutschen Wasserstraßen frieren immer zuerst zu, also hat es uns voll erwischt. Die Schifffahrt war offiziell eingestellt. Um aber die Versorgung des Braunkohle- Kraftwerkes in Berlin sicherzustellen, hatten wir eine Sondergenehmigung und hielten mit unseren Eisbrechern die Gewässer von Königswusterhausen nach Berlin befahrbar. Auf dieser Strecke gab es keine Schleusen, sonst hätte das nicht funktioniert. Diese Transporte waren für vier Wochen unsere einzige Einnahmequelle und so hatten wir unseren Kontokorrent bald ausgeschöpft.  Im Frühjahr geht Herbert mit einem Investitionsprojekt über vierzig Millionen in den Markt. Er wollte die uns verbliebenen Motorschiffe modernisieren. Die Werften, mit denen er im Gespräch war, kannten unsere finanzielle Situation natürlich nicht und bemühten sich um diesen Großauftrag. Die Schiffe, um die es ging, hatten eine Tragfähigkeit von achthundert bis eintausendeinhundert Tonnen. Die Reedereien im Westen hatten die Schiffe dieser Größe längst abgestoßen und betrieben jetzt neue Schiffe, mit einer Tragfähigkeit von zwei bis dreitausend Tonnen. Und wir wollten in unsere alten Pötte noch Geld stecken…….Ich fing an, an seiner Kompetenz zu zweifeln und opponierte offen gegen ihn.  Dazu hatte sich inzwischen im Unternehmen ein Reisekader gebildet. Mit Herbert an der Spitze fuhr dieser nach New Orleans um sich die Schubschifffahrt auf dem Mississippi anzusehen. Weiterhin wurden die russischen Ströme bereist und alle  russischen Reedereidirektoren, nebst Verkehrsminister nach Berlin eingeladen. Ich spielte ja mittlerweile den Kontroller, hatte täglich unsere Zahlen auf meinem Tisch und pflückte sie auseinander. Unsere Spesenausgaben hatten eine Höhe erreicht, die ich nicht mehr gutheißen konnte. Das war für mich nicht nur ein Haar in der Suppe……nein, da schwamm eine ganze Perücke drin. Leider fand ich bei meinen Aufsichtsratskollegen keine ausreichende Unterstützung.
Sie waren zwar alle miteinander mit der Entwicklung des Unternehmens unzufrieden, aber es traute sich keiner unseren Geschäftsführer, der sich mittlerweile verselbstständigt hatte, offen zu kritisieren. Wir hatten das Unternehmen einmal für zehneinhalb Millionen gekauft. In den Kaufpreis waren drei Millionen Eigenkapital geflossen. Jetzt hatten wir fünfzig Millionen Verbindlichkeiten, weil wir uns alle größeren Instandhaltungen als Investitionen hatten finanzieren lassen und hatten damit die Beleihungsgrenze von sechzig Prozent des Firmenwertes erreicht. Mein Freund Karl rief mich jeden Sonntag an und ließ sich von mir über die neuesten Entwicklungen informieren aber offene Unterstützung bekam ich auch von ihm nicht. Herbert war es natürlich nicht unbemerkt geblieben, dass ich an seinem Stuhl sägte und hatte deshalb, um seine Position zu sichern, den ehemaligen Präsidenten des BDS, seinen früheren Chef, zum Aufsichtsratsvorsitzenden vorgeschlagen. Dieser war zwar, von seinem kaufmännischen Wissen her, nicht zu beanstanden, aber er war Bauunternehmer und hatte von Schifffahrt keinen blassen Schimmer.
Herbert verkaufte dem Aufsichtsrat den Neuen mit dem Argument, dass dieser über ausgezeichnete politische Verbindungen verfügte. Mein recht scharf vorgebrachter Einwand, dass wir uns primär um den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens zu kümmern hätten und uns dabei eine, wie auch immer gestaltete, politische Konnektion nicht helfen könnte, fand keine Mehrheit. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende wurde bestätigt. Mein Vorhaben, zunächst erst einmal einen zweiten Geschäftsführer einzustellen, der alleinverantwortlich die kaufmännischen Belange der Firma übernehmen sollte, war damit zum Scheitern verurteilt.  
Ich hatte dann irgendwann noch einmal ein Vieraugengespräch mit Herbert, dabei meinte er, dass ich keine Chance gegen ihn hätte, es hatten in seinem Leben schon andere vor mir versucht, ihn abzusägen und waren gescheitert. Ich sah das irgendwie auch ein……er war mir rhetorisch weit überlegen und er kam aus der Politik und da wird ja offensichtlich immer an irgendwelchen Stühlen gesägt. Wir beide waren schon vorher keine dicken Freunde aber jetzt waren wir Gegner. Ich kritisierte, dass er, obwohl er das Unternehmen als sein Eigentum betrachtete, nicht einmal Gesellschafter war. Wir alle waren ins Risiko gegangen und er hielt sich vornehm zurück. Das war meinen Kollegen gar nicht bekannt und ich erreichte, dass man ihm nahelegte dieses zu ändern. Sein Argument, dass es ihm finanziell nicht möglich gewesen wäre, sich zu beteiligen, macht ich ihm kaputt, in dem ich ihm den Spruch entgegenhielt: „Wer nicht für sich selber sorgen kann, kann auch nicht für andere sorgen“. Kurz und gut…….eine vernünftige Zusammenarbeit war zwischen uns kaum mehr möglich und so begann ich über meinen Ausstieg aus dem Unternehmen nachzudenken.

An dem Angebot, dass sich Herbert und seine engsten Freunde daraufhin für mich ausgedacht hatten, merkte ich, wie froh sie wären, wenn sie mich loswerden könnten.  Man schlug mir eine sechsstellige Abfindung vor und da man mir mein Anteil schlecht auch noch in bar auszahlen konnte, bot man mir an achtzehn Schiffe zu übernehmen, die an eine tschechische Firma verchartert waren. Ich war jetzt einundfünfzig und musste ja noch eine ganze Weile für unseren Lebensunterhalt sorgen. Dieses Angebot würde mir finanzielle und persönliche Unabhängigkeit bieten und innerlich hatte ich mich ja bereits von der Firma verabschiedet, also nahm ich das Angebot an……..

Meine Mutter war inzwischen zweiundsiebzig und lebte jetzt schon zehn Jahre alleine in ihrem Häuschen in Cuxhaven. Hatte ich gedacht, dass sie, nach dem frühen Tod meines Vaters, vielleicht noch einmal einen Partner finden würde, sah ich mich getäuscht, sie wollte keinen Mann mehr in ihr Leben lassen. So ungefähr einmal im Monat fuhr ich sie besuchen um sicher zu sein, dass sie alleine zurecht kam. Sie war Rheumatikerin und in der letzten Zeit gesundheitlich nicht mehr so auf der Höhe. Das Rheuma hatte ihre Gelenke verformt und so konnte sie sich, nur recht mühsam, mit Krücken fortbewegen. Für die Gartenarbeit bezahlte sie eine Hilfskraft und ein befreundetes Nachbarehepaar nahm sie mit zum Einkaufen. Wenn ich kam, putzte ich und erledigte auch kleine Reparaturen am Haus. Ein größeres Problem war ihr Küchenherd, der gleichzeitig das Haus heizte. Der wurde mit Öl beheizt und das lagerte in einem Tank im Schuppen. Das Befüllen des Herdes bekam sie  nicht mehr alleine hin, denn das Öl musste mittels einer Handpumpe in eine Kanne gepumpt und dann in den Herd eingefüllt werden. Das hatte bisher ihr Nachbar übernommen, der war aber auch schon achtzig. Ich war der Sohn und fühlte mich natürlich verpflichtet dieses Problem zu lösen…..
Für meinen neuen Schifffahrtsbetrieb war es nicht notwendig, dass ich in Berlin blieb, den konnte ich aus jeder Ecke des Landes betreiben…….warum dann nicht von Cuxhaven aus. Also musste ich wieder einmal Überzeugungsarbeit leisten. Bärbel war von meiner Idee überhaupt nicht begeistert. Aber was sollte sie machen? Ich hatte meinen Entschluss gefasst und obwohl man den Ostfrauen nachsagt, dass sie sehr emanzipiert wären, gab sie nach…….hat letztlich doch das Kapital gesiegt??? Allerdings forderte sie, dass unser neues Zuhause ausreichend Platz bieten sollte, um Ihre Familie, wenn sie uns dann besuchen wollte, unterzubringen. Ok. das sehe ich ein. Wir fuhren also nach Cuxhaven und suchten das passende Haus für uns. Und wir wurden auch recht schnell fündig. An diesem Haus passte eigentlich alles. Sechs Zimmer, zwei Bäder, Küche und eine Einliegerwohnung. Zusammen zweihundertachtzig Quadratmeter Wohnfläche auf einem eintausendsechshundert Quadratmeter großen Grundstück. Das Haus lag am Ende einer kleinen Wohnstraße neben Wiesen und Feldern und trotzdem war das Zentrum fußläufig in fünfzehn Minuten zu erreichen. Wir wurden uns auch irgendwann nach zähen Verhandlungen über den Preis einig. Mein Vorteil war, dass der Eigentümer, ein Arzt, bereits ein neues Wohnhaus mit Praxis baute und die Käuferschicht für so eine große Immobilie in Cuxhaven recht dünn gesät ist. Wir vereinbarten die Übergabe zum 01.11.1996. Das passte mir eigentlich auch ganz gut, denn die Schiffe wollte ich zum 01.01.1997 übernehmen.

Wie immer, wenn bei mir größere Veränderungen anstanden, plane ich auch dieses Mal einen ausgiebigen Urlaub. Bärbel und ich sind uns einig, es soll nach Südostasien gehen. Ich liebe die asiatische Küche und da auch ich noch nie in Thailand war, buchen wir drei Tage, vier Nächte, Bangkok und im Anschluss eine Rundreise durch die Mitte und den Norden des Landes. Danach wollen wir noch ein paar Tage in der Sonne relaxen und baden gehen. Das aber nicht in Pattaya……..ich hatte Bärbel erzählt, dass man seine  eigene Frau dorthin nicht mitnehmen darf, denn das hieße ja Eulen nach Athen tragen……… sondern ich möchte sie auf die Trauminsel Bali entführen. Mitte August geht es los. Jana und Marco machen bei uns housekeeping. Sie haben eine kleine Wohnung in der Innenstadt und haben nichts dagegen im Hochsommer mal einige Zeit in unserem Haus auf dem Lande zu verbringen…….  Wir fliegen nach Bangkok und weil ich ja die Probleme mit meiner Kommunistin wegen der Unterbringung auf unserer Afrikareise noch im Kopf hatte, buchte ich dieses Mal nur Spitzenhotels. Wir erkundeten diese quirlige Großstadt mit dem Tuc Tuc und hatten dabei mehr als einmal das Gefühl, unser letztes Stündlein hätte geschlagen. Aber es ist, um abseits des Zentrums noch etwas Ursprüngliches zu sehen, das optimale Gefährt.  Natürlich durfte ein Besuch der drei berühmtesten Tempel dieser Stadt nicht fehlen. Zuerst ging es zum Wat Traimit der auch als Tempel des Goldenen Buddha bekannt ist und dessen drei Meter hohe Statue aus purem Gold ist. Sie wiegt fünfeinhalb Tonnen und ist ein gutes Beispiel für den Kunststil Sukhothai. Danach sind wir dann durch Chinatown zum Wat Pho, der Tempel des liegenden Buddhas gelaufen. Mit sechsundvierzig Metern Länge und fünfzehn Metern Höhe ist dieser Buddha der Größte in ganz Bangkok. Er veranschaulicht den Weg Buddhas ins Nirwana. Als drittes haben wir uns dann noch den Wat Benchamabophit, den Marmortempel angesehen. Dieses wundervolle Klostergebäude wurde im späten 19. Jahrhundert aus weißem, italienischem Marmor aus Carrara errichtet. Es ist schon beeindruckend, welche Kunstschätze der Buddhismus hier in Thailand hervorgebracht hat. 
Ein weiteres Muss ist natürlich der Besuch der schwimmenden Märkte von Damnoen Saduak, mit einem motorisierten Langboot über die Canal Grande-Wasserstraßen ab Bangkok. Mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit brettern diese Boote durch die uralten Kanäle, die im 19. Jahrhundert von Thailands König Rama IV errichtet wurden. Aus nächster Nähe konnten wir beobachten, wie die Händler aus ihren Booten regionale Produkte wie Fleisch, frische Früchte und frisches Gemüse aber auch traditionelle Süßigkeiten und Souvenirs verkauften. Wir konnten auch selber am Geschehen teilnehmen und etwas erwerben, was man eigentlich nicht braucht. Aber…..die Atmosphäre dieser quirligen, lebendigen Märkte und die Einblicke in das alltägliche Leben in Thailand.......das war schon was. 
An unserem letzten Tag in Bangkok mussten wir früh aufstehen denn wir machten einen Ausflug in den Khao-Yai-Nationalpark, der sich etwa einhundertfünfundsiebzig Kilometer nordöstlich von Bangkok befindet. Er gehört zu den wenigen noch intakten Monsunwäldern Asiens. Khao Yai beherbergt über einhundertfünfzig verschiedene Tierarten und Vögel, darunter etwa dreihundert wilde Elefanten und die vom Aussterben bedrohten asiatischen Schwarzbären, Tiger, Leoparden und Muntjaks, eine asiatische Hirschart. Als wir ein Stückchen zu Fuß durch den Dschungel und über eine abenteuerliche Hängebrücke zu dem beeindruckenden dreistufigen Wasserfall Haew Narok wanderten, kam bei Bärbel mal wieder die Zicke zutage. Wir können doch nicht durch den Urwald laufen, wenn es um uns herum von Wildtieren und Schlangen nur so wimmelt. Auch mit meinem Hinweis, dass ich für solche Fälle immer mein Löwenmesser (Schweizer Offiziersmesser), dabei habe, konnte ich sie nicht so richtig beruhigen.
Das Highlight des Tages sollte eigentlich ein fünfundvierzig minütiger Ausflug auf dem Rücken eines Elefanten werden. Der entpuppte sich dann aber als Flop, denn in dem Korb, in dem wir rechts und links am Elefanten hängend saßen, wurde ihr schlecht…..ein romantisches Abendessen auf einer Dschunke auf dem Chao Phraya Fluss in Bangkok hat dann aber alles wieder eingerenkt.
Daach geht es los, wir starten zu unserer siebentägige Nordthailandrundreise, die uns dieses Land etwas näher bringen soll. Ich hoffe, dass die Hotels unterwegs einigermaßen gut sind, denn eine Auswahl war hier nicht gegeben……. ich musste die Tour so nehmen, wie sie angeboten war. Aber schon der sehr komfortable Reisebus lässt hoffen, dass der Veranstalter sich bemüht hat und ich nicht wieder, wie in Sri Lanka, als Mechaniker einspringen muss. Zunächst geht es nach Kanchanaburi, an die weltberühmte Brücke am Kwai, über die die sogenannte Todesbahn (Death Railway) führte. Diese Bahnlinie, von Bangkok nach Burma wurde während der Besetzung Thailands durch die Japaner zwischen Juni 1942 und Oktober 1943 zur Versorgung ihrer Truppen erbaut. Zu deren Bau wurden überwiegend britische, australische, niederländische und amerikanische Kriegsgefangene eingesetzt. Von zweihundertvierzigtausend Soldaten und Arbeitern, kamen dabei etwa neunzigtausend ums Leben. Es war für uns schon sehr beklemmend, den Ort dieser grauenvollen Geschichte zu besuchen.
Unsere nächste Etappe führte uns nach Ayutthaya, der ehemaligen Hauptstadt Siams, die 1767 von den Burmesen zerstört wurde. Hier sind die riesige Bronzestatue im Mongkol Borpith Tempel und die drei historischen Pagoden im Wat Srisanpetch sehenswert. Im Anschluss fahren wir  nach Lopburi, mit seinem berühmten Affentempel. In und um diesem Tempel leben eine Unmenge von Affen, die hier verehrt werden…….und genauso verhalten sie sich auch. Sie klauen alles, was nicht niet- und nagelfest ist und so mancher Fotoapparat und was man auch sonst nicht gut festgehalten hat, ist schon im Tempel verschwunden.  Am nächsten Tag erreichen wir nachmittags Phitsanulok und besichtigen die Tempelanlage Wat Maha Dhat mit ihrer bedeutenden, im 13. Jahrhundert gegossenen Buddha-Statue. Danach geht es weiter nach Sukhothai, der ehemaligen Hauptstadt des alten Königreichs. Wir spazieren durch den historischen Park und bewundern die zahlreiche Tempel, Skulpturen und Stuckarbeiten. Westlich der alten Stadt stößt man auf die Überreste des Königstempels Wat Sri Chum mit seiner elf Meter hohen, sitzenden Buddha-Statue. Am Nachmittag erreichen wir Lampang und besichtigen den Wat Lampang Luang mit seinem Smaragdbuddha, der hier hoch verehrt wird. Jetzt haben wir so langsam die Nase voll vom Wat (t) laufen und genießen unseren Feierabenddrink und die  Übernachtung in der Lampang-River-Lodge.  
Über Phayao und Chiang Rai führt uns der Weg zur nördlichsten Stadt Thailands an die burmesische Grenze, nach Mae Sai. Hier werden Schmuggelwaren und Fakes aller bekannten Marken von Gucci über Versace bis Rolex aus Myanmar (Burma) und dessen nördlichem Nachbarland China angeboten. Zum Abschluss des Tages besuchen wir das berüchtigte „Goldene Dreieck", wo die Grenzen von Thailand, Laos und Myanmar am Mekong-Fluss zusammentreffen und machen eine Bootsfahrt mit einem Longboot auf dem Mekong. Irgendwie ist mir dieser Fluss auch nicht so recht geheuer, offensichtlich denke ich dabei, an die schrecklichen Kriege, die in der Vergangenheit an seinen Ufern und auf ihm geführt worden sind.

Der Schlafmohnanbau im Goldenen Dreieck geht auf die Einwanderung der verschiedenen Ethnien aus China zurück. Er hat bei diesen Bergvölkern eine lange Tradition. Besonders ältere Leute rauchten und rauchen Opium als in der Gesellschaft akzeptiertes Genussmittel. Bei den Hmong ist Opium auch schon immer zum Handel erzeugt worden, anfänglich nur für den chinesischen Markt. Später kauften die Franzosen während ihrer Kolonialherrschaft in Indochina den Hmong Opium in großen Mengen ab. Seinen notorischen Ruf als Hochburg der Opium- und Heroinherstellung erlangte das Goldene Dreieck während des Vietnamkriegs, als einerseits der Absatzmarkt für Rauschgift sprunghaft anstieg und andererseits Gelder aus dem Drogenhandel von der CIA zur Finanzierung verbündeter Armeen, z. B. Hmong-Armee in Laos, verwendet wurden. Die Rauschgiftproduktion stieg aber auch nach dem Ende des Vietnamkriegs bis Ende der achtziger Jahre weiter an, eine Folge der verstärkten Nachfrage im Westen.
Die Regierungen der Staaten um das Goldene Dreieck gehen auf verschiedene Weise und mit unterschiedlicher Schärfe gegen den Mohnanbau vor. In Thailand ist der Anbau illegal und das Land hat ihn in seinen Nordprovinzen weitestgehend eindämmen können. Dazu beigetragen haben vor allem der Tourismus, der den Bergvölkern neue Einnahmequellen erschlossen hat (Trecking, Kunsthandwerk), und die gezielte Förderung von Tee- und KaffeeAnbau (z. B. in Mae Salong). Parallel dazu ist der thailändische Norden mit neuen Straßen und Flugplätzen erschlossen worden, was Polizei und Militär nun eine viel bessere Kontrolle über die Gegend erlaubt. Im wesentlich ärmeren Laos trifft man im Norden sehr viel häufiger auf Einheimische mit Opiumpfeife. Das Land versucht allerdings ebenso den Tourismus anzukurbeln und kann dabei einige Erfolge aufweisen. In Hotels, Wats, Restaurants, Trekking- und Tour-Agenturen finden ausländische Besucher Hinweise zum Kontakt mit den Bergvölkern, die neben verschiedenen anderen Verhaltensmaßregeln auch dazu auffordern, auf gar keinen Fall selber Opium zu rauchen, da der Effekt besonders auf die einheimische Jugend desaströs ist. Diese Bemühungen der Nachbarstaaten führten somit dazu, dass inzwischen Myanmar der größte Opiumerzeuger des Goldenen Dreiecks wurde.

Nach einer weiteren Übernachtung geht die Fahrt über Wiang Pa Pao in Richtung Chiang Mai, auch die „Rose des Nordens" genannt. Hier besichtigen wir den letzten, aber nicht minder eindrucksvollen Tempel unserer Nordthailandtour  auf dem Berg Doi Suthep und genießen den weiten Blick über die Stadt. Der Besuch eines urtümlichen Dorfes des aus Südchina abstammenden Meo-Bergstammes rundet diesen Tag ab. Den Abend haben wir frei und deshalb gehen wir zum Abendessen ins Hofbräuhaus und lassen uns, .als ein besonderes Erlebnis am goldenen Dreieck, von Thais in Lederhosen und mit Gamsbarthüten, bayrisches Bier, Sauerkraut, Knödel und Nürnberger Bratwürstel servieren. Das hat doch was oder? 
Von Chiang Mai fliegen wir wieder zurück nach Bangkok und am nächsten Tag geht es endlich in Urlaub…….auf  nach Bali.  Schon beim Anflug auf die Insel der Götter, Geister und Vulkane begrüßt uns der Gunung Agung mit über dreitausendeinhundert Metern zählt er zu den fünf höchsten Vulkanen Indonesiens. Es heißt, die Geister der Ahnen sind auf ihm zu Hause und auch die hinduistische Gottheit Shiva wohne hier.  Ein großer Teil des religiösen Lebens auf Bali richtet sich nach dem Berg aus. Der Legende nach ist der Agung entstanden, als der hinduistische Gott Pasupati den Berg Meru (die spirituelle Achse des Universums) zerteilte und aus einem Splitter den Agung schuf. Deswegen wird der Berg als das Zentrum der Welt gesehen. Dementsprechend bedeutend ist auch der wichtigste hinduistische Tempel Balis, Pura Besakih, auf neunhundert Metern Höhe am südwestlichen Hang…….hier werden der Berg und die Ahnen wie  Götter verehrt.  Der letzte Ausbruch im März 1963 kam sehr überraschend, denn eigentlich glaubte man damals, dass der Vulkan erloschen sei. Die Eruptionen setzten insgesamt sieben Millionen Tonnen Schwefeldioxid frei. Die Lava und Asche zerstörte mehrere Dörfer, dabei wurden etwa zweitausend Menschen getötet und sechshundertfünfzig verletzt. Wie durch ein Wunder blieb der Muttertempel Besakih am Hang des Vulkans verschont, was als göttliches Zeichen gewertet wurde. Aus religiöser Sicht ging man davon aus, dass eine falsch berechnete Terminierung des alle hundert Jahre stattfindenden Eka Dasa Rudra Festes die Götter zum Vulkanausbruch provoziert hatte.

Wir sind im „The Ritz Carlton“ in Nusa Dua untergekommen. Eigentlich müsste ich sagen: „Wir residieren im Ritz Carlton“. Das Hotel ist ein Traum und das luxuriöseste und mit einem Sonderpreis von fünfhundertfünfzig Mark für das Doppelzimmer incl. Halbpension pro Nacht, auch das teuerste, dass ich mir bisher geleistet hatte. Das Haus liegt auf einer Klippe über dem Meer. Die großzügige und sehr gepflegte Anlage in Form eines Wassergartens lässt keine Wünsche offen. Ein direkt an den Rand der Klippe gebauter Pool lässt den Eindruck entstehen, dass man von hier einfach ins offene Meer schwimmen könnte. Ein weiterer Pool wurde für alle, denen eine Wassertemperatur von dreißig Grad zu warm war, auf zweiundzwanzig Grad heruntergekühlt und überall laufen Bedienstet im Sarong herum und bieten gekühlte Erfrischungstücher an.
Mit einem gläsernen Fahrstuhl, mit tollem Ausblick auf das Meer, konnte man zum Hotelstrand herunterfahren. Auf halber Höhe war in die Klippe eine Bar mit einer Terrasse gebaut, von der aus man abends bei Gambelanmusik die Sonnenuntergänge genießen konnte. Natürlich war auch die Verpflegung diesem Spitzenhaus angemessen. Wenn wir morgens unser Frühstück auf Stegen, die in den Wassergarten gebaut waren, einnahmen, schwammen direkt zu unseren Füßen Goldfische, die auf unsere Brötchenreste warteten. Die Buffets waren wunderschön dekoriert und bogen sich von der Fülle der Köstlichkeiten der asiatischen Küche.
Aber man kann ja nicht den ganzen Tag mit vollem Bauch in der Sonne liegen und Drinks zu sich nehmen. Nach drei / vier Tagen wurde es langweilig und wir wollten uns gerne die Insel ansehen. Bali gilt als die westlichste der Kleinen Sundainseln und ist vom westlich gelegenen Java durch die zweieinhalb Kilometer breite Bali - Straße getrennt. Bali liegt im Indischen Ozean zwischen Java und Lombok. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt fünfundneunzig Kilometer und von seiner Westspitze bis zur Ostspitze sind es einhundertfünfundvierzig Kilometer. Diese Größe ist überschaubar und deshalb entschließen wir uns eine private Sightseeingtour zu organisieren. Für einhundertfünfzig Dollar pro Tag mieteten wir ein Auto mit einem deutschsprechenden Guide und konnten so in zwei Tagen, ohne Terminstress, die Insel auf eigene Faust entdecken.
Ich glaube jeder hat schon irgendwo im Film oder Fernsehen einmal die grünen bewässerten Reisterrassen gesehen. Sie prägen die Landschaft von Bali. Die Umgebung von Ubud ist besonders bekannt für seine Reisfelder. Vor allem an Bergen ziehen sich die Becken in Stufen den Hang hinauf. Die Reisterrassen sind ein bauliches Meisterwerk und werden seit eh und je von Hand angelegt.  Man begann, die Hänge für den Reisanbau zu nutzen weil die Ebenen zumeist besiedelt sind. Die Becken werden aus gestampfter Erde und Gradwurzeln angelegt und dann mit Wasser gefüllt. Befestigt werden sie durch Dämme und Stützmauern. Das Bewässerungssystem ist ausgeklügelt und ideal für den Nassreis. Das Wasser aus Quellen im Berg wird über Kanäle und Leitungen (oft aus Bambus) über die verschiedenen Ebenen der Terrassen geführt. Die Verteilung des Wassers wird durch Öffnen und Schließen der Kanäle mit der Schaufel gelenkt. Die Bedingungen auf Bali sind für den Reis perfekt. Durch das feuchtwarme Klima mit ausreichend Wärme und Niederschlag und dem fruchtbaren vulkanische Boden kann der Reis drei Mal im Jahr geerntet werden……

Eigentlich hatten ich ja bereits in Thailand gesagt, dass ich genug vom Wat (Tempel) laufen hatte. Aber auf Bali, das Land der tausend Tempel,  herrscht ja der Hinduismus vor und es gibt hier keine Wat sondern Puras. Es soll hier auf der Insel weitaus mehr als zwanzigtausend Tempel geben. Wir haben es leider nicht geschafft, alle zu besichtigen, aber die Wichtigsten schon. 
Der Tanah Lot befindet sich im Südwesten von Bali und ist einer der sechs wichtigsten Nationaltempel sowie zugleich die beste und meistbesuchte Touristenattraktion auf Bali. Er liegt auf einer kleinen Felseninsel direkt an der Küste am Meer. Tanah Lot bedeutet: „Tempel der Erde im Meer“. Einzigartig ist, dass er nur bei Ebbe näher besichtigt werden kann.  Der Pura Ulun Danu Bratan gehört zu den schönsten und beliebtesten Attraktionen von Bali. Er liegt direkt am Bratan-See mit einer einzigartigen Landschaft an den Ortschaften Bedugul und Candi Kuning. Dieser Tempel wurde im 17. Jahrhundert erbaut und ist den Göttern Shiva, Brahma und Vishnu gewidmet. Da er direkt am Ufer liegt, ist er somit ein Wassertempel und er besitzt fünf meditierende Buddhas. Diese zeugen von der Harmonie zwischen den beiden Religionen Hinduismus und Buddhismus. Der Pura Taman Ayunist, ebenfalls einer der schönsten Tempel auf ganz Bali, ist eine liebevoll angelegte Kultstätte und mit einem Wassergraben umrundet welcher das Meer symbolisieren soll. Übersetzt bedeutet der Name so viel wie „Tempel des schwimmenden Gartens“. Erbaut wurde er vom Prinzregenten Gusti Agung Anon Putra-Raja von Mengwi. Man kann sich hier über fünfzig schöne Schreine, einer davon sogar elfstöckig, ansehen.   Der Pura Besakih  ist der größte und heiligste hinduistische Heiligtum und wird daher auch liebevoll "Muttertempel" genannt. Die Tempelanlage wurde im achten Jahrhundert erbaut und ist neben dem Tanah Lot das meist besuchte Heiligtum auf der Insel Bali.
Der Pura Uluwatu zählt zu den sechs wichtigsten Tempeln auf Bali, und er ist auch einer der am Schönsten gelegenen. Auf der Halbinsel Bukit ganz im Süden der Insel liegt er spektakulär auf einer siebzig Meter hohen Felsklippe über dem Meer. Er ist vor allem bekannt und für die dort lebenden Affen und die großartigen Sonnenuntergänge. Es heißt, an dieser Stelle auf dem Stein über dem Meer habe der hinduistische Priester Dang Hyang Nirarta den spirituellen Zustand der “moska” erreicht. Deswegen wurde hier, vermutlich im elften Jahrhundert, Pura Uluwatu gebaut. Die Tempelanlage soll den Süden Balis vor den Dämonen aus dem Meer beschützen. Im Tempel leben Makkaken, die ihre Scheu vor Menschen komplett verloren haben. Sie klauen gerne Taschen, Kameras, Sonnenbrillen, Haargummis oder Schmuck. Wenn sie etwas entwendet haben, kann man versuchen es gegen ein Stück Frucht zurückzutauschen. Das klappt aber erstens nicht immer und zweitens hat es den ungewollten Nebeneffekt dass der Rücktausch die Affen ermutigt noch mehr zu klauen. Einheimische bieten sich oft an, den Rücktausch gegen ein Trinkgeld zu übernehmen. „Ein Narr ist, der Böses dabei denkt“….. 

Der hinduistische Pura Goa Lawah ist direkt vor einer Fledermaushöhle an der Ostküste Balis gebaut. Hinter dem Altar schwirren tausende von Fledermäusen. Außerdem heißt es, würden in der Höhle Pythonschlangen leben, die sich von den Fledermäusen ernähren. Die Tiere, die in einem Tempel leben sind heilig, kein Gläubiger würde ihnen etwas tun. In diesem Tempel, der nach dem balinesischen Wort für Fledermaus “Lawah” benannt ist, werden viele Zeremonien und Prozessionen abgehalten.  Der Tempel ist einer der neun Reichstempel und wurde dem Gott Maheswara geweiht. Im Todestempel finden auch regelmäßig Verbrennungsrituale statt. Die Asche des Verstorbenen wird von einem Priester geweiht und kann danach im Meer bestattet werden. An den Schreinen vor dem Höhleneingang können die Gläubigen Opfergaben bringen und beten. Die Fledermaushöhle selber ist heilig, niemand darf sie betreten. Dementsprechend ist auch nicht wirklich bekannt, wie tief sie ist. Auf Bali glaubt man, dass sie viele Kilometer in den Berg hinein geht und einen zweiten Ausgang im Pura Besakih am heiligen Berg Agung hat. Dadurch wäre die Höhle eine Verbindung zur Unterwelt. Außerdem leben der Legende nach die beiden heiligen Riesenschlangen Naga Basuki und Antaboga, welche die Welt verwalten, im Inneren der Höhle. Der Pura Goa Lawah soll schon im Jahr 1007 von Empu Kuturan gegründet worden sein. Im 17. Jahrhundert gab es Streit um die Nachfolge des Königs. Um zu beweisen, dass er der rechtmäßige Thronfolger ist, bot Gusti Ketut Agung an, durch die Höhle zu gehen. Wenn er lebendig wieder herauskäme wäre das der Beweis, dass er der rechtmäßige König sei. Er überlebte den Gang durch die Höhle und wurde König von Klungkung 

Der Palast von Klungkung ist eine historische Anlage in der Stadt Semarapura. Von der ehemaligen königlichen Residenz sind nicht mehr viele Gebäude übrig, sie wurde während der Eroberung durch die Niederländer 1908 zerstört. Sehenswert waren der Garten mit den Wasserbassins, die viele Statuen, und die bekannte königliche Gerichtshalle Kerta Gosa. Das Königreich Klungkung zählte zu den wichtigsten von Balis neun Königreichen seit dem 17. Jahrhundert. Ab 1710 residierte hier fast zweihundert Jahre lang der ranghöchste Raja. Der Palast wurde damals in einer quadratischen Form gebaut mit einer Seitenlänge von einhundertfünfzig Metern. Eine Besonderheit innerhalb der Palastmauern ist der schwimmende Pavilion Balie Kambing. Zum Ende des 18. Jahrhunderts war Klungkung bekannt für Malerei, Musik und Tanz die von den lokalen Fürstenhäusern unterstützt wurden. Zu dieser Zeit entstand die Halle der Gerechtigkeit Kerta Gosa im Nordosten des Palast-Areals. Das Gebäude ist an den Seiten offen, wie viele Gebäude auf Bali. Die Decke ist komplett mit vielen verschiedenen Motiven und Szenen bemalt, der Malereistil ist typisch für das damalige Klungkung. Die grausamen Bilder der Decke zeigen vorgesehene harte Strafen und teils gewalttätige Verletzungen. Angeklagte, die hier vor das Gericht traten, wurden damit eingeschüchtert. In der Gerichtshalle tagte Balis oberstes Gericht. Normalerweise wurden Streitigkeiten innerhalb der Familie oder der Dorfgemeinschaft geregelt. Alle Fälle, die dort nicht gelöst werden konnten, kamen vor das hohe Gericht. Es war für seine Strenge gefürchtet, drei Priester sprachen harte und oft unmenschliche Urteile. Deswegen taten die Menschen damals alles, um Streitigkeiten untereinander zu lösen und möglichst nicht vor Gericht zu landen……… 
Ubud ist das Zentrum der balinesischen Handwerkskunst und hier gibt es Vorführungen von Gamelan. Die traditionelle Bali Musik wird überall und zu jedem Anlass gespielt. Die Gamelan Musik besteht bereits seit rund 1500 Jahren. Gamelan kann mit „anfassen“ übersetzt werden. Die Musik wird in kleinen und großen Gruppen oder Orchestern gespielt und begleitet Zeremonien, Feste, Prozessionen, Tänze und Theaterdarbietungen. Fast jedes Dorf hat ein eigenes Orchester, wobei die Instrumente Eigentum der Gemeinschaft sind. Zu den Instrumenten gehören unter anderem Blechintstrumente wie Klangschalen, Trommeln und Gongs. Ebenso zählen Xylophone, Flöten und Angklungs dazu. Ein Orchester besteht nicht nur aus den Musikern, sondern auch aus Tänzern und Sängern. Die Gamelan Musik wird nicht nach Noten, sondern improvisiert gespielt. Die Lehrer geben ihren Schülern die Techniken mündlich weiter. Auch balinesische Tänze, die fast alle einen religiösen Hintergrund haben und Zeremonien und Rituale begleiten, werden den Touristen hier nähergebracht.  Es gibt zum Beispiel Trancetänze, bei denen sich die Tänzer durch eine Atemtechnik in Trance versetzen. Dazu zählt der Kecak, bei denen Männer mit bloßem Oberkörper tänzerisch Geschichten erzählen. Der Kecak Tanz findet eigentlich nur nachts statt, wobei Fackeln für Licht sorgen. Der Tanz wirkt sehr wild. Die Tänzer umringen die Armee von Hanuman, dem Affengott, wobei die Armee von schwarz-weiß gekleideten Männern dargestellt wird. Der Ruf Ke cak wird dabei monoton gehalten und die Tänzer versetzen sich in eine Trance und laufen danach über glühende Kohlen. Ein anderer Tanz, den wir dort zu sehen bekamen, ist der Barong, bei dem es sich um ein Tanzdrama handelt. Dieser Bali Tanz stellt das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse her. Barong steht als Figur für das Gute und diese Figur wird von zwei männlichen Tänzern dargestellt, die Löwenmasken tragen. Diese beiden Männer kämpfen gegen das Böse, die als Hexe Rangda verkörpert wird. Der Kampf und somit auch der Tanz endet unentschieden, denn die Lebensweisheit sagt aus, dass Gut und Böse zusammengehören. Ein besonders anmutiger Tanz ist der Legong, der ausschließlich von Mädchen getanzt werden darf, die rein sind. Mit diesem Tanz sollen die Götter verehrt und erfreut werden. Die Mädchen werden geschminkt und geschmückt, sodass sie wie Prinzessinnen aussehen. Die Tänzerinnen fangen bereits mit fünf Jahren an, die komplizierten Schrittfolgen und Fingerbewegungen zu trainieren. 
Wir waren beeindruckt von dieser uns so fremden Kultur und nur aus diesem Grund hat sich unser Besuch auf Bali gelohnt. Zum Baden, für weißen Sand, (nicht immer) gutem Wetter und schönen Hotels, muss man nicht um die halbe Welt reisen. Nach einer Heimreise von vierundzwanzig Stunden (wieder über Bangkok) hat uns der Alltag wieder. Jetzt wartet eine neue, spannende Aufgabe auf mich, die mich hoffentlich erfüllt……..

Wir übernehmen das Haus in Cuxhaven, wie geplant, am ersten November und ich lasse es komplett renovieren. Von der Einliegerwohnung schaffen wir für Mutter einen rollstuhlgerechten Durchgang zu unserem Wohnbereich. Die Küche funktionieren wir um, denn essen soll sie mit uns. Sie hat dadurch zwei geräumige Zimmer und ein schönes Bad. Von ihrem Wohnzimmer hat sie auch Zugang zur Terrasse. Den Garten lasse ich von einem jungen Gartenbauarchitekten, der gerade sein Studium beendet hatte, völlig umgestalten. Mein Garten ist sein erster Auftrag und aus unserem Obstgarten zaubert er eine wunderschöne kleine Parkanlage mit einem Koiteich. Zu Weihnachten wollen wir eingezogen sein und dann mit allen groß feiern. Es klappt auch alles, wie geplant. Ende November 96 ist das Haus bezugsfertig und ein paar Tage später steht schon der Möbelwagen aus Altlandsberg vor unserer Tür. Ich hatte auch bereits neuen Mieter für meine dortige Haushälfte gefunden, die wollten gerne Anfang Dezember übernehmen…….dass passte haargenau.
Zwei Wochen später zog Mutter auch bei uns ein. Man sagt zwar, dass man einen alten Baum nicht verpflanzen soll, aber ich glaube, sie fand ihr neues Domizil schon ganz ok. Sie war ja auch nicht aus der Welt denn wenn sie ihre Freunde sehen wollte, war es ja für mich kein Problem, sie mal schnell irgendwo hinzufahren.
Im Dezember hatte ich dann noch einmal richtig viel zu tun. Ich gründete mein neues Schifffahrtsunternehmen, eine Einzelfirma, mit Sitz in Cuxhaven. In unserem Wohnhaus hatte ich mir ein schönes Büro eingerichtet, von dem aus ich jetzt die Geschicke der Firma leiten wollte. Danach fuhr ich nach Berlin und schloss mit der DBR die Kaufverträge über die Schiffe ab. Noch vor Weihnachten traf ich mich dann mit den Inhabern der Prager Firma, die die Schiffe von der DBR gechartert hatte, um mit ihnen neue Verträge, auf meine Firma lautend, abzuschließen. Damit hatte ich eigentlich alles Wesentliche erledigt……ab jetzt hatte ich viel Zeit für mich und meine Familie. Mit den Schiffen hatte ich kaum etwas zu tun denn die Charterverträge sahen vor, dass der Charterer sämtliche Pflichten eines Schiffseigners übernehmen musste. Das heißt, Wartung, Pflege, Reparaturen und Instandhaltung hatte er auf seine Rechnung zu veranlassen. Ich musste eigentlich nur eine Charterrechnung im Monat schreiben, meine Buchhaltung erledigen und mich, wenn nötig, um die Versicherungstechnischen Dinge kümmern, da die Schiffe über mich versichert waren.

Weihnachten haben wir dann unser Haus komplett voll. Ich musste sogar noch einen Teil der Mischpoke außerhalb unterbringen. Meine Tochter Michelle ist mit ihrem Ernesto gekommen. Sie haben sich in den letzten Jahren auch sehr gut entwickelt. Ihren Plan sich selbstständig zu machen, hatten sie nach Schwerin aufgegeben. Er ist mittlerweile Verkaufsleiter eines bekannten Herrenausstatters und sie sitzt im Management eines großen Reiseveranstalters.  Bärbels Familie ist mit dem Sonderzug aus Pankow angereist. Jana ist inzwischen schwanger……das „housekeeping“ in der frischen Landluft hat da offensichtlich Wirkung gezeigt. Da Janas Mutter, die sich mit meiner Mutter sehr gut versteht, mitgekommen ist, können sich die Beiden, wenn es ihnen bei uns zu laut wird, in Mutters Gemächer zurückziehen. Dieses Weihnachtsfest ist glaube ich mein schönstes gewesen, Ich, so als unangefochtener Patriarch einer großen Familie……da könnte ich mich dran gewöhnen, leider bin ich hundert Jahre zu spät geboren…… 

Anfang Januar bekomme ich meine erste Charterrate…….wenn das so weiter geht und  nichts Außergewöhnliches passiert, kann ich gar nicht mehr verhindern, dass ich reich werde. Aber, wie heißt es doch noch mal? Wenn es dem Esel zu gut geht………. 


Kapitel 8 
Wer zu hoch hinaus will kann tief fallen

1996 - 2006
Was mache ich mit unserer Oma Ihrem kleinen Häuschen? Es ist Ende des vorigen Jahrhunderts gebaut, hat nur cirka achtzig Quadratmeter Wohnfläche, keinen Keller und so niedrige Decken, dass ich mit dem Kopf an die Deckenbalken anstoße. So etwas lässt sich kaum noch vermieten. Allerdings steht es auf einem tausend Quadratmeter großen Grundstück etwa dreihundert Meter vom Strand entfernt.
In diesem Kurteil gibt es etliche Appartementhäuser mit Ferienwohnungen für Kurgäste. Die Grundstückspreise in Strandnähe liegen bei über zweihundert Mark für den Quadratmeter. Für Cuxhavener Verhältnisse astronomisch. Man müsste das Haus abreißen und das Grundstück verkaufen. Es ist ja sicher verlockend, einfach mal so eben zwei - bis zweihundertfünfzigtausend Mark einzustreichen aber irgendwie habe ich Skrupel, mir fällt da das Zitatat aus Goethes Faust ein: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“.
Was würde ein Käufer mit dem Grundstück anfangen? In solch einer exponierten Lage, vermutlich würde er Ferienwohnungen bauen……..und was Andere können, muss ich doch auch können…….. Also fange ich an, mich intensiv mit der Materie Fremdenverkehr an der Nordsee zu beschäftigen. Cuxhaven hat rund fünfzigtausend Einwohner und auf die kommen über drei Millionen Übernachtungen im Jahr. Das ist eine ungeheuere Zahl, im Vergleich hatte Hamburg zu der Zeit acht Millionen Übernachtungen bei anderthalb Millionen Einwohnern. Von dem Kuchen müsste ich doch etwas abbekommen können. Ich hatte zwar vom Tourismusgeschäft keine Ahnung, aber ich war doch weit gereist und da könnte ich bestimmt die eine oder andere Erfahrung in das Metier einbringen.

Mein Plan war, eine Immobilien GmbH zu gründen, die uns das Grundstück abkauft, das Objekt erstellt und später auch verwaltet. Eine Hälfte der Wohnungen sollte fremd verkauft werden und die andere Hälfte wollte ich behalten.
Als Erstes erkundige ich beim Bauamt, ob ich eine Genehmigung zum Abriss erhalten würde und was ich danach dort erstellen dürfte. Möglich war ein zweieinhalbgeschossiges Objekt, mit etwa sechshundert Quadratmetern Wohnfläche und…….da das Grundstück nicht groß genug war…..entsprechend der Anzahl der Wohnungen, die ich bauen wollte, Stellplätze in einer Tiefgarage.
Danach unterhielt ich mich mit einem Architekten über die Baukosten. Da der Baugrund, so dicht am Strand, aus ehemals Meeresboden bestand, mussten, um die Tragfähigkeit zu gewährleisten, vierzig zwölf Meter lange Betonpfähle in den Boden gerammt  und die erforderliche Tiefgarage in einer „weißen Wanne“ (wasserdicht) gebaut werden. Das trieb die Baukosten natürlich erheblich in die Höhe. Ich musste für zwölf Wohnungen, inklusive Einrichtung mit etwa zweieinhalb Millionen Mark rechnen…….das ist schon eine stolze Summe.  Um bei solch einer Investitionssumme eine Rendite zu erzielen, brauchte ich nach meiner Kalkulation, eine Auslastung von Minimum einhundertsechzig Tagen im Jahr. Das ist zwar bei einer Saisondauer von etwa zweihundert Tagen schwer, aber machbar. Ich hatte ja in meiner Berliner Zeit vielen Existenzgründern beratend zur Seite gestanden und daher war es für mich kein Problem, mein Projekt so aufzuarbeiten, dass ich damit bei Banken vorsprechen konnte. Und ich hatte Erfolg…….ich bekam eine Finanzierungszusage.

Als Mutters altes Häuschen, dass einem Teil meiner Familie seit ungefähr siebzig Jahren Heimat gewesen war, so einfach zusammengeschoben wurde, hatte ich irgendwie ein schlechtes Gewissen. Beim Entrümpeln hatte ich auf dem Dachboden noch ein paar tausend Reichsmark gefunden, die Tante Mieze dort offenbar versteckt hatte und die dann dort vergessen wurden……
Mir war vor Jahren in Hochdorf einmal ähnliches passiert…… Als wir in Urlaub fahren wollten, hatten wir noch dreitausend Mark Bargeld im Haus, die wir nicht auf die Bank bringen wollten. Also musste ich sie verstecken. Ich verteilte sie im Wohnzimmer unter dem Teppich. Kurz vor unserer Abreise fiel mir aber ein, dass wenn jemand bei uns einbricht, er vielleicht auch unseren echten Teppich klaut und dabei das Geld findet. Kurzerhand suchte ich ein anderes Versteck. Als wir von der Reise zurückkamen, wusste ich nicht mehr, wo ich es versteckt hatte. Ich suchte das ganze Haus immer wieder vom Keller bis unters Dach ab und fand es nicht wieder. Etwa ein Jahr später wollten wir unseren Garderobeschrank im Flur durch einen Einbauschrank ersetzen. Dazu räumte ich den Schrank aus und fand in einem alten Paar Laufschuhe von mir…….das längst schon vergessene Geld……

Meine Idee war, dass das der Neubau einen gehobenen Standard bekommen sollte denn ich beabsichtigte  das erste Viersterne - Appartementhaus in Cuxhaven in den Markt zu bringen. Zu dem Architekten, den ich beauftragte, hatte ich zunächst ein gutes Verhältnis. Seine Planung fand meine vollste Zustimmung. Ich wollte das Haus „Villa Döser Strand“ nennen  und wie eine große moderne Villa, mit viel Glass würde es auch aussehen. Auf zwei Etagen sollten jeweils fünf Wohnungen mit fünfzig bis siebzig Quadratmetern und im Dachgeschoss zwei sehr schöne DG – Wohnungen mit großen Gauben entstehen. Weiterhin ein großer Saunabereich mit Solarium und einer, nach Süden ausgerichteten Dachterrasse, sowie ein   Hauswirtschaftsraum und ein Wäschelager.
Der Architekt schrieb die Gewerke aus. Die Ergebnisse legte er mir vor, und unterstützte mich bei der Auswahl der Handwerksbetriebe, die er ja kannte. Das günstigste Angebot für den Rohbau kam allerdings von einem großen Bauunternehmen aus Stade, mit dem er wohl noch nicht gearbeitet hatte. Ich war aber trotzdem der Meinung, dass diese Firma, die sich sehr gut präsentierte, den Zuschlag bekommen sollte. Ein paar Tage später teilte mir der Architekt mit, dass in dem Angebot aus Stade eine Position fehlen würde, aber ein ihm bekannter Cuxhavener Unternehmer  komplett und dann noch günstiger angeboten hatte. Ich verließ mich auf seine Empfehlung und der Ärger war damit vorprogrammiert….. Ich war einfach noch zu naiv.
Das Architektenhonorar für mein Objekt betrug weit über hunderttausend Mark, dass erschien mir eigentlich ausreichend. Dass sich aber die  meisten Architekten bei der Vergabe noch schmieren lassen, wusste ich nicht. So ist dann, wie ich später erfahren habe, dieser Deal mit einer Firma, für die dieser Auftrag eigentlich eine Nummer zu groß war, zustande gekommen.   Sonst aber war ja schon ein wenig bauerfahren und so war ich jeden Tag auf der Baustelle anzutreffen. Was ich dort an Pfusch aufdeckte, passte auf keine Kuhhaut. Meinen Architekt, der für die Bauüberwachung zusätzlich weitere vierzigtausend Mark bekommen sollte, habe ich kaum gesehen. Ich bin es ja gewohnt, meine Meinung nicht hinter dem Berg zu halten und so kehrte sich unser gutes Verhältnis langsam um.

Für die Wohnungen, die ich verkaufen wollte, fanden sich auch einige Interessenten. Es gab ja vor der Euroeinführung viele betuchte Bürger, die dem Euro kritisch gegenüber standen und ins Betongold flüchteten. Allerdings bekam ich so meine Bedenken, ob die Idee ein halbes Haus zu privatisieren und die andere Hälfte an Feriengäste zu vermieten, wirklich so gut war. Dem Haus einen einheitlichen Standard zu geben, würde sich, mit mehreren Eigentümern nur schwer durchhalten lassen. Es gab da unterschiedliche Interessen. Die einen wollten gar nicht vermieten, sondern selber nutzen und andere wiederum nur zeitweise. Da würden sich mit Sicherheit Interessenskonflikte auftun. Also gab ich diese Idee wieder auf, weil ich mir nicht wieder von anderen in mein Geschäft hineinreden lassen wollte……
Meine GmbH hatte mir das Grundstück für zweihundertfünfzigtausend Mark abgekauft. Ich verfügte also über eine gute Liquidität. Eines Tages stellt mir Marco, voller Enthusiasmus, seine Geschäftsidee vor. Er möchte gerne ein Internetkaffee eröffnen, in dem er gleichzeitig mit Computern und Zubehör handeln will. Dazu möchte er noch eine kleine Werkstatt einrichten, in der seine jungen Kunden unter Anleitung, gegen eine Gebühr, selber an ihren Computern rumschrauben können. Ich habe zwar keine Ahnung von Computern, finde aber seine Idee gut. Im Gegensatz zu den großen Elektronikmärkten, in denen eine Beratung kaum stattfindet, hat er mit diesem Konzept vielfältige Möglichkeiten Kunden an sich zu binden. Seine Idee beruht auf mehreren Säulen, denn er hat ja zusätzlich noch die Möglichkeit  Gastronomie- Umsätze zu generieren…… Er hatte sich bereits umgesehen und etwas abseits vom Zentrum von Hellersdorf, umgeben von vielen Plattenbauten, ein geeignetes Mietobjekt gefunden. Verhältnismäßig günstig und mit vierhundert Quadratmetern groß genug um seine Ideen zu verwirklichen. Nach seiner Schätzung würde er für die Geschäftsaustattung und einen Anfangs- Warenbestand etwa einhundertachtzigtausend Mark benötigen…….
Ein Porschechassis als Fahrsimulator, einen runden Tisch mit zwanzig PC´s an dem die Nutzer gegeneinander spielen konnten……..er hatte tausend Ideen das Geschäft für seine Kunden attraktiv zu gestalten und steckte mich mit seiner Begeisterung an. Kurzerhand sage ich ihm meine Unterstützung zu. Ich erkläre mich bereit, mich als stiller Teilhaber mit fünfzig Prozent an den Gesamtkosten zu beteiligen. Da er ja über kein Eigenkapital verfügt, soll er sich die anderen fünfzig Prozent von einer Bank finanzieren lassen. Ich lasse wieder meine Erfahrungen einfließen und wir erstellen einen Businessplan mit Ertragsvorschau. Ich traue es Marco zu, sich um die Finanzierung alleine zu kümmern, aber er hat keinen Erfolg. Also fahre ich nach Berlin und wir versuchen es gemeinsam. Wir finden auch eine Bank, die bereit ist, einzusteigen, allerdings soll ich auch für den Bankkredit bürgen. Das ärgert mich maßlos. Ich finanziere sowieso schon fünfzig Prozent und soll der Bank noch das Risiko für die anderen fünfzig Prozent abnehmen…….wie blöd muss ich da sein? Da kann ich auch gleich die ganze Finanzierung übernehmen. Das tue ich dann auch…….

Mein Neubau schreitet voran, ich mache aber auch Druck denn ich will im Dezember in die Vermietung gehen. Zum Jahreswechsel gibt es viele Gäste an der Nordsee…..da möchte ich welche von abhaben und schalte schon bundesweit Inserate mit entsprechenden Angeboten. Gäste, die im Winter kommen und zufrieden waren, kommen auch zu anderen Jahreszeiten und so ein Haus lebt von Stammgästen und einer Mund zu Mund Propaganda.
Mit meinem Architekten habe ich immer mehr Probleme. Der Installateur, der mir dreitausendfünfhundert Mark Planungskosten in Rechnung gestellt hat, hält sich nicht an seine Planung. Die Trockenbauer verkleiden die Rohrleitungen und weil die sich auch nicht an die vorgegeben Maße halten, bekommen wir in den Badezimmern Probleme mit den Türen. Das habe aber ich und nicht mein Architekt festgestellt. Die Änderungen, die jetzt vorgenommen werden müssen, soll ich extra bezahlen…….mir platzt der Kragen und ich rate ihm, weil er auch künstlerisch aktiv ist, sich seinem Hobby ganz zu widmen. An einem Bau gäbe es nicht soviel künstlerischen Gestaltungsspielraum, deswegen sollte er das Bauen aufgeben……..und füge hinzu dass, wenn er Schiffe bauen müsste, keines schwimmen würde.

In meiner Nachbarschaft wohnte ein Bauingenieur mit seiner Familie. Wir hatten uns schon ein bisschen angefreundet und ich bat ihn mal hin und wieder ein Blick auf mein Objekt zu werfen. Ich war während der Ausbauphase sowieso fast den ganzen Tag auf der Baustelle und übernahm die Bauleitung. Meinen Architekten sah ich kaum und als ich seine vorletzte Abschlagsrechnung bekam, behielt ich das Geld erst einmal ein.
Ein ganzes Haus mit Sauna, Solarium und zwölf Wohnungen komplett und termingerecht einzurichten ist schon eine Aufgabe. Ich hatte im November schon Buchungen für acht Appartements ab dem zwanzigsten Dezember bis teilweise „Heilige drei Könige“ und konnte es mir nicht leisten, die Gäste in eine Vier Sterne Baustelle ziehen zu lassen……..

Die Berliner waren inzwischen auch sehr fleißig gewesen. Marco und Jana hatten mit Marco´s Schwester und ihrem Lebensgefährten die gesamte Renovierung komplett selbst gemacht. Bei der Einrichtung hatte er sich allerdings ziemlich verschätzt und benötigte weitere vierzigtausend Mark. Was sollte ich machen, wer A sagt, muss auch B sagen und so bewilligte ich sie ihm zähneknirschend, weil bei meinem Bau absehbar war, dass ich durch mein Verhandlungsgeschick, die mir bewilligten Mittel nicht ausschöpfen würde.
Natürlich fahren wir zur Geschäftseröffnung von Marcos „Joy Net“ nach Berlin. Ok es war ja nun einiges teuerer geworden, als geplant aber Chapeau…….er hatte da schon etwas hingestellt. Er hatte zwanzig Computerplätze für Surfer und Chatter eingerichtet, inmitten des runden Tisches eine überlebensgroße Godzillafigur platziert und der Porsche wartete, frisch lackiert, auf die Rennfahrer. Es gab eine kleine Küche, einen netten Gastrobereich und vorne am Eingang einen hellen Verkaufsraum. Zur Eröffnung hatte er eine Menge Werbung gemacht und als Highlight zwei bekannte Schauspieler aus der Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ eingeladen. Das führte dazu, dass der Andrang so groß war, dass ich ein kleines Mädchen auf meine Schultern nehmen musste, damit sie nicht erdrückt wurde. Der Anfang war gemacht und der sah sehr vielversprechend aus…..

Weniger vielversprechend hingegen lief mein Schifffahrtsunternehmen. Die Tschechen bezahlten ihre Charterrate nicht. Nachdem ich zweimal gemahnt hatte und immer noch nichts passiert war, trafen wir uns auf halber Strecke, in Magdeburg. Sie berichteten mir von einem kurzfristigen Engpass weil einer ihrer Auftraggeber fällige Frachtraten nicht bezahlt hätte. Daraufhin räumte ich ihnen eine Zahlungsfrist von weiteren vier Wochen ein.
In Magdeburg hat die, mittlerweile auch privatisierte, ehemalige tschechische Staatsreederei eine Niederlassung. Den Niederlassungsleiter Alex kenne ich aus meiner Zeit bei der DBR sehr gut. Weil ich schon mal da bin, fahre ich bei ihm zu einem kleinen Erfahrungsaustausch vorbei. Er ist Tscheche und kennt den tschechischen Markt genau. Er berichtete mir, dass die Firma, die meine Schiffe gechartert hat, wohl kurz vor dem Konkurs stand. Die Elbe hatte schon seit einigen Wochen einen sehr niedrigen Wasserstand, so dass die Schiffe nur noch mit fünfundzwanzig bis dreißig Prozent ihrer Kapazität ausgelastet werden konnten. Das bereitete der gesamten Elbeschifffahrt große Probleme. Selbstfahrende Unternehmer können sich so einer Situation besser anpassen. Sie reduzieren einfach ihre Eigenentnahme und meistens reicht das aus. Firmen hingegen haben die erheblich höhere Personalkosten und dazu noch einen gewissen Verwaltungsapparat zu finanzieren. Im Falle meiner Charterer, finanzierten sich die zwei Inhaber, so mein Bekannter, aus den ohnehin nicht ausreichenden Frachteinnahmen noch ihren, offensichtlich aufwendigen Lebensstiel. Ich musste also mit dem Schlimmsten rechnen. Dann erzählte er mir noch, dass er in Kürze arbeitslos sei, weil seine Firma die Magdeburger Niederlassung schließen wollte.
Ich musste mir ja, für den Fall dass meine Charterer wirklich pleite machten etwas zu meinen Schiffen einfallen lassen. ……und mir fiel was ein. Die Schiffe waren ja jetzt mit tschechischen Personalen besetzt. Die würden dann ja auch arbeitslos werden. Ich schlug ihm also vor, eine Firma zu gründen, die Personale einzustellen und an mich zu vermieten. Gleichzeitig sollte er im Raum Oberelbe und Tschechien die Befrachtung gegen Provision übernehmen. Die Befrachtung im Westen und in Benelux könnte ich selber darstellen, da ich in diesem Fahrtgebiet gute Kontakte habe.

Es kam dann auch so, wie vermutet…….meine Charterer meldeten Konkurs an und machten sich aus dem Staub. Ich musste schnell handeln. Die Schiffe, teilweise beladen in Holland und auf den westdeutschen Kanälen, lagen plötzlich still. Die Besatzungen hatten keinen Lohn bekommen und wollten nach Hause fahren.  Jetzt war ich froh, dass ich mit Alex dieses Szenario bereits durchgesprochen hatte. Wir konnten deshalb, nach kurzer Unterbrechung, weiterfahren.
Zwei Schubverbände vermietete ich zu guten Konditionen an die DBR und mit den Motorschiffen verfuhren wir, wie geplant. Bei der Rücknahme begutachtete ich jedes Fahrzeug sorgfältig und musste feststellen, dass zwischenzeitlich an allen Schiffen ein erheblicher Reparaturstau aufgelaufen war. Ich würde also in der nächsten Zeit kaum Gewinne machen können…….im Gegenteil, ich musste sie beleihen, um die anstehenden Reparaturen bezahlen zu können. Dass mit meinem reich werden, wurde dadurch dann doch erst einmal verhindert.

Meine „Villa Döser Strand“ war so gut wie fertig. Ich habe einen Experten beauftragt, die Mängel an dem Objekt aufzulisten und zu bewerten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ich Forderungen von insgesamt weit über einhunderttausend Mark geltend machen kann. Der überwiegende Teil der Mängel hätte bei einer fachgerechten Überwachung der Bauarbeiten durch meinen Architekten verhindert werden können. Ich hatte ja bereits einen Teil seines Honorars einbehalten. Dagegen hatte er  Klage eingereicht. Da aber der einbehaltene Betrag zur Beseitigung der Mängel bei Weitem nicht ausreichte, verklagte ich nun den Architekten. Bis ich dann letztendlich zu meinem Recht kam, dauerte es fast vier Jahre. Soviel zum Pfusch am Bau……..aber diese Erfahrung sollte sich einige Jahre später noch einmal bestätigen……
Um die Hochwertigkeit des Hauses zu unterstreichen, wollte ich es auch gerne hochwertig dekorieren und nicht, wie an der See üblich, überall ein paar Drucke von Leuchttürmen, Muscheln oder ähnlichen Küstenmotiven aufhängen. Nun gibt es In Cuxhaven ein Künstlerhaus, in dem zu dieser Zeit eine polnische Malerin und ein ukrainischer Maler mit einem Stipendium der Stadt lebten und arbeiteten. Anatoli malte abstrakt aber in einer Farbenpracht, die mir gefiel und die sehr gut in eine moderne Villa passte. Dazu hatte er noch einige Akte geschaffen, die ich mir gut in meinem Saunabereich vorstellen konnte….. Anna malte gegenständlich und hatte hier in Cuxhaven eine ganze Reihe maritimer Motive geschaffen. In ihrem Atelier bewahrten sie zusammen an die hundert Bilder auf. Ihr diesjähriges  Stipendium lief in Kürze aus, aber sie hatten schon eine erneute Zusage für das kommende Jahr. Um bei der Heimreise keine Schwierigkeiten mit ihrem Zoll zu bekommen, wollten sie ihre Bilder zunächst einmal gerne in Cuxhaven belassen. Ich schlug ihnen vor, ihnen ein paar Bilder abzukaufen und ihre restlichen Exponate in meinem Haus auszustellen und, wenn möglich, auch zu verkaufen. Im kommenden Jahr würde ich dann für sie eine Vernissage organisieren. Sie waren sehr glücklich über meinen Vorschlag. Jetzt hatte ich meine hochwertige Dekoration……..und wurde auch noch Kunsthändler. Über einen Mangel an Arbeit konnte ich mich jetzt wirklich nicht mehr beklagen. Ich musste mich um die Gäste der „Villa“ kümmern, weil Bärbel sich das nicht zutraute. Dann noch Ladung für die Schiffe besorgen, Reparaturen in Auftrag geben und überwachen…….kurz und gut ich hatte kaum noch eine ruhige Minute.
Dazu kam dass einige der tschechischen Personale nicht zuverlässig waren. Die Wasserschutzpolizei legte Schiffe kurzfristig still, weil die Besatzungen alkoholisiert waren. Oder mich rief am Freitag  Mittag der Kapitän eines Schubverbandes an, er könne nicht weiterfahren, weil er irgend etwas in der Schiffsschraube hatte. Ich schickte sofort einen Taucher hin, der fand aber nichts……die Leute hatten gedacht, dass sie mit dieser Finte ein freies Wochenende herausschinden konnten.

Um etwas mehr Ruhe in meinen Schifffahrtsbetrieb zu bekommen, beauftragte ich Alex ein paar zuverlässige Kapitäne aufzutreiben, denen ich Motorschiffe vermieten wollte. Alex sollte die Mieter dann vertraglich an sich binden und sie weiterhin befrachten. Im westlichen Fahrtgebiet würde ich nur noch eingreifen, wenn er meine Verbindungen benötigte. In dieser Variante hätte ich über ihn, wenn nötig, auch Zugriff auf die Frachteinnahmen der Mieter, so dass mein Risiko nicht allzu groß war. So nach und nach bekamen wir das auch hin und ich wurde wieder etwas entlastet. Das musste auch sein, denn die Auslastung der „Villa“ entwickelte sich recht gut. Ich butterte zwar wegen der hohen Werbekosten noch zu, aber ich war guter Hoffnung in zwei bis drei Jahren schwarze Zahlen zu schreiben.
Ich war zwischenzeitlich voll im Metier und ärgerte mich über das Konstrukt des  Cuxhavener Tourismus. Es gab für jeden der elf Kurteile eine Tourismus GmbH, natürlich mir je einem Geschäftsführer. Diese vermittelten die Quartiere aus ihrem Einzugsgebiet. Da die GmbH´s nicht vernetzt waren, gab es zwischen ihnen erhebliche Reibungsverluste, weil sie die Gäste meistens nicht weiterleiteten, wenn sie nichts mehr frei hatten. Ich hatte der für Döse zuständigen GmbH mein Haus auch zur Verfügung gestellt und bekam das mehrfach mit, weil Gäste mir dieses erzählten. Nachdem ich bei persönlichen Gesprächen nichts erreicht hatte (wer rationalisiert sich schon gerne selber weg), setzte ich daraufhin einen offenen Brief in die Cuxhavener Nachrichten, in dem ich diese unhaltbaren Zustände anprangerte.  Prompt wurde ich eingeladen und man wollte mich wohl einschüchtern, denn ich saß vor den Abgesandten wie vor einem Tribunal. Als erstes bekam ich zu hören: Dat mokt wi all foftig Johr so (das machen wir schon seit fünfzig Jahren so) und nun käme einer, der eigentlich keine Ahnung hat und will das alles ändern. Wir diskutierten heiß und am Ende wählte man mich in den Vorstand des Verkehrsvereins Döse.........
Nach einem knappen Jahr waren die Verkehrsvereine nur noch Vereine, sie hatten ihre Vermittlungstätigkeit an die neugegründete CUX – Tourismus GmbH, deren Gesellschafter sie nun waren, abgegeben und ich saß im Aufsichtsrat. Aus dieser Funktion ergab sich dann noch, dass ich gleichzeitig in den Aufsichtsrat des Stadtmarketing Cuxhaven gewählt wurde.......so kommt man zu Posten.
Die Stadt bemühte sich, Standort des Tiefwasserhafens zu werden. Die immer größer werdenden Containerschiffe, kamen mit Tiefgängen, an die die Fahrwasser nach Bremerhaven und Hamburg ständig angepasst werden mussten. Man erkannte das Problem und plante an der Nordseeküste, um diese Riesenpötte abfertigen zu können, einen Hafen am seeschifftiefen Wasser. Cuxhaven liegt am seeschifftiefen Wasser und für mich gab es (und gibt es noch heute) aus logistischen Gründen zu Cuxhaven keine Alternative. Bei den vielen Podiumsdiskussionen wurde ich deshalb gerne als Fachmann für Seehafenhinterlandverkehre eingeladen. Leider konnte ich, obwohl ich mich leidenschaftlich für meine Heimatstadt eingesetzt hatte, die politische Fehlentscheidung zu Gunsten von Wilhelmshaven (nach wie vor, ein Millionengrab) nicht mehr verhindern…….ich war zwei – drei Jahre zu spät gekommen. All diese Aktivitäten führten dazu, dass ich einen großen Bekanntenkreis hatte, zu dem viele wichtige Leute meiner Stadt gehörten……..und ich war weder in meinem Element.

Nur Bärbel war nicht zufrieden. Wir hatten des Öfteren Streit, weil sie sich nicht ausgelastet fühlte und als meine Freundin, sozial nicht abgesichert war. Sie wollte gerne, dass ich sie als Buchhalterin mit einem Gehalt, durch das ihre Rente abgesichert wäre, beschäftigte. Ich wollte sowieso eine Buchhalterin einstellen und stimmte dem zu. Sehr schnell merkte ich aber, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Ich stellte daraufhin eine fremde Buchhalterin ein. Das führte natürlich zu noch mehr Streit. Als mein Steuerberater eine Buchhalterin suchte, bewarb sie sich, ich glaube nur um mir zu beweisen, dass ich ihre Fähigkeiten völlig falsch eingeschätzt hatte…….sie hat aber ihre Probezeit nicht überstanden, nach vier Wochen war sie wieder zu Hause.
Jetzt kam sie auf die Idee, Schriftstellerin werden zu wollen und belegte einen Fernkurs. Ich fand ihre Idee gut. Aus ihrem Leben als Kommunistin in der DDR und ihren Erfahrungen die sie durch mich über den Kapitalismus gesammelt hatte, ließe sich bestimmt einiges erzählen. Sie kam aber auch hierbei nicht so richtig voran. Um ehrlich zu sein, war das Ganze ein Satz mit x……….es blieb bei dem Versuch.

Jana ist eine sehr kluge Frau und hat schon so manchmal ihre Probleme mit Ihrem Jungunternehmer. Sie rief mich des Öfteren an, weil  sie Marcos Art der Geschäftsführung kritisierte, sich aber bei ihm nicht durchsetzen konnte. Er vertrat die Meinung, er müsste preislich mit den großen Elektronikmärkten mithalten. Sie machte die Buchhaltung und erkannte, dass sie so auf keinen grünen Zweig kämen. Ich hatte ihm bisher größtmögliche Freiheit gelassen denn  schließlich war ich ja  „stiller Teilhaber“. Aber auch ich erkannte nun, dass ich ihm etwas mehr auf die Finger gucken musste, denn von Kalkulation verstand er so gut wie gar nichts. Also fuhren wir in Abständen nach Berlin damit ich mich informieren und ihm, wenn nötig, den Kopf waschen konnte.

Im Mai 97 wollen Bärbel und ich ein paar Tage in Urlaub fahren aber vorher noch mal in Berlin vorbeischauen denn……wir bekommen Familienzuwachs. Jana erwartet jeden Tag ihr Kind und wir wollen es uns nicht nehmen lassen, den neuen Erdenbürger zu begrüßen. Als ich im Krankenhaus die kleine Laura, mein Stiefenkelkind, im Arm halte, denke ich an den Tag, vor fast zweiunddreißig Jahren, als meine Tochter geboren wurde…….jetzt ist eine neue Generation hinzugekommen, über die so ein Patriarch zu wachen hat. Zu meinem großen Bedauern hatten Michelle und Ernesto beschlossen, mich nicht zum Großvater zu machen, also muss dafür jetzt meine neue Familie herhalten……
Bärbels Sicherheitsbedürfnis war immer noch nicht gelöst. Ich hatte sie zwar noch auf der Lohnliste, damit sie ausreichend versichert war, aber das war ja auch keine dauerhafte Lösung.  Nach gut dreijähriger Partnerschaft, kannte ich ihre Macken (sie hatte einige), aber auch ihre guten Seiten. Ich war mit jetzt Mitte fünfzig, und der Meinung, dass wir ruhig heiraten könnten. Damit wären ihre Probleme gelöst und sie würde sicher auch wieder ausgeglichener werden…….. Wir feierten eine richtig große Hochzeit. Die Trauung und das Mittagessen mit vierzig Gästen im Schloss. Für den Nachmittag hatte ich ein Schiff gechartert das uns mit hundert Gästen und der Hochzeitstorte zu den Seehundsbänken brachte. Für die Party am Abend hatte ich ein großes Zelt im Garten aufstellen lassen und unsere Lieblingsband, eine Irish Volk Band, verpflichtet. Es wurde ein rauschendes Fest und mit irischen Trink – und Seemannsliedern, blieb kein Auge trocken. Abends um elf brach ein Unwetter über uns herein. Ich schickte die Frauen und Kinder ins Haus und wir Männer in Smoking und dunklen Anzügen, sicherten das Zelt………diese Ehe nahm ja einen stürmischen Anfang……..

Nicht weit von der „Villa“ gab es eine kleine Wäscherei, die für uns die Handtücher, Bademäntel und Bettwäsche wusch. Die Inhaber, ein älteres Ehepaar, hatten sich in Ihrem Leben mit dieser Wäscherei ein Wohnhaus in Cuxhaven und ein Weiteres in Spanien zusammengewaschen. Die Winter verbrachten sie in Spanien. In der Zeit betrieben die Tochter und der Sohn das Geschäft nebenberuflich alleine. Außerhalb der Saison war es ja um Einiges ruhiger. Wenn ich meine Wäsche angab, klönten wir über dies und das und eines Tages erzählte mir die Inhaberin, dass sie ihr Geschäft aufgeben wollten um  sich zur Ruhe zu setzen. Die Kinder hatten kein Interesse es weiterzuführen aber ich hatte mal wiederum eine Idee……Bärbels Tochter Lara lebte mit ihrem Lebensgefährten Andreas und Tochter in Marzahn.
Er, ohne eine Berufsaubildung, war arbeitslos und sie, gelernte Friseuse, jobbte stundenweise in einer Bäckerei. Damit und der Sozialhilfe kamen sie gerade so über die Runden. Sie waren mittlerweile verheiratet. Ich war zwar mit meinem Stiefschwiegersohn nicht so ganz einverstanden (eigentlich überhaupt nicht), habe aber die Hochzeit dann letztlich doch bezahlt…….was sollte ich tun? Bärbel meinte dass man sich unter Sozialisten hilft. Nun sind Wäschewaschen und Mangeln ja nicht gerade anspruchsvolle Arbeiten, aber das wäre doch eine Chance für die Beiden ihren Lebensstandard um Einiges zu verbessern. Und Bärbel könnte ich damit bestimmt glücklich machen, wenn es mir gelänge, ihre Tochter nebst Anhang nach Cuxhaven zu ziehen. Sie hängt nämlich sehr an ihrer Tochter und ihrer Enkelin.
Die Inhaber der Wäscherei waren ganz glücklich darüber, ihren Betrieb vielleicht doch noch verkaufen zu können und waren gerne bereit mich  ihre Geschäftsunterlagen einsehen zu lassen. Das sah alles ganz ordentlich aus und die beiden Berliner waren, nachdem ich ihnen zugesagt hatte, ihre Existenzgründung zu begleiten, Feuer und Flamme.
Zu dem Betrieb gehörte ein kleines älteres Wohnhaus das zwar renovierungsbedürftig war, aber den Dreien ausreichend Platz bot. Ich trennte den Kaufpreis, in einen gewerblichen und einen nicht gewerblichen Teil und wir ließen uns den gewerblichen Teil über ein Existenzgründungs- und das Wohnhaus über ein Hypothekendarlehen finanzieren.  Nun hatte ich meine ganze Familie gut versorgt. Nur hatte ich gedacht, dass meine Frau jetzt umgänglicher würde, sah ich mich getäuscht. Im Gegenteil……sie hing jetzt den ganzen Tag in der Wäscherei rum und wenn sie mit mir Krach hatte, blieb sie dort auch über Nacht. Und da wir immer öfter aneinandergerieten, war sie manchmal tagelang nicht da und um meine Mutter kümmerte sie sich überhaupt nicht mehr.
Das war dann der Anfang vom Ende……nach nur einem halben Jahr Ehe verließ sie mich. Es war Paradox, ihre Tochter war nun in Cuxhaven und sie fuhr wieder zurück nach Berlin. Sie stand ja bei mir auf der Lohnliste und bekam, um dem Finanzamt zu genügen, von mir regelmäßig ein Gehalt auf ihr Konto überwiesen, ohne dass sie etwas dafür tun musste. Eigentlich wäre das ja unser gemeinsames Geld gewesen. Das sah sie aber anders und zog mit vierzigtausend Mark von dannen. Ich habe noch einmal versucht, sie zurückzuholen aber das war vergebliche Liebesmüh´ und am Ende war ich dann doch ganz froh…….es war nämlich insgesamt doch sehr stressig mit ihr…….

Zu meinen Künstlern hatte ich einen freundschaftlichen Kontakt aufgebaut. Obwohl die Beiden fünfundzwanzig Jahre trennten, lebten sie inzwischen als Paar zusammen. Wie ich  ihnen versprochen hatte, organisierte ich für sie eine Vernissage in der „Villa“ und später noch verschiedene andere Ausstellungen. Ich hatte in der Zwischenzeit auch ein paar Bilder verkaufen können und beanspruchte keine Provision, sondern ließ mir dafür Bilder schenken.  Anatol  war recht rührig und so gehörte er in der Ukraine zu den zehn bekanntesten Malern. Um die Vernissage zum Erfolg zu führen, hatten wir den ukrainischen Generalkonsul Jurij…….aus Hamburg eingeladen. Der wurde auch von unserem Bürgermeister empfangen und so bekamen wir natürlich einen ausführlichen Bericht in der hiesigen Presse. Wir verkauften dann auch in diesem Jahr Bilder für über dreißigtausend Mark…….für einen Ukrainer, bei denen das jährliche Durchschnittseinkommen bei nicht einmal fünftausend Mark liegt, ein tolles Ergebnis.
Anatol hatte seine Nichte, Anastasia, als Au pair Mädchen in Cuxhaven untergebracht und sie auch zur Vernissage eingeladen. Sie kam und brachte ihre Freundin  Emilia mit, die hier auch als Au pair Mädchen arbeitete. Ich unterhielt mich mal kurz mit den Beiden, hatte aber sonst keinen weiteren Kontakt zu ihnen. Anfang Dezember, die Mädels waren schon wieder zu Hause, rief mich Anatol aus Kiew an und erzählte mir, dass seine Nichte noch gerne einen weiterführenden Sprachkurs belegen würde und ob ich bei der Unterbringung behilflich sein könnte. Natürlich konnte ich, denn ich hatte ja in der „Villa“ im Winter Platz genug.  Auch als ich erfuhr, dass sie zu zweit kommen wollten, hatte ich damit kein Problem. Ich schrieb die entsprechenden Einladungen, die sie für ihr Visum brauchten und verpflichtete mich darin, jegliche Kosten, die entstehen konnten, zu  übernehmen.  Ende Januar kamen die Beiden an und ich brachte sie in der „Villa“ unter. Als Ausgleich für die kostenfreie Unterbringung erwartete ich, dass sie den Winterdienst vor dem Haus, wenn nötig, übernehmen sollten und überließ sie ihrem Schicksal. Ich hatte ihnen allerdings noch mitgegeben, dass sie das Appartement maximal bis Ostern haben könnten, denn ab dann musste ich damit ja wieder Geld verdienen.
Eines Tages……es hatte stark geschneit und ich hatte ein paar Gäste im Haus, bin ich rübergefahren um mal zu sehen, ob die Mädels mit dem Winterdienst zurechtkamen. Es musste, wenn Gäste im Haus waren, ja auch die Rampe zur Tiefgarage geräumt werden. Als ich ankam und die beiden halben Portionen mit dem Schnee kämpfen sah, habe ich natürlich mit angepackt. Als wir fertig waren, haben sie mich zum Tee eingeladen und wir quatschten ein bisschen miteinander. Dabei hörte ich raus, dass sie wohl so ziemlich pleite waren. Sie hatten sich vorgestellt, dass sie sich mit putzen über Wasser halten konnten…… nur im Winter, außerhalb der Saison gibt es hier kaum etwas zu tun. Obwohl sie mir erzählten, dass sie abnehmen wollten, regte sich kein Widerstand, als ich sie mit zum Discounter nahm und der Einkaufswagen am Ende randvoll war.  An jetzt kümmerte ich mich regelmäßig um die Beiden. Ich ging mit ihnen einkaufen, lud sie zum Essen ein und……..wir haben in Cuxhaven eine kleine Clubdisco, deren Inhaber ich gut kannte……..dorthin gingen wir am Wochenende tanzen. Es war eine sehr lustige Zeit. Wenn ich mit meinen beiden jungen Schönen loszog, habe ich mit Sicherheit einige Männer in meinem Alter neidisch werden lassen. Ich will ja nicht sagen, dass die weiblichen Reize der Beiden mich unbeeindruckt ließen. Ich hatte aber nicht vor, mir eine so jungen Frau an Land zu ziehen und so war unser Miteinander rein platonisch.

Bis Ostern hatten die Zwei sich, wie von mit eigentlich gefordert, natürlich noch nichts überlegt. Da ich zu den Feiertagen aber für  alle zwölf Appartements Buchungen hatte und ich sie ja nicht einfach auf die Straße setzen konnte, nahm ich sie kurzerhand bei mir zu Hause auf. Meine Mutter……..erzkonservativ…..schlug die Hände überm Kopf zusammen. Ich, gerade meine dritte Ehe hinter mir, bringe jetzt gleich zwei Frauen an, die dann auch noch sooooo jung sind. Aber mit der Zeit gewöhnte sie sich daran, zumal die Beiden sich auch sehr um sie bemühten. Wie heißt es so schön…..steter Tropfen höhlt den Stein…….es kam, wie es kommen musste. Anastasia lernte jemanden kennen und unternahm nun des Öfteren etwas ohne uns. So saß ich mit Emilia so manchen Abend alleine vor dem Kamin. Ich hielt mich zwar immer noch zurück, merkte aber, dass mir das immer schwerer fiel. Als ich mal wieder etwas in Berlin zu tun hatte fragte ich sie, ob sie mich übers Wochenende begleiten wollte und……..sie sagte ja.
So nahm dann das Schicksal seinen Lauf. Nach diesem Weekend in Berlin zog Anastasia zu ihrem Freund und Emilia in mein Schlafzimmer. Ich gab mich da keinen Illusionen hin. Natürlich war es mir klar, dass mir meine gute finanzielle Situation geholfen hatte, sie zu erobern. Aber wenn es nur das gewesen war, hat sie mich dieses nie spüren lassen…….ich glaube auch heute noch fest daran, sie war auch verliebt.
Die Visa der Beiden liefen Ende Juni ab. Anastasia heiratete ihren Freund und erhielt dadurch das Bleiberecht in Deutschland. Ich wollte nicht heiraten, aber Emilia gerne, so lange es eben gehen würde, bei mir behalten. Da sie in ihrer Heimat bereits ein Germanistik- Studium absolviert hatte, bestand für sie die Möglichkeit hier in Deutschland ein weiteres Studium aufzunehmen und dafür eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Ich schlug ihr vor, an der Hochschule in Bremerhaven BWL  zu studieren. Wenn wir uns eine Tages einmal trennen würden, oder ich ja, altersbedingt, irgendwann vor ihr gehen müsste, hätte sie alle Möglichkeiten auch ohne mich zurecht zu kommen. Gesagt, getan…..sie immatrikulierte an der Hochschule in Bremerhaven und fuhr nach Hause, um ihre noch fehlende Diplomarbeit abzugeben, einen Führerschein zu machen und ein neues Visum zu beantragen.
Wir telefonierten fast jeden Tag miteinander und meine Telefonrechnung erreichte astronomische Höhen. Sie sagte mir dabei immer wieder, dass sie es gar nicht abwarten könne, bis ich kommen würde, um sie Originalton: „zu klauen“.
Anfang September flog ich nach Simferopol, der Hauptstadt der Krim um Emilias Familie kennenzulernen, mit ihr ein paar Tage am Schwarzen Meer zu verbringen und sie dann endlich „zu klauen“. Sie holte mich vom Flughafen ab. Als ich sie sah, blieb mir die Luft weg. Sie hatte sich einen roten Hosenanzug auf ihre traumhafte Figur schneidern lassen und stand vor mir, wie schönes Geschenk. Ich konnte es kaum fassen, dass ich soviel Glück haben konnte.
Ihre Eltern, der Vater ein arbeitsloser Bauingenieur, die Mutter Verwaltungsangestellte an der Universität Simferopol und beide sogar noch etwas jünger als ich, sahen unserer Beziehung ganz locker. Es ist offensichtlich in Osteuropa nichts ungewöhnliches, dass ein älterer Mann, wenn er dann nicht ganz arm ist, sich eine junge Frau nimmt. So wurde ich von der ganzen Familie herzlich aufgenommen.
Emilia hatte für unseren Aufenthalt an der Küste in Jalta ein sehr exklusives Hotel gebucht und wir verbrachten ein paar schöne Tage am Meer. Hier erlebten wir auch „nine – eleven“……..Während sie im Bad war, sah ich im Fernsehen die Flugzeuge in die Twin- Towers in New York fliegen, wusste aber, da ich kein russisch konnte, nicht um was es ging, sondern dachte an einen Krimi. Erst als mir dann doch Zweifel kamen, rief ich meine Kleine aus dem Bad und sie übersetzte mir die Tragödie, die an diesem Tag, an dem wir doch so glücklich waren, über die USA hereingebrochen war. Obwohl das Hotel sehr exklusiv und mit vierhundert US - Dollar pro Nacht auch sehr teuer war, stellte ich doch fest, das den Tourismus auf der Krim und den in unseren Breiten, Welten trennen.
Wir  hatten Halbpension und am ersten Abend brachte uns die Bedienung einen Stapel Zettel, auf denen wir, im Voraus, für jede Mahlzeit während unseres Aufenthaltes ankreuzen mussten, was wir essen wollten…….auch jede Scheibe Wurst oder Käse zum Frühstück. Die Essenszeiten waren mit zwei Stunden sehr kurz und streng geregelt. Als wir, nach einer Rundtour ein paar Minuten vor Schluss zum Abendessen  kamen, bekamen wir nur noch einen Teller Risotto. Ich beschwerte mich erfolglos. Aber am nächsten Morgen servierte man mir, zusätzlich zu meinem vorbestellten Frühstück…….mein versäumtes Abendessen.

Die Krim ist ja bekannt für ihren Sekt und ihre guten Weine. Also fuhren wir zu einer Weinprobe. Ich bezahlte zehn Dollar pro Person und wir mischten uns unter die schon sehr lustigen Russen. Nachdem wir schon mit einigen von ihnen Brüderschaft getrunken hatten, wollten wir, bevor wir gingen, auch ein paar Flaschen Wein kaufen aber es gab nichts zu kaufen. Vermutlich war der Ausschank ertragreicher als der Verkauf.
Ich empfand es für ukrainische Verhältnisse schon als sehr fortschrittlich, dass ich das Hotel mit Kreditkarte, bezahlen konnte. Das stellte sich allerdings als sehr umständlich dar. Am Tag unserer Abreise, ging ich zur Rezeption und bekam, nach Vorlage meiner Kreditkarte, den Rechnungsbetrag von zweitausendachthundert Dollar in umgerechnet mehr als  dreißigtausend ukrainischen Griwna in kleinen Scheinen ausbezahlt. Der Vorgang des zweimaligen Zählens dauerte einige Zeit. Danach gab man uns eine Plastiktüte, in der wir diesen Stapel Papiergeld verstauten und drei Häuser weiter an der Kasse, nach wiederum mehrfachem Zählen, wieder einzahlten. Warum denn einfach, wenn es doch auch kompliziert geht……
Wieder in Cuxhaven angekommen, überraschte ich meine Kleine, die ja jetzt einen Führerschein hatte, mit einem Cabrio mit Stern, dass ich vorher schon für sie angeschafft hatte. Ihr alltäglicher Weg zur Hochschule nach Bremerhaven wäre zwar mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ganz so teuer geworden aber…….man (n) gönnt sich ja sonst nichts.
Mit meinen Immobilien läuft es nicht so richtig rund. Die Häuser in Altlandsberg wollte ich ja eigentlich nach Ablauf der fünfjährigen Sperrfrist verkaufen und hatte die Mietverträge entsprechend gestaltet. Wir wurden aber seit Ende März 2000 von einer rot – grünen  Bundesregierung regiert. Die Sozis hatten nichts Besseres zu tun, als die Spekulationsfristen auf zehn Jahre zu verlängern. Damit brachten sie alle die, die dem Aufruf der alten Regierung gefolgt waren, durch Investitionen in den neuen Bundesländern, den Aufbau Ost zu unterstützen, in erhebliche Schwierigkeiten. Mit der Verlängerung waren die Steuervorteile, mit denen die Kohl – Regierung nach der Wende das Geld eingeworben hatte, hinfällig geworden. Dieses hatte viele gutgläubige Investoren, die auf die Seriosität unserer Volksvertreter, die inzwischen von Bonn nach Berlin umgezogen waren, gesetzt hatten, in den Ruin getrieben……..Was stört mich mein Geschwätz von Gestern.
Die Mieter meiner einen Haushälfte, hatten selber gebaut und zogen aus. Die der zweiten Haushälfte wollten den Mietvertrag gerne verlängern, waren aber nicht mehr bereit die anfänglich vereinbarte Miete zu bezahlen. Es gab inzwischen ein Überangebot an Mietobjekte, dass die Preise erheblich drückte. Ich musste also Federn lassen und da ich für das leere Haus einen längeren Leerstand befürchtete, überließ ich dieses Marco mit seiner Familie zu ebenfalls günstigen Konditionen.  Die Villa in Cuxhaven erbringt auch nicht das, was ich mir einmal erhofft hatte. Bis Ende 2001 war es mir noch nicht gelungen die berühmte „schwarze Null“ zu erreichen. Die Auslastung war zwar recht gut, aber  ich hatte ursprünglich bei meiner Preisgestaltung wenigstens mit einem Inflationsausgleich gerechnet. Jetzt musste ich aber, wegen der allgemeinen schlechteren wirtschaftlichen Lage in Lande, in der Vor – und Nachsaison sogar erhebliche Preisnachlässe gewähren. Das Minus glich ich regelmäßig durch Gesellschafterdarlehen aus, aber eine GmbH darf nur so lange Minus machen, bis ihre stillen Reserven aufgebraucht sind, danach gilt sie als überschuldet. Ich brauchte also für die GmbH eine zusätzliche Einnahmequelle. Was kann ich am Besten?………Schifffahrt. Meine GmbH übernimmt deshalb von der DBR das Motorschiff „Eberswalde“ im Mietkauf. Der Vertrag sieht vor, dass dieses nach einer Mietdauer von fünf Jahren, in das Eigentum der GmbH übergeht. Und mit
„Eberswalde“ klappt es ganz gut. Das Schiff gleicht nicht nur die Verluste aus, sondern erwirtschaftet sogar einen ordentlichen Gewinn. Damit hatte ich diese Kuh vom Eis.
Das „Joy Net“ in Berlin Hellersdorf hat sich auch ganz gut entwickelt und Marco plant ein weiteres Geschäft in Berlin Mitte zu eröffnen. In einer Nebenstraße der Oranienburger, findet er auch geeignete Räumlichkeiten und richtet diese entsprechend her. Ausgestattet mit der modernsten EDV eröffnet „Joy Net 2“ im Februar 2002. Da die Banken Computer, als kurzlebige Wirtschaftsgüter, nicht finanzieren, hat er sich über einen Brauereivertrag einen Kredit verschafft und den Rest haben wir aus Eigenmitteln beigesteuert.
Wie jedes Jahr, trifft sich die Familie, auch in diesem Jahr, jetzt erweitert um Maria und Wladimir aus Simferopol, zu Ostern bei mir in Cuxhaven. Dazu hatte ich noch Juri, den Generalkonsul, der mit seiner Frau und einem Enkelkind über die Feiertage in meiner Villa wohnte, eingeladen. Nach dem Osterfeuer bei uns am Strand, in dem wir im Schneetreiben vor der Musikmuschel am Strandhaus getanzt hatten, machten wir bei mir zu Hause weiter und der Wodka floss in Strömen. Jurij ist einen halben Kopf größer und bestimmt zwanzig Kilo schwerer als ich und, wie die meisten Osteuropäer, sehr trinkfest. Ich muss aufpassen, dass ich als Gastgeber, der ja mithalten muss, nicht vorzeitig ausfalle. Mein Glück ist, dass er mit seinem Dienstwagen in die Villa zurückfahren wollte und mich so vor einer Alkoholvergiftung bewahrte.
Am Tag nach Ostern bekommt Marco einen Anruf von seinem Geschäftsführer…“Joy Net 2“ wurde komplett ausgeraubt. Über Nacht ist es irgendwelchen Banditen gelungen, den Laden aufzubrechen und die gesamte technische Ausstattung, sowie die Waren, Alkohol und Zigaretten mitgehen zu lassen. Schaden…….weit über sechzigtausend Euro. Das Geschäft ist ja versichert doch obwohl die dort vorhandene Sicherheitseinrichtung von einem Sachverständigen der Versicherung begutachtet und für gut befunden worden war, weigert sich diese den Schaden zu übernehmen. Es bleibt Marco nichts anderes übrig, er muss Klage einreichen und es werden vier Jahre vergehen, bis es zu einem abschließenden Urteil kommt. Für neue Computer ist kein Geld mehr da und ohne, nur als reine Gaststätte, lässt sich der Laden nicht kostendeckend betreiben. Aus dem Mietvertrag für das Geschäft kommt er nicht heraus und der Brauereivertrag verpflichtet ihn, Biermengen abzunehmen, die er in einem Laden nicht absetzen kann. Erschwerend kommt hinzu dass, nachdem im April ein neunzehnjähriger an einer Schule in Erfurt ein Blutbad unter Schülern und Lehrern angerichtet hat, die Killerspiele für Jugendliche verboten werden, die sie im „Joy Net“ besonders gerne spielen. Das führt dazu, dass Marco jetzt auch mit seinem Stammgeschäft in Schwierigkeiten kommt. Nach vergeblichen Bemühungen das Schlimmste zu verhindern, muss er dann seinen (unseren) Traum aufgeben und Konkurs anmelden…….so schnell kann es gehen.

Gott sei Dank hat Marco seine Frau…….sie hat einen krisenfesten Arbeitsplatz und kann damit die Familie ernähren. Er selbst beginnt in der darauffolgenden Zeit im Internet mit gebrauchten Computern zu handeln. Nach diesem und verschiedenen anderen vergeblichen Anläufen ist es ihm letztlich dann aber doch gelungen, als Generalvertreter eines großen Kosmetikherstellers, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. In Cuxhaven ist alles im Lot…….ich sonne mich in meinem Glück. Aber meiner Mutter geht es nicht so gut. Sie braucht jetzt eigentlich eine vierundzwanzig Stunden Betreuung. Ich hätte ja gerne eine Pflegekraft für sie eingestellt aber ausländische sind noch nicht erlaubt und deutsche für „rund um die Uhr“ einfach zu teuer. Ihre einzige Freundin ist bereits verstorben und mit meiner jungen Lebensgefährtin kann sie nicht soviel anfangen, deshalb erhofft sie sich von einem Pflegeheim unter Altersgenossen, etwas mehr Abwechslung. Es gibt in Cuxhaven einige Pflegeeinrichtungen und wir finden auch schnell ein schönes Einzelzimmer in einem sehr gepflegten Haus, das ihr gefällt.
Wir müssen uns jetzt um Mutter keine Sorgen mehr machen und machen im Winter 2002 / 03 eine Nilkreuzfahrt und schnorcheln im Roten Meer. Im darauffolgenden Winter verbringen wir drei Wochen in einem Luxusressort in der Dominikanischen Republik. Für die Villa habe ich eine sehr gute Mitarbeiterin, die in der buchungsschwachen Zeit gut ohne mich auskommt und um die Schiffe kümmert sich mein tschechischer Partner Alex……..besser kann man es kaum haben.

Ein Kind hatten wir eigentlich explizit nicht eingeplant, aber wir haben auch nicht verhütet, sondern immer gesagt, dass wenn der liebe Gott will, dass ich noch einmal Vater werde, so soll es dann so sein.  Ich weiß nicht, woran es gelegen hat…..war es die karibische Luft, die tolle Anlage mit Reiten, Golfen und Segeln. Waren die tolle Verpflegung, unser Appartement mit Terrasse zum Meer oder die Tanzabende im Freien unter tropischen Sternenhimmel schuld daran, irgendwann muss ich auf dieser schönen Insel über mich hinausgewachsen sein. Resultat: Fast vierzig Jahre nach meinem ersten Treffer, habe ich einen erneuten gelandet…….Emilia ist schwanger und sie möchte das Kind auch gerne haben. Nun gut, ich bin achtundfünfzig und mit etwas Glück, kann ich ihr noch zur Seite stehen, bis es volljährig ist……also freuen wir uns beide auf das was jetzt auf uns zukommt. Das Kind muss einen Namen haben. Natürlich  bin ich bereit, das Versprechen……..“bis der Tod euch scheidet“…….zum vierten Mal abzugeben. Hoffentlich glaubt mir das Emilia noch. Ich meine es aber, wie auch vorher jedes Mal, absolut ernst……..
Auch dieses Mal lässt die Hochzeitsfeier kaum Wünsche offen. Unsere Freunde haben unser Haus, nach norddeutscher Sitte, mit selbstgemachten Blumengirlanden geschmückt und als Location dient uns der Verkaufsraum der Gärtnerei des Freundes, bei dem die Girlanden entstanden sind. Umgeben von Pflanzen und vielen, vielen Blumen, bewirtet uns, der Schlosswirt, aus unserem Kochklub, mit dem Besten, zu dem er im Stande ist. Nur die anschließende Tanzmusik ist mehr der Jugend meiner Frau angepasst und so sieht man wie sich meine Jahrgänge ihre Knochen verrenken. Frei nach dem Motto: Abends achtzehn und morgens achtzig……..

Ich habe viermal ohne den Segen von ganz oben geheiratet…….war das, was nun folgt, die Rache des Herrn? Obwohl ich eigentlich Realist bin, habe ich mich in der Folgezeit mehrfach gefragt, wem ich, wann und wieso auch immer, auf die Füße getreten sein könnte. Bis hierhin war ich doch eigentlich ein Glückskind. Kurz nach der Hochzeit habe ich mein Auto zur Durchsicht in die Werkstatt gebracht und sitze in meinem Büro als das Telefon klingelt. Emilia ist am Telefon und berichtet mir weinend, dass sie einen Unfall hatte. Sie wäre nur leicht verletzt und steht an der Autobahn kurz vor Cuxhaven und wartet auf die Polizei. Ich sage ihr, dass ich sofort kommen würde, dann fällt mir aber ein, dass ich ja gar kein Auto habe. Auf mein Notruf hin schickt die Werkstatt mir zwar gleich ein Ersatzfahrzeug aber bis das alles geklärt ist und  ich an der Unfallstelle ankomme, hat man sie bereits ins Krankenhaus transportiert. Das Auto liegt auf dem Dach, seitlich der Autobahn in einer Tannenschonung. Wie sie mir später berichtet hat, ist ihr bei Tempo hundertvierzig, ein Vorderreifen geplatzt und sie hat die Kontrolle über das Auto verloren.

Ich fahre ins Krankenhaus…….sie wurde in der Notaufnahme bereits untersucht aber außer ein paar  Prellungen und einigen leichten Schnittverletzungen hatten die Ärzte, Gott sei Dank, keine weiteren körperlichen Schäden bei ihr festgestellt. Man hatte ihr aber gesagt, dass man sie, wegen ihrer Schwangerschaft noch ein bis zwei Tage stationär unter Beobachtung behalten möchte. Und leider kommt es wie befürchtet……ein paar Tage später erleidet sie eine Fehlgeburt. Das Kind sollte oder wollte nicht bei uns bleiben. Offensichtlich wollte der liebe Gott doch nicht, dass ich noch einmal Vater werde. Nur dann hätte er eigentlich früher eingreifen sollen. Wir waren sehr traurig aber am schlimmsten war es für mich, Emilia so leiden zu sehen. Sie hatte sich doch schon so auf das Kind gefreut. Obwohl ich mich in dieser Zeit sehr um sie gekümmert habe, hat es lange gedauert, bis sie darüber hinweggekommen ist.
Zu allem Überfluss flattern uns nun auch noch Schreiben der Staatsanwaltschaft Stade ins Haus. Emilia wird wegen Fahrens ohne gültige Fahrerlaubnis angezeigt und ich auch, weil ich ihr das Auto überlassen hatte. Was wir nicht wussten……..ein ausländischer Führerschein berechtigt den Inhaber  längstens sechs Monate  ein Fahrzeug  in Deutschland zu führen. Innerhalb dieser Zeit kann er ihn problemlos gegen einen deutschen Führerschein eintauschen. Versäumt er diese Frist, ist dieses nicht mehr möglich und er darf mit dem ausländischen Führerschein in Deutschland auch nicht mehr fahren. Bei Emilia war das halbe Jahr schon länger rum also durfte sie nicht mehr fahren. Sie musste jetzt, wie ein Neuling, ihre Pflichtstunden nehmen und eine Fahrprüfung ablegen. Das verstehe wer will…….ein halbes Jahr war sie imstande ein Auto zu führen und danach offensichtlich nicht mehr. Da wiehert doch der Amtsschimmel.  Auf meinen Einspruch hin, ließ die Staatsanwaltschaft zwar die Anklagen fallen aber die Vollkaskoversicherung verweigerte aus eben diesem Grund die Leistung. Ich musste den nicht unerheblichen Schaden am PKW und achtzehn abgeknickte Bäume aus der Tannenschonung aus eigener Tasche bezahlen. Die kleinen Bäume übernahm ich gerne,  hatten sie doch noch Schlimmeres verhindert…….

Das nun folgende Jahr verlief im Großen und Ganzen ruhig. Die DBR versuchte mich bei der Neuverhandlung des Chartervertrages für meine Schubverbände im Preis zu drücken. Ich war mit diesen Einheiten sowieso nicht ganz glücklich, denn die Schubschiffe waren sehr reparaturanfällig und ich hatte auch des Öfteren Reklamationen, weil das Personal nicht sehr zuverlässig war. Kurzerhand verkaufte ich die kompletten Verbände zu einem recht guten Preis und konzentrierte mich jetzt nur noch auf meine zehn Motorschiffe, von denen sieben an die Kapitäne vermietet waren. Mit diesen Schiffen hatte ich, außer Mietrechnungen zu schreiben, kaum noch etwas zu tun.  M/S „Eberswalde“, das Schiff der GmbH war mein Flagschiff. Ich beschäftigte einen sehr guten tschechischen Kapitän und eine Besatzung, die mir nicht Alex stellte, sondern die auf meiner eigenen Lohnliste stand. Da das Schiff sich hervorragend rechnete und 2007 in unseren Besitz übergehen würde, investierte ich in eine hydraulische Ruderanlage, in ein neues Radargerät und ließ das Ruderhaus umbauen.
Durch meine guten Kontakte zu der Cuxhavener Hafenwirtschaft konnte ich einige sehr lukrative Transporte an Land ziehen. So fuhren wir mehrfach quer durch Europa um von Budapest Konstruktionsteile nach Cuxhaven zu transportieren.  Ansonsten widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit der „Villa“. Der Umgang mit den Gästen machte mit Spaß. Ich bekam sehr schnell Kontakt und Dank meiner Geschwätzigkeit kam ich auch recht gut an. Ich hatte sehr viele, vor allem ältere Stammgäste, die wenn sie abreisten schon wieder ihren nächsten Aufenthalt buchten. Das machte mir Hoffnung, dass wir, in nicht allzu ferner Zukunft, von dem Ertrag des Hauses würden leben können. Dann wollte ich die Schiffe verkaufen und mich nur noch mit der Vermietung der  Ferienwohnungen beschäftigen. Das ist zwar eine Arbeit, die in der Hauptsaison hohen Einsatz erfordert, aber dafür hat man im Winter seine Ruhe……so kann man den Job noch bis ins hohe Alter ausüben.
Für die Wäscherei von Bärbels Tochter Lara die, soweit ich das beurteilen konnte, sehr fleißig war, machten wir in meinem Büro die Buchhaltung. Eines Tages hörte ich, dass eine alteingesessene Wäscherei mit Reinigung in der Innenstadt zum Verkauf stand. Die Inhaber wollten aus Altersgründen aufgeben und hatten keinen Nachfolger. Nachdem ich mich intensiv mit dem Eigentümerehepaar auseinandergesetzt hatte,  war ich der Meinung, dass dieses eine gute Gelegenheit für Lara wäre, zu expandieren. Dieser Betrieb war maschinell so gut ausgestattet, dass ohne Probleme das Aufkommen beider Wäschereien bewältigen werden konnte. Ein eingespieltes Team von acht langjährige Mitarbeiter würde sie dennoch soweit entlasten, dass ihr ausreichend Freiraum blieb, sich etwas mehr um ihre, mittlerweile schulpflichtige, Tochter kümmern zu können. Für den Fall, dass sie einverstanden wäre, des Geschäft zu übernehmen, hatte ich mich bereit erklärt, sie für eine Einarbeitungszeit bei der Geschäftsführung zu unterstützen. Auch der Inhaber bot ihr an, ihr noch einige Zeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Es hätte also alles prima klappen können, wenn das Andreas nicht alles eine Nummer zu groß gewesen wäre. Während sie recht umtriebig war und sich auch bestimmt schnell zurecht gefunden hätte, war ihm das alles viel zuviel. Sie gerieten darüber so in Streit, dass er alles stehen und liegen ließ  und sich wieder nach Berlin absetzte. Jetzt fehlte er natürlich auch in dem kleinen Betrieb. Ich half zunächst aus aber da ich auch nicht soviel Zeit erübrigen konnte,  musste sie einen Ausfahrer und eine weitere Mitarbeiterin zum Mangeln einstellen. Das trieb natürlich ihre Kosten in die Höhe und irgendwie kam sie mit der Situation auch psychisch nicht zurecht. Das führte dazu, dass sie Termine nicht einhielt und dadurch einige größere Kunden verlor. Anstatt zu wachsen war sie sechs Monate später pleite und folgt ihrem Mann und ihrer Mutter wieder zurück nach Berlin.

Im Winter fliege ich, wie auch schon vorher mit zwei meiner Exgattinnen, mit Emilia nach Ostafrika denn ich liebe diesen Kontinent und habe das Gefühl, dass es noch irgendwo in meinen Genen verankert sein muss, denn das menschliche Leben soll ja hier entstanden sein. Ich glaube, ich könnte dort  leben…… und Emilia ist so leicht zu begeistern, so wird auch diese Reise zum Kilimandscharo wieder ein Erlebnis.
Meinen sechzigsten Geburtstag feiern wir ganz groß, mit etwa sechzig Personen, bei unserem Lieblingsitaliener in Cuxhaven……in den paar Jahren, die ich jetzt wieder in der Stadt bin, ist es mir doch gelungen mir einen großen Freundeskreis zu anzuschaffen. Emilia ist auch ein Glücksfall für mich, wir verstehen uns nach wie vor wunderbar. Sie kommt mit ihrem Studium gut voran und hat, so hobbymäßig, angefangen im Internet ein bisschen mit Mode zu handeln.  Es kann uns also gar nicht besser gehen…… Doch dann, ich weiß nicht warum, verlässt mich das Glück und es kommt knüppeldicke......

Es ist Anfang November und wir planen schon so langsam für Weihnachten. Es wird in diesem Jahr kein „full house“ geben…….meine Exstieffamilie hat mit sich selber genug zu tun und wird in diesem Jahr nicht nach Cuxhaven kommen können. Aber Emilias Eltern möchten gerne kommen…….Sie kommen immer mit zehn Kilo Gepäck und fahren nach vier Wochen mit mindestens einhundert Kilo wieder nach Hause. Ich hätte ihnen auch den Flug bezahlt aber sie wollten nicht fliegen, sondern kamen immer mit dem Bus. Von Simferopol nach Bremen sind das
achtunddreißig Stunden, die sie auf sich nahmen, weil sie im Flugzeug nicht so viel Gepäck  mitnehmen konnten.
Am Tag ihrer Ankunft fahren wir schon am Vormittag los um noch ein bisschen shoppen zu gehen. Der Bus sollte um sechzehn Uhr ankommen. Um zwei ruft Emilias Mutter an…….sie stehen in Dresden am Bahnhof und kommen nicht weiter. Der Dresdener Zoll hatte in Wildwestmanier den Bus aufgebracht und beschlagnahmt. Nicht etwa, weil er nicht verkehrstüchtig war, sondern der ukrainische Unternehmer hatte irgendeine Lizenzgebühr nicht bezahlt. Man hatte daraufhin alle Passagiere, die in der Mehrzahl kein Deutsch sprachen und auch kein deutsches Geld bei sich hatten, einfach am Bahnhof ausgesetzt, ohne sich darum zu kümmern, wie sie weiterkommen sollten. Man hätte den Bus ohne weiteres zu seinem Bestimmungsort fahren lassen und danach beschlagnahmen können. Offensichtlich gab es auch bei der sächsischen Zollbehörde ausländerfeindliche Beamte, die sich benahmen, als wäre Deutschland eine Bananenrepublik.
Wir fuhren also nach Dresden, luden dort Emilias Eltern und noch ein weiteres Ehepaar, das auch nach Bremen wollte ein, und wir waren letztendlich nach eintausendzweihundert Kilometern nachts um zwei zu Hause. Später habe ich daraufhin eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht, aber nie mehr etwas darüber erfahren und obwohl ich meinen Freund Jurij in Hamburg darüber berichtet hatte…….es gab nicht einmal eine Entschuldigung. Ich, ein bekennender Weltbürger, verstehe mein Land nicht mehr denn offensichtlich hackt auch hier eine Krähe……..

Große Sorgen mache ich mir indes um meine Mutter, es geht ihr gar nicht gut. Sie ist mit Wasser in der Lunge ins Krankenhaus gekommen und die Ärzte meinen, sie müsse dringend am Herzen operiert werden. Man versucht sie aber zunächst zu stabilisieren, um den Eingriff vornehmen zu können.

Am sechsten November sitze ich morgens in meinem Büro und verfolge meine Schiffe. Seit zwei Wochen war der DEK wegen Bauarbeiten gesperrt.  Ich musste deshalb die Schiffe, die normalerweise aus den Niederlanden und Belgien kommend, über den Rhein und dann bei Wesel in den Kanal fahren um in die östlichen Landesteile zu gelangen, umleiten. Sie müssen jetzt einen großen Umweg über das Ijsselmeer, Nordholland der Emsmündung  machen, um bei Rheine in den MLK zu kommen.  Das Motorschiff „Eberswalde“ hatte in Charleroi, Belgien, tausend Tonnen Dünger, nach Magdeburg geladen und ist an diesem Morgen auf dem Weg von Delfzijl nach Herbrum, der nördlichsten Schleuse des DEK in der Nähe von Papenburg. Gegen halb neun befindet sich das Schiff unterhalb des Emssperrwerkes bei Gandersum. Dieses Sperrwerk wurde 2002 in Betrieb genommen. Es dient zum Küstenschutz vor Sturmfluten und zum Aufstauen der Ems bei den Überführungen der Kreuzfahrtschiffe der Meyer – Werft von Papenburg nach Emden……
Als mein Telefon klingelt, ahne ich nicht, dass dieser Anruf mein Leben innerhalb von wenigen Minuten total verändern wird…..Ich habe den Kapitän von „Eberswalde“ am Hörer, der mir mit sehr aufgeregter Stimme mitteilt, dass das Schiff sinkt. Was war geschehen? Ein elektrischer Defekt hatte die Ruderanlage blockiert. Das Schiff war nicht mehr steuerbar und mit voller Fahrt am rechten Ufer der Ems zwischen die Dalben, die zum Festmachen wartender Schiffe dienten, geraten. Einer der Stahlpoller an den Dalben hatte dem Schiff die Steuerbord Seite unterhalb der Wasserlinie auf  etwa drei Meter aufgerissen. Die Besatzung hatte noch versucht ein Lecksegel zu setzen um den Wassereinbruch zu stoppen, dieses war aber nicht gelungen. Das Schiff lief jetzt innerhalb kurzer Zeit voll und der Kapitän unterbrach unser Telefonat um in das Rettungsboot zu steigen. Als er sich wieder meldete, war „Eberswalde“ schon untergegangen.

Ich rief die Versicherung und die DBR an und meldete die Havarie. Dann machte ich mich mit Emilia auf den Weg zur Unfallstelle. Unterwegs sagte ich ihr noch, dass es ja Gott sei Dank Personenschaden nicht gegeben hatte und da das Schiff versichert war, wir einen materiellen Schaden auch nicht zu befürchten hätten.  Als wir an der Unfallstelle ankamen, waren dort zwischenzeitlich einige Vertreter des Wasser- und Schifffahrtsamtes, der Wasserschutzpolizei und der Schiffsversicherung eingetroffen. Von dem Schiff ragte nur noch die Mastspitze aus dem Wasser. Meine Mitarbeiter besaßen nur noch das, was sie auf dem Leib trugen. Das Schiff war so schnell gesunken, dass sie nichts mehr retten konnten. Der Vertreter der Versicherung bestätigte mir zunächst einmal, dass seitens der Kaskoversicherung einer Schadensregulierung nichts im Wege stand. Die Vertreter des Wasser – und Schifffahrtsamtes machten mich aber noch darauf aufmerksam, dass das gesunkene Schiff unverzüglich zu bergen sei, um die übrige Schifffahrt nicht zu gefährden. Der Versicherungsvertreter sah noch einmal seine Unterlagen durch und stellte fest, dass das Schiff durch die Vollkaskoversicherung  ausreichend versichert war,  es aber keine Haftpflichtversicherung gab, die normalerweise Umweltschäden, Bergungskosten und den Ladungsverlust abdeckt. Nach dieser, seiner Aussage lief es mir eiskalt den Rücken herunter……..mir war sofort klar, was das für mich bedeutete. Auch wenn mir das Schiff noch nicht gehörte, haftete ich als Betreiber in diesem Fall für alle Kosten, die hier entstehen würden. Warum hatte die DBR ihr Schiff nicht versichert? Offensichtlich hatte es jemand aus der Versicherungsabteilung der Firma, aufgrund des Mietkaufvertrages mit mir, aus der Flottenhaftpflicht herausgenommen, mich aber darüber nicht informiert. Die Jahresprämie für Haftpflichtversicherung betrug weniger als eintausend Euro das sind Peanuts zu den Kosten von über achtzehntausend Euro, die ich für die Vollkaskoversicherung dieses Schiffes im Jahr zu zahlen hatte. Diesem Fehler, den ich nicht zu verantworten hatte, hatte ich nun zu verdanken, dass ich auf fast einer Million Euro für die Bergung und des Ladungsverlustes  sitzen bleiben würde.
Ich versuchte  noch die DBR wegen ihres Fehlverhaltens mit in eine Schadenregelung einzubeziehen, aber die ließen mich eiskalt auflaufen. Die gesetzliche Regelung war ja auch eindeutig…….ich war zwar nicht Eigentümer des Schiffes aber der Halter……. also haftete ich.  Es war mir unmöglich, diese Summe aufzubringen. Die Banken bieten dir einen Regenschirm an, wenn die Sonne scheint…….aber wenn es regnet nehmen sie ihn dir wieder weg. Man verweigerte mir die dringend benötigten Darlehen. Da ich mir, in dieser ausweglosen Situation, ein Verfahren wegen Konkursverschleppung ersparen wollte, blieb mir nur der direkte Weg zum Konkursrichter. Ich hatte durch diesen Schiffsuntergang innerhalb von ein paar Minuten alles verloren, was ich mir bis dahin aufgebaut hatte……. dabei hatte ich „Eberswalde“ doch eigentlich angeschafft, um gerade dieses zu verhindern. Eine halbe Stunde nachdem ich, total am Boden zerstört, vom Gericht nach Hause gekommen war, rief mich das Krankenhaus an…….Mutter war gestorben. So hat sie den Untergang ihres Sohnes, auf den sie doch so stolz war, nicht mehr mitbekommen. Für sie war es sicher besser so. Für mich ist das aber alles ein bisschen viel auf einmal, wer hat da etwas gegen mich und warum?  Jetzt saßen wir da, ohne Geld…….die Banken hatten mir sämtliche Konten gesperrt, denn ich haftete ja auch mit meinem Privatvermögen und mit meiner Einzelfirma für die GmbH. Ich hatte kein verstecktes Nummernkonto in der Schweiz oder irgendwelche Panamapapers, ich war schlicht und einfach total pleite.
Die beiden Häuser und das Grundstück in Altlandsberg, zehn Schiffe, die „Villa“ unsere Autos und unser private Wohnhaus………Gesamtwert:  etwa fünf Millionen Euro…….alles weg. Ich lege meine ganzen öffentlichen Ämter nieder und kann  mich doch eigentlich nur noch hinter einen Zug werfen…… Der Insolvenzverwalter nahm mir zunächst einmal alles aus der Hand. Aber von Schiffen hatte er keine Ahnung. Und es schwammen ja noch neun, da mussten Transportaufträge abgewickelt werden, dazu brauchten wir die Mitarbeit der Personale und und und….. In der „Villa“ waren noch ein paar Gäste die betreut werden mussten…….kurz und gut, er bot mir an für tausend Euro im Monat, plus Krankenversicherung, diese Aufgaben zu übernehmen. Normalerweise hätte ich ihn ausgelacht aber in unserer jetzigen Situation, musste ich erst einmal froh sein, frei nach dem Motto „kommt Zeit kommt Rat“ überhaupt über ein Einkommen verfügen zu können…… 


Kapitel 9    
Das Leben ist eine Achterbahn 

2006 - 2012  
Emilia verdient als Kleinunternehmerin von der Mehrwertsteuer befreit, mit ihrem Internethandel vier bis fünfhundert Euro im Monat. Bisher hat sie kein Geld aus ihrem Betrieb entnommen……..sie brauchte es bisher einfach nicht, ich war ja da. Jetzt hat sie also ein paar Reserven und weil wir nicht wissen, wie es weiter geht, bietet es sich an das Geschäft ein wenig zu pushen. Noch lässt man uns in unserem Wohnhaus wohnen und so hat sie viel Platz um Waren zu lagern. Hat sie vorher etwa einhundert Artikel im Monat verkauft, steigert sie sich jetzt auf die doppelte Menge und da sie beim Einkauf einen guten Geschmack beweist, erzielt sie auch ganz ordentliche Preise. Das hilft uns unsere Situation etwas entspannter zu sehen.
Der Insolvenzverwalter möchte, dass ich auch die „Villa“ bis zu einer Verwertung weiterführe. Außerdem bittet er mich, mich um die Veräußerung meiner Immobilien in Altlandsberg zu kümmern. Das schlage ich ihm rundherum ab. Ich soll dafür Sorgen, dass für mein bisheriges Eigentum gute Preise erzielt werden……..und das für tausend Euro im Monat. Der Insolvenzverwalter wird am Ende für meine Insolvenz ein Honorar von weit über einhunderttausend Euro einstecken…….ich bin zwar pleite aber nicht blöd. Also gibt er die Vermietung an ein Vermietungsbüro, das sich bei uns mit einer Auslastung von zweihundert Tagen im Jahr beworben hat. Aber das was die einfahren, ist nicht die Hälfte von dem, was ich umgesetzt hatte.
Ein totales Verlustgeschäft. Jetzt bietet er mir an, dass wir die „Villa“ eventuell zurückkaufen könnten. Er würde sich dafür einsetzen, dass wir eine Finanzierung bekämen. Ich fange an zu rechnen…….wenn das Haus bei einer Versteigerung fünfzig Prozent des Wertes erzielen würde, könnten wir durch die erheblich geringeren Kapitaldienste, von vorneherein schwarze Zahlen schreiben. Ich biete sechshundertsiebzigtausend Euro……..der Insolvenzverwalter lehnt ab. Später wird er das Haus für sechshundertzwanzigtausend verkaufen.
Meine Schiffe sollen ja auch verkauft werden aber der Markt hierfür ist schlecht. Die Schiffe sind eigentlich zu klein und technisch veraltet. Es gibt außer einer Verschrottungsfirma, die pro Schiff fünfzehntausend Euro bezahlen will, keine weiteren Interessenten. Da ich aber davon überzeugt bin, diese Schiffe noch einige Jahre auskömmlich beschäftigen zu können, biete ich pro Schiff dreißigtausend Euro. Das ist der Bank zuwenig. Obwohl meine Schiffshypotheken zum Zeitpunkt meiner Insolvenzanmeldung noch niedriger valutierten, hat sich die Bank den Preis schön gerechnet und fordert fünfundvierzigtausend. Das ist mir zuviel…. ich lehne ab.

Am Ende des Tunnels taucht ein Licht auf…….Marco meldet sich. Er hat Geld bekommen. Bei seiner Insolvenz hatte sein Insolvenzverwalter das Prozesskostenrisiko für unseren Rechtsstreit mit der Versicherung wegen des Einbruchschadens nicht übernehmen wollen. Wir haben aber die Gerichtskostenvorschüsse geleistet und jetzt gab es ein Urteil……..die Versicherung musste zahlen. Damit mein Anteil nicht in der Konkursmasse verschwand, ging er als zinsloses Darlehen an Emilia. Unsere prekäre finanzielle Situation hatte sich jetzt erheblich verbessert……. Der Insolvenzverwalter kommt aus Bremen und möchte meine E - Klasse an einen Mercedeshändler in Bremen verkaufen. So lange ich für ihn tätig bin, will er mir eine A – Klasse  kostenlos zur Verfügung stellen. Wir bieten ihm für mein fünf Jahre altes Auto, mit einer Laufleistung von einhundertdreißigtausend Kilometern, zehntausend Euro und bekommen es letztlich für elftausend Euro. Den mir zugesagten A – Klasse Dienstwagen nehme ich aber trotzdem……Emilia muss ja schließlich in die Uni.

Der Tunnel wird heller……zu dem einen Licht taucht noch ein Zweites auf…….Emilias Vater erzählt bei einem Telefonat, dass er einen Bekannten hätte, der in der Bezirksregierung der Krim säße und aus einem Imbiss – und Souvenirladen am Strand in der Nähe von Jalta, wohl einiges, vermutlich schwarzes Kapital geschlagen hatte. Er wollte sich jetzt gerne einen Mercedes zulegen. Die aber waren auf der Krim rar und sehr teuer. Wir hatten ja einen und schickten Fotos rüber. Das Auto war in einem guten Zustand und Wladimir, der das Auto ja kannte, meinte, dass wir dafür bestimmt fünfundzwanzigtausend US Dollar, der Zweitwährung in der Ukraine, bekommen könnten. Das klang doch nicht schlecht. Nur wenn wir das Auto zum Verkaufen in die Ukraine einführen wollten, müssten wir etwa sechstausend Dollar Einfuhrzoll bezahlen. Das würde den Erlös erheblich schmälern. Der Bekannte von Wladimir fuhr offensichtlich auf unser Auto ab und wollte es unbedingt kaufen. Wir sollten einfach mit einem Besuchervisum einreisen, um alles andere würde er sich kümmern, wenn wir angekommen wären…….er wäre ja schließlich Politiker.
Ich lasse mich auf das Abenteuer ein, nehme mir eine Woche frei und los geht’s……dreieinhalbtausend Kilometer auf die Krim. Den ersten Tag fahren wir nach Krakau. Dort haben wir uns mit Anna, der polnischen Malerin verabredet. Sie hat inzwischen einen Sohn von Anatol, ist aber nicht mehr mit ihm zusammen. Wir übernachten bei ihr, quatschen über dies und das und sie zeigt uns am nächsten Tag ihre Stadt. Krakau begeistert mich. Die Universitätsstadt beherbergt viele junge Leute und hat irgendwie etwas Italienisches. Die Burg Wawel, mit dem Blick auf die Weichsel, das bunte Treiben auf dem Hauptmarkt, die Marienkirche und die Tuchhallen, sind nur ein kleiner Ausschnitt an Sehenswürdigkeiten, die man unbedingt gesehen haben muss. Wir haben aber nur den einen Tag und so nehmen wir uns vor irgendwann einmal wieder, mit mehr Zeit, nach Krakau zu fahren.
Am nächsten Morgen verlassen wir Krakau in Richtung Jaroslaw. Hier wollen wir über die Grenze in die Ukraine fahren. Als die Landschaft so an uns vorbeizieht, bin ich erstaunt, wie gut Polen sich, nach dem Beitritt zur EU entwickelt hat. Die Straßen waren in einem recht guten Zustand und wo nicht……wurde gebaut. Auch die Ortschaften, die wir passierten, sahen sehr freundlich aus. Ich hatte Polen kurz nach der Wende in einem völlig anderen Zustand erlebt. Hier waren die Fördergelder offensichtlich nicht im Sande versickert.
Vor der Grenze stehen lange Schlangen Autotransporter. Ob große Laster oder auch die vielen Kleinlaster und PKW´s mit Anhänger, keines dieser Fahrzeuge hat ein komplettes Auto geladen. Einer fuhr mit Fahrgestellen, der nächste mit dem kompletten Oberbau, andere wiederum Räder oder Karosserien. Ob nun bei uns gestohlen oder gekauft, die Autos werden in Polen in teilweise dubiosen Werkstätten zerlegt und in mehreren Teilen, als Ersatzteile deklariert, über die Grenze gebracht…..das spart den Einfuhrzoll. Ich hatte schon gehört, dass die ukrainischen Zöllner und auch die Polizisten schlecht bezahlt sind, und mir einige kleine Scheine eingesteckt. Der Zehneuroschein, den ich in meinen Pass gelegt hatte, fand, nachdem wir nach drei Stunden Wartezeitendlich endlich an der Reihe waren, auch schnell seinen Abnehmer…..Wieviel Scheine mag da so ein Autohändler wohl bei sich haben?
Unser heutiges Ziel war Lviv, das ehemals deutsche Lemberg. Nach der Grenze verschlechterten sich die Straßen und ich hielt mich zunächst an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einhundert kmh. Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass nur die Ladas, Trabbis und andere Kleinwagen sich auch daran hielten. Alle Luxuskarossen bretterten mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei. Emilia erzählte mir, das diese kaum angehalten werden, weil meistens irgendwelche Bonzen damit unterwegs sind……Also gab ich Gas, in der Hoffnung, dass man mich auch für einen Bonzen hält. Ich hatte im Internet in Lemberg ein Hotel mit bewachter Tiefgarage gebucht. Wenn man mir das Auto unterwegs stiehlt, kann ich es ja nicht wieder mit hinausnehmen und muss dafür dann, auch wenn es gestohlen ist, die sechstausend Dollar Einfuhrzoll bezahlen. Das Auto steht in meinem Pass und ich bin mal gespannt, wie der Verkauf in Simferopol ablaufen soll und es aus meinem Pass wieder rauskommt…….hoffentlich geht alles gut.
Das Hotel, obwohl eines der Besten der Stadt, war recht einfach, aber das war uns jetzt egal, denn wir hatten es ja eilig. Morgen wollten wir bis nach Odessa kommen, dort hatten wir uns mit Emilias Eltern verabredet, die mit uns die restliche Strecke bis Simferopol gemeinsam fahren wollten. Wir sind also recht früh aufgebrochen denn bis Odessa sind das etwa eintausend Kilometer. Ich fahre also wieder Bonzengeschwindigkeit. In einem abgelegenen Teil zwingt mich der schlechte Zustand der Straße zum langsamer fahren. Dabei überholt mich ein SUV mit aufgesetztem Blaulicht und gibt mir mit einer Kelle Zeichen, dass ich anhalten soll. Zwei Uniformierte verlangen die Wagenpapiere und versuchen mir in schlechtem Englisch, klar zu machen, dass mein Auto irgendeiner Vorschrift laut § XY nicht entsprechen würde und verlangen eine Geldbuße von zweihundert Dollar. Während wir noch debattieren und ich fast schon bereit bin zu zahlen, hält hinter uns ein Mercedes mit ukrainischer Nummer und der Fahrer faltet die Uniformierten so was von zusammen, dass sie mir meine Papiere zurückgeben und das Weite suchen. Unser Retter erzählt uns nun in recht gutem Deutsch, das wir von Raubrittern in Fantasieuniformen angehalten worden sind. Ich bedanke mich und nehme mir vor, mich von keiner Polizei, egal ob echt oder nicht, mehr anhalten zu lassen.
Das Treffen mit meinen Schwiegereltern in Odessa klappt. Sie erwarten uns in dem Hotel in dem wir uns verabredet hatten. Am nächsten Morgen führt uns Wladimir noch kurz durch diese wirklich sehenswerte Stadt und dann steuern wir unser Endziel Simferopol an. Auch hier lassen wir das Auto nicht unbewacht über Nacht stehen sondern parken es, nachdem ich es habe waschen und reinigen lassen, wieder in einer Garage. Ich will ja schließlich die fünfundzwanzigtausend Dollar haben. Was danach kommt, kann mir dann egal sein. Emilias Eltern gehören zur Mittelschicht in der Ukraine. Wladimir ist zwar arbeitslos aber er bezieht eine Rente und Maria hat einen guten Job. Sie besitzen zwei Eigentumswohnungen in einer Plattenbausiedlung. Die Häuser sehen von außen aus, als würden sie bald zusammenfallen. Es fehlt an Farbe und jeder hat an seinem Balkon irgendwie wild herumgebastelt, es hängen Kabel und Wäscheleinen herum und es sind Unmengen von  Satellitenschüsseln installiert. Die Außenanlagen befinden sich in einem fürchterlichen Zustand und die Gehwege sind kaum begehbar. Aber überall sieht man gut gekleidete, hübsche Frauen, die sich dort trotzdem noch mit hohen Absätzen bewegen können. Die Gemeinschaftseinrichtungen, wie Treppenhäuser und Fahrstühle sind so ungepflegt, dass man sich kaum hineintraut. Offensichtlich zahlen die Wohnungseigentümer hier kein Hausgeld, aus dem das Gemeinschaftseigentum unterhalten wird.  In einem völlig anderen Zustand sind aber die Wohnungen. Wladimir und Maria haben eine wirklich schöne Wohnung, in der es, bis auf einen Geschirrspüler, an nichts fehlt. Gegen Abend lernen wir dann auch den Käufer unseres Autos kennen. Ein wirklich netter Typ, der aber eine Selbstsicherheit ausstrahlt, an der man einen Chef oder hohen Beamten sofort erkennt. Wir zeigen ihm das Auto…….und er ist begeistert. Meine E –Klasse ist ja voll ausgestattet, da gibt es eine Menge zu erklären. Er will unbedingt kaufen und lässt sich von mir meinen Pass aushändigen, um das Auto austragen zu lassen. Wir verabreden am nächsten Tag eine Probefahrt nach Kanaka, dem Ort am Schwarzen Meer, in dem er offensichtlich sein schwarzes Geld verdient. Dort sollen wir dann seine Gäste sein und können in einem seiner Ferienhäuser, wenn wir wollen, ein paar Tage bleiben.

Ich wollte ihn die Strecke nach Kanaka eigentlich gleich fahren lassen. Er ist aber mit der Technik total überfordert und Automatik hat er auch noch nicht gefahren. Deshalb fahre ich, und werde ihm später noch ein paar Fahrstunden geben.  Dieses Kanaka ist eigentlich nicht einmal ein Ort. Es gibt hier einige wenige Wohnhäuser und einen riesigen, unvollendeten Hotelneubau. Dieser hat die Form einer fliegenden Möwe aus der Sicht von oben. Der Körper beherbergt die Rezeption, die Speiseräume, Treppenhäuser und Fahrstühle. In den Flügeln sollten jeweils vierhundert Zimmer untergebracht werden. Der Bau wurde aber nach der Perestrojka eingestellt. Ein Flügel befindet sich noch im Rohbau und verkommt so langsam. Der andere Flügel ist ausgebaut. Die Rezeption ist in Funktion und ein Restaurant gibt es auch. Die Fahrstühle fehlen noch und an den Treppen in dem ausgebauten Flügel, fehlen die Geländer. Hier hat man aus Brettern ein Provisorium geschaffen. Und man glaubt es nicht……..das Haus ist voll belegt. Es ist Urlaubszeit und die Russen zahlen für ein einfachst eingerichtetes Zimmer hundert Dollar die Nacht. Da holt jemand aus dieser Ruine jeden Tag vierzigtausend Dollar heraus. Mein Käufer ist ja Lokalpolitiker und für diese Gegend zuständig…..ich glaube, er hat seine Finger hier auch mit im Spiel.  Seine Ferienhäuser entpuppen sich als Bretterbuden, auch aufs Einfachste eingerichtet und kosten fünfzig Dollar pro Tag. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte nicht länger als eine Nacht bleiben können. Die Matratzen waren so schlecht, dass mir am nächsten Morgen alle Knochen weh getan haben. Und auch für diese Buden gab es kaum Leerstand…….welch ein Paradies für Investoren.
Seine Frau betrieb einen Imbiss und das Souvenirgeschäft. Der Imbiss, mit Meerblick, bestand aus zusammengestellten einfachen Faltpavillons, die man bei uns für vierzig Euro das Stück kaufen kann. Kühltruhen für Eis und Getränke, Friteuse und einem Grill, dazu ein paar Sonnenschirme und ein paar billige Plastikmöbel fertig ist eine Goldgrube, denn es herrschte hier reger Publikumsverkehr. Auch das Geschäft mit billiger Chinaware war nur eine Bretterbude aber offensichtlich erfüllte sie ihren Zweck, denn der Absatz von Schwimmtieren, Badesachen usw. lief offensichtlich hervorragend. Er zeigte uns ein neues Baugebiet, in dem Ferienhäuser entstehen sollten. Jedes Haus mit vier Wohnungen sollte fünfundsiebzigtausend Dollar kosten. Er hatte die Idee uns, anstelle des Kaufpreises für das Auto, fünf Grundstücke von je fünfhundert Quadratmetern zu übereignen. Wladimir und Maria wollten dann ihre Eigentumswohnungen verkaufen, und mit dem Erlös zwei Häuser bauen. Danach in eine der neuen Wohnungen einziehen und sich um die Vermietung der Anderen kümmern. Aus diesem Erlös sollte dann jedes Jahr ein weiteres Grundstück bebaut werden. Eigentlich simpel und machbar und wenn ich nicht in einer so schwierigen Situation gewesen wäre, hätte ich ernsthaft darüber nachgedacht. Aber so……. in der hier herrschenden politischen Lage, einfach einige Grundstücke, ohne Absicherung in einem Grundbuch,  das es hier gar nicht gab, zu erwerben, dass war mir dann doch nicht geheuer. Ich hätte auch erst einmal einen Schnellkurs in Korruption und Bestechung machen müssen.
Und heute……..gehört sowieso alles Putin. Wie hätten wir ihm nachweisen können, dass wir die Eigentümer sind. Apropos Schnellkurs……ich unterwies meinen Käufer in der Bedienung seines neuen Autos, bis ich sicher war, dass er damit zurecht kam. Dann bekam ich meinen Pass zurück, das Auto war mit amtlichem Siegel ausgetragen und……..ich erhielt den vereinbarten Kaufpreis. Später erfuhr ich, dass mein Pass in Odessa war und dort die Ausfuhr des Autos in die Türkei bestätigt wurde. Wie sie das gemacht haben und was dieses gekostet hat, weiß ich nicht, es war mir auch egal……ich jedenfalls war aus dem Schneider. Das Geschäft hatte funktioniert. Da ich mich um unsere weiter Zukunft zu kümmern hatte, flogen wir schon am nächsten Tag zurück nach Deutschland.  Irgendwie war ich erleichtert…….egal was kommen würde, wenn mir gar nichts anderes gelingen sollte, bringe ich eben jeden Monat einen Luxuswagen auf die Krim. Davon ließe sich auch leben…….. Mein Käufer hatte dann aber mit dem Auto nicht sehr viel Glück gehabt. Von Wladimir erfuhren wir, dass er ein paar Monate später damit einen Unfall mit Totalschaden gebaut hatte…….mein armes Auto stirbt auf der Krim….

Wieder Zuhause angekommen, informiert mich der Insolvenzverwalter, dass er sich mit der Bank geeinigt hätte…….sie wären jetzt damit einverstanden uns die Schiffe zu dem von mir gebotenen Preis zu überlassen und zu finanzieren. Schiffseignerin wäre dann, wegen meiner Insolvenz, meine Frau aber mit der Maßgabe dass ich die Geschäftsführung fortsetze, könnten sie sich eine weitere Zusammenarbeit vorstellen. Dagegen war nichts einzuwenden. Ich wäre zwar etwas unterbezahlt, da ich aber in den nächsten sechs Jahren, der Wohlverhaltensphase, nur den nicht pfändbaren Teil eines Einkommens verdienen sollte, konnte ich damit gut leben………es geht also wieder bergauf.

Inzwischen haben wir schon wieder einiges Geld auf der Seite und können das Stammkapital von fünfundzwanzigtausend Euro für eine neue Kapitalgesellschaft nachweisen. Wir gründen die CUXship Elbe Schiffahrts GmbH, mit Sitz in Cuxhaven, die die neun Schiffe vom Insolvenzverwalter kauft. Offiziell ist jetzt Emilia geschäftsführende Gesellschafterin mit einem recht gutem Gehalt und ich der, der…….. für wenig Geld die Arbeit machen muss. Wir kaufen die Schiffe aus dem laufenden Geschäft heraus und verdienen ab dem Tag der Übernahme schon wieder gutes Geld. Mit diesem, jetzt Erreichten, war unser Lebensunterhalt wieder gesichert. Wieder soweit zu kommen, das war schon ein Stück Arbeit, aber wie heißt es so schön? Wer kämpft kann verlieren, doch wer nicht kämpft hat schon verloren……..und ich habe gekämpft und nicht verloren……ich kann einfach nicht verlieren.
Jetzt müssen wir nur noch unsere Wohnsituation klären. Wir bekommen auch mein Wohnhaus wieder angeboten. Meine Hypothek valutierte zum Zeitpunkt meiner Konkursanmeldung noch mit einhundertfünfunddreißigtausend Euro. Der Konkursverwalter war der Meinung mindestens zweihunderttausend bei einer Versteigerung erzielen zu können. Ich war aber nur bereit die einhundertfünfunddreißigtausend dafür auszugeben, denn ich wollte das Haus  ja nicht zweimal bezahlen und war auch nicht verhandlungsbereit. Das Haus war uns, nachdem Mutter nicht mehr war, sowieso viel zu groß und dann der große Garten. Ich hatte ziemliche Probleme mit dem Rücken und musste irgendwann operiert werden. Wir wollten und mussten uns unbedingt verkleinern. Ich hatte zwar keine großen Hoffnungen zu einem Erfolg zu kommen, aber vereinbarte trotzdem mal mit der Immobilienabteilung der Sparkasse, bei der wir inzwischen auch unser Geschäftskonto unterhielten, einen Gesprächstermin. Ich wollte mal ausloten ob es möglich wäre eine Immobilie zu kaufen.  Mit der Sparkasse hatte ich vorher nichts zu tun gehabt, deshalb war sie ja durch meine Insolvenz auch nicht geschädigt worden.
Ich hatte bei der Kontaktaufnahme auf meine Situation hingewiesen aber ich wollte und konnte ja sowieso nicht in Erscheinung treten. Aber meine Frau hatte ein gutes Einkommen und in den Schiffen steckte soviel Kapitalreserve, da müsste es doch eigentlich möglich sein, eine Finanzierung für den Kauf eines Hauses hinzubekommen. An dem Morgen, an dem wir das Gespräch führen wollten, rief die Sachbearbeiterin an und sagte der Termin ab. Als Begründung gab sie an, dass sie grundsätzlich die Ehepartner mit in die Haftung nähmen und das wäre ja bei mir nicht möglich.  Also schauen wir uns nach einem Mietobjekt um. In und um Cuxhaven kann man für sieben bis achthundert Euro ein schönes Haus mieten. Nachdem wir uns einige Objekte angesehen hatten, uns aber noch nicht entscheiden konnten, waren wir zum Geburtstag eines Freundes eingeladen. Bei der Feier saß neben mir ein Bekannter, der die Immobilienabteilung der Westbank leitete. Die waren von meiner Pleite betroffen aber er meinte, dass ich doch einmal mit der Sparkasse sprechen sollte. Ich erzählte ihm von meinem vergeblichen Versuch. Daraufhin riet er mir, mal Kontakt zu dem Leiter der Kreditabteilung, mit dem er befreundet wäre, aufzunehmen. Ich meinte, dass er, wenn er mit dem befreundet wäre, ihm ja mal erzählen könnte, wie meine Situation zustande gekommen war und was für ein netter Kerl ich bin………
Drei Tage später rief mich der Leiter der Kreditabteilung an und wir vereinbarten einen Termin. Wiederum ein paar Tage später, bekamen wir (meine Frau) eine Finanzierungszusage. Man soll eben doch nicht mit Hänschen….. sondern gleich mit Hans sprechen. Wir gingen jetzt auf die Suche, nach einem geeigneten Objekt. Das ist gar nicht so leicht, denn wenn man aus einem so großen Haus kommt, hat man die Räumlichkeiten immer im Hinterkopf. Unsere Vorstellung war, ein Haus, nicht älter als zehn Jahre, etwa einhundertvierzig Quadratmeter Wohnfläche und mit maximal sechs – siebenhundert Quadratmeter Grundstück. Es passten auch zwei – drei in unsere Größenvorstellung aber dann gefielen die Fliesen oder der Holzfußboden nicht oder fehlte eine Garage oder die Lage stimmte nicht……kurz und gut, es gab an allen Häusern etwas auszusetzen.
Auf einer Handwerksmesse in Cuxhaven, kamen wir mit einem Bauunternehmer aus der näheren Umgebung ins Gespräch. Er baute Stein auf Stein und zeigte uns einige seiner Modelle, die er bisher schon gebaut hatte. Da wir seine Preise ganz interessant fanden, verabredeten wir einen unverbindlichen Termin bis zu dem wir uns über unsere Vorstellungen, wie unser Haus aussehen sollte, im Klaren sein wollten. Wenn der Preis stimmt und die Sparkasse mitspielt, könnte es ja auch ein neues Haus sein. Emilia und ich setzten uns also hin und brachten unsere Vorstellungen zu Papier. Wenn schon ein neues Haus, dann sollte es auch unseren Bedürfnissen entsprechen. Wir brauchten im EG ein Gästezimmer mit Bad für Ihre Eltern. Ein großes Wohnzimmer mit einem Anschluss für einen offenen Kamin. Dazu eine offene Küche, in der wir ausreichend Platz hätten, um gemeinsam mit unseren Freunden zu kochen. Dann noch unbedingt eine Garage, aus wir mit unseren Einkäufen direkt in einen geräumigen Hauswirtschaftsraum gelangen konnten. Im OG sollten es zwei Schlafzimmer, ein großes Büro und ein großes Bad werden. Emilia ist Kosmetikfreak und sie braucht einfach Platz, um Vitrinen aufstellen zu können, in denen sie ihre hunderte Fläschchen und Tübchen unterbringen konnte. Natürlich musste auch noch Raum sein für eine Eckbadewanne mit Whirlpool. Eigentlich stand noch eine Sauna auf unserem Wunschzettel aber damit hätten wir unseren Kostenrahmen, den wir eigentlich noch gar nicht kannten, bestimmt gesprengt. Und obwohl ich in dem alten Haus einen schönen Weinkeller besaß, in dem auch noch einige Schätzchen lagerten, wollten wir, auch aus Kostengründen auf einen Keller verzichten……den Wein müssten wir dann leider etwas schneller austrinken……. 

Insgesamt kamen wir jetzt auf eine Wohnfläche von knapp einhundertsiebzig Quadratmeter. Die Baupreise im Norden sind, gemessen an denen im Süden mit etwa eintausend Euro pro Quadratmeter Wohnfläche außerordentlich günstig. Und so errechnete der Bauunternehmer uns einen Preis inklusive Garage und der Pflasterung von Zufahrt und Terrasse, von zweihundertzehntausend Euro. Ich handele ja gerne und kann den Preis auf glatt zweihunderttausend reduzieren.  Dann sprach ich mit der Sparkasse über unser Vorhaben und man sagte mir, dass sie sich vorstellen könnten, wenn wir ein Baugrundstück aus eigenen Mitteln kaufen würden, die Finanzierung des Wohnhauses zu übernehmen. Seit dem Rückkauf der Schiffe, war mittlerweile schon fast ein Jahr vergangen und wir hatten uns schon wieder ein recht gutes finanzielles Polster zurücklegen können. Wenn man nicht unbedingt strandnah bauen will, kosten die Grundstücke in Stadtrandlage ca. siebzig bis achtzig Euro pro Quadratmeter. Das hieß für uns etwa sechzigtausend Euro……..das war machbar. Also gingen wir auf die Suche nach einer passenden Umgebung für unser zukünftiges Leben und werden fündig. In Altenwalde, einem Ortsteil von Cuxhaven wurde in einer ruhigen Wohnstraße mitten im Ort, ein uraltes Bauernhaus abgerissen.. Dieser Bauplatz war einfach ideal…….sehr ruhig, und doch mitten im Ort, Discounter, Post, Bank und Ärzte in einem Umkreis von maximal dreihundert Metern fußläufig zu erreichen, etwas Besseres konnten wir kaum finden. Die Erbengemeinschaft verlangte für achthundert Quadratmeter fünfundfünfzigtausend Euro und wir schlugen zu.

Unser altes Wohnhaus, für das wir inzwischen fünfhundert Euro Miete an den Insolvenzverwalter bezahlen mussten, war aufgrund der Größe schier unverkäuflich. Es hatte sich in dieser ganzen Zeit noch kein einziger Interessent gemeldet und es wurde dann auch erst über ein halbes Jahr, nachdem wir schon in unser neues Haus gezogen waren, weit unter Preis verkauft.  Unser Freundes – und Bekanntenkreis hatte sich nach meiner Pleite stark gelichtet. Auch Michelle und Ernesto zogen sich völlig zurück. Michelle fand das vorher sowieso schon nicht so toll, dass ihr Vater eine Frau geheiratet hatte, die jünger war als sie selbst. Ich weiß nicht ob sie der Meinung waren, dass ich mein Geld mit meiner jungen Frau durchgebracht hatte und sie jetzt  Angst hatten uns unterstützen zu müssen…..ich habe seitdem nichts mehr von ihnen gehört.
Eine Insolvenz hat immer noch so ein negatives Geschmäckle. Da ich ja alle meine öffentlichen Posten aufgegeben hatte, verlor sich der Kontakt zu meinen ehemaligen Mitstreitern. Als erfolgreicher Unternehmer war ich interessant aber wer will schon etwas mir einem Pleitegeier zu tun haben. Von denen, die mit uns unsere  Hochzeit und danach meinen Sechzigsten gefeiert hatten,  waren nur noch einige Wenige übrig geblieben. Als dann unsere Neubaupläne bekannt wurden, sprangen uns noch ein paar von der Fahne……..ein Jahr nach der Pleite ein neues Haus bauen……..da kann doch etwas nicht mit rechten Dingen zugehen.
Was soll´s …….es geht los, was andere sich einmal im Leben zumuten, habe ich ja schon ein paar Mal durchgestanden aber dieses Mal soll es das letzte Mal sein. Ich habe nicht nur unser Wohnhaus geplant, sondern auch meinen Altersruhesitz. Nicht das ich mich alt fühle aber ich komme ja langsam in die Jahre und irgendwann werde auch ich vermutlich des Kämpfens müde sein und dann im Garten nur noch meine Kois streicheln.

Aber erst einmal muss ich zur Generalüberholung. Wegen meiner starken Rückenschmerzen hat mich mein Hausarzt an eine Klinik nach Oldenburg überwiesen, in der der Chefarzt eine neue Behandlungsmethode zur Versteifung von Wirbeln erfolgreich praktizierten sollte. Bei den Voruntersuchungen hat der dann festgestellt, dass bei mir aufgrund einer anatomischen Fehlbildung der Lendenwirbel lose war und auf die Nerven im Spinalkanal drückte. Jetzt wollte er diesen Wirbel durch einen recht einfachen Eingriff stabilisieren. Er bestellte mich für Montag früh ein, der Eingriff sollte noch am gleichen Tag erfolgen und am Freitag könnte ich dann wieder nach Hause gehen. Da das so schnell gehen sollte, fand ich prima. Die paar Tage ging es  auch mal ohne mich und die Schiffe dirigierte ich sowieso telefonisch.
Montagnachmittag erwache ich aus der Narkose und liege, noch etwas benommen, schon wieder in meinem Zimmer. Meine Frau kommt mich besuchen und ich stehe auf, um zur Toilette zu gehen. Welch ein Wunder, ich habe keine Schmerzen und kann laufen…..da hat der Chefarzt mir ja nicht zuviel versprochen. Einige Zeit nach meiner Frau kommt er dann persönlich bei mir vorbei, und teilt mir mit, dass es Probleme bei der OP gegeben hätte. Aufgrund meiner lädierten Wirbelsäule hätte er an der vorgesehenen Stelle nicht bohren können, deshalb hatte er die OP abgebrochen und mich wieder zugenäht……dass ich keine Schmerzen hatte, lag noch an den Schmerzmitteln, die man mir verabreicht hatte……. morgen früh kann ich wieder nach Hause gehen. Ich bin von diesem hochdotierten Spezialisten begeistert.
Als ich meinen Hausarzt über das Ergebnis informiere, schüttelt auch er den Kopf. Ich soll mich jetzt in Bremerhaven vorstellen. Der Chefarzt der dortigen Wirbelsäulenklinik ist Cuxhavener und mein Hausarzt kennt ihn persönlich. Das tue ich dann auch, ich möchte ja jetzt möglichst schnell von meinem Leiden befreit werden. Als ich diesem Chefarzt von meinem Erlebnis in Oldenburg erzähle, übt der, für mich beinahe unfassbar (eine Krähe……), böse Kollegenschelte aus. Auch hier werde ich wieder eingehend untersucht, muss in die Röhre und werde von allen Seiten, hinten und vorne, oben und unten geröntgt. Nachdem er nun alle Ergebnisse vor sich liegen hat, erklärt er mir, wie er vorgehen wird. Er wird mir ein Implantat einbauen. Dieses stabilisiert die Wirbelsäule und in drei Monaten, in denen ich nicht sitzen darf, hätte sie sich soweit versteift, dass ich dann schmerzfrei sein müsste. Allerdings werde ich mindestens zwei Wochen in der Klinik bleiben müssen. Was soll ich machen……da muss ich durch und stimme zu.
Nach meiner Rückkehr nach Hause, warte ich auf das Nachlassen meiner Schmerzen. Nicht sitzen zu dürfen, bedeutet ja auch nicht Autofahren zu können…..ich stehe im Büro, oder liege auf der Couch herum. Aber meine Schmerzen gehen einfach nicht weg. Nach drei Monaten stellt der Arzt in Bremerhaven bei der Nachuntersuchung fest, das mein Implantat durchgebrochen ist. Er kann sich das warum nicht erklären und ich kann es einfach nicht glauben. Recht ungehalten frage ich ihn ob er sein Material aus China beziehen würde.  Das kaputte Implantat muss wieder herausgenommen werden und er schlägt mir vor, die OP zu wiederholen. Ich habe aber die Schn…….auch von diesem Fachmann gestrichen voll.  Aller guten Dinge sind drei…….wir hatten eigentlich auch in Cuxhaven eine Knochenklinik, die früher sogar einmal einen guten Ruf hatte, aber in den letzten Jahren so vor sich hindarbte. Vor kurzer Zeit wurde sie von einem Klinikkonzern übernommen, der dieses Haus wieder in altem Glanz erstrahlen lassen möchte. Ich werde mich zu gegebener Zeit dort einmal vorstellen, aber erst einmal muss ich unser Haus fertig bauen. Das nimmt auch so langsam Formen an und bis jetzt hatte ich auch noch nichts zu meckern. Das Richtfest feiern wir im August und zu Weihnachten wollen wir umgezogen sein. Meine Wirbelsäulen OP ist dann für Januar eingeplant. Emilias Eltern haben wir für Anfang Dezember eingeladen, sie sollen uns beim Umzug helfen. 

Den ersten Krach mit dem Bauunternehmer bekomme ich, nachdem wir mit dem Elektriker die E – Installation festlegen. Bei der Verhandlung über den Baupreis hatte ich dem Unternehmer noch mit einem Augenzwinkern gesagt, dass ich eigentlich gewohnt sei noch mehr Rabatt zu bekommen. Ich wäre bereit ihn aber noch leben zu lassen nur dafür wollte ich mich nicht mit ihm über einen Aufpreis für Steckdosen herumstreiten müssen. Und genau darum geht unser erster Streit. Abends bekomme ich ein Fax in dem er mir  für die E – Anlage Mehrkosten in Höhe von dreitausendfünfhundert Euro unterjubeln will. Nachdem mir aber anstatt der angebotenen Schüco Fenster ein polnischen Nonameprodukt eingebaut werden soll, kriegen wir richtig Krach. Wer mich über den Tisch ziehen will, muss sich warm anziehen. Es geht in diesem Sinne weiter, denn auch die Heizungsanlage entspricht  nicht der angebotenen Qualität. Er kümmert sich nicht um die Bautrocknung ohne die die Malerarbeiten, die ich schon aus dem Auftrag herausgenommen habe, nicht ausgeführt werden können. Und als er die Fliesen von irgendwelchen Leuten, die er bei „my Hammer“ aufgegabelt hat, verlegen lassen will, werfe ich sie raus und vergebe die Arbeiten selber. Die Baufortschrittszahlungen stelle  ich ein, denn ich bin mir sicher, dass es zu einem Rechtstreit kommen wird und da möchte ich noch Geld in der Hand haben. Ich hatte zwischenzeitlich gehört, dass er in einem ähnlichen Fall seine Firma einfach dichtgemacht und seine Frau eine neue Firma gegründet hatte……..warum habe ich diese Information nicht schon früher bekommen…….sie hätte mir einiges an Nerven ersparen können.
Bis auf die Malerarbeiten und die Fußbeläge, die ich auch aus dem Bau herausgenommen hatte und die Pflasterarbeiten, war der Bau fertig. Ich kündigte den Bauvertrag fristlos wegen grober Verletzung der Vereinbarungen und ließ die Mängel von einem Sachverständigen dokumentieren. Die noch ausstehenden Arbeiten vergab ich in eigener Regie an entsprechende Handwerker und wir schafften es das Haus termingerecht fertig zu stellen. Der Gutachter hatte die Kosten für die nicht geleisteten Arbeiten, der Abweichungen vom Bauvertrag und Baumängel mit insgesamt sechsundzwanzigtausend Euro beziffert. Diese Summe hatte ich auch in etwa einbehalten. In dem Gerichtsverfahren, das er Bauunternehmer deshalb angestrengt hatte, und das knapp drei Jahre dauerte, bekam ich letztendlich Recht.  Nachdem die Mängel beseitigt sind, war das Haus jetzt genauso, wie wir es uns vorgestellt hatten.
Der Gartenbauarchitekt, der schon den Garten meines letzten Hauses gestaltet hatte, benötigte nur eine gute Woche, um  ein wüstes Baugrundstück in einen tollen Garten zu verwandeln. Er gestaltete auch hier wieder einen Koiteich, pflanzte Hecken, verlegte Rollrasen und übernahm auch die noch ausstehenden Pflasterarbeiten.  Wie geplant, verbringen wir das Weihnachtsfest in unserem neuen Haus. Maria und Wladimir haben uns wirklich sehr geholfen, das zu ermöglichen. Die Grundreinigung eines neuen Hauses, mit neuer Küche und anderen Einbaumöbeln so akkurat durchzuführen, damit man einziehen kann, das macht schon viel Arbeit. Ich bin wegen meines Rückens ja keine große Hilfe und kümmere mich ums Kochen. In unserer neuen Küche mit Induktionskochinsel und allen technischen Geräten, die aktuell gefragt sind, in Arbeitshöhe eingebaut, macht mir das auch richtig Spaß.

Am zehnten Januar habe ich meinen OP Termin. Es wird auch höchste Zeit……ich kann mich, trotzt starker Schmerzmittel, nur noch mühsam fortbewegen. Die Voruntersuchungen die ich wieder einmal über mich ergehen lassen musste, bringen ein Ergebnis zu Tage, dass mich an der Qualifikation von den bisher beteiligten Medizinern noch stärker zweifeln lässt. Der Chefarzt der Cuxhavener Klinik stellt nämlich fest, dass mein Hüftgelenk kaputt ist. Das kann doch eigentlich nicht sein. Bei allen vorhergegangenen Untersuchungen ist es diesen hochbezahlten Koryphäen nicht aufgefallen, dass ich ein kaputtes Hüftgelenk habe…….der Hüftkopf ist total eingebrochen . Dieses hatte letztendlich die Statik meines Körpers soweit verändert, dass deshalb vermutlich auch das Implantat gebrochen war. Ich fasse es nicht……   Man wird mir also zunächst einmal ein neues Hüftgelenk einsetzen und sich cirka drei Monate später dann mit meinem kaputten Implantat beschäftigen. Bereits drei Tage nach meiner OP springe ich schon rum, wie ein junger Gott und nach einer Woche bin ich wieder zu Hause. Und die Moral von der Geschichte…….es gibt nicht nur Pfusch am Bau…..

Emilia hatte ihr Praktikum bei einer Cuxhavener Hafenbetriebsgesellschaft, mit deren Geschäftsführer wir befreundet waren, absolviert. Man hatte ihr in Aussicht gestellt, dass sie nach Abschluss ihres Studiums dort anfangen könnte. Sie spricht neben deutsch und englisch, russisch, natürlich auch ukrainisch. Diese Sprachkenntnisse, sind im internationalen Transportgeschäft hoch willkommen. Aus dem gleichen Grund hätte sie auch bei einer Cuxhavener Firma, die Windräder herstellt und Offshoreanlagen baut, anfangen können. Beides war aber nicht ihr Ding, sie hasste Container und Windmühlen und am liebsten hätte sie sich jetzt auch beruflich mit ihrem Hobby, Kosmetik, beschäftigt. Die Firmenzentralen der großen Kosmetik – und Drogerieketten, liegen aber weitab vom Schuss und sie wollte ja auch gerne in Cuxhaven, das ihr ja inzwischen zur Heimat geworden war, bleiben. Aber…….das Ende meiner beruflichen Tätigkeit ist ja irgendwann absehbar, es war klar, ich konnte sie nicht bis ans Ende ihrer Tage versorgen. In ein paar Jahren müsste sie auf eigenen Füßen stehen.…….deshalb mussten die Weichen für die Zukunft gestellt werden.

Bei unserem Umzug in das neue Haus haben wir erst richtig gemerkt, über wieviel Ware sie bereits für ihren Modehandel verfügte. Wir hatten alles auf den Spitzboden gebracht und der war jetzt rappelvoll. Der Job machte ihr Spaß und inzwischen erzielte sie damit auch schon einen ordentlichen Gewinn. Was lag also näher, wir bauen das Geschäft aus……auch Neckarmann hat ja mal klein angefangen.
Im Internet gibt es tausende von Hausfrauen, die als Kleinstunternehmerinnen, befreit von der Mehrwertsteuer, mit Bekleidung handeln. Deren Preisgestaltung liegt keiner ordentlichen Kalkulation zu Grunde. Sie freuen sich wenn sie ein paar hundert Euro hinzuverdienen können. Um aber mit Mode richtig Geld zu verdienen, ist es notwendig, gute Ware zu einem günstigen Preis einkaufen zu können. Zu einem großen Hamburger Versandhauskonzern gehört unter anderem auch ein Tochterunternehmen, dass die Retouren und Restposten des Konzerns an Wiederverkäufer verkauft. Emilia hat dort schon hin und wieder mal Ware in geringen Mengen eingekauft. Wenn ihr Geschäft wachsen soll, muss der Absatz erhöht werden, da heißt……mehr einkaufen. Wir fahren nach Hamburg und verhandeln mit der Geschäftsführung  um Rabattstaffeln. Diese Verhandlung endete so positiv, dass wir nach diesem Gespräch direkt tausend Abendkleider orderten.
Die Lieferung per LKW an unser Wohnhaus, erregte in der Nachbarschaft ziemliches Aufsehen. Wir……dieses doch sehr ungleiche Paar, hatten die Nachbarn sowieso schon neugierig gemacht. Jetzt wurden vor unserer Haustür auch noch zehn Rollständer mit jeweils einhundert Abendkleidern ausgeladen. Um die Nachbarinnen, die aus den Fenstern hingen, zu ärgern, rief ich dem Fahrer zu, dass wir, wenn meine Frau shoppen ginge, immer einen LKW bräuchten.
Wir hatten jetzt aber ein Problem. Ich hatte nicht bedacht, dass zehn Kleiderständer a, zweieinhalb Meter einen riesigen Platzbedarf hatten. Unsere Garage hatten wir schon zum Lager umfunktioniert, da passten aber nur sechs hinein. Den Rest mussten wir in unserem Haus verteilen. Das konnte jedoch nur eine kurzfristige Lösung sein. Hatte Emilia bisher etwa fünf bis zehn Pakete am Tag versandt, würden wir uns, mit einem größeren Angebot auf etwa dreißig pro Tag steigern. Es war deutlich erkennbar, dass sie den Aufwand, die Waren in den Webshop einzupflegen, die telefonische Kundenbetreuung und ein Versand in dieser Größenordnung, nicht mehr alleine würde bewerkstelligen können. Also……..wir brauchte erstens ein Lager und zweitens eine Mitarbeiterin.  Beides fand sich in relativ kurzer Zeit. Wir mieteten ein Ladengeschäft mit Nebenräumen und einer Gesamtfläche von einhundertsechzig Quadratmeter an. Wir renovierten, ließen Regale einbauen, schafften zwei Schreibtische, die notwendige EDV und eine Telefonanlage an. Nachdem wir die gesamte Ware, cirka zweitausend Artikel, aus unserem Haus in den Laden gebracht hatten, war der erst halb voll. Wir hatten also ausreichende Reserven für weitere zweitausend Artikel. Und……..wir wohnten nicht mehr in einem Lagerhaus. Nur wenige Monate später, wurde es in dem Laden auch schon eng. Wir bekamen jetzt des Öfteren größere Posten zu guten Preisen angeboten. Und wenn Emilia  der Meinung war, dass sie sich gut verkaufen ließen, schlugen wir zu. Wenn man solche großen Posten einkauft und für den einzelnen Artikel einen guten Preis erzielen will, verkauft man nicht alle sofort. Der Warenbestand nimmt dadurch stetig zu.
Zu dem Versandhauskonzern gehörte ein kleines, feines Label, das hochwertige Damenmode vertrieb. Auf diese Retouren und Restposten hatte es Emilia besonders abgesehen, weil sie sich gut verkauften. Dieses Label unterhielt zusätzlich zum Versandhandel noch  Ladengeschäfte in drei deutschen Großstädten. Wir hatten vereinbart, bei Kollektionswechsel, die kompletten Restposten dieser Läden zu übernehmen. Jetzt führten wir in unserem Sortiment auch Schuhe, Handtaschen, Wäsche und Accessoires. Unser Webshop entwickelte sich sehr schnell in Richtung einer Internetboutique. Also ließen wir unseren Shop von einem Webdesigner entsprechend überarbeiten. Bei einem unserer Einkäufe in Hamburg, erfuhren wir, dass der Konzern diese Label verkauft hatte. Ich nahm sofort Kontakt zu dem neuen Eigentümer auf und vereinbarte einen Termin. Wir wollten versuchen, die Restposten, Überhänge und Retouren dieser Firma komplett zu übernehmen. Ich bin zwar mitgefahren, habe aber an dem Termin nicht teilgenommen. In diesem Geschäft arbeiten überwiegen Yuppies und ich wollte Emilia, als Inhaberin, den Vortritt lassen.  Nach einer guten Stunde kam sie freudestrahlend zurück……..sie hatte den Auftrag. Zunächst sollten die Restposten noch über die alte Schiene vermarktet werden aber ab 01.01. 2010 wären wir die alleinige Abnehmerin. Jetzt fing ich an zu rotieren…….wir brauchen ein größeres Lager, ein Warenwirtschaftssystem und ein paar Arbeitsplätze für Büropersonal.  Die einzige Immobilie, die einigermaßen passte, war ein ehemaliger Discounter. Dafür sollten wir allerdings zweieinhalbtausend Euro Miete im Monat bezahlen. Dass erschien mir zu teuer und ich fing an zu rechnen. Für den Preis könnten wir eigentlich den Kapitaldienst für ein Darlehen von etwa dreihunderttausend Euro bedienen. Beim Liegenschaftsamt bot man mir ein Gewerbegrundstück von zweitausendsiebenhundert Quadratmeter zu vierundzwanzig Euro den Quadratmeter an. Das Amt für Wirtschaftsförderung teilte mir auf meine Anfrage hin mit, das wir wegen der Wirtschaftskrise, in der sich Deutschland befand, mit einer Förderung des Landes in Höhe von dreißig Prozent rechnen könnten.  Jetzt informierte ich mich über die Preise von Stahlbauhallen. Es gab da regional große Unterschiede. Ich fand im Internet einen kleinen Hallenbauer in der Nähe von Bremervörde, bei dem die Hallenpreise nur halb so hoch waren, als die von einem bekannten Hamburger Unternehmen. Auf einen Architekten wollte ich dieses Mal verzichten…… das kriege ich alleine hin. Ich hatte eine Skizze gefertigt und diese mit dem Hallenbauer besprochen. Die Halle sollte sechzehn Meter breit und dreißig Meter lang werden, voll isoliert und beheizt und mit einem Büroteil von achtzig Quadratmetern im vorderen Teil. Die Ausbauarbeiten, Elektrik, Heizung, Sanitär, Maler, Bodenbelege und Außenanlagen schrieb ich aus. Nachdem mir alle Preise vorlagen, sollte der Bau inklusive des Grundstückes gut dreihunderttausend Euro kosten. Damit gingen wir zu unserer Bank, die sich auch bereit erklärten, das zu finanzieren. Ich stellte den Förderantrag in Hannover und musste mich zwei Wochen gedulden, bis ich den Bescheid erhielt, dass unser Objekt förderfähig sei. Dieser Bescheid war sehr wichtig, denn vorher durfte ich, laut den Statuten der Förderbank, nichts in Auftrag geben.  Der Hallenbauer, selber Bauingenieur, fertigte den Bauantrag für uns, den ich persönlich am Bauamt vorbeibrachte um auch auf die Dringlichkeit hinzuweisen. Ich hatte dort einige Diskussionen, bin ja aber bekannt, dass ich mich durchzusetzen vermag und hielt vier Wochen später die Baugenehmigung in der Hand. Weil der Hallenbauer nicht ausgelastet war, hatten wir zu dem Zeitpunkt die Bodenplatte bereits gegossen, so dass wir direkt mit dem Hochbau beginnen konnten Vom ersten Spatenstich bis zur Fertigstellung brauchten wir nur drei Monate und das ohne Architekten …….das soll mir erst einmal jemand nachmachen.  Unsere Ware aus dem überfüllten Ladengeschäft nahm sich in der Halle recht kümmerlich aus. Wir hatte also noch genug Platz um darin noch vor Weihnachten eine Einweihungsparty und zugleich Emilias dreißigsten Geburtstag zu feiern. Aber auch noch vor Weihachten kam ein Schreiben aus Hannover, in dem man uns mitteilte, dass sie bedauerten uns bei der Vergabe von Fördermitteln nicht berücksichtigen zu können. Aufgrund der erhöhten Förderung wären so viele Anträge eingegangen, dass das Kontingent erschöpft sei. Jetzt werde ich aber böse……wieder Versprechungen von der Regierung und wieder werden sie nicht eingehalten. So etwas hatte ich ja schließlich schon mit meinen Häusern in Altlandsberg erlebt. Zu unserem näheren Bekanntenkreis gehört ein CDU Politiker, der ist mittlerweile Staatssekretär in Berlin. Über den haben wir auch den damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU in Hannover kennengelernt. Ich schreibe also beide an und weise darauf hin, dass ich unseren Fall publik machen werde, wenn sich das nicht in unserem Sinne aufklärt. Kopien dieser Schreiben schicke ich auch nach Hannover. Anfang Januar lädt man uns zu einem Gespräch ein und…….in irgend einer Schublade muss noch Geld vergessen worden sein…..man kann uns jetzt doch noch berücksichtigen. Wer kämpft kann verlieren…… wer nicht kämpft…… Wir beschäftigen jetzt eine weitere Bürokraft, eine Schneiderin, die kleine Schäden an Retouren beseitigen soll und eine Packkraft denn inzwischen versenden wir mehr als fünfzig Pakete am Tag. Als das in Hamburg vereinbarte Geschäft richtig anläuft, ist unsere Halle sehr schnell voll. Bereits ein Jahr später müssen wir eine Halle von vierhundert Quadratmeter dazumieten. Und stellen noch eine Auszubildende, eine Lageristin und eine weitere Packkraft ein. Jetzt sind wir schon bei einhundert Sendungen pro Tag. Wir sind zwar noch nicht ganz Neckarmann……aber auf dem besten Weg dorthin.  Um den weiter steigenden Absatz noch bewältigen zu können, nutzen wir ein Fulfillmentangebot eines der Globalplayer im Internethandel. Dass heißt, wir liefern unsere Artikel  dorthin, die lagern, verpacken, versenden und bearbeiten auch die Retouren. Das pusht unseren Umsatz gewaltig nach oben aber bei der Nachkalkulation stellen wir fest, das die Retourenquote dort bei über siebzig Prozent liegt, bei uns liegt sie unter dreißig Prozent. Da unser neuer Partner aber auch Provisionen  für die Retouren verlangt, sind sie die einzigen, die an diesem Deal verdienen…….wir steigen also wieder aus. Dann geht Emilias Lieblingslabel pleite, offensichtlich war die Kapitaldecke des neuen Eigentümers zu dünn. Sie müssen ja ihre Kollektionen vorfinanzieren, das heißt, dass zwei Kollektionen schon bezahlt werden müssen, bevor sie in den Verkauf kommen. Und man benötigt ausreichend liquide Mittel, um die laufenden Kosten decken zu können, bis die erste Kollektion verkauft ist. Von ihrem Insolvenzverwalter bekommen wir jetzt eine große Menge Ware angeboten. Wir können nicht aussuchen, bekommen aber das ganze Paket zu Stückpreisen, da können wir einfach nicht nein sagen. Wir haben jetzt mehr als vierzigtausend eigene Artikel auf Lager und können uns beruhigt zurücklegen…….es gibt keinen Mangel an Waren.  Auch ansonsten geht es uns wirtschaftlich wieder recht gut. Ich lasse an unser Haus einen dreißig Quadratmeter großen Wintergarten anbauen und zur Straße hin einen Schmiedeeisenzaun mit einem elektrohydraulischem Tor installieren. Die A – Klasse, die wir seinerzeit mit den Schiffen mitgekauft hatten, hatten wir mittlerweile auch wieder gegen eine bequeme Limousine gleicher Marke eingetauscht……wir können also mit uns ganz zufrieden sein. CUXship hat zwei Schiffe noch vor Beginn der Wirtschaftskrise verschrottet. Beide hatten einen größeren Motorschaden die es sich nicht mehr lohnte reparieren zu lassen. Mit dem  Erlös tilgte ich die restlichen Schiffshypotheken. Jetzt hat die Firma noch sieben Schiffe und ist schuldenfrei. Fünf Schiffe waren fest vermietet und brachten eine gute Miete ein. Die zwei Anderen, die noch auf unserer Rechnung fuhren, legte ich Ende 2008 still. Durch die Wirtschaftskrise hatte sich das Frachtaufkommen um mehr als dreißig Prozent verringert. Die Frachtraten waren jetzt so schlecht, dass ich nicht einmal mehr die laufenden Kosten erwirtschaften konnte.  Ich wollte die beiden Schiffe jetzt auch verschrotten aber die Schrottpreise waren, wegen fehlender Nachfrage  im Keller. Es war mir klar, dass diese Krise nicht ewig dauern würde und so spielte ich auf Zeit. Und wirklich, schon ein knappes Jahr später lief die Weltwirtschaft wieder an. Die Rohstoffpreise  und damit auch die Schrottpreise explodierten wieder und ich ließ die beiden Schiffe verschrotten. Jetzt hatten wir nur noch die fünf vermieteten Schiffe. In den Mietverträgen hatte ich den Mietern ein Vorkaufsrecht eingeräumt, nachdem sie die Schiffe nach Ablauf der Verträge Ende 2011 zu einem schon festgelegten Preis erwerben konnten. Dieses Vorkaufsrecht wollten auch alle fünf Mieter wahrnehmen. Das bedeutete, nach dem 01.01.2012 wären die Schiffe verkauft und meine Schifffahrtskarriere damit endgültig beendet. Aber ich hatte ja noch genug um die Ohren……..Emilia überlegt, ob sie sich ein eigenes kleines Label schafft, das sie so nach und nach in Ihrer Internetboutique bekannt machen will. Ich finde das ist eine gute Idee. Sie hat einen guten Geschmack und weiß immer was gerade „up to date“ ist. Sofort fange ich an, Kontakte nach Vietnam zu knüpfen. Die Qualität aus Vietnam ist zwar etwas teuerer aber um einiges  besser, als die aus Bangladesh. Ich habe auch schon die Kosten für die Eintragung einer Marke und  Preise und Transportkosten hinterfragt. Wir überlegen im nächsten Winter mal nach Vietnam zu fliegen um uns bei Herstellern umzusehen. Dann meldet sich die ehemalige Einkaufsleiterin des Labels, mit dem wir, bevor sie pleite gegangen waren, zusammengearbeitet hatten. Deren Insolvenzverwalter hatte die Marke an Russen verkauft und sie wäre wieder im Job. Die Beiden hatten vorher ein fast freundschaftliches Verhältnis zueinander gehabt und deshalb hatte sie Emilia bei ihrem neuen Arbeitgeber wieder für die Verwertung der Restposten ins Spiel gebracht. Die Russen waren sehr interessiert. Sicherlich hat da auch mitgespielt, dass sie eigentlich Landsleute waren und Emilia aus dem gleichen Sprachraum kam. Emilia fuhr also nach Hamburg um die neuen Leute kennenzulernen. Ich hatte ihr mitgegeben, dass sie versuchen sollte, die Ware in Kommission zu nehmen. Wir würden sie verkaufen, dafür eine Provision bekommen und hätten überhaupt kein Risiko. Als sie zurückkam, war sie vollauf begeistert. Mit den neuen Inhabern war sie sofort per du und die hatten meinem Vorschlag zugestimmt. Sie wollten einen Teil ihrer Restposten in Russland absetzen, Emilia würde aber einen Bestand von zehntausend Artikeln bekommen, die sie sich aussuchen könnte und der immer wieder aufgefüllt werden sollte. Das klang sehr gut…….  Da der Versand aus zwei verschiedenen Lagern sehr kompliziert ist, und die Zinsen niedrig waren, schlage ich vor unsere bestehende Halle zu erweitern. Das Grundstück ist groß genug und die Kapitaldienste wären kaum höher als die Miete, die wir jetzt zu zahlen hatten. Wir hätten dann unsere gesamte Ware an einem Ort. Außerdem müssen wir unser Büro erweitern denn wir benötigen dringend Räumlichkeiten für zwei zusätzliche Mitarbeiterinnen für die Kundenbetreuung und ein Büro für die Lageristin. Ich bin wieder in meinem Element……..ich plane die Erweiterung von Halle und Büro, mache Ausschreibungen, kümmere mich wieder um Fördermittel und die Finanzierung…….. Seit einiger Zeit hat sich das Verhältnis zwischen Emilia und mir etwas abgekühlt. OK…..ich verstehe natürlich, dass eine Frau mit vierunddreißig ein paar andere Interessen hat, als ein Mann mit siebenundsechzig. Sie hat einige gleichaltrige Freundinnen, auch aus dem Osten, mit denen sie des Öfteren ihre Freizeit verbringt. Ich gönne ihr dass, nur als sie dann fast jedes Wochenende zusammen ausgehen, meine ich, dass wer sich in Gefahr begibt, darin umkommen könnte. Ich sitze also jetzt viel alleine zu Hause und mache mir Sorgen. Als sie mit ihren Freundinnen für ein Wellness -Wochenende in den Harz fährt, werde ich misstrauisch und reagiere sauer. Ich habe vorher immer viel mit ihr unternommen. Zu unseren Hochzeitstagen hatte ich jedes Jahr eine Überraschungsreise organisiert. So haben wir erst vor drei Monaten eine Woche am Gardasee verbracht. Ostern hatten wir uns mit Marco und Jana eine Motorjacht gemietet und waren eine Woche auf den ostdeutschen Seen und Wasserstraßen unterwegs gewesen. Wir gingen ins Theater, kannten fast alle gängigen Musicals, und besuchten Konzerte wie zum Beispiel das von Elton John in Hamburg……ich bemühte mich sehr unser Zusammenleben nicht langweilig werden zu lassen. Jetzt aber hatte sie plötzlich keine Lust mehr, mit mir etwas zu unternehmen. Als sie dann aus unserem gemeinsamen Schlafzimmer auszog, weil ich neuerdings so laut schnarchen würde, habe ich erst einmal nichts gesagt……war mir jetzt aber fast sicher, dass da irgend etwas nicht stimmen würde. Sie ging mir auch irgendwie immer aus dem Weg. Kurz vor Weihnachten bat sie mich um ein Gespräch und gestand mir, dass sie schon seit einiger Zeit eine Affäre hatte. Ich hatte es doch geahnt und reagierte sehr gefasst. Ich fragte sie, wie es denn jetzt weitergehen sollte. Sie weinte und erzählte mir, dass die Sache eigentlich schon vorbei wäre. Ihr Freund wollte aus beruflichen Gründen nach Süddeutschland gehen und sie sollte mitkommen. Da sie das nicht wollte und konnte, hätten sie sich getrennt. Ich schöpfte wieder Hoffnung und war bereit ihr alles zu verzeihen. Um etwas Abstand zu bekommen, flogen wir über Weihnachten und Sylvester auf die Kanaren. Bei allen Aktivitäten, die ich vorschlug reagierte sie aber teilnahmslos und als ich sie zufällig beim telefonieren erwischte, wusste ich…….es ist noch nicht vorbei.  

Ihr Freund war doch geblieben und sie wollte jetzt ausziehen. Nicht zu ihm, so sicher war sie sich noch nicht, sondern in eine eigene Wohnung. Ich könnte ja in dem Haus wohnen bleiben. Diese Entwicklung riss mir total den Boden unter den Füßen weg. Mit einem Mal brach alles über mir zusammen. Es war für mich noch schlimmer als nach dem Schiffsuntergang. Damals war ich noch ein paar Jahre jünger und nicht alleine. Ich hatte ja Emilia an meiner Seite und habe durch sie sehr schnell meinen Überlebenswillen zurück gewonnen. Aber jetzt……womit sollte ich mich dieses Mal motivieren. Ich beinahe siebzig, alleine und…….mein Leben ist bald vorbei. Die Schifffahrt ist abgeschlossen, der Erlös steckt als Eigenkapital in der Finanzierung der Hallenerweiterung. Ich kann nicht noch einmal von vorne anfangen und wüsste auch nicht was und wie und…….ich habe auch keine Kraft mehr. Rein rechtlich gehört mir eigentlich gar nichts. Wegen meiner Insolvenz trat ja Emilia überall als Eigentümerin in Erscheinung. Also gehört ihr auch unser Wohnhaus. Sie erhob aber keine Ansprüche dieser Art, wusste sie doch, dass alles was wir besaßen zum großen Teil mein Verdienst war. Aber wie sollte es weitergehen? Ich hatte ja außer einer kleinen Rente keine Einnahmen und hätte mir das Haus gar nicht leisten können und…… ich wollte es auch nicht.  Wenn wir jetzt das erarbeitete Vermögen teilen wollten, müssten wir alles verkaufen und hoffen, dass am Ende noch etwas zum Teilen übrig bleibt. Bei meiner Insolvenz war schon soviel Vermögen zerschlagen worden…….das wollte ich nicht noch einmal erleben. Ich machte ihr also den Vorschlag, dass sie Haus und Betrieb weiterhin behält und mir im Gegenzug eine monatliche Apanage bezahlt. Sie war froh, dass ich so widerstandslos aufgab und stimmte dem zu. Wir gingen zum Notar um diese Vereinbarung beurkunden zu lassen. Damit war der Weg für die Scheidung, die sie so schnell wie möglich wollte, geebnet. Ich weiß nicht warum……aber ich hatte das Geld aus dem gewonnenen Versicherungsprozess in Berlin, beiseitegelegt. Nicht, weil ich mit dieser Entwicklung gerechnet hatte, eher als Erfahrung aus meiner Pleite, dass es nicht schlecht ist, wenn man irgendwo noch eine kleine Reserve hat.  Was fange ich jetzt mit meinem Restleben an? Ich habe keine Lust, nachdem ich meinen Altersruhesitz, den ich mir mit soviel Freude geschaffen hatte, verloren habe, mir eine Wohnung zu suchen. Wenn mich jetzt der Schlag treffen würde…..es wäre mir recht. Aber er trifft mich nicht deshalb muss ich irgendetwas tun, ich muss ja irgendwo unterkommen.  Ich habe immer schon gerne Reiseberichte gelesen und mein letzter war von einem Ehepaar verfasst, die mit einem Boot unterwegs waren. Vielleicht war das etwas für mich, schließlich ist ja das Wasser mein Element. Ich suchte im Internet nach einem passenden Boot für mich und finde auch eine ganze Reihe gebrauchter Motorjachten, die vom Preis und der Ausstattung durchaus infrage kommen würden. Dann fällt mir aber ein……ich bin ja alleine. Und alleine kann man mit einem Boot schlecht auf Reisen gehen. Ich bin auch nicht mehr so sportlich um das ohne Partnerin auf die Reihe zu bekommen.  Dann fällt mir eine Geschichte in die Finger, in der ein älteres Ehepaar ihr Hab und Gut verkauft, sich ein Wohnmobil angeschafft und dieses nach Montevideo verschifft hatten. Sie waren danach über ein paar Jahre von Feuerland bis Alaska unterwegs gewesen. Das könnte ich mir schon eher vorstellen. Es muss ja nicht gleich eine Tour über den ganzen amerikanischen Kontinent sein…….es geht doch bestimmt auch eine Nummer kleiner. Also bestelle ich mir ein Buch von Leuten, die mit dem Wohnmobil der Sonne hinterher reisen. Im Sommer in Nordeuropa, im Winter Spanien, Portugal und Marokko. Diese Reisebeschreibung gefiel mir sehr gut und ich fange an mich intensiv mit Wohnmobilen zu beschäftigen. Ich habe noch nie in meinem Leben Camping gemacht und hatte mir also auch noch nie ein solches Gefährt angesehen. Das holte ich jetzt nach. In entsprechen Foren konnte ich nachlesen, auf was ich zu achten hatte und dann fuhr ich zu einem großen Händler für gebrauchte Womos und schaute mich mal um. Wenn man, wie ich, bisher nur PKW gefahren ist, kommt einem so ein Teil groß wie ein Omnibus vor. Ich brauchte unbedingt ein Fahrzeug mit Automatik um mich überhaupt zu trauen, damit loszufahren. Der Händler hatte nichts Passendes und so suchte ich im Internet und wurde auch fündig. Ein Privatmann aus der Gegend von Bonn bot ein Womo an, das so in etwa meinen Vorstellungen entsprach. Nachdem er mir alle möglichen Fotos und Unterlagen gemailt hatte, fuhr ich hin und kaufte es. Jetzt besaß ich mein „Rolling Home“.  In so einem Gefährt hat man ja nicht so sehr viel Platz also nahm ich aus unserem Haus nur ein paar Jeans, T-Shirts, Wäsche, Hemden, zwei Jacken, zwei paar Schuhe, ein paar Handtücher und Bettwäsche mit und das Wohnmobil wurde mein Zuhause. Wieder einmal hatte ich mein vorheriges Leben mit kleinem Gepäck verlassen…. Emilia hatte mich gebeten, die Hallenerweiterung noch zu beaufsichtigen, denn wer außer ich hätte das tun können. Ich versprach ihr, als zuzusagen meine letzte Amtshandlung, mich darum noch zu kümmern. Ich hatte ja jetzt einen Bauwagen und war Tag und Nacht auf der Baustelle. Als der letzte Hammerschlag getan war, reichte ich alle erforderlichen Unterlagen an die Förderbank ein und nachdem die Zusage vorlag, dass die Fördermittel zur Auszahlung bereit stünden, drehte ich den Zündschlüssel rum. Über den Norden war soeben der erste schwere Herbststurm hinweggefegt. Ich wollte jetzt ab in den Süden……..  Und aus der Dunkelheit sprach eine Stimme zu mir: „Bete und sei froh, es hätte schlimmer kommen können“. Ich betete und war froh……..und es kam schlimmer. Das Schicksal ließ mir jedoch noch erst einmal noch ein wenig Zeit, mich an mein neues Leben zu gewöhnen.  Aber nachdem ich den zweiten Winter im Süden und in Marokko verbracht hatte, über meine Reisen werde ich später, in einer neuen Geschichte, noch ausführlich berichten, erreichte mich auf der Rückreise in den Norden ein Hilferuf von Emilia. Weinend erzählte sie mir, dass sie in ernsten finanziellen Schwierigkeiten steckte und fragte mich, ob ich nicht kommen könnte. Sie hätte ja niemanden, der sie in dieser Situation unterstützen und beraten könnte. Ihr Freund hätte von ihrem Geschäft keine Ahnung und wäre ihr keine Hilfe….. Ich hatte mich schon gewundert, dass meine Apanage ausblieb und mir fast so etwas gedacht. Sie tat mir natürlich leid aber es ging ja auch um meine finanzielle Zukunft da konnte ihr meine Hilfe  doch nicht verweigern.  In Cuxhaven angekommen, stellte ich fest, dass ihre Lage schlimmer war, als ich gedacht hatte. Die Halle war fast leer. Unser Warenbestand, der eigentlich einen Verkaufswert von sechs bis siebenhunderttausend Euro gehabt hatte, war weg. Kurz vor meinem Abgang hatte ich fünfzig neue Rollständer angeschafft, auf denen fünftausend Braut – und Abendkleider Platz hatten, die wir aus einem Konkurs eines Brautmodengeschäftes übernommen hatten……alle Ständer waren leer. Alles verkauft und trotzdem hatte sie finanzielle Probleme…….wie konnte das sein? Sie hatte sich von ihren russischen Partnern über den Tisch ziehen lassen……. von den zehntausend Artikeln, die sie in Kommission genommen hatte, waren die Angesagtesten natürlich zuerst weg. Irgendwann gab es in dem Bestand eine große Anzahl von Artikeln, die nur noch mit erheblichen Preisabschlägen zu verkaufen waren. In dieser Zeit kündigten die Russen den Kommissionsvertrag weil sie, laut ihrer Aussage, ihre Restposten zu besseren Preisen in Russland absetzen könnten. Sie boten Emilia an, die Kommissionsware, die sie  noch in ihrem Bestand hatte, für fünfzehn Euro plus Mehrwertsteuer pro Stück zu kaufen. Das bedeutete, Emilia musste  fast einhundertachtzigtausend Euro aufbringen. Die Mischung der Ware rechtfertigte diesen Preis aber nicht. Weil aber die Russen ihr einräumten diesen Betrag in drei Monatsraten zu bezahlen, ließ sich Emilia trotzdem, warum und wieso auch immer, auf diesen deal ein. Ich hätte den Russen gesagt, dass sie ihre Ware wieder zurücknehmen könnten und bin sicher, dass ich damit den Preis erheblich reduziert hätte. Emilia hat sich das aber nicht getraut und  hatte jetzt zusätzlich zu ihren Betriebskosten und dem Lohn für zehn Arbeitnehmerrinnen, drei Monate lang monatlich noch sechzigtausend Euro an die Russen zu zahlen. Als sie merkte, dass ihr das kaum gelingen würde, fing sie an die Ware zu versteigern um so die Umsätze zu generieren, die sie benötigte. Das bekam sie auch kurzfristig hin,  nur dabei erzielte sie jetzt pro Artikel nur noch maximal die Hälfte von dem, was sie dafür bezahlt hatte. Dazu kamen auch noch die Versandkosten. Jetzt nahm ihr Warenbestand rapide ab, trotzdem blieb nichts über, um neue Waren zu kaufen und auch zu bezahlen. Daraufhin ließ sie sich ihren Kontokorrent erhöhen. Sie hatte sich auch nicht getraut in dieser Situation einen erheblich günstigeren Warenkredit zu beantragen um damit die Forderung der Russen zu begleichen. Jetzt arbeitet sie mit einem Kontokorrent mit zwölf Prozent Zinsen, der vorne und hinten nicht ausreichte. Das wiederum führte dazu, dass sie Rechnungen über neue Warenlieferungen auch nicht bezahlen konnte. Hätte sie mir ihre Probleme vor drei, vier Monaten mitgeteilt, hätte vermutlich ein Befreiungsschlag noch geholfen……jetzt war es zu spät. Trotzt ihres Betriebswirtschaftsstudiums war sie aus eigenem Verschulden…… pleite. Wieder einmal ist alles weg. Das neue Haus, die Halle. der Gewerbebetrieb……wieder waren alle Anstrengungen umsonst. Irgendwie fühle ich mich aber doch noch mitschuldig, weil ich sie mit dem Geschäft alleine gelassen hatte……ich hätte mich doch nicht so einfach davonstehlen sollen. Jetzt nehme ich sie an die Hand und gehe mit ihr zur Sparkasse aber wie war das noch mit dem Regenschirm……? Es bleibt uns nichts anderes übrig, es gibt keine andere Möglichkeit……wir gehen gemeinsam zum Konkursrichter. Danach übernehme ich auch noch die traurige Mitteilung an die Mitarbeiterinnen und weil Emilia, jetzt völlig am Boden zerstört ist, auch die  Auseinandersetzungen mit dem Konkursverwalter scheut……mehr kann ich nicht für sie tun. Sie ist ja noch jung genug und wird sicher einen neuen Anfang finden. Und ich…… In ein paar Tagen werde ich siebzig und mein Leben wird sich jetzt, so wie es aussieht, unterhalb der Grundsicherung als Tramp in einem Wohnmobil abspielen. Vom Millionär zum Tramp, welch ein Absturz. Offensichtlich habe ich die Lektionen, die mir das Leben aufgezeigt hat, nicht begriffen. Ich habe, so wie es aussieht, nichts dazugelernt sondern eher noch die Hälfte vergessen. Ich muss jetzt unbedingt hier weg. Ich werde erst einmal nach Norden fahren und  in Ruhe nachdenken.  Vielleicht schreibe ich ja alles einmal auf, das wäre doch noch einmal etwas ganz Neues für mich. 

Ende